Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → PHYSIK

ASTRO/141: Inflation - der Auftakt zum Urknall (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 1/11 - Januar 2011
Zeitschrift für Astronomie

Inflation - der Auftakt zum Urknall

Von Jens Niemeyer und Dominik J. Schwarz


Die Urknalltheorie des frühen Universums wird durch viele Beobachtungen eindrucksvoll bestätigt, steht aber in ihrer ursprünglichen Form im Konflikt mit grundlegenden Kausalitätsprinzipien. Eine dem heißen Urknall vorausgehende Phase beschleunigter Ausdehnung, die Inflation, löst einige Probleme des alten Urknallmodells und liefert eine mögliche Erklärung für den Ursprung der großräumigen Strukturen.


In Kürze
Warum ist das Universum so alt? Warum ist es so ebenmäßig? Um diese beobachteten Eigenschaften des Universums zu erklären, muss man annehmen, dass zum Zeitpunkt des Urknalls ganz spezielle Anfangsbedingungen gegeben waren.
Diese Anfangsbedingungen lassen sich damit erklären, dass am Anfang eine Phase extrem beschleunigter Expansion alle Raumkrümmung verschwinden ließ.
Quantenfluktuationen, die während dieser Phase der Inflation auftraten, bildeten viel später die Keime für die Entstehung der großen Strukturen im heutigen Universum.

Oft fällt es schwer zu entscheiden, ob eine kosmologische Beobachtung durch physikalische Abläufe zu erklären ist, oder ob sie schlicht als anfängliche Gegebenheit akzeptiert werden muss. Ein Beispiel dafür ist das Alter des Universums. Die derzeit beste Schätzung ergibt ein Alter von 14 Milliarden Jahren. In der Kosmologie ist das irdische Jahr allerdings eine bedeutungslose Zeitspanne.

Ausgehend von der Idee eines expandierenden Universums erscheint es natürlicher, die fundamentale Zeiteinheit der Gravitation und Quantenphysik zu verwenden. Dies ist die Planck-Zeit, benannt nach Max Planck (1858 - 1947), einem der Begründer der Quantenphysik. Die plancksche Zeiteinheit ist gerade einmal 0,000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 05 Sekunden lang, festgelegt durch eine Kombination grundlegender Naturkonstanten. So gesehen ist das Alter des Universums eine Zahl mit 61 Stellen vor dem Komma mal der planckschen Zeiteinheit. Es stellt sich also die Frage: Wieso konnte das Universum so alt werden?

Eine zweite Beobachtung ähnlicher Natur ist die Gleichförmigkeit des Kosmos. Die modernen Beobachtungen zur Kosmologie zeigen, dass das Universum, wenn man ausreichend große Abstände betrachtet, in jeder beliebigen Richtung gleich aussieht. Diese Gleichförmigkeit wird umso exakter, je größer die betrachteten Abstände werden. Hier lautet die Frage: Wie kam es zu dieser extremen Gleichförmigkeit?

Beide Fragen - warum ist das Universum so alt, und warum ist es so ebenmäßig - sind eng miteinander verwandt, da große Unterschiede in der Verteilung von Massen (zum Beispiel von Galaxien heute oder von Elementarteilchen in den ersten Augenblicken nach dem Urknall) zu einem Gravitationskollaps - und damit zu einem schnellen Ende des Universums (oder eines Teils desselben) - geführt hätten. Beide Fragen haben etwas mit den Anfangsbedingungen im sehr frühen Universum zu tun.

Wir wollen in diesem Beitrag den Stand der modernen Kosmologie unter dem Gesichtspunkt dieser Fragen darstellen.


Was wissen wir über das frühe Universum?

Auf den ersten Blick erscheint es anmaßend, das sehr frühe Universum mit naturwissenschaftlichen Methoden erforschen zu wollen. Wie in der Archäologie versucht man, aus wenigen, teilweise nur schwer erkennbaren Bruchstücken ein komplexes Mosaik zusammenzufügen, das die früheste Entwicklung des Universums verlässlich beschreiben soll. Kein Wunder also, dass sich die Menschheit in kosmologischen Fragen bis ins 20. Jahrhundert an Mythen und Erzählungen orientieren musste und dies zum Teil auch heute noch tut.

Trotz dieser Herausforderungen konnte die naturwissenschaftliche Kosmologie bereits große Erfolge verbuchen. Denn vieles deutet darauf hin, dass das frühe Universum wesentlich gleichförmiger (homogener) und daher einfacher zu beschreiben war, als das heutige. Mathematisch ausgedrückt bedeutet dies, dass man mit einem orts- und richtungsunabhängigen Modell arbeiten kann, das durch die Bestimmung einer kleinen Zahl von Messgrößen vollständig festgelegt wird. Diese Größen nennt man die Parameter des kosmologischen Modells. Diese »kosmologischen Parameter«, zu denen auch das Alter und die materielle Zusammensetzung des Universums gehören, lassen sich heute mit einer Genauigkeit im Prozentbereich aus Beobachtungen ableiten.

Doch woher kommt die Homogenität des Universums? Warum war das frühe Universum nicht ebenso klumpig und komplex, wie es unsere unmittelbare kosmische Umgebung heute ist?


Hubblesche Expansion

Um eine Vorstellung von den physikalischen Verhältnissen im frühen Universum zu erhalten, betrachten wir zunächst die heutige Entwicklung und denken dann »rückwärts« in der Zeit. Das bekannteste und historisch wichtigste Indiz für einen Anfang im Urknall ist die großräumige, gleichförmige Ausdehnung - oder Expansion - des Raums, die sich aus der Rotverschiebung der Spektrallinien ferner Galaxien ableiten lässt. Die von Edwin Hubble vor etwa 80 Jahren entdeckte kosmische Expansion deckte sich mit Vorhersagen, die zuvor Alexander Friedmann und Georges Lemaître aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie abgeleitet hatten. Sie bildet auch heute noch einen der Hauptpfeiler des Urknallmodells (siehe Bild oben). Die Rate, mit der sich alle genügend weit voneinander entfernten Punkte auseinander bewegen, legt nahe, dass sich das Universum vor knapp 14 Milliarden Jahren überall in einem sehr dichten, heißen Zustand befand. Aus diesem Grund wird der Zeitpunkt, zu dem die physikalisch begreifbare Entwicklung des Universums begann, »Urknall« genannt. Entgegen einem häufigen Missverständnis war der Urknall keine Explosion an einem bestimmten Ort, vielmehr fand er überall im Universum - dessen räumliche Ausdehnung auch damals schon als unendlich groß angenommen werden kann - gleichzeitig statt.


