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FORSCHUNG/892: Anthropologie - Warum wir nackt sind (Spektrum der Wissenschaft Spezial)


GEHIRN&GEIST
SPEZIAL ARCHÄOLOGIE · GESCHICHTE · KULTUR, 2/2013
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

HAUT
Warum wir nackt sind

Von Nina G. Jablonski



Neue Forschungen beleuchten, wann und warum unsere Ahnen einst ihr Fell verloren. Offenbar verschaffte ihnen ihre Nacktheit zunächst Vorteile in einer veränderten Umwelt, später förderte sie die weitere Evolution - vor allem die des Gehirns.

AUF EINEN BLICK

Ans Schwitzen angepasst

1. Als einziger Primat hat der Mensch sein Fell verloren - abgesehen von letzten Resten.

2. Die Evolution nackter Haut erfolgte in Anpassung an veränderte Klima- und damit Umweltbedingungen. Unsere Vorfahren mussten zur Nahrungsbeschaffung viel unterwegs sein. Nur nackt konnten sie dabei unter glühender Sonne genug Körperwärme durch Schwitzen loswerden.

3. Fossilstudien und Genanalysen liefern Hinweise darauf, wann der Mensch das Fell verlor. Wahrscheinlich geschah dies, als Hominiden mit modernem Körperbau zu versierten Jägern wurden.

4. Erst unter diesen Voraussetzungen entstanden unser großes Gehirn und die Fähigkeit zum symbolischen Denken.


Nur ein Primat trägt nackte Haut: der Mensch. All unseren Affenverwandten wächst wie den meisten Säugetieren ein Fell, ob der samtig schwarze Pelz der Brüllaffen oder das kupferrote wallende Kleid der Orang-Utans. Ganz verzichten zwar auch wir nicht auf Haare - doch abgesehen von wenigen Körperpartien sind sogar stark behaarte Individuen im Vergleich zu Affen ziemlich kahl.

Wieso und wann verlor der Mensch sein Fellkleid? Die Frage beschäftigt kluge Köpfe seit Langem. Aber immer noch fällt die Antwort darauf nicht leicht. An schon entdeckten Fossilien können Paläoanthropologen zwar die meisten entscheidenden Evolutionsschritte für den menschlichen Körperbau ganz gut ablesen, so auch das Auftreten des aufrechten Gangs, Hautabdrücke sind jedoch bisher bei keinem der Funde überliefert.

In letzter Zeit erkannten Forscher zumindest, dass ihnen die Hominidenfossilien wenigstens indirekt einigen Aufschluss über die Evolution unserer Haarlosigkeit geben. Auch Physiologen und Genomforscher liefern hierzu schon seit Jahren Anhaltspunkte. Diese Erkenntnisse haben einige Kollegen und ich zusammengetragen. Die verschiedenen Befunde erlauben bereits einen recht guten Einblick, warum - und wann ungefähr - Hominiden ihr Fell verloren. Das hier gezeichnete Szenario besagt jedoch noch mehr. Offenbar stellte nackte Haut geradezu eine entscheidende Voraussetzung für andere menschentypische Errungenschaften dar: auch für unser großes Gehirn sowie die Sprache.

Wozu benötigen die anderen Primaten überhaupt ihr Haarkleid? Bekanntlich zählt ein Fell zu den besonderen Merkmalen der Säugetiere. Nirgends sonst im Tierreich kommt solch eine Hülle vor. Sogar den wenigen nackten Säugetieren wachsen zumindest einige Haare, die allermeisten Arten sind sogar reichlich damit ausgestattet. So ein Fell hilft seinem Besitzer in vieler Hinsicht. Es hält ihn warm, bewahrt seine Haut aber auch vor kleinen Verletzungen, Nässe und Sonnenschäden sowie vor mancherlei Parasiten und Krankheitserregern. Ein Fell kann tarnen und damit mehr oder weniger vor Raubfeinden und Plagegeistern schützen. Andererseits erkennen sich Artgenossen oft an ihrer Zeichnung oder ihren Flecken. Mittels ihres Fells signalisieren sie sogar Gefühlszustände. Sträuben sich etwa bei einem Hund die Nackenhaare, ist damit zu rechnen, dass er bereit ist, sich heftig zu verteidigen oder anzugreifen.

