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FORSCHUNG/589: Warum wir gerade Kanten besser wahrnehmen als schräge (idw)


Ruhr-Universität Bochum - 23.03.2009

Warum wir gerade Kanten besser wahrnehmen als schräge:
RUB-Forscher berichten im European Journal of Neuroscience

Neue Analysemethoden zeigen: Oblique-Effekt ist unabhängig vom Bildkontrast


Trotz häufig wechselnder Umgebungsbedingungen erzeugt unser Gehirn konstante Sinneseindrücke. So werden zum Beispiel Kontrastveränderungen durch Änderung der Beleuchtungsverhältnisse kompensiert. Eine wichtige Rolle bei der visuellen Informationsverarbeitung spielt der Oblique-Effekt: die Fähigkeit, horizontale und vertikale (kardinale) Kanten in Bildern empfindlicher wahrnehmen zu können als schräge (oblique) Konturen.

RUB-Forscher um Dr. Dirk Jancke konnten nun mit einer neuen Analysemethode zeigen, dass der Oblique-Effekt, der bereits auf der ersten Stufe kortikaler Bildverarbeitung im Gehirn - der primären Sehrinde - in Form zahlreicherer Nervenzellen zur Verarbeitung kardinaler Reize repräsentiert ist, unabhängig ist vom Bildkontrast. Darüber berichtet die Arbeitsgruppe in der aktuellen Ausgabe des European Journal of Neuroscience, dessen Titelseite sie lieferten.

Der kortikale Oblique-Effekt als Anpassung auf visuelle Erfahrung

In der primären Sehrinde des Gehirns findet man Nervenzellen, die aus Bildern bestimmte Basisinformationen extrahieren. Beispielsweise reagieren Zellen selektiv auf Kanten oder Linien einer bestimmten Orientierung. Nervenzellen mit ähnlichen Antworteigenschaften sind dabei eng benachbart und bilden sich wiederholende Cluster, die entlang der Oberfläche zu Orientierungskarten organisiert sind. In den 90er Jahren fanden Wissenschaftler heraus, dass größere Bereiche in diesen Karten bevorzugt kardinale Bildkonturen verarbeiten. Der Befund offenbarte zudem, dass neuronale Mechanismen zur Generierung des Oblique-Effekts bereits auf frühen Stufen kortikaler Bildverarbeitung wirksam sind. Solche selektiven Leistungen des Gehirns werden durch Anpassungen an die größere Häufigkeit von kardinalen Konturen in der natürlichen Umwelt erklärt.

Kortikale Orientierungskarten sind bei Änderungen des Bildkontrastes stabil

Die Bochumer Forscher untersuchten nun, inwieweit diese Funktion vom Bildkontrast beeinflusst ist. Sie präsentierten auf einem Bildschirm unterschiedlich orientierte Gittermuster und variierten dabei den Kontrast. Währenddessen maßen sie die Aktivität der Nervenzellen in der primären Sehrinde. Es zeigte sich, dass die Orientierungskarten und damit der Oblique-Effekt konstant sind. "Wenn Sie plötzlich mit dem Auto in Nebel geraten, möchten Sie, dass Ihr Gehirn weiterhin die wichtigsten Information liefert, dass also die wesentlichen Verarbeitungsmechanismen stabil bleiben" erklärt Dr. Jancke den Vorteil des Effekts. "Spannend wird sein, inwiefern der Oblique-Effekt von der Wahl der Bildreize abhängt. Bislang nutzen wir einfache Gitterreize um den Parameter Orientierung selektiv zu kontrollieren. In Zukunft werden wir komplexere Reize verwenden, um den natürlichen Bedingungen, unter denen unser Sehsystem arbeitet, näher zu kommen."

Gehirnaktivität optisch gemessen durch intrinsische Signale

Die Arbeitsgruppe nutzte dabei ein optisches Verfahren, um die Nervenzellaktivität zu messen. Dabei werden Änderungen des Sauerstoffgehalts im neuronalen Gewebe detektiert. Werden Nervenzellen aktiv, verbrauchen sie Sauerstoff. Die dadurch bedingte Verminderung der Sauerstoffkonzentration im Blut reduziert die von einer hochempfindlichen Kamera detektierte Photonendichte um wenige Zehntausendstel. Im Bild werden diese Signale nach einigen Rechenoperationen als lokal abgedunkelte Bereiche im Gehirn sichtbar. "Der Vorteil ist, dass man auf diese Weise weitreichende Gehirnregionen und damit die Aktivität von Millionen von Nervenzellen gleichzeitig untersuchen kann", erklärt Dirk Jancke, der im Rahmen seiner Juniorprofessur "Kognitive Neurobiologie" das "Optical Imaging Labor" an der Fakultät für Biologie und Biotechnologie der RUB etabliert hat. Seiner Mitarbeiterin Dr. Agnieszka Grabska-Barwinska gelang in einem nachfolgend von ihr entwickelten, aufwendigen Analyseverfahren nun der Nachweis, dass Orientierungskarten weitgehend unabhängig vom Kontrast sind und so den kortikalen Oblique-Effekt stabilisieren.

Titelaufnahme
Agnieszka Grabska-Barwinska, Claudia Distler, Klaus-Peter Hoffmann, Dirk Jancke. Contrast independence of cardinal preference: stable oblique effect in orientation maps of ferret visual cortex. European Journal of Neuroscience, Vol. 29, p 1258-1270, March 2009. DOI: 10.1111/j.1460-9568.2009.06656.x
Published Online: Mar 11 2009 3:13PM
http://www3.interscience.wiley.com/journal/118542297/home


Weitere Informationen unter:
http://www3.interscience.wiley.com/journal/118542297/home
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 23.03.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2009