Kosmische Mikrowellen

Da sich das Licht mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitet, erreicht uns heute noch Licht aus großen Entfernungen, das Informationen aus der fernsten Vergangenheit liefert. Doch es gibt eine Grenze, über die wir nicht hinaus blicken können. Wie weit diese Grenze zurückliegt, haben schon in den 1940er Jahren George Gamow und seine Mitarbeiter theoretisch untersucht. Ein sehr heißes Gas, in dem Elektronen nicht an Atomkerne gebunden sind, also ein Plasma, ist für Licht nahezu undurchsichtig. Erst als die Materie im frühen Universum so weit abgekühlt war, dass sich aus dem ursprünglichen Plasma neutrale Atome bilden konnten, wurde das Universum transparent. (Die Bildung der ersten Atome wird »Rekombination« genannt, obwohl sich Elektronen und positiv geladene Atomkerne in Wahrheit zum ersten Mal »kombinierten«.) Demnach ist unser Standort, so wie jeder Punkt im Universum, von einer Art Nebelwand in genau jener Entfernung umgeben, in der wir die Dinge zum Zeitpunkt der Rekombination sehen. Nach den derzeit besten Messungen liegt dieser Zeitpunkt ungefähr 380.000 Jahre nach dem Urknall - damals wurde das Universum durchsichtig.

Licht vom Zeitpunkt der Rekombination wurde erstmals 1964 von Arno Penzias und Robert Wilson als isotropes, das heißt richtungsunabhängiges Rauschen in einer Mikrowellenantenne nachgewiesen und ist seitdem als »kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung« bekannt. Die spektrale Energieverteilung dieses Lichts (siehe Bild links unten) entspricht mit extremer Genauigkeit der Abstrahlung eines Schwarzen Körpers mit der Temperatur T = 2,728 Kelvin: Wir beobachten im Millimeterwellenbereich die tausendfach rotverschobene, ursprünglich im Sichtbaren gelegene Abstrahlung der 3000 Kelvin heißen »Wand«, die unseren kosmischen Horizont definiert.

Die Existenz der kosmischen Mikrowellenstrahlung, ihr perfektes thermisches Spektrum und ihre fast vollkommene Isotropie stehen in überzeugender Übereinstimmung mit den Vorhersagen des heißen, homogenen Urknallmodells. Doch es sind gerade die kleinen Abweichungen von der exakten Isotropie der Temperatur, die seit einigen Jahren im Mittelpunkt des Interesses der Kosmologen stehen. Die Statistik der Größenverteilung dieser Abweichungen stellt nicht nur scharfe Werkzeuge zur Vermessung der kosmologischen Parameter zur Verfügung, sie enthält auch die wertvollsten, und möglicherweise einzigen, direkten Spuren der so genannten Inflationsphase zu Beginn des Urknalls. Mehr dazu später.


Erste Atomkerne

Zwar ist es für uns unmöglich, Licht aus der Zeit vor der Rekombination zu empfangen, jedoch gibt es indirekte Informationen aus einer noch früheren Epoche. Denn ebenso wie die Verbindung von Elektronen und Atomkernen während der Epoche der Rekombination, fand bei noch höheren Temperaturen, und zu entsprechend früheren Zeiten, die Verschmelzung von Protonen und Neutronen zu leichten Atomkernen wie Deuterium und Helium statt. Der Wettlauf zwischen dem natürlichen Zerfall freier Neutronen und der Ausdehnung des Universums, die einige Minuten nach dem Urknall die Temperatur unter den für Kernverschmelzungen erforderlichen Mindestwert fallen ließ, wirkt wie eine kosmische Eieruhr und erlaubt im Rahmen des Urknallmodells sehr genaue Vorhersagen der Mengen leichter Kerne, die im frühen Universum produziert wurden. Nun lässt sich diese Menge auch sehr genau bestimmen (siehe Bild oben). Beispielsweise prägen Spuren von Deuterium dem Licht von Quasaren, das in weit entfernten Gaswolken absorbiert wird, ihr charakteristisches Spektrum auf. Die daraus ermittelten Mengenverhältnisse der gefundenen Isotope stimmen mit den Vorhersagen des Urknallmodells sehr genau überein. So untersuchen wir das Universum in einem Zustand, der wenige Minuten nach dem Urknall herrschte. Abgesehen von winzigen Temperaturstörungen der Hintergrundstrahlung, auf die wir später eingehen werden, gibt es keine Messungen aus einer früheren Phase der kosmischen Entwicklung.


Die Probleme des Urknallmodells

Fassen wir noch einmal zusammen: Unter der Annahme, dass im frühen Universum überall die gleiche Temperatur, Dichte und Materiezusammensetzung vorlag, liefern die bekannten Gesetze der Gravitation und der Thermodynamik ein Modell des Urknalls, dessen Vorhersagen mit unseren Beobachtungen übereinstimmen. Alle astrophysikalischen Strukturen wie Galaxienhaufen, Galaxien, Sterne und so weiter sind nach diesem Modell erst später durch den Einfluss ihrer eigenen Schwerkraft aus winzigen Anfangsstörungen der sonst gleichförmigen Bedingungen entstanden. Diese Einfachheit ist eine Folge der Homogenität des frühen Universums - sie erlaubt es uns, die wenigen freien Parameter durch Beobachtungen quantitativ weitgehend einzuschränken und damit die Kosmologie zu einer präzisen empirischen Wissenschaft zu machen.

Doch in der größten Stärke des Urknallmodells liegt zugleich auch seine größte Schwäche: Es ist in seiner ursprünglichen Form nicht in der Lage, eben diese Einfachheit zu erklären. Im Gegenteil - sie steht sogar im Widerspruch zu manchen Plausibilitätsannahmen der theoretischen Physik. Denn - salopp ausgedrückt - alles, was nicht explizit verboten ist (zum Beispiel durch eine fundamentale Symmetrie), sollte nicht nur erlaubt sein, sondern bis zu einem bestimmten Grad tatsächlich auch existieren. Jedoch wissen wir, dass dies in mindestens zwei Fällen im frühen Universum nicht so ist.