Trotz alldem verloren einige Säugerlinien das dichte Fell. Viele dieser Arten leben unterirdisch oder ganz im Wasser. Die Nacktmulle in Ostafrika bilden Gemeinschaften fast in der Art von Insektenstaaten (siehe SdW 10/1992, S. 90). Sie graben sich Gangsysteme und kommen nie ans Licht. Oft drängen sie sich eng zusammen. So könnten sie einander wärmen - obwohl ihre Gänge meist gut temperiert sind. Auch zur visuellen Kommunikation würde in ihrer dunklen Umgebung ein Fell nichts beitragen. Den Walen wiederum, die nie an Land kommen und von denen die meisten reine Meeresbewohner sind, nützt ihre nackte Haut beim Langstreckenschwimmen und Tauchen wegen des dadurch geringeren Wasserwiderstands. Eine dicke Speckschicht, der Blubber, verhindert Wärmeverluste.

Manche nur teilweise im nassen Element lebenden Säugetiere, etwa Otter, tragen dagegen einen Wasser abweisenden Pelz. Der hält die Tiere nicht nur warm und schützt an Land ihre Haut, sondern die Luft darin gibt ihnen auch Auftrieb beim Schwimmen. Die meisten Robben verlassen sich als Erwachsene allerdings weniger auf ein wärmendes Haarkleid als auf ihren Speck.

Dass heute die größten Landsäugetiere - Elefanten und Nashörner - ziemlich nackt daherkommen, dürfte eine Anpassung an die ständige Überhitzungsgefahr in ihren Verbreitungsgebieten sein. Gleiches mag für Flusspferde gelten, die sich nicht nur zum Abkühlen gern ins Wasser zurückziehen. Größeren Tieren steht im Verhältnis zu ihrer Masse weniger Oberfläche zur Verfügung, um überschüssige Körperwärme abzugeben. Dagegen müssen ganz kleine Säugetiere eher dafür sorgen, dass sie nicht zu sehr auskühlen. In früheren kalten Klimaphasen schützten sich auch weiter nördlich lebende Verwandte von Elefanten und Nashörnern, darunter Wollnashorn und Mammuts, mit einem isolierenden Fell. Bei geringeren Wärmeverlusten überstanden sie futterknappe Zeiten leichter.

Keines dieser Erklärungsmuster trifft aber auf uns Menschen zu. Weder hausten unsere Vorfahren in der Erde noch lebten sie im Wasser (auch wenn manche Zeitgenossen Letzteres gern glauben würden). Wir gehören auch unter den Säugern nicht gerade zu den Riesen. Als unsere Hominiden-Vorfahren ihr Fell ablegten, stand allerdings wohl dennoch die Notwendigkeit der Kühlung im Vordergrund. Der Mensch ist quasi Weltmeister im Schwitzen, und das gelingt anscheinend mit einer nackten Haut am allerbesten.

Auch mittelgroße Säugetiere müssen dafür sorgen, dass sie nicht überhitzen, besonders, wenn sie in einer heißen Umwelt leben und sich viel bewegen müssen. Gehen und Laufen erzeugt schnell Wärme im Übermaß. Der Körper muss dann permanent dafür sorgen, dass seine Kerntemperatur nicht zu sehr ansteigt. Denn Gewebe und Organe, besonders das Gehirn, vertragen überhöhte Temperaturen nicht.

Zu dem Zweck nutzen verschiedene Säugetiere eine Reihe von Maßnahmen. Hunde hecheln, viele Katzenarten werden erst am Abend richtig munter. Antilopen leiten die Wärme von Arterienblut oft zu kleinen Venen ab, deren Blut in der Nase beim Atmen abgekühlt wurde. Primaten - auch wir Menschen - helfen sich hauptsächlich, indem sie schwitzen. Das kühlt, weil die von der Haut abgesonderte Flüssigkeit in der Luft verdunstet und dabei der Umgebung, auch der Körperoberfläche, Wärme entzieht. Dies funktioniert ähnlich wie ein Verdunstungskühler und wirkt hocheffektiv.

Allerdings ist Schweiß nicht gleich Schweiß. Vielmehr besitzen Säugetiere dafür drei verschiedene Drüsentypen, die miteinander zum Endprodukt beitragen: Talgdrüsen sowie zwei Sorten eigentlicher Schweißdrüsen, die bei den einzelnen Arten in verschiedenen Anteilen vorkommen. Bei den Schweißdrüsen im engeren Sinn unterscheiden Fachleute so genannte apokrine und ekkrine Drüsen (siehe Kasten unten).

