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FORSCHUNG/617: Wettlauf der Giganten - Riesenspermien in Mikrofossilien nachgewiesen (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 18.06.2009

Wettlauf der Giganten - Riesenspermien in Mikrofossilien nachgewiesen


Im Kampf um eine Partnerin müssen sich Männchen meist gegenseitig überbieten, ob nun mit einem prächtigen Federkleid, einem ausladenden Geweih oder einem verführerischen Balztanz. Die Weibchen einiger Arten lassen sich aber von mehreren Männchen begatten. Dann sind die Rivalen auch nach einer Paarung nicht aus dem Feld geschlagen, und der Konkurrenzkampf wird auf Ebene der Spermien fortgesetzt. Weil große Spermien eine erhöhte Chance auf eine Befruchtung haben können, sind vereinzelt wahre Riesenzellen entstanden - die länger als das zugehörige Männchen sein können.

Riesenspermien hat ein internationales Forscherteam um die LMU-Paläontologin Dr. Renate Matzke-Karasz nun auch bei versteinerten Ostrakoden indirekt nachgewiesen. Mit Hilfe der Holotomografie, einem an der "European Synchrotron Radiation Facility" entwickelten bildgebenden Verfahren, gelang den Wissenschaftlern ein tiefer Blick in das Innere der nur Millimeter großen Muschelkrebse. "Wir konnten Organe nachweisen, die für die Übertragung der Riesenspermien unbedingt notwendig sind" berichtet Matzke-Karasz. "Diese Tiergruppe pflanzt sich auch heute noch mit Riesenspermien fort, die mit Hilfe der gleichen Organe wie vor 100 Millionen Jahren transportiert werden. Riesenspermien haben sich bei den Ostrakoden also nur einmal im Lauf der Evolution entwickelt. Trotz der hohen Kosten für beide Geschlechter scheinen sie eine erfolgreiche Fortpflanzungsstrategie zu sein." (Science Early Online Edition, 18. Juni 2009)

Wenn sich ein Weibchen von mehr als einem Männchen begatten lässt, setzt sich deren Konkurrenzkampf auch nach der Paarung fort. In dieser Situation scheint der Druck so groß zu sein, dass sogar die wichtigste Theorie zur sexuellen Selektion ausgehebelt wird: Danach haben Männchen die größten Chancen, wenn sie schnell und billig eine große Anzahl von Spermien bilden können. Die Weibchen dagegen investieren in nur wenige, dafür aber größere Eizellen. Liefern sich die Spermien im Körper des Weibchens einen Wettkampf, scheint Qualität aber manchmal Quantität zu übertrumpfen. Dann können große Spermien eine erhöhte Chance auf eine Befruchtung haben. Das gilt für die Spermien eines Individuums wie auch für den Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Männchen, die sich mit demselben Weibchen gepaart haben. Dafür nehmen die Tiere sogar deutlich erhöhten Aufwand für Produktion und Transport der großen Spermien in Kauf.

Giganten unter den Spermien

Wahre Giganten haben sich in manchen Tiergruppen entwickelt. Bis zu 40 Meter müsste ein menschliches Spermium messen, um etwa im Vergleich mit Drosophila bifurca standhalten zu können. Die nur wenige Millimeter großen Männchen dieser Taufliegen-Art bilden Riesenzellen von rund sechs Zentimetern Länge. Aber auch von einigen Motten, Wasserwanzen und Fröschen sind gigantisch große Spermien bekannt. Manche Ostrakoden produzieren Spermien, die immerhin bis zu zehnmal so lang sind wie sie selbst. Die aquatischen Muschelkrebse erreichen nur eine Körpergröße von wenigen Millimetern und sind - ähnlich wie Muscheln - von einer zweiklappigen, verkalkten Schale umgeben.

Dieser Schutzpanzer versteinert besonders gut, so dass Ostrakoden mit zu den häufigsten Fossilien gehören, und ihre Funde bis zu 450 Millionen Jahre zurückreichen. "Wichtig ist hier, dass Organismen in ihren Überresten Informationen über die Umwelt, in der sie lebten, speichern", sagt Matzke-Karasz. "Auch Paläontologen machen sich diesen Zusammenhang zunutze. "Die fossilen Schalen der Ostrakoden sind damit so etwas wie ein Archiv der Erdgeschichte, das Information zum Klima, der Ökologie und Geologie vor Tausenden und Millionen von Jahren speichert. Nur in seltenen Fällen aber überdauern die weichen Körperteile und Körperanhänge zusammen mit den kalkhaltigen Schalen."