Im ersten Beispiel, dem so genannten »Flachheitsproblem«, geht es um die Raumkrümmung im frühen Universum. Es ist grundsätzlich möglich, dass der Raum gekrümmt ist: Nach Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie krümmen Energie und Materie die geometrische Struktur von Raum und Zeit; die Anziehungskraft zwischen massebehafteten Objekten ist ein Aspekt dieser Krümmung, die Expansion des Universums ein anderer. In einem gekrümmten Universum würde die Winkelsumme der Dreiecke, die von weit voneinander entfernten Objekten aufgespannt werden, von 180 Grad abweichen. Wir wissen aber aus Beobachtungen, dass diese Raumkrümmung heute unmessbar klein ist. Andererseits sagt die allgemeine Relativitätstheorie vorher, dass der Einfluss der Raumkrümmung auf die Ausdehnung des Universums im Laufe der Zeit anwächst. Die Abwesenheit einer heute messbaren Krümmung bedeutet, dass sie im frühen Universum noch viel kleiner gewesen sein muss. Die Situation ähnelt derjenigen eines Bleistifts, der auf seiner Spitze balanciert und bei jeder winzigen Auslenkung seitlich umkippt - es sei denn, er ist extrem genau vertikal eingestellt. Die Raumkrümmung im frühen Universum, etwa zur Zeit der Entstehung leichter Elemente, muss ebenso genau auf Null eingestellt gewesen sein.

Doch das Flachheitsproblem ist nur ein vereinfachter Aspekt einer wesentlich allgemeineren Schwachstelle des homogenen Urknallmodells: der Homogenität selbst. Bei der Beschreibung der Raumkrümmung durch eine einzige Zahl - den Krümmungsradius - setzen wir ja bereits voraus, dass der Raum homogen ist: Die Energiedichte, und damit die Raumkrümmung, ist zu festen Zeiten an allen Orten identisch. Im heutigen Universum ist dies auf Skalen von Galaxien und Galaxienhaufen offensichtlich nicht mehr der Fall. Hier weicht die Dichte innerhalb dieser Strukturen von derjenigen außerhalb um viele Größenordnungen ab. Bildet man Mittelwerte über immer größere Volumina, so wird die Dichteverteilung jedoch immer homogener (oder, aus unserer Sicht, isotroper) und gipfelt in der fast makellosen Gleichförmigkeit der kosmischen Hintergrundstrahlung. Wäre die Dichteverteilung auch über große Abstände gemittelt ebenso inhomogen wie in Galaxien oder Galaxienhaufen, so würde sie deutlich messbare Raumkrümmungen verursachen. Wäre dies zudem schon im frühen Universum der Fall gewesen, so hätten diese Krümmungen das weitere Schicksal des Universums bestimmt: In überdichten Bereichen wäre das Universum schon nach kurzer Zeit durch deren eigene Schwerkraft kollabiert; dies ist das eingangs erwähnte »Altersproblem«. Die Voraussetzungen, die das frühe Universum für eine spätere Phase der Strukturbildung liefert, sind in höchstem Grade maßgeschneidert: Die Verteilung von Materie und Energie ist so gleichförmig, dass das Universum sehr alt werden kann; gleichzeitig gibt es aber winzige Inhomogenitäten, die im Laufe der verfügbaren Zeit zu astrophysikalischen Strukturen anwachsen konnten. Diese sehr speziellen Anfangsbedingungen erscheinen zunächst extrem unnatürlich.

Doch alle diese Schwächen verblassen im Vergleich zu einem zweiten Problem des ursprünglichen Urknallmodells, dem so genannten »Horizontproblem«. Zu seiner Erklärung müssen wir etwas weiter ausholen und zunächst den Begriff des kosmologischen Horizonts erläutern.


Das Horizontproblem

In Anlehnung an den irdischen Horizont bezeichnet der kosmologische Horizont die Grenze des Raumgebiets, das man von irgendeinem Punkt des Universums aus prinzipiell sehen kann. Auf der Erde tritt der Horizont bekanntlich als Folge der Krümmung der Erdoberfläche auf, in der Kosmologie ist er eine Folge des Urknalls selbst. Da wir mit wachsender Entfernung immer weiter in die Vergangenheit blicken, können wir prinzipiell nicht weiter sehen, als bis zum Zeitpunkt des Urknalls - praktisch reicht unser Blick, wie oben erläutert, wegen der Undurchsichtigkeit des Universums vor der Rekombination nicht ganz so weit. Die Sache ist jedoch ein wenig komplizierter: Zum einen steht die Expansion des Raums in Konkurrenz zur Ausbreitung des Lichts, so dass die tatsächliche Entfernung, auf die wir zurückblicken, von der Geschichte dieser Expansion abhängt; zum anderen ist die Expansionsrate selbst zeitabhängig.

Zur Veranschaulichung, wie sich Licht in einem expandierenden Universum ausbreitet, denken wir an unterschiedlich weit entfernte Punkte im All, die in regelmäßigen Abständen Lichtpulse in unsere Richtung aussenden. Im späten Universum könnten die Punkte für ferne Galaxien stehen, aber diese konkrete Zuordnung ist für die Erklärung des Horizontproblems nicht nötig. Da sich Licht immer mit konstanter Geschwindigkeit im Raum fortbewegt, hängt die Entfernung, die jeder Lichtpuls nach einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat, nur von der Expansion des Raums während dieser Zeit ab.

Erreichen uns auch Lichtpulse der fernsten Punkte, wenn wir nur lange genug warten? Die Antwort darauf hängt davon ab, ob die Ausdehnung des Raums im Laufe der Zeit abbremst (die absolute zeitliche Änderung des Abstands zweier beliebiger Raumpunkte wird geringer) oder beschleunigt (sie nimmt zu). Verläuft die Ausdehnung gebremst, so erreichen uns nach und nach die Pulse immer fernerer Punkte, wir sehen »immer mehr« vom Universum. Dieser Fall entspricht unserer Alltagserfahrung in der Physik, denn alle Energie- und Materieformen, die experimentell oder aus astronomischen Beobachtungen bekannt sind (mit der wichtigen Ausnahme der Dunklen Energie!), verursachen ein solches Verhalten der Expansion: Das Abbremsen steht in einem natürlichen Zusammenhang mit der Schwerkraft, die zwischen Teilchen, Sternen oder Galaxien wirkt und deren Auseinanderdriften mit der Zeit verlangsamt.