Das Besondere an der menschlichen Haut
Viele Säugetiere produzieren einen öligen Schweiß. Dazu tragen neben den Talgdrüsen vor allem so genannte apokrine Drüsen bei, die an Haaren ausmünden und auch wesentlich zum Eigenduft beitragen (oben). Menschen verfügen hingegen über besonders viele so genannte ekkrine Schweißdrüsen: Die liefern einen sehr wässrigen, leichten Schweiß (unten). Bei fehlendem Fell kann der direkt und schnell auf der Haut verdunsten und den Körper auf diese Weise viel besser kühlen als mit einem Fell. Ein schweißnasses Haarkleid würde die Wärmeabfuhr sogar vermindern.
Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.


Bei den meisten Säugetierarten dominieren Talg- und apokrine Drüsen. Beide sitzen beziehungsweise münden am Haarfollikel (sozusagen der Haarwurzel). Ihre Produkte ergeben zusammen ein ölig-fettiges, manchmal auch schaumiges Gemisch. Ein schwitzendes Rennpferd wirkt dadurch wie in Schaum gebadet. Diese Schweißsorte trägt zwar zur Kühlung des Tiers bei, hilft allerdings nur in begrenztem Umfang Wärme abzuführen.


Beim Schwitzen hinderlich: Ein Fell
Denn wie G. Edgar Folk Jr. von der University of Iowa in Iowa City und seine Kollegen schon vor zwei Jahrzehnten nachwiesen, verringert sich die Kühlwirkung bei einem schweißnassen und -bedeckten Fell. Die Feuchtigkeit kann nun nicht auf der Haut selbst Verdunsten, sondern nur außen auf den Haaren. Das erschwert die Abfuhr der Körperwärme. Muss das Tier an einem heißen Tag körperlich viel leisten oder sich länger anstrengen, gerät es bald an seine Grenzen. Gegen den Hitzestau müsste es zumindest sehr viel Wasser trinken. Deswegen erleiden fellbedeckte Tiere bei zu starker Anstrengung und warmem Wetter leicht einen Hitzschlag.

Menschen begegnen so einer Situation anders. Nicht nur besitzen sie kein Fell, sondern sie verfügen außerdem über besonders viele Schweißdrüsen der dritten Sorte; ekkrine Drüsen, die eine dünne Flüssigkeit absondern. Von denen hat ein Mensch zwischen zwei und fünf Millionen. Unsere ekkrinen Drüsen können an einem Tag bis zu zwölf Liter wässrigen Schweiß produzieren. (Übrigens besitzen auch Tiere solche Drüsen, nur meist sehr viel weniger.) Dieser Drüsentyp sitzt nicht an den Haarfollikeln, sondern verteilt sich ziemlich dicht unter der Hautoberfläche an Stellen, wo kein Haar austritt. Seinen Schweiß gibt er durch winzige Poren ab. Mit viel wässrigem, dünnem Schweiß, der direkt auf seiner nackten Haut verdunstet, kann der Mensch überschüssige Wärme sehr wirksam loswerden. Deswegen könnte ein Läufer an einem heißen Tag ein Pferd im Marathon besiegen - behaupten Daniel E. Lieberman von der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) und Dennis M. Bramble von der University of Utah in Salt Lake City.

Was aber bildete in unserer Evolution den Anlass, dass nackte Haut mit starker Schweißproduktion aus vielen ekkrinen Drüsen aufkam? Was begünstigte diesen Sonderweg, irgendwann nachdem unsere Vorfahren sich längst von der Schimpansenlinie getrennt hatten? Anthropologen vermuten, dass alles mit einer Klimaveränderung begann.

Über frühere ökologische Verhältnisse können Tier- und Pflanzenfossilien Auskunft geben. Die Forscher lernen daraus, dass die Erde vor rund drei Millionen Jahren in eine Abkühlungsphase eintrat - als in Afrika längst aufrecht gehende Hominiden lebten.

