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ASTRO/276: Apokalypse aus dem All (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 6/15 - Mai 2015
Zeitschrift für Astronomie

Kurzbericht
Apokalypse aus dem All

Von Franziska Konitzer


Könnte ein energiereicher Gammastrahlenblitz das Leben auf der Erde auslöschen? Astrophysiker haben die Wahrscheinlichkeit dieses potenziellen Endzeit-Szenarios berechnet.


Gammablitze gehören zu den kürzesten, aber auch zu den energiereichsten Ereignissen im Universum. Sie entstehen mit hoher Wahrscheinlichkeit bei besonders energiereichen Supernova-Explosionen, so genannten Hypernovae, oder beim Verschmelzen zweier Neutronensterne. Zwar sind Gammablitze für das menschliche Auge unsichtbar, da sie - wie der Name schon sagt - hauptsächlich im Gammabereich des elektromagnetischen Spektrums strahlen. Dort jedoch leuchten sie für wenige Sekunden so hell wie eine ganze Galaxie.

Auf Grund der Tatsache, dass Gammablitze über die Himmelssphäre gleichmäßig verteilt sind, stellt sich die Frage: Was würde passieren, wenn ein solcher Gammablitz die Erde träfe? Zwei theoretische Astrophysiker, Tsvi Piran von der Hebräischen Universität in Jerusalem und Raul Jimenez von der Universität Barcelona, haben nun den möglichen Einfluss von Gammablitzen auf die Entwicklung von Leben im Universum berechnet. Sie bestimmten dabei auch die Wahrscheinlichkeit, mit der die Erde von einem solchen Energieausbruch getroffen wird. Ihre Ergebnisse lassen darauf schließen, dass man sich akut zwar keine Sorgen machen muss, dass ein solches Szenario aber auch nicht komplett aus der Luft gegriffen ist.

Piran und Jimenez konzentrierten sich dabei auf so genannte lange Gammablitze, die mehrere Sekunden oder sogar Minuten andauern können. Diese werden emittiert, wenn ein massereicher Stern am Ende seiner Entwicklung kollabiert und daraufhin als Supernova explodiert. Aus bislang noch nicht ganz geklärten Gründen bildet sich bei etwa einem Prozent dieser Supernovae entlang der Rotationsachse ein gebündelter Strom aus geladenen Teilchen, der wiederum Gammastrahlung erzeugt.

Horrorszenario

Was würde also passieren, wenn eine Supernova im Milchstraßensystem explodierte und einen Gammablitz in Richtung Erde schickte? Selbst milde Blitze mit einem Energieeintrag von 10 Kilojoule pro Quadratmeter würden die komplette Ozonschicht über Monate hinweg zu rund 70 Prozent ausdünnen. Starke Blitze mit 1000 Kilojoule pro Quadratmeter verdampften gar die dem Blitz zugewandte Erdatmosphäre zu großen Teilen. Ohne die schützende Ozonschicht wäre die Erde monate- oder gar jahrelang der UV-Strahlung der Sonne schutzlos ausgesetzt - mit desaströsen Konsequenzen für alle Land- und auch Meeresbewohner der Erde.

Piran und Jimenez haben daher ein Modell für die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses erstellt, in das verschiedene Parameter eingeflossen sind: die Häufigkeit von kurzen und langen Gammablitzen und ihre Helligkeit sowie die Eigenschaften ihrer Ursprungsgalaxien. So kommen lange Gammablitze vor allem aus metallarmen Zwerggalaxien, also aus Galaxien, in denen es einen sehr geringen Anteil an Elementen schwerer als Wasserstoff oder Helium gibt. Die Autoren nehmen eine gleichmäßige Verteilung von Gammablitzen im Raum an, so dass sie daraus den Energiefluss über einen Zeitraum hinweg berechnen konnten - und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Planet in diesem Zeitraum von einem Gammablitz getroffen wird.

Gute und schlechte Nachrichten

Die gute Nachricht zuerst: Wegen der speziellen Eigenschaften der Ursprungssterne der langen Gammablitze kommen nur etwa zehn Prozent der Sterne im Milchstraßensystem auf Grund ihres Metallgehalts als potenzielle Erzeuger überhaupt infrage (siehe Grafik weiter unten).

Nun die schlechte Nachricht: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde innerhalb einer halben Milliarde Jahre von einem lebensbedrohlichen Gammablitz mit einer Energiedichte von 100 Kilojoule pro Quadratmeter getroffen wird, beträgt immerhin 50 Prozent. Diese Wahrscheinlichkeit steigt auf 60 Prozent an, wenn der Zeitraum auf eine Milliarde Jahre erhöht wird. Innerhalb des gesamten Erdzeitalters von knapp fünf Milliarden Jahren beträgt diese Wahrscheinlichkeit sogar 90 Prozent. Anders ausgedrückt: Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Erde in ihrer langen Geschichte nicht schon einmal von einem langen Gammablitz getroffen worden ist.