Die Anfangsbedingungen im frühen Universum sind in höchstem Grade maßgeschneidert.

Alle aus Elementarteilchen bestehende Materie bremst die kosmische Expansion durch ihre eigene Anziehungskraft ab. Auch wenn wir nicht genau wissen, aus welchen Teilchensorten die Materie im frühen heißen Universum bestand, können wir doch davon ausgehen, dass sie sich so verhielten. Entsprechend wuchs der Raumbereich, den Licht oder Teilchen - beides bewegte sich damals mit Lichtgeschwindigkeit - seit dem Urknall durchqueren konnten, ständig an. Daraus folgt, dass das sichtbare Universum Gebiete enthält, deren Horizonte sich zu einer früheren Zeit noch nicht überlappten. Mit anderen Worten: Zu keinem noch früheren Zeitpunkt können Teilchen aus diesen Gebieten über den Austausch von Information miteinander in Kontakt getreten sein. Trotzdem sieht der Himmel in allen Richtungen praktisch gleich aus. Die Verteilung der Galaxien im näheren Universum ist zumindest im statistischen Sinne in allen Richtungen identisch. Besonders eindrucksvoll aber ist wiederum unsere direkteste Zeugin des früheren Universums, die kosmische Hintergrundstrahlung. Ihre Temperatur ist in allen Richtungen, also über einen Winkelbereich von 360 Grad um unseren Standpunkt im All, bis auf die fünfte Nachkommastelle identisch. Demgegenüber ist der Winkelbereich, den das Licht seit dem Urknall bis zum Zeitpunkt der Rekombination (als das Licht der Hintergrundstrahlung zum letzten Mal an geladenen Teilchen gestreut wurde, bevor es die Reise zu unseren Teleskopen antrat) durchqueren konnte, nur ungefähr so groß wie derjenige des Mondes, also ein halbes Grad. Regionen in größeren Winkelabständen hatten zur Zeit der Rekombination noch keine Gelegenheit, miteinander Teilchen oder Strahlung und somit Informationen über ihre Temperatur auszutauschen - warum also ist ihre Temperatur praktisch identisch? Diese Frage ist ein Teilaspekt des berüchtigten Horizontproblems.

Versuchen wir es mit einer weiteren Analogie für das Horizontproblem. Nehmen wir an, das frühe Universum sei ein riesiger Konzertsaal mit einem unvorstellbar großen Orchester. Schon der erste Akkord erfordert den Einsatz aller Instrumente, die in perfekter Harmonie spielen müssen. Doch wie wird der Auftakt synchronisiert? Das Zeichen des Dirigenten wird von den Musikern erst wahrgenommen, wenn das Licht vom Dirigentenpult sie erreicht hat. Beginnen sie erst zu spielen, wenn sie den Dirigenten den Stab heben sehen, so könnte ein weit entfernter Hörer die dadurch bedingte Verzögerung deutlich wahrnehmen. Doch das Publikum hört das gesamte Werk in perfektem Einklang, obwohl weite Teile des Orchesters den Dirigenten noch gar nicht gesehen oder gehört haben konnten, als das Stück begann (ganz zu schweigen vom Fehlen jeder Chance, ihre Instrumente gemeinsam zu stimmen)! In diesem Sinne ist das Horizontproblem ein Gleichzeitigkeitsproblem: Was gab den Auftakt zum Urknall über Entfernungen, die das Licht damals noch nicht zurückgelegt haben konnte?


Eine Lösung für alle Probleme?

Doch erinnern wir uns: Das Horizontproblem ist eine direkte Konsequenz der abbremsenden kosmischen Expansion, verursacht durch die gegenseitige Anziehungskraft der Teilchen im Universum. Kann vielleicht umgekehrt eine Phase im ganz frühen Universum, in der die Expansion beschleunigt war, die Probleme des Urknallmodells lösen? Ohne uns zunächst darum zu kümmern, wie eine solche Phase zustande kommen sollte, betrachten wir noch einmal alle aufgezählten Probleme in umgekehrter Reihenfolge.

Beim Horizontproblem ist die Antwort offensichtlich »Ja«. Während einer beschleunigten Phase sieht jeder Beobachter »immer weniger« vom Universum (sein Horizont schrumpft), denn die Expansion des Raums gewinnt gegen die Ausbreitung des Lichts im Raum (siehe die Grafik oben). Im Bild unserer Analogien: Die Lichtpulse, die uns im Laufe der Zeit noch erreichen, stammen von ursprünglich immer näheren Punkten, während die Lichtpulse aus ferneren Quellen nicht mit der immer schnelleren Expansion mithalten können. Übertragen auf die Analogie des Orchesters: Infolge der schnellen Expansion des Konzertsaals waren irgendwann einmal alle Orchestermusiker nahe genug am Dirigenten, um gleichzeitig einsetzen zu können.

Beim Flachheitsbeziehungsweise Inhomogenitätsproblem verhält es sich ebenso. Der Abstand, über den die Krümmung des Raums messbar wird - der so genannte Krümmungsradius - dehnt sich gemeinsam mit dem Raum aus, der Raum wird flacher. Ebenso wie wir bei einer beschleunigten Expansion nur noch die Lichtsignale immer näherer Punkte empfangen können, wird die Raumkrümmung zunehmend unwichtiger, bis sie sich nicht mehr nachweisen lässt, da der Krümmungsradius größer als der Horizont wird. Diese Betrachtung zeigt, dass das Flachheitsproblem eigentlich kein eigenständiges Problem ist, sondern nur eine andere Facette des Horizontproblems. Dadurch wird auch offensichtlich, dass eine Lösung des letzteren auch das erstere behebt.