Dadurch wurde das Klima in Ost- und Zentralafrika trockener. Niederschläge wurden seltener, und die bisherige locker bewaldete Landschaft, an die unsere Vorfahren gewöhnt waren, wich vielerorts offenen Grassavannen. Für die Vormenschen bedeutete das allerdings: Ihre bisherige Hauptnahrung - Früchte, Blätter, Knollen und Samen - wurde knapper und fand sich nur noch unregelmäßig verteilt. Auch hing das Angebot, ebenso wie die Wasserstellen, nun von der Jahreszeit ab.

Unsere Vorfahren mussten sich umstellen. Hatten sie sich bisher vergleichsweise mühelos ernähren können, galt es jetzt, mehr Aufwand zu betreiben. Zunehmend waren weitere Strecken zu bewältigen, allein um genügend zu trinken und ausreichend Energie aufzunehmen. Ungefähr zu dieser Zeit dürfte auch Fleisch für die Ernährung immer wichtiger geworden sein. Nach bisherigen Erkenntnissen zerlegten die Hominiden offenbar schon vor 2,6 Millionen Jahren Tiere mit Steingeräten.

Einem neuen Befund zufolge liegen die Anfänge davon vielleicht sogar über drei Millionen Jahre zurück. Tierische Nahrung liefert zwar deutlich mehr Energie als pflanzliche, aber sie ist rarer und mühsamer zu erlangen. Deswegen müssen Fleisch fressende Tiere größere Gebiete durchstreifen als Pflanzenfresser. Gelegentlich mag ein Raubtier auf einen Kadaver stoßen, doch an sich stellen Beutetiere bewegliche Ziele dar. Verfolgen, Anpirschen, Auflauern, Hinterherjagen - das alles verbraucht eine Menge Energie.

Der Körperbau der Hominiden veränderte sich damals (siehe Kasten unten). Vormenschen wie die berühmte "Lucy", die zu den Australopithecinen zählen, besaßen unter anderem noch recht lange Arme und kurze Beine, was mehr den Proportionen bei Menschenaffen entsprach. Sicherlich konnten diese Primaten trotz des aufrechten Gangs noch recht passabel klettern und verbrachten vermutlich einen Teil ihrer Zeit auf Bäumen. Für lange Wanderungen waren sie dagegen weniger gut ausgestattet. Aber jetzt entwickelten sich langbeinige Primaten mit durchaus modernen Gliedmaßen: Frühmenschen, die somit der Gattung Homo zugerechnet werden. Mit ihren langen Beinen vermochten sie in der weiten Landschaft rasch und ausdauernd zu gehen oder zu laufen und bei Bedarf auch gut zu rennen, ob sie nun Beutetiere verfolgten oder selbst vor Raubtieren oder Feinden flüchten mussten.

Nackt in der Savanne
Die Australopithecinen, unsere vormenschlichen Ahnen in Afrika trugen vermutlich noch ein Fell (linke Bilder). Sie dürften sich hauptsächlich in und nahe bei lichten Wäldern aufgehalten haben, wo sie genug Nahrung und Wasser fanden - ein recht ortsbeständiges Leben, das in manchem noch eher dem von Schimpansen glich. Als sich dann klimabedingt Grasfluren ausbreiteten, mussten die Hominiden immer weiter umherstreifen (rechte Bilder). Sie verlegten sich fortan wohl zunehmend auf Fleischkost. Wahrscheinlich besaß als Erster vor ungefähr 1,6 Millionen Jahren der Frühmensch Homo ergaster kein Fell mehr. Nur nackt, dank viel kühlendem Schweiß, war die neue Lebensweise möglich.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Das 3,2 Millionen Jahre alte Skelett von "Lucy" beweist Australopithecus afarensis gehörte noch nicht zu den ausdauernden Läufern. Unter anderem besaßen diese Vormenschen noch recht kurze Beine.
Erst Homo ergaster war langbeinig und konnte gut ausschreiten. Das nutzten diese Frühmenschen, um in der Steppe weite Strecken gehend oder laufend zu bewältigen - erkennbar am 1,6 Millionen Jahre alten Skelett des "Turkana-Jungen".


