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FORSCHUNG/629: Kraftwerke der Zellen (Freiburger Uni-Magazin)


Freiburger Uni-Magazin - 4/Juli 2009

Kraftwerke der Zellen
Wie funktionieren die Bausteine des Lebens?

Von Patrick Spät


Prof. Dr. Nikolaus Pfanner erforscht die grundlegenden Funktionen der Zellen, vor allem ihre Kraftwerke, die so genannten Mitochondrien. Seine mehrfach ausgezeichneten Arbeiten können aber auch wertvolle Grundlagen für die Erforschung von Krankheiten des Nervensystems bieten.


"Ein Mensch hat durchschnittlich 20 Billionen Zellen", sagt Pfanner, der am Institut für Biochemie und Molekularbiologie und am Centre for Biological Signalling Studies (bioss) der Universität Freiburg arbeitet. Damit hat der Mensch ungefähr eine Million mal so viele Zellen in seinem Körper wie der Großraum New York Einwohner hat. Ohne Zellen ist kein Leben möglich. Doch wie funktionieren sie? Biologen vergleichen den Aufbau einer Zelle gerne mit einer Stadt: Der Zellkern ist das Rathaus, um das die anderen Behörden und Firmen platziert sind. Die Energie für die Stadt kommt von den Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien. Der Großteil des Sauerstoffs, den man einatmet, wird hier verbraucht. Für den reibungslosen Ablauf des städtischen Lebens sorgen die "Arbeiter der Stadt", die Proteine. Bis zu diesem Punkt sind die Funktionen der "Stadt-Zelle" seit vielen Jahren bekannt.


Ohne Postleitzahlen und Anstandsdamen läuft nichts in der Zelle

Pfanner und seine Kooperationspartner haben die Zusammensetzung dieser Kraftwerke entschlüsselt. Dafür hat Pfanner, der seit 1992 an der Universität Freiburg arbeitet, den Forschungspreis des Landes Baden-Württemberg erhalten - neben dem Max-Planck-Forschungspreis und dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis eine weitere bedeutende Auszeichnung für den Forscher. Wie die fast 1.000 Proteine der Zelle an ihren jeweiligen Arbeitsplatz gelangen, war lange Zeit ein Rätsel der Biologie. Pfanner und seinem 20-köpfigen Team mit Forschenden aus sieben Nationen ist es nun weltweit erstmals gelungen, die Protein-Zusammensetzung der Zell-Kraftwerke zu entschlüsseln und neue Transportwege in die Kraftwerke zu finden - damit kamen sie über 20 Forschungsgruppen zuvor, die ebenfalls den noch fehlenden Mosaikstein gesucht haben. Die Lösung des Problems: Die Proteine tragen verschiedene "Postleitzahlen", die von anderen Proteinen, den Briefträgern, gelesen werden können. Wenn Briefträger und Postleitzahl zusammenpassen, dann wissen die Proteine, wie sie zu ihrem Arbeitsplatz gelangen. Dabei müssen sie enge Schleusen, viele Kanäle und eine letzte Hürde, die so genannten Anstandsdamen, überwinden. Bevor die Proteine ihre Aufgaben reibungslos erfüllen können, werden sie von diesen Damen in die richtige Form gebracht.


Einfache Bäckerhefe - enorme Auswirkung

Pfanner führt seine Forschungsarbeiten an Zellen der Bäckerhefe durch, doch die Ergebnisse gelten gleichermaßen für Pilze, Pflanzen, Tiere und Menschen. "Wir konnten nachweisen, dass schon das Fehlen eines einzigen bestimmten Proteins dazu führen kann, dass überhaupt keine Proteine mehr in das Mitochondrium gelangen. Bereits kleinste Abweichungen in Aufbau und Zusammensetzung haben direkte Auswirkungen auf die gesamte Zelle", erklärt Pfanner. Sobald die Verkehrswege nicht richtig funktionieren oder die Anstandsdame nicht genau hingeschaut hat, kann es zu winzigen Defekten kommen, die häufig zu schwerwiegenden Erkrankungen des Nervensystems führen. "Wir beginnen gerade, ein molekulares Verständnis von Krankheiten zu entwickeln. Der Punkt ist erreicht, an dem die angewandte Forschung sinnvoll auf der geleisteten Grundlagenforschung aufbauen kann." Die Forschung zu den Kraftwerken liefert wichtige Grundlagen dafür, die Ursachen der seltenen Erbkrankheiten zu verstehen und damit längerfristig auch Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. "Doch das kann noch lange dauern, vielleicht zehn oder mehr Jahre", betont der Zellforscher.


Offene Fragen

Pfanner räumt ein, dass noch viele Fragen ungeklärt sind. Wenn er sich eine Frage aussuchen könnte, die er in seinem Leben unbedingt beantwortet haben möchte, dann diese: "Wie wird der Verkehr in der Zell-Stadt reguliert? Wir wissen immer noch nicht, was die Geschwindigkeit und die Anzahl der vielen unterschiedlichen Proteine kontrolliert." Vielleicht wird die Lösung dieses Problems auch unverhofft kommen: "Manchmal stehe ich beim Bäcker - und dann kommt mir plötzlich eine neue Idee", sagt Pfanner. Genauso unerwartet entwickeln sich manchmal wissenschaftliche Entdeckungen. Deshalb will Pfanner das Preisgeld des Landesforschungspreises flexibel einsetzen: "Forschung birgt viele Überraschungen. Wenn wir 'unplanmäßig' etwas Spannendes aufspüren, kann das Preisgeld sofort eingesetzt werden."


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Quelle:
Freiburger Uni-Magazin Nr. 4/Juli 2009, Seite
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (verantwortlich)
Kommunikation und Presse
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2009