Kosmologische Inflation

Eine solche Epoche beschleunigter Expansion im frühen Universum nennen wir kosmologische Inflation. Sie wurde 1981 von Alan Guth nach früheren, ähnlichen Ideen von Alexei Starobinsky als eine Epoche des sehr frühen Universums postuliert und hat sich seitdem als Teil des kosmologischen Standardmodells etabliert. Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, den Mechanismus, der hinter dieser beschleunigten Phase steckt, zu erklären. Die einfachsten Modelle haben gemein, dass sie ein neues Kraftfeld, beziehungsweise ein neues Teilchen, das so genannte Inflatonfeld, postulieren. Dieses Feld hat ähnliche Eigenschaften wie das am Tevatron bei Chicago und am Large Hadron Collider bei Genf gejagte Higgs-Teilchen. Leider kann das durch das Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagte HiggsTeilchen diese Aufgabe ohne zusätzliche Annahmen aber nicht erfüllen.

Lange Zeit war völlig unklar, welche Mechanismen zu einer Inflation führen, daher wurden unzählige Modelle studiert. Schließlich zeigte sich, dass im Rahmen des von Andrei Linde 1982 vorgeschlagenen Szenarios der so genannten »chaotischen Inflation« alle oben aufgeführten Probleme gelöst werden, ohne allzu restriktive Annahmen über die Anfangsbedingungen machen zu müssen.

Linde geht davon aus, dass die Anfangsbedingungen des Universums durch die bislang unvollständig verstandene Physik der Quantengravitation bestimmt werden. Bei der chaotischen Inflation nimmt man an, dass die grundlegenden Prinzipien der Quantenphysik und der allgemeinen Relativitätstheorie gelten sollen. Aus der heisenbergschen Unschärfe-Relation folgt dann, dass die Anfangsbedingungen nicht beliebig genau vorgegeben sein können, während aus dem einsteinschen Äquivalenzprinzip folgt, dass auf kleinen Raumzeit-Gebieten die Gesetze der Quantenfeldtheorien in ungekrümmten Räumen gelten. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich zeigen, dass für praktisch jedes beliebige Kraftgesetz des Inflatonfeldes eine Phase so genannter slow-roll inflation erreicht wird. Dies bezeichnet einen Zustand, in dem das Inflatonfeld »einfriert« und sich über relativ lange Zeit nicht ändert. Während dieser Zeit findet eine extrem rasche Ausdehnung des Universums statt - die kosmologische Inflation.

Sind nun alle Probleme gelöst? Keineswegs. Um das oben erwähnte Szenario der chaotischen Inflation im Modell zu realisieren, wird üblicherweise die Homogenität und Isotropie des Universums als Anfangsbedingung vorausgesetzt. Diese hochgradige Symmetrie der Raumzeit erscheint aus den schon genannten Gründen unnatürlich. Gibt man die Isotropie auf, so kann man zeigen, dass in den meisten Fällen die Inflation weiterhin die Probleme der alten Urknall-Kosmologie löst; gibt man jedoch die Homogenität des Raumes, also die Gleichförmigkeit von Ort zu Ort, auf, so ist sehr wenig bekannt, da die mathematische Komplexität des Problems schnell unsere Möglichkeiten der Analyse übersteigt.

Ein ganz anderes Problem ist die Frage nach der Natur des Inflatonfeldes. Für kosmologische Fragestellungen ist es nicht von Bedeutung, ob dieses Feld fundamentalen Charakter hat, oder sich als effektives Kraftfeld ergibt. Eine effektive Kraft ist zum Beispiel die bekannte Reibungskraft, die aus dem komplexen Zusammenspiel vieler Teilchen und ihrer elektromagnetischen Wechselwirkungen entsteht. Da die fundamentale Natur des Inflatonfeldes hier keine Rolle spielt, wollen wir darauf auch nicht weiter eingehen.

Trotz dieser Schwierigkeiten des Inflationsmodells gibt es praktisch keine ernsthaften Konkurrenten. Sein anhaltender Erfolg beruht heutzutage vorwiegend darauf, dass es ein Problem löst, für das es nicht erschaffen wurde: Es erklärt, warum die Abweichungen von der Homogenität der Raumzeit, aus deren Kollaps später Galaxien und großräumige Strukturen entstehen konnten, so klein sind, und macht detaillierte Voraussagen über ihre Eigenschaften.


Kosmische Strukturen: ein unerwarteter Glücksfall

Zeitgleich mit der Entdeckung der Bedeutung kosmologischer Inflation stellten Gennady Chibisov und Slava Mukhanov 1981 in Moskau fest, dass diese Theorie nicht nur alte Probleme löst, sondern sogar eine unerwartete Vorhersage macht. Kleine Quantenfluktuationen des Inflatonfeldes werden durch die beschleunigte Expansion des Universums »eingefroren« - sie überleben diese Phase. Viel später in der kosmischen Entwicklung entstehen aus ihnen die Keime für die beobachteten Strukturen des heutigen Universums: Galaxien, Galaxienhaufen, große Leerräume und so weiter. So stellte sich heraus, dass die Annahme einer Epoche kosmologischer Inflation im sehr frühen Universum die bis dahin ebenfalls vollkommen unverstandene Verteilung von Materie im Universum erklären kann.

Anfänglich sind diese Abweichungen von der Gleichförmigkeit des Universums winzig klein. Durch die Wirkung der Schwerkraft bilden sich daraus immer massereichere Materiewolken, die irgendwann die Ausdehnung des Universums nicht mehr mitmachen, sondern unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen. Das Gas in diesen Wolken verdichtet sich schließlich so sehr, dass erste kleine Galaxien und darin erste Sterne entstehen. Die Entstehung der ersten Sterne findet aber erst lange nach dem Zeitpunkt statt, zu dem das Universum durchsichtig wird, da die Dichteschwankungen im Universum zum Zeitpunkt der Rekombination noch sehr klein sind und Zeit benötigen, um durch Akkretion zu wachsen.