Solches Verhalten steigerte natürlich stark die Hitzschlaggefahr. Peter Wheeler von der Liverpool John Moores University in England erstellt dazu seit den 1980er Jahren Simulationen. Führt man seine Berechnungen mit einer Studie zusammen, die Kollegen und ich 1994 veröffentlichten, so hätten jene frühen Menschen langes Gehen und Rennen in der Savanne ohne die Fähigkeit, ausgiebig zu schwitzen, nicht überstanden. Mit einem Fell und ohne zusätzliche ekkrine Schweißdrüsen hätte die starke, andauernde Muskelaktivität ihren Körper zu sehr aufgeheizt.


Indizien aus der Gengeschichte
Forscher versuchen enger einzugrenzen, wann sich die Hautbeschaffenheit in diesem Sinn verändert haben könnte. Nach unabhängigen Analysen von Lieberman und Christopher B. Ruff von der Johns Hopkins University in Baltimore (Maryland) besaß die Art Homo ergaster (manchmal auch afrikanischer Homo erectus genannt) im Wesentlichen moderne Körperproportionen. Das belegt ein rund 1,6 Millionen Jahre altes Skelett (Kasten oben, rechts). Damit konnte dieser Frühmensch ausgiebig ausschreiten und laufen. Belastungsspuren am Fuß-, Knie- und Hüftgelenk zeigen, dass er es tatsächlich tat. Demnach dürfte damals auch schon sein Schwitzvermögen ganz gut ausgeprägt gewesen sein.

In dem Zusammenhang sind genetische Berechnungen zur Entstehungszeit von dunkler Hautfarbe aufschlussreich. Forscher vermuten, dass die Hominiden anfangs wie Schimpansen eine rosafarbene Haut bei dunklem Fell besaßen. Der Verlust des Haarkleids erforderte gegen die Sonnenstrahlung eine starke Hautpigmentierung. Alan R. Rogers von der University of Utah in Salt Lake City und seine Kollegen ermittelten das Alter von Varianten eines der hieran beteiligten Gene, MC1R genannt. Wie sie feststellten, dürfte ein bestimmtes Sequenzmuster dieses Gens, das alle dunkelhäutigen Afrikaner tragen, 1,2 Millionen Jahre alt sein. Rogers schätzt, dass unsere Körperbehaarung spätestens damals schon merklich dünner geworden war.

Während sich die äußeren Umstände für den Fellverlust und sein Zeitpunkt somit recht gut herleiten und eingrenzen lassen, sind die genetischen Vorgänge dabei weniger klar. Denn eine ganze Menge Erbsequenzen tragen zum Aussehen und den Funktionen der menschlichen Haut bei. Vergleiche des menschlichen und des Schimpansengenoms zeigten, dass wir uns von unseren nächsten Verwandten gerade auch in jenen Genen deutlich unterscheiden, deren Proteine über Hauteigenschaften bestimmen. Manche dieser Gene erscheinen beim Menschen in einer Version, deren Genprodukt für eine widerstandsfähigere, besser gegen Wasser und Abschürfungen geschützte Haut sorgt - was bei fehlendem Fell besonders nötig ist. Diese Gene dürften demnach im Zuge des Fellverlusts aufgetreten sein.

Die Schutzeigenschaften unserer Haut verdanken wir der verhornten Oberhaut, der so genannten Epidermis, genauer gesagt der äußeren Hornschicht, dem Stratum corneum. Deren Aufbau vergleichen manche mit einer Wand aus Steinen und Mörtel. Flache, abgestorbene, voll verhornte Zellen - die Korneozyten - entsprechen den Steinen. Sie bilden eine Anzahl Schichten und enthalten unter anderem das Protein Keratin. Als Mörtel umgeben diese toten Zellen sehr dünne Lipidschichten.

Die meisten an der Entwicklung der Hornschicht beteiligten Gene sind evolutionär uralt, und ihre Gensequenzen haben sich sonst bei den Wirbeltieren kaum verändert. Dass sie beim Menschen so stark von der Norm abweichen, zeigt, wie wichtig diese Mutationen zum Überleben der Hominiden waren. Die betreffenden Genversionen sorgen für eine einzigartige Kombination von Proteinen, die nur in der Epidermis vorkommen, darunter neuartige Formen von Keratin und Involucrin, das entscheidend zu der verhornten Barriere beiträgt. Verschiedene Forscherteams untersuchen derzeit die Regulation dieser Proteine.