Steinharte Weichteile

Weil diese Fossilien besonders interessant sind für Evolutionsbiologen, untersuchte das Team um Matzke-Karasz Fossilien von Harbinia micropapillosa aus der Kreidezeit, die intakte Reste des weichen Körpers enthalten. Glücklicherweise gehören diese außerordentlich seltenen Fossilien derselben Gruppe von Ostrakoden an, die auch heute noch Riesenspermien produzieren und so eine hervorragende Möglichkeit liefern, nach Hinweisen auf diese großen Zellen zu suchen.

Die hochkomplexe, High-Tech-Untersuchung wurde am "European Synchrotron Radiation Facility (ESRF)" in Grenoble, Frankreich, durchgeführt. "Die Holotomografie ist ein bildgebendes Verfahren wie die Computertomografie, bei der sehr starke, kohärente Synchrotron-Röntgenstrahlen eingesetzt werden", erklärt Dr. Paul Tafforeau vom ESRF. "Mit dieser Methode kann ein dreidimensionales Bild der inneren Strukturen auch von mikroskopisch kleinen Objekten reproduziert werden, ohne das Material zu schäden. Der Kontrast und die Präzision der Abbildung kann mit keiner anderen Technik erreicht werden."

Riesenspermien vor Millionen von Jahren

Die Holotomografie wird erst seit Kurzem zur Abbildung von Fossilien eingesetzt. Die Ergebnisse zeigen aber, dass diese Technik auch in diesem Bereich zu vielen wichtigen Entdeckungen führen wird. "Bei den Ostrakoden konnten wir vor allem das Fortpflanzungssystem hervorragend darstellen - und stießen dabei auf eine große Überraschung", berichtet Dr. Giles Miller vom Natural History Museum in London. "Denn unsere Resultate zeigen, dass sich auch diese 100 Millionen Jahre alten Ostrakoden aus der Kreidezeit schon mit Riesenspermien fortpflanzten."

Heutige Muschelkrebse verfügen über ein komplexes Fortpflanzungssystem, das etwa ein Drittel ihres Volumens ausmacht. Bei beiden Geschlechtern sind die dazu gehörenden Organe in zwei getrennt funktionierende Einheiten auf die beiden Körperseiten verteilt. Bei den Männchen gehören dazu die Zenker-Organe, das sind zwei große Spermienpumpen. Passend dazu führen in den weiblichen Ostrakoden zwei lange Gänge zu den beiden vaginalen Öffnungen. Diese charakteristischen Strukturen sind eine perfekte Anpassung an den Transport von Riesenspermien. Die Röntgen-Untersuchung der fossilen Ostrakoden zeigte paarige hohle Röhren in den Männchen, die den Zenker-Organen entsprechen.

Fossiliert nach der Begattung

"Bei den Weibchen stießen wir auf zwei langgestreckte Hohlräume im Bauchraum, die man auch von heutigen Arten kennt", meint Dr. Radka Symonova von der Karls-Universität in Prag. "Diese Hohlräume sind Speicher für die Spermien. Sie treten nur in Ostrakoden auf, deren Weibchen Riesenspermien in ihrem Körper bis zum Zeitpunkt der Eiablage aufbewahren, wenn jedes Ei von einem Spermium befruchtet wird. Von den heute lebenden Arten weiß man, dass diese Spermienbeutel nur dann ihre typische Form erhalten, wenn sie mit Riesenspermien gefüllt sind." Die fossilen Weibchen müssen also kurz vor ihrer Einbettung im Sediment begattet worden sein. "Unsere Holotomografien haben also tatsächlich eine fossilie Besamung enthüllt", resümiert Symonova.

"Die Fortpflanzung mit Riesenspermien hat sich in dieser Gruppe der Ostrakoden also bereits vor rund 100 Millionen Jahren entwickelt", bilanziert Dr. Robin James Smith vom Lake Biwa Museum im japanischen Shiga. "Bis jetzt war unbekannt, ob Riesenspermien im Lauf der Evolution mehrfach aufgetreten sind, wie etwa bei Drosophila, oder ob sie in manchen Arten über Millionen Jahre stabil waren", ergänzt Matzke-Karasz. "Diese Frage lässt sich jetzt wohl eindeutig beantworten: Die Riesenspermien sind zumindest in einigen Arten über lange Zeiträume hinweg produziert worden, obwohl sie für Männchen und Weibchen extrem kostspielig sind."

Das von der LMU-Paläontologin geleitete Projekt wurde vom ESRF (Grenoble), von der Europäischen Union im Rahmen des Marie-Curie-RT-Netzwerks "SEXASEX" sowie vom Lake Biwa Museum gefördert. (suwe)

Publikation:
"Sexual Intercourse Involving Giant Sperm in Creaceous Ostracode", R. Matzke-Karasz, R. J. Smith, R. Symonova, C.G. Miller, P. Tafforeau Science Early online edition, 18. Juni 2009

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution114


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 18.06.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2009