Strukturen in der kosmischen Mikrowellenstrahlung

Penzias und Wilson fanden zunächst eine flache Verteilung der Hintergrundstrahlung. Tatsächlich ist der kosmische Mikrowellenhintergrund nicht perfekt gleichförmig (siehe den Kasten links). Wenn man mit einer Genauigkeit von 1 zu 1000 misst, erkennt man am Himmel eine um drei Tausendstel Kelvin wärmere und in der Gegenrichtung eine ebenso viel kältere Region. Diese Dipol-Struktur lässt sich mit der Bewegung des Sonnensystems durch den Kosmos erklären. Es handelt sich um nichts anderes als den von Christian Doppler (1803 - 1853) erklärten Effekt, wonach die Frequenz eines auf den Beobachter zukommenden Geräusches erhöht ist gegenüber der Frequenz einer ruhenden Geräuschquelle. Aus der scheinbaren Temperaturdifferenz am Himmel lässt sich somit schließen, dass das Sonnensystem mit einer Geschwindigkeit von etwa 300 Kilometern pro Sekunde durch das All rast.

Um weitere Abweichungen von der Gleichförmigkeit zu finden, mussten die Astronomen ihre Geräte nochmals um einen Faktor 100 verbessern. Diese Abweichungen wurden 1993 durch den Cosmic Background Explorer (COBE), einen Satelliten der NASA, entdeckt. John Mather und George Smoot wurden dafür 2006 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Mit dieser Entdeckung ist Mitte der 1990er Jahre ein goldenes Zeitalter der modernen Kosmologie angebrochen. Hier kann nicht annähernd gewürdigt werden, welche Vielzahl an interessanten und wichtigen Schlüssen aus modernen Beobachtungen gewonnen werden können.

Die neuesten Bilder des kosmischen Mikrowellenhintergrunds lieferte ein weiterer Satellit, die Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP). Die Analyse der von WMAP gefundenen Temperaturschwankungen in Abhängigkeit vom betrachteten Winkelabstand zeigt die Grafik unten. Aus der Position des Maximums lernen wir, dass die Geometrie des Raums tatsächlich flach (euklidisch) ist, so dass die Summe der Winkel eines Dreiecks genau 180 Grad ergibt. Falls der Raum gekrümmt wäre, wie in der einsteinschen Theorie möglich, hätte Euklid auf kosmischen Skalen unrecht. Wichtig für die Überprüfung der Vorhersagen kosmologischer Inflation ist, dass das so genannte Winkelleistungsspektrum für große Winkelabstände nahezu einen konstanten Wert hat und dann bei Winkelabständen von etwa einem Grad ein Maximum (also einen höchsten Wert) ausweist.

Die Beobachtungen des WMAP-Teams bestätigen also die wichtigste Vorhersage der kosmologischen Inflation. Die Konstanz des Leistungsspektrums bei großen Winkelskalen zwischen 180 und etwa 20 Grad bedeutet, dass die Strukturen des Universums keine spezielle Länge bevorzugen, dass also die so genannte Invarianz der Skalen gilt - eine zweite wesentliche Vorhersage der Inflationstheorie.

Wir könnten uns nun zurücklehnen und mit unserem Modell zufrieden sein, da es im Großen und Ganzen die Beobachtungen hervorragend beschreibt. Doch wenn man die Daten im Detail betrachtet und dabei den Blick auf die größten zugänglichen Abstände am Himmel richtet, so ist das Bild nicht mehr so harmonisch.


Dissonanzen im kosmischen Zusammenspiel

Wir können das Muster der kosmischen Temperaturfluktuationen in verschiedene Schwingungsmoden zerlegen. Die Bedeutung dieser Moden (auch Multipole genannt) für das Ganze ist etwa analog zu der Rolle einzelner Instrumente in einem Orchester. Zum Beispiel ordnen wir tiefe Töne (lange Schallwellen) dem Kontrabass und der Tuba und hohe Töne (kurze Schallwellen) der Violine und der Piccoloflöte zu. Das Modell der kosmologischen Inflation sagt vorher, dass alle unsere Musiker nichts voneinander wissen und einfach wild drauf losspielen, alle etwa in der gleichen Lautstärke. Bei der genauen Analyse stellt sich heraus, dass sich Bass und Tuba nicht an diese Regel halten. Sie spielen gemeinsam das gleiche Stück, aber viel zu leise. In der Sprache der Kosmologie: Die so genannten Quadrupolund Oktopolmoden zeichnen eine Ebene am Himmel aus (siehe Kasten oben): Sie sind hauptverantwortlich für die - im Vergleich mit unseren Vorhersagen - zu kleinen Temperaturschwankungen zwischen weit entfernten Punkten am Himmel.

Genauere Analysen zeigen, dass solch ein Verhalten in unseren Modellen statistisch in weniger als einem pro einer Million Universen zu erwarten ist. Dieser Befund stellt derzeit ein großes Rätsel dar und ist Gegenstand aktueller Forschung. Es könnte sich dabei um Fehler bei der Beobachtung oder der Analyse der WMAP-Daten handeln. Möglich ist aber auch, dass diese Befunde auf ein Problem mit einer der Grundannahmen der einfachsten kosmologischen Modelle hindeuten.


Ausblick, neue Beobachtungen

Es sind Ungereimtheiten wie dieser Befund aus den Beobachtungen, die immer wieder Anstoß geben, das Universum noch genauer zu vermessen. Heute beschäftigen uns vor allem die Daten von WMAP. Eine Nachfolgemission, der europäische Planck-Satellit, untersucht schon seit bald zwei Jahren den Himmel mit noch viel höherer Auflösung und Genauigkeit. Mit Planck werden wir zwei weitere Vorhersagen der kosmologischen Inflation erstmals überprüfen können.

Aus der Idee der kosmologischen Inflation folgt, dass die ursprünglichen kleinen Dichteschwankungen, die in der späteren Entwicklung des Universums zur Entstehung von Galaxien führen werden, annähernd einer gaußschen Verteilung folgen. Dies bedeutet, dass es eine typische Stärke dieser Schwankungen gibt. Dies ist der einzige Wert, der bekannt sein muss, um alles über diese Verteilung zu wissen, da der Mittelwert Null ist. An einem beliebigen Punkt im Universum liegt die Dichteschwankung mit einer Wahrscheinlichkeit von 68 Prozent unter diesem Wert, mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent liegt sie über dem doppelten Wert der typischen Schwankung (Standardabweichung). Nun sagen alle Modelle kosmologischer Inflation kleine Abweichungen von diesem gaußschen Verhalten vorher. In manchen Modellen ist die Abweichung so klein, dass wir sie auch mit dem PlanckSatelliten nicht werden messen können. In anderen Modellen sollten sie zu sehen sein, wodurch wir sehr viel über den Mechanismus der kosmologischen Inflation lernen könnten. So könnten wir zum Beispiel herausfinden, ob nur eines oder mehrere Quantenfelder für die kosmologische Inflation wichtig sind.

Neben der Intensität der kosmischen Mikrowellenstrahlung kann man auch ihre lineare Polarisation messen. Die Polarisationsrichtung ist gegeben durch eine bevorzugte Lage der Schwingungsebene der elektromagnetischen Wellen senkrecht zu ihrer Ausbreitungsrichtung. Die Messung der linearen Polarisation liefert also für jede Position am Himmel eine Richtung, die wir als einen kleinen Strich in einer Himmelskarte darstellen können. Die Länge dieser Striche gibt den Grad der Polarisation an, also wie stark die entsprechende Schwingungsebene bevorzugt ist. Falls überall in einer Himmelsgegend die gleiche Polarisation gemessen wird, ist der Strich am längsten, falls alle möglichen Polarisationsrichtungen gleich häufig gemessen werden, ist keine Polarisation vorhanden und der Strich schrumpft auf einen Punkt zusammen. Dies ergibt ein Muster von Strichen unterschiedlicher Länge auf der Himmelskarte, das man wieder in Moden zerlegen kann. Diesmal heißen sie E- und B-Moden, je nachdem, wie sie sich unter Betrachtung in einem Spiegel verhalten. E-Moden kann man nicht von ihrem Spiegelbild unterscheiden, B-Moden schon. Verschiedene bodenbasierte Experimente sowie WMAP haben die E-Moden-Polarisation im kosmischen Mikrowellenhintergrund B-Moden wurden bislang nicht beobachtet.

Diese B-Moden sind aber für das Verständnis des sehr frühen Universums von unschätzbarem Wert. Sie können nicht durch Dichteschwankungen der Materie hervorgerufen werden, sondern nur durch Gravitationswellen. Die Quantenfluktuationen der Raumzeit während einer kosmologischen Inflation sollten zu solchen Gravitationswellen führen und dadurch die B-Moden erzeugen. Die B-Moden würden uns also einen direkten Blick auf die allerersten Momente des Kosmos erlauben, da sich Gravitationswellen - im Gegensatz zum Licht - nicht durch die extrem hohe Dichte und Temperatur im sehr frühen Universum beeinflussen lassen. Das Planck-Experiment ist das erste, das möglicherweise einige gut motivierte kosmologische Modelle auf diesen Aspekt hin direkt testen kann. Möglicherweise wird aber dazu eine vierte Generation von Mikrowellen-Satellitenexperimenten notwendig sein.


Zurück zu den Ausgangsfragen

Wir haben am Anfang unserer Betrachtungen gefragt, warum das Universum so alt und - im Großen betrachtet - so gleichförmig ist. Diese eigentlich einfachen Fragen haben uns an die Grenzen unseres Wissens und unserer Wissenschaft geführt haben. Die Entdeckung der Epoche kosmologischer Inflation gibt teilweise Antworten, es bleiben aber offene Fragen, und neue Fragen kommen hinzu. Nachdem die Theorie der kosmologischen Inflation in den 1980er Jahren entwickelt wurde, haben Beobachtungen in den zwei folgenden Dekaden diese Idee bestätigt und alle ernsthaft konkurrierenden Modelle aus dem Feld geworfen. Trotzdem sollten wir nicht glauben, dass dies der Weisheit letzter Schluss ist, da wir nicht wissen, welcher Mechanismus die kosmologische Inflation antreibt, wie das Universum geeignete Anfangsbedingungen realisiert, und ob die Vorhersagen unserer einfachsten Modelle auf den größten uns zugänglichen Abständen auch tatsächlich zutreffen. Es gibt also noch viel zu tun, sowohl im theoretischen Gebälk der Kosmologie, als auch bei seiner experimentellen Belastungsprobe durch vielfältige Beobachtungen.


Jens Niemeyer lehrt an der Universität Göttingen und erforscht die Entwicklung der komplexen Strukturen aus dem nahezu homogenen Zustand des frühen Universums.

Dominik J. Schwarz, theoretischer Physiker an der Universität Bielefeld, forscht auf dem Gebiet der Astroteilchenphysik und der Kosmologie.


Literaturhinweise

Gorbahn, M., Raffelt, G.: Spurensuche in der Welt der Quanten. In: Sterne und Weltraum 10/2010, S. 46-57

Tauber, J., Bersanelli, M., Lamarre, J.-M.: Die Planck-Mission. In: Sterne und Weltraum 2/2008, S. 38-50

Schneider, P.: Die Grundfragen der Kosmologie. In: Sterne und Weltraum 7/2007, S. 44-52

Bartelmann, M.: Das Standardmodell der Kosmologie. In: Sterne und Weltraum 9/2007, S. 36-44

Weblinks: www.astronomie-heute.de/artikel/1055412


w i s - wissenschaft in die schulen

Damit Schüler aktiv mit den Inhalten dieses Beitrags arbeiten können, stehen auf unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Sie sollen verdeutlichen, dass die Entwicklung physikalischer Theorien mit der Bildung von Modellen einhergeht. Dazu sollen Modelle unter Anleitung selbst entwickelt und in einem Kurzvortrag verständlich erklärt werden. Unser Schulprojekt führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad und dem Haus der Astronomie in Heidelberg durch.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 46-47:
So sehen die Kosmologen die Entwicklung des Kosmos vom Urknall bis heute. Die Inflation findet vor der klassischen, heißen Phase des Urknalls statt. Ihre exakte Dauer ist unbekannt, wahrscheinlich aber nur ein mikroskopischer Teil einer Sekunde. Sie endet mit dem Aufheizen des Universums, dem so genannten »Reheating«. Es folgt die strahlungsdominierte Epoche mit der Entstehung der leichten Atomkerne, der Nukleosynthese (rot), und der Rekombination von Elektronen und Kernen zu Atomen (violett, Ursprung des Mikrowellenhintergrunds). In der anschließenden materiedominierten Phase bilden sich nach einem dunklen Zeitalter die Sterne, Galaxien und kosmologischen Strukturen.