Andere Wissenschaftler kümmern sich um die Evolution der Keratine von Körperhaar. Sie möchten wissen, wodurch dieses Haar beim Menschen so fein und spärlich gerät. Der Mediziner Roland Moll vom Universitätsklinikum Gießen und Marburg wies mit seinen Kollegen nach, dass unser Körperhaar äußerst empfindliche Keratine enthält. Dadurch brechen diese Härchen besonders leicht.

Und was könnte der genetische Hintergrund für die große Anzahl an ekkrinen Schweißdrüsen sein? Fast mit Sicherheit veränderten sich Gene, die beim Embryo über das Schicksal der - noch nicht spezialisierten - Epidermisstammzellen bestimmen. Solche Stammzellen in der Oberhaut interagieren in der frühen Entwicklung an bestimmten Orten mit Zellen der darunterliegenden so genannten Unter- oder Lederhaut. Mittels genetisch gesteuerter chemischer Signale differenzieren sich die Stammzellen nun lokal so, dass Haarfollikel, ekkrine und apokrine Drüsen sowie Talgdrüsen entstehen beziehungsweise stellenweise eine ganz glatte Hautoberfläche. Viele Forscher interessieren sich dafür, wie solche lokalen Unterschiede zu Stande kommen. Vielleicht Verstehen wir bald genauer, was die Oberhautstammzellen auf ihre verschiedenen Entwicklungswege bringt und wieso der Mensch so viel mehr ekkrine Schweißdrüsen ausbildet als Tiere.

Warum die Evolution einige Körperpartien des Menschen von der Nacktheit aussparte, verlangt ebenso nach einer Erklärung. Die Behaarung von Achseln und Scham dürfte die Haut an diesen Stellen zum einen vor Bewegungsreibung schützen. Zum anderen dient sie sicherlich dazu, individuelle Geruchsstoffe mit sozialem Signalcharakter, so genannte Pheromone, besser zur Geltung zu bringen.


Lockenkopf als Sonnenschild
Das Kopfhaar hält hingegen zu warme Sonnenstrahlen vom Schädel fern. Den vorangegangenen Überlegungen widerspricht das nicht. Dichtes Haar auf dem Kopf sorgt an heißen Sonnentagen für kühlere Luft zwischen der schwitzenden Kopfhaut und der heißen Haaraußenschicht. Nur das Haar erhitzt sich, während der Kopfschweiß in den kühleren Luftraum hinein verdunstet. Sicherlich stellen dichte Locken in der Hinsicht die denkbar beste Kopfbedeckung dar. Sie erhöhen die Dicke dieser Luftschicht und erlauben zugleich eine Ventilation. Wie es sich damit in der menschlichen Evolution verhielt, das wissen wir noch kaum. Womöglich trugen die frühen modernen Menschen Afrikas kräftige Locken, und andere Haarsorten kamen erst später auf, als deren Nachfahren sich von heißen afrikanischen Gegenden her in andere Teile der Welt verbreiteten.

Auch die Körperbehaarung variiert zwischen einzelnen Menschengruppen erstaunlich stark. Manche Populationen besitzen kaum eine, andere weisen einen recht kräftigen Flaum auf. Zumindest tendenziell leben sehr schwach behaarte Menschen eher in heißen Regionen, vergleichsweise stark behaarte in kühleren Gegenden. Letzteren bietet die Wolle an Rumpf und Gliedern dennoch keinen nennenswerten Kälteschutz. Wie stark das Körperhaar wächst, dürfte teilweise mit Testosteron zusammenhängen. Bei allen Menschen sind Männer tendenziell stärker behaart als Frauen. Manche Anthropologen führen das auf sexuelle Selektion zurück. Demnach bevorzugen Frauen Männer mit vollem Bart und stärkerer Körperbehaarung, da dies mit Manneskraft und sonstiger Stärke assoziiert werde. Einer anderen These zufolge besitzen Frauen wenig Körperhaar, weil Männer eine Vorliebe für jugendlich wirkende Partnerinnen entwickelten und das weibliche Geschlecht sich daran mit der Zeit anpasste. Diese verschiedenen Deutungen sind zwar interessant, doch hat sie bisher niemand bei heutigen Bevölkerungen überprüft. So steht es keineswegs fest, dass stärker behaarte Männer besonders energiegeladen oder fruchtbar sind. Solange gründliche Studien dazu fehlen, kann jeder seine eigenen Vermutungen anstellen.

Der Verlust des Fells hatte auf die weitere Evolution des Menschen beträchtliche Auswirkungen. Das Gehirn ist unser temperaturempfindlichstes Organ. Wohl erst als unsere Vorfahren überschüssige Körperwärme leicht loswerden konnten, indem sie kräftig schwitzten, vermochte es sich stark zu vergrößern. Maß es bei den Australopithecinen durchschnittlich noch 400 Kubikzentimeter, also kaum mehr als bei Schimpansen, konnte ein Homo ergaster bereits mit dem Doppelten aufwarten. In den nächsten eine Million Jahren legte das menschliche Gehirn nochmals gut 400 Kubikzentimeter zu und erreichte seine heutige Größe. Unzweifelhaft beeinflussten weitere Faktoren diesen enormen Zuwachs. Dazu gehörte mit Sicherheit gehaltvollere Nahrung, die dem anspruchsvollen Gehirn genügend Energie lieferte (siehe SdW 5/2003, S. 30). Der Verzicht auf Behaarung war allerdings bei all dem ein ganz entscheidender Schritt.

Nicht zuletzt forderte die viele nackte Haut Umstellungen im sozialen Miteinander. Zwar ist es uns durchaus möglich, bei Angst oder Wut etwa die Nacken- und Rückenhaare zu sträuben. Die kleinen Haarbalgmuskeln dazu besitzen wir noch. Allerdings dürfte unser Erscheinungsbild dabei Mitmenschen kaum beeindrucken oder gar einschüchtern. Ein Raubtier oder ein Schimpanse mit gesträubtem Fell kann dagegen wirklich Furcht auslösen. Ein Fell kann sowohl tarnen als auch durch die Muster und Flecken Signalwirkung haben. Vielleicht legten wir uns, um den Verlust zu kompensieren, das Erröten und ein komplexes Mienenspiel zu.

Zudem erfanden die verschiedenen Kulturen eine Palette von speziellen künstlichen Ausdrucksmöglichkeiten, von Körper- und Gesichtsbemalungen und Schmuckstücken bis zu Tätowierungen, nicht zu vergessen die Kleidung. Damit drücken wir unsere soziale Zugehörigkeit, unseren Status und vieles mehr aus. Wie wir uns fühlen und was wir vorhaben, zeigen wir außerdem durch Haltung und Gestik. Ganz wichtig ist die Sprache, mit der wir andere an unseren Gedanken teilhaben lassen. Die nackte Haut machte uns zu Menschen.


DIE AUTORIN
Nina G. Jablonski leitet an der Pennsylvania State University in University Park das Institut für Anthropologie. Feldforschungen führten die Professorin nach China, Kenia und Nepal. Unter anderem untersucht sie die Evolution der menschlichen Haut, die Herkunft des aufrechten Gangs die Verbreitungsgeschichte der Altweltaffen und die Paläoökologie von Säugetieren in den vergangenen zwei Millionen Jahren.


LITERATUR
Jablonski, N.G., Chaplin, G.: Die Evolution der Hautfarben. In: Spektrum der Wissenschaft 6/2003, S. 38 - enthalten im Dossier 1/2004: Evolution des Menschen II.

Jablonski, N.G.: Skin: A Natural History. University of California Press, Berkeley 2006

Lieberman, D.E., Bramble, D.M.: The Evolution of Marathon Running: Capabilities in Humans. In: Sports Medicine 37, S. 288-290, 2007

Rogers, A.R. et al.: Genetic Variation at the MC1R Locus and the Time since Loss of Human Body Hair. In: Current Anthropology 45, S.105-108, 2004


WEBLINK
Diesen Artikel sowie weiterführende Informationen finden Sie im Internet: www.spektrum.de/artikeI/1044186


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Auch das Nacktsein macht den Menschen einzigartig.
- Tier signalisieren Artgenossen vieles über ihr Fell. Menschen benutzen stattdessen gern Tatoos, Bemalung oder Schmuck. Unsere Mimik ist besonders ausdrucksstark, aber wir teilen uns auch über Sprache mit.


© 2013 Nina G. Jablonski, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
GEHIRN&GEIST 5/2013, Seite 22 - 29
Herausgeber: Dr. habil. Reinhard Breuer
Redaktion und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2013