Wissenschaftler haben dafür sogar einen Zeitpunkt festgemacht. Sie spekulieren, dass eines der fünf irdischen Massenaussterben, nämlich das ordovizische Massenaussterben vor rund 450 Millionen Jahren, bei dem rund die Hälfte aller Arten ausstarb, von einem Gammablitz ausgelöst worden sein könnte. Darauf deuten Spuren bestimmter Metallisotope in Gesteinslagen hin, sowie die Tatsache, dass vor allem Lebewesen nahe der Meeresoberfläche betroffen waren, deren weite Verbreitung sie oft vor einem Aussterben schützt.

In den Außenbezirken der Galaxis ist es sicherer

Allerdings steht die Erde innerhalb ihres Sonnensystems am Rand des Milchstraßensystems sehr gut da, denn je höher die Sterndichte, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für einen Planeten, von einem Gammablitz getroffen zu werden (siehe Grafik weiter unten). So sollte das innerste Viertel der Sterne unserer Galaxis nahe dem Zentrum etwa alle Milliarden Jahre von einem langen Gammablitz getroffen werden. Daraus schließen die Autoren, dass komplexes Leben, das mehrere Milliarden Jahre zur Entwicklung benötigt, nur am Rand großer Galaxien möglich sei.

Auch in anderen Regionen des Universums sieht die Lage nicht unbedingt besser aus. Verglichen mit dem Milchstraßensystem sind die meisten Galaxien klein und metallarm. Folglich gibt es dort mehr Gammablitze und das bedeutet: Etwa 90 Prozent aller Galaxien haben ein zu hohes Aufkommen an Gammablitzen, als dass sich dort komplexes Leben bilden könnte.

Natürlich gehen die Autoren in ihrer Analyse von erdähnlichem Leben aus, das sich auf der Oberfläche eines Planeten befindet und Schaden durch UV-Strahlung nimmt. Allerdings könnten ihre Ergebnisse Teil der Lösung von Fermis Paradox sein. Demnach wäre Leben im Universum auf Grund der zerstörerischen Kraft der Gammablitze so selten. Auch für Programme wie SETI, die nach Anzeichen außerirdischen Lebens suchen, könnte das Folgen haben. Bislang konzentrierten sich solche Suchaktionen eher auf das galaktische Zentrum, weil dort die Sterndichte höher ist. Genau dies könnte aber der Faktor sein, der das Leben dort durch Gammablitze "regelmäßig" auslöscht.


Franziska Konitzer studierte Physik und Astrophysik an der University of York in Großbritannien und schloss das Studium mit einem Master ab. Derzeit ist sie in München als freie Journalistin tätig.


Literaturhinweis

Piran, T., Jimenez, R.: Possible Role of Gamma Ray Bursts on Life Extinction in the Universe. In: Physical Review Letters 113, 231102, 2014

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WiS in Sterne und Weltraum

Der Beitrag »Gammastrahlen« passt zum Kurzbericht »Apokalypse aus dem All«: Fortschritte in den Detektor- und Computertechnologien ermöglichen seit wenigen Jahren erdgebundene und satellitengestützte Nachweise von Gammastrahlung, die aus dem Kosmos zur Erde gelangt. Die Analyse liefert Erkenntnisse über die energiereichsten physikalischen Prozesse des Universums.
(ID-Nummer: 1051441)

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 16:
Ein energiereicher langer Gammablitz könnte - so wie in dieser künstlerischen Darstellung - die Ozonschicht in der Erdatmosphäre zerstören und damit ein Massenaussterben auslösen.

Abb. S. 17:

Metallizität der langen Gammablitze
Die Grafik zeigt den Anteil von Sternen und Gammastrahlenausbrüchen in Abhängigkeit von ihrer Metallizität. Dabei bezeichnet die Metallizität Z das auf die Sonne normierte logarithmierte Verhältnis der Summe aller Elemente schwerer als Helium (Nx) zu Wasserstoff (NH):Z = lg (Nx/NH) - lg (Nx/NH)⨀. Unsere Sonne hat dabei die Metallizität null (Z = 0). Die Sterne in der Milchstraßenscheibe liegen alle im Metallizitätsbereich -0,5 bis +0,5 (grau und gelb). Der Metallgehalt der Ursprungsorte der langen Gammablitze (long duration GRB, LGRB) wird durch den roten und den grünen Bereich angezeigt: Diese Linien überschneiden sich mit denjenigen der Milchstraßenscheibe nur im einstelligen Prozentbereich - die Objekte haben demnach eine gänzlich verschiedene Zusammensetzung.

Abb. S. 18:
Die Wahrscheinlichkeit für einen Planeten, von mehr als einem lethalen Gammablitz pro eine Milliarde Jahre getroffen zu werden, ist hier gegen seinen Abstand zum galaktischen Zentrum aufgetragen. Ohne Korrekturen zur Metallizität wird die Gefahr überschätzt (graue gepunktete Kurve).


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2015-06-s016-pdf/1344536

© 2015 Franziska Konitzer, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 6/15 - Juni 2015, Seite 16 - 18
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2015-06-s016-pdf/1344536
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2015

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