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THEORIE/046: Vom Higgs-Teilchen zur Weltformel (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 4/13 - April 2013

Quantengravitation
Vom Higgs-Teilchen zur Weltformel

Von Dieter Lüst



Das Higgs-Boson, das Physiker letztes Jahr am Großbeschleuniger LHC gefunden haben, komplettiert das Standardmodell der Teilchenphysik. Der experimentelle Erfolg bestätigt vor allem auch die Theoretiker, die das Partikel lange vorausgesagt haben. Lässt der LHC auch Fortschritte bei der Stringtheorie erhoffen?


AUF EINEN BLICK

Jenseits des Higgs

1. Der Nachweis des Higgs-Teilchens ist nur einer der Gründe, warum der Large Hardron Collider (LHC) gebaut wurde. Der Beschleuniger könnte außerdem Hinweise auf eine neue Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik liefern.

2. Möglicherweise finden die Wissenschaftler auch Indizien für zusätzliche Raumdimensionen. Sie würden das Gedankengebäude der Stringtheorie stützen, die das Potenzial zu einer »Theorie für alles« hat, in der sämtliche Grundkräfte der Natur vereinigt sind.

3. Auch weitere neue Teilchen erhoffen sich Theoretiker. Beispielsweise wäre der Fund des noch hypothetischen Gluino ein Beleg für die so genannte Supersymmetrie. Ihr zufolge besitzt jedes bekannte Elementarteilchen einen »Superpartner«.


Der 4. Juli 2012 war ein denkwürdiger Tag für die Elementarteilchenphysik. Bei einem eigens anberaumten Seminar verkündeten die Sprecher der beiden Großexperimente ATLAS und CMS am europäischen Teilchenforschungszentrum CERN die lang ersehnte und von vielen Physikern erwartete Entdeckung des Higgs-Teilchens. Zahlreiche Zuhörer hatten die ganze Nacht vor dem großen Hörsaal verbracht, um das für die Physik so wichtige Ereignis persönlich zu erleben. Auch der theoretische Physiker Peter Higgs, der Namensgeber und einer der »Erfinder« des Teilchens, war unter den Zuhörern und wurde mit riesigem Applaus begrüßt.

Obgleich einige wichtige Eigenschaften des neuen Teilchens noch nicht experimentell ausgemessen sind - das wird noch Monate oder gar Jahre dauern -, sind die meisten Teilchenphysiker doch sicher, dass es sich dabei um das von Peter Higgs vorhergesagte Boson handelt. Es verleiht den meisten anderen Elementarteilchen ihre Massen und ist der letzte Baustein im Standardmodell der Teilchenphysik, das höchst erfolgreich fast alle Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen untereinander beschreibt. Nicht wenige Kollegen in der Physik-Community erwarten daher, dass Higgs und die anderen beteiligten Theoretiker - wie der Belgier François Englert und möglicherweise weitere Physiker in den USA - für ihre grandiose Vorhersage schon im Dezember 2013 mit dem Physiknobelpreis geehrt werden könnten.

Mit der Entdeckung des Higgs hat nicht nur ein Teilbereich der Physik seinen krönenden Abschluss gefunden. Nun steht uns auch der Weg in Richtung einer neuen Physik offen, deren Effekte wir ebenfalls am LHC zu finden hoffen. Dabei können wir aus dem Vergangenen viel lernen.

Der jüngste Erfolg ist der fantastischen Ingenieurskunst und dem unglaublichen Geschick der Experimentalphysiker am Genfer CERN geschuldet. Der LHC ist nun schon seit 2009, nach 15-jähriger Bau- und Entwicklungsarbeit, kontinuierlich in Betrieb. Dass die Messungen zum Nachweis des Higgs trotzdem fast drei Jahre in Anspruch nahmen, hängt damit zusammen, dass es bei den Teilchenkollisionen im Beschleuniger nur sehr selten entsteht. Seine von den Detektoren ATLAS und CMS gemessenen Zerfälle gehen in der ungeheuren Datenflut von vergleichsweise uninteressanten Ereignissen fast unter.

Für die meisten theoretischen Physiker war die Sache jedoch schon vorher ziemlich klar. Denn mathematisch und theoretisch konsistent ist das Standardmodell der Teilchenphysik nur dann, wenn in der Natur ein Spin-null-Teilchen wie das Higgs existiert. Unklar war lediglich, welche Masse das neue Teilchen besitzen würde. Die Theoretiker konnten nur einen Massenbereich angeben, in dem man das Higgs-Teilchen mit großer Wahrscheinlichkeit finden würde.

Genau dieser Bereich ließ sich mit den am LHC verfügbaren Beschleunigerenergien gut untersuchen. So wurde eine Theorie überprüfbar, die Peter Higgs, aber auch Robert Brout und François Englert 1964 begründet hatten. Sie war nötig geworden, weil Elementarteilchen in den damaligen Theorien stets als masselos beschrieben wurden, obwohl sie den Beobachtungen zufolge eben doch eine Ruhemasse besitzen. Unabhängig voneinander zeigten die beiden Arbeiten - Brout und Englert veröffentlichten ihre Publikation sogar einige Wochen vor Higgs - einen Weg auf, wie sich Elementarteilchen im Rahmen so genannter mathematischer Eichtheorien als Objekte mit Ruhemasse beschreiben lassen. Ihre Grundidee war die Annahme, dass das Vakuum nicht leer ist, sondern dass der gesamte Raum mit einem so genannten Higgs-Feld erfüllt ist. Dieses wäre zwar nicht direkt messbar, doch eine seiner Anregungen würde als Higgs-Teilchen in Erscheinung treten.

Um die theoretischen und nicht sehr anschaulichen Überlegungen der Forscher auch nur ansatzweise zu verstehen, muss man wissen, dass das Higgs ein besonderes, nämlich ein so genanntes skalares Teilchen ist: Es trägt anders als die anderen Elementarteilchen keinen Spin, sein Eigendrehimpuls ist also null. Ein solches Teilchen hat die mathematisch interessante Eigenschaft, dass es sich bei Drehungen im Raum in keiner Weise verändert. Besäße es hingegen einen Spin (oder eine andere richtungsabhängige Eigenschaft), würde dieser nach einer Drehung in eine andere Richtung zeigen.

Ein solches skalares Teilchen kann, wie sich mathematisch beweisen lässt, spontan aus dem Nichts, das heißt aus dem Vakuum entstehen. Ebenso spontan kann es wieder im Nichts verschwinden, es wird dann vom Vakuum gewissermaßen wieder verschluckt. Entscheidend ist, dass es bei diesem Prozess gleichsam Energie aus dem Vakuum heraussaugt - und sie anschließend an andere Elementarteilchen abgibt, die auf diese Weise ihre Masse erwerben.

Nicht nur das Higgs-Teilchen ist skalar, sondern auch das mit ihm assoziierte Higgs-Feld. Darum nimmt es selbst im Vakuum einen bestimmten Wert an, den so genannten Vakuumerwartungswert. Man kann also sagen, dass das Higgs-Feld durch seinen Vakuumerwartungswert die Massen der anderen Elementarteilchen erzeugt. Es lässt sich durchaus mit einem allgegenwärtigen Äther vergleichen, weil es überall im Raum und selbst im Vakuum vorhanden ist. Nur an Photonen - Lichtteilchen - und an Gluonen - die Austauschteilchen der starken Kernkraft - kann das Higgs nicht koppeln, weshalb diese keine Masse besitzen.

Es gibt noch eine etwas anschaulichere Art, die Erzeugung der Teilchenmassen zu verstehen. Dazu muss man nur wissen, dass masselose Teilchen im Vakuum stets mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind. Bei der Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld werden sie, ein bisschen wie in einem zähen Kuchenteig oder in Honig, auf Unterlichtgeschwindigkeit abgebremst und nehmen dadurch automatisch Masse an.


Für die Existenz des Higgs-Teilchens gab es sehr gute theoretische Gründe

Das bemerkenswerte theoretische Modell, das Higgs, Englert und Brout zunächst abstrakt und visionär beschrieben, erfuhr erst einige Jahre später, nämlich 1967, durch Steven Weinberg (siehe Interview in SdW 12/2010, S. 34), Abdus Salam und Sheldon Glashow im Standardmodell der Elementarteilchen seine konkrete Realisierung. Dies war ein sehr wichtiger Schritt, denn jedes neue theoretische Modell muss auch konkrete, mathematische Berechnungen ermöglichen und experimentell überprüfbare Vorhersagen treffen. Genau das leistet das Standardmodell seither: Es lieferte unzählige Voraussagen, die sich im Experiment als korrekt erwiesen. Und weil es seinerseits auf dem Higgs-Mechanismus basiert, lieferte es durch seine erfolgreichen Vorhersagen auch gute Gründe für die Existenz des Higgs.

Einen weiteren guten Grund formulierten zehn Jahre später die beiden Physiker Gerard 't Hooft und Martinus Veltman. In aufwändigen Berechnungen zeigten sie, dass das Standardmodell der Teilchenphysik mathematisch nur dann »funktioniert«, wenn der Higgs-Effekt darin eine wichtige Rolle spielt. Er muss nämlich die Massen bestimmter Kraftteilchen erzeugen - derjenigen Teilchen, die die so genannte schwache Kernkraft vermitteln. Erst dann ist das Modell »renormierbar«, wie es in der Fachsprache heißt. Dies bedeutet, dass sich die bei den Berechnungen auftretenden unendlich großen Zahlenwerte auf physikalisch sinnvolle Werte zurückführen lassen. Vor allem dank 't Hooft und Veltman also lieferte das Standardmodell konkrete Berechnungen und Vorhersagen - und damit auch Vorhersagen vieler Eigenschaften des Higgs-Teilchens.

Sein Fund ist damit der jüngste Beleg dafür, dass theoretische und mathematische Überlegungen große Erklärungskraft besitzen und sogar neue Teilchen und neue physikalische Mechanismen vorhersagen können - sicherlich ein großer Triumph für die theoretische Physik! Ihre Überzeugungskraft entfalteten diese Überlegungen schließlich auch bei öffentlichen Geldgebern und der Politik: Sie wurden so ernst genommen, dass ein milliardenschweres Großexperiment bewilligt wurde. Zu Recht - der mit dem LHC erzielte Erkenntnisgewinn für unser allgemeines Naturverständnis kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Nun können wir also die nächsten Aufgaben in Angriff nehmen. Denn sicherlich ist das Standardmodell der Elementarteilchen keine endgültige Beschreibung von Teilchen und Wechselwirkungen in der Natur. Der LHC könnte uns schon in den nächsten Jahren Einblicke in Phänomene jenseits dieses Modells gewähren, beispielsweise in die Physik des frühen Universums. Insbesondere haben Theoretiker auch die Existenz weiterer neuer Teilchen vorhergesagt, die Experimentalphysiker nun ins Visier nehmen. Ganz oben auf der Wunschliste der Theoretiker steht der Nachweis so genannter supersymmetrischer Teilchen. Denn theoretische und mathematische Überlegungen legen nahe, dass zu sämtlichen bekannten Teilchen des Standardmodells jeweils ein supersymmetrisches Partnerteilchen gehört, das so genannte Superteilchen. Ist dies der Fall, gäbe es in der Welt doppelt so viele Partikel wie bislang bekannt!

Einen Hinweis auf die Existenz der Supersymmetrie, kurz SUSY, gibt auch das Higgs-Teilchen selbst. Es ist das erste skalare Teilchen mit Spin null, das in der Natur gefunden wurde, und wahrscheinlich fundamental, also nicht mehr teilbar ist. SUSY-Theorien sagen die Existenz noch anderer solcher Teilchen voraus. Sie setzen dabei eine fundamentale, aber bislang hypothetische Symmetrie in der Natur voraus. Der Begriff »symmetrisch« bezieht sich hier auf die mathematische Form von Naturgesetzen: Unterzieht man die sie beschreibenden Formeln bestimmten Symmetrieoperationen - Verschiebung, Drehung, Spiegelung und anderen - und bleiben sie dabei unverändert, sprechen die Physiker von einem symmetrischen Gesetz. Dann sind auch die physikalischen Systeme, die von diesem Gesetz regiert werden, symmetrisch: Würde man etwa das gesamte Sonnensystem um 180 Grad drehen, herrschten darin dieselben Naturgesetze.

Die Supersymmetrie beschreibt nun eine solche symmetrische Operation, die Partikel mit ganzzahligem Spin (Bosonen; also diejenigen Teilchen, die Kräfte vermitteln) mathematisch in solche mit halbzahligem Spin (Fermionen; Teilchen, aus denen Materie besteht) »umwandelt«. Damit verspricht sie, ein schwer wiegendes Problem der Teilchenphysik zu lösen, das so genannte Hierarchieproblem. Eigentlich würden die Physiker aus theoretischen Gründen erwarten, dass die Masse des Higgs-Teilchens in der Nähe der so genannten Planck-Masse angesiedelt ist. Tatsächlich liegt aber seine Masse ungefähr 16 (!) Größenordnungen darunter. SUSY erklärt dieses Phänomen ganz zwanglos: Die problematischen Terme, die eine solch hohe Masse voraussagen, heben sich darin im Wesentlichen weg. Außerdem könnte sie das Rätsel der so genannten Dunkle-Materie-Teilchen lösen, mit denen Astrophysiker bestimmte Phänomene im Universum erklären. Auch bei diesen handelt es sich möglicherweise um SUSY-Teilchen, und vielleicht lassen sie sich sogar am LHC nachweisen. Neben der Suche nach dem Higgs spielten also auch diese Probleme der modernen Physik - die Frage nach der Supersymmetrie und die nach der Natur der Dunklen Materie - eine entscheidende Rolle beim Bau des LHC.


Einige theoretische Vorhersagen geraten zunehmend unter Druck

Leider gestaltet sich die Suche nach den Superteilchen ausgesprochen schwierig, denn wir können ihre Massen nicht genau vorhersagen; unter Umständen könnten sie sich einer Entdeckung am LHC komplett entziehen. Die direkte Messung eines SUSY-Teilchen im ATLAS- oder CMS-Experiment des LHC gelang bