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FORSCHUNG/820: Studie unterstreicht Bedeutung des Verbreitungsgebiets bei Artbildung (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 05.01.2012

Inselhopping zahlt sich aus - Studie unterstreicht Bedeutung des Verbreitungsgebiets bei Artbildung


Paradiesvögel, Stachelbürzler, Dickkopfschnäpper und Pirole - exotische Vögel sind nicht nur hübsch anzuschauen, sondern auch von wissenschaftlichem Wert, um die Mechanismen der Evolution zu verstehen. Biologen des Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) und der Universität Kopenhagen haben die Stammbäume dieser Vogelfamilien untersucht, die bis zu 25 Millionen Jahre zurückreichen. Wie das Fachmagazin "Evolution" in der aktuellen Titelgeschichte berichtet, nimmt die Rate, mit der innerhalb von Familien neue Arten entstehen, nicht zwangsläufig ab, sondern kann konstant bleiben - vorausgesetzt, die Vögel leben in Inselreichen in tektonisch aktiven Zonen.


Größe des Verbreitungsgebiets schlägt sich in Artbildungsrate nieder

Die Forscher rekonstruierten, dass die Rate, mit der neue Paradiesvogelarten entstehen, in den letzten Jahrmillionen abgenommen hat. Bei den anderen drei Vogelfamilien - Stachelbürzlern, Dickkopfschnäppern und Pirolen - ist die Rate der Artbildung aber seit deren Entstehung konstant geblieben. So unterschiedlich die Artbildungsrate ist, so unterschiedlich sind auch die Verbreitungsgebiete der Vogelfamilien. Während Stachelbürzler und Co. auch andere Inseln und Kontinente besiedelt haben, sind Paradiesvögel "Stubenhocker" und auch heute fast nur auf ihrer Ursprungsinsel Neu-Guinea zu finden. Die Forscher leiten aus diesem Befund einen Zusammenhang zwischen der Artbildungsrate und der Zunahme des Verbreitungsgebiets ab. Je mehr neue Verbreitungsgebiete Vögel erschließen können, desto mehr neue Arten können sich bilden.


Keine Grenzen der Artbildung in tektonisch aktiven Archipelen

Das ist insofern neu, als die bisherige Forschung darauf schließen ließ, dass fast alle Vogelfamilien kontinentale Gruppen bilden, in denen sich ab einer bestimmten Artenanzahl die Entstehung neuer Arten verlangsamt. Die Forscher sehen daher in ihren Ergebnissen den Beweis, dass es anders als auf Kontinenten auf Archipelen keine Grenzen der Artbildung gibt. Dr. Susanne Fritz, Biodiversität und Klima Forschungszentrum, die Leitautorin der Studie, dazu: "Bisher haben Evolutionsforscher Inseln oft als "Sackgassen der Evolution" angesehen, wo Artenreichtum durch Ressourcen begrenzt ist und nur durch Kolonialisierung von Kontinenten her erhalten wird. Nach unseren Ergebnissen denken wir jetzt, dass Gruppen, die in Archipelen in tektonisch aktiven Zonen entstehen, diese Regeln der Evolution durchbrechen können. Für solche Gruppen erscheint Artenreichtum nicht durch Ressourcen begrenzt - vorausgesetzt, sie sind keine "Stubenhocker", sondern erfolgreiche "Insel-Hüpfer".


Umweltfaktoren nehmen Einfluss auf Entstehung neuer Arten

Das Entstehen neuer Arten ist ein zentraler Prozess der Evolution. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass dieser Prozess bei Tieren ein spezifisches zeitliches Muster aufweist. Demnach nimmt die Diversifikationsrate, d.h. die Rate der Artbildung, innerhalb einer Familie nach einem explosionsartigen Anstieg zu Beginn der Entstehung im Verlauf der Zeit immer mehr ab. Bildlich gesehen gleicht der Prozess einer Kurve, die zunächst steil nach oben geht und im Laufe der Zeit immer mehr abflacht. Biologen sehen dieses Muster als Ausdruck einer Obergrenze für den Artenreichtum, die durch Umweltfaktoren oder Ressourcen vorgegeben ist. Diese Hypothese wurde bisher vor allem kleinräumig und auf einzelnen Kontinenten getestet.


Studie zur Evolution von Vögeln aus Inselreichen

Um die nun vorliegenden neuen Einblicke in die Prozesse der Artbildung zu erhalten, untersuchten deutsche und dänische Wissenschaftler die Stammbäume von vier Vogelfamilien, die ihren Ursprung in Neu-Guinea haben und mit jeweils 41 (Paradiesvögel), 93 (Stachelbürzler), 53 (Dickkopfschnäpper) und 35 (Pirole) Arten als artenreich gelten. Anhand der genetisch rekonstruierten und datierten Stammbäume wurde nachvollzogen, wann sich die einzelnen Arten innerhalb der vier Familien herausgebildet haben. Der Zeitraum ist unterschiedlich lang: die ersten Paradiesvögel gab es bereits vor 25 Millionen Jahren, die Dickkopfschnäpper sind mit fünf Millionen Jahren noch relativ jung.


Publikation:

Fritz, Susanne A, Jønson, Knud A., Fjeldså, Jon, Rahbek, Carsten.
Diversification and biogeographic patterns in four island radiations of passerine birds.
Evolution (2011), vol. 66, p. 179-190.
doi:10.1111/j.1558-5646.2011.01430.x

Online verfügbar unter:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1558-5646.2011.01430.x/pdf


LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main

Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wechselwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Institutionen aus Wissenschaft, Ressourcen- und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben.

Mehr unter:
www.bik-f.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution639


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Sabine Wendler, 05.01.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2012