Abb. S. 48 oben:
Mit Hilfe von Supernovae vom Typ Ia lässt sich die Expansion des Universums sehr genau vermessen. Je weiter eine Supernova von uns entfernt ist, je größer also die Lichtlaufzeit bis zu uns ist, desto schneller bewegt sie sich von uns fort und desto größer ist ihre Rotverschiebung. Seit etwa einem Jahrzehnt wissen wir aus solchen Beobachtungen, dass diese Expansion des Universums mit der Zeit immer schneller wird. Die durchgezogene Linie wurde für die heute angenommenen kosmologischen Parameter berechnet und beschreibt die Messungen sehr genau.

Abb. S. 48 unten:
Dieses 1992 mit dem FIRAS-Spektrometer an Bord des Satelliten COBE gemessene Spektrum der kosmischen Hintergrundstrahlung ist das genaueste je gemesse Spektrum der Strahlung eines Schwarzen Körpers. Die Fehler der Messung sind so klein, dass sie im Bild nicht dargestellt werden können. Für diese Messung wurde John Mather mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.

Abb. S. 50:
Als nach dem Urknall die Temperatur unter etwa zehn Milliarden Grad abfiel, konnten Protonen, also Wasserstoff-Kerne (H), und Neutronen (N) so lange durch Verschmelzung die Isotope der leichten Elemente bilden, bis die Materie auf etwa 0,1 Milliarden Grad abkühlte. Die Kurven zeigen die Häufigkeiten von Neutronen (N), Deuterium (D), Tritium (H-3), Helium-3, Helium-4, Lithium-7 und Beryllium-7 in Abhängigkeit von der Temperatur beziehungsweise der Zeit. Diese Synthese der leichten Elemente geschah, während die Temperatur von zehn Milliarden auf hundert Millionen Kelvin abfiel, und dauerte kaum länger als zwei Minuten.

Abb. S. 53:
Horizont und Expansion
Das blaue Band in der nebenstehenden Skizze zeigt die zeitliche Veränderung des kosmologischen Horizonts in mitbewegten (expandierenden) Koordinaten. In dieser Darstellung bleiben die Abstände weit voneinander entfernter Objekte zeitlich konstant. Der Abstand zum Horizont nimmt hingegen während der Inflation ab (die Expansion ist beschleunigt) und in der Phase des heißen Urknalls wieder zu (die Expansion ist gebremst). Wie wir seit einigen Jahren wissen, beschleunigt die Expansion seit Kurzem wieder - um dieses Phänomen zu erklären, wird die Existenz der rätselhaften Dunklen Energie angenommen.

Abb. S. 54:
Strukturen in der kosmischen Hintergrundstrahlung
Die kosmische Hintergrundstrahlung entspricht in ersten Näherung einer in jeder Richtung gleichen Temperatur von 2,728 Kelvin (a). Erst nach tausendfacher Verstärkung des Kontrasts (b) lässt sich die Dipolkomponente erkennen, welche die Bewegung des Sonnensystems durch das kosmische Strahlungsfeld widerspiegelt. Die mit dem COBE-Satelliten 1989 bis 1993 gewonnenen Daten ließen eine weitere Kontrastverstärkung um einen Faktor 100 zu (c): Damit wurden in der Hintergrundstrahlung erstmals winzige, aber signifikante Strukturen sichtbar, die den Kosmologen grundlegende Eigenschaften des Universums verraten. Zum Beispiel bedeutet die geringe Schwankungsamplitude von einigen zehn Mikrokelvin, dass der größte Teil der Materie im Universum gar nicht mit Licht in Wechselwirkung treten kann. Das rote Band in der Mittelebene der Karte zeigt die Mikrowellenemission der kalten Materie in der galaktischen Scheibe. Nach deren Abzug verbleiben die reinen Temperatur- und Dichteschwankungen der Hintergrundstrahlung (d). Aus den nochmals erheblich genaueren Daten des Satelliten WMAP, der seit 2001 arbeitet, wurde der heute gültige Satz kosmologischer Parameter abgeleitet (e). Seit Mai 2009 misst der europäische Satellit Planck mit noch dreimal höherer Auflösung (f). Eine erste Auswertung seiner Daten wird es voraussichtlich im Januar 2011 geben.

Abb. S. 55:
Diese Kurve gibt an, wie groß die mittleren Temperaturschwankungen der kosmischen Hintergrundstrahlung bei gegebenen Winkelabständen am Himmel sind. Die schwarzen Punkte stellen die Messwerte des WMAP-Satelliten dar, die schwarzen Balken geben die Unsicherheiten der Messungen an. Die rote Kurve beschreibt das gängige theoretische Modell. Das grüne Band beschreibt eine theoretische Unsicherheit - sie resultiert aus der Tatsache, dass wir nur ein Universum beobachten können.

Abb. S. 56:
Temperaturschwankungen über große Winkelabstände
Diese Karte stellt die Schwankungen der Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung in den niedrigsten Moden (bei den größten Winkelabständen) dar - sie ergebenin unserer Analogie aus dem Text das Thema, das Kontrabass und Tuba spielen. Rote Bereiche entsprechen Regionen höherer, blaue tieferer Temperatur. Die niedrigsten Moden, Quadrupol und Oktopol, zeichnen am Himmel eine Ebene aus, die durch die roten und blauen Flecken definiert wird. Dieser Effekt ist höchst unerwartet, er widerspricht den Vorhersagen der einfachsten Modelle kosmologischer Inflation, nach denen es keine bevorzugten Richtungen oder Ebenen im Universum geben sollte. Die Tatsache, dass diese Ebene nahezu senkrecht zur Ekliptik, also zur Ebene der Erdbahn um die Sonne, und auch zur Bewegung des Sonnensystems durch den Kosmos (gegeben durch die beiden Dipol-Richtungen) steht, deutet möglicherweise auf einen Fehler in der Messung, Datenanalyse oder Interpretation hin.


© 2011 Jens Niemeyer und Dominik J. Schwarz, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


*


Quelle:
Sterne und Weltraum 1/11 - Januar 2011, Seite 46 - 57
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/52 80, Fax: 06221/52 82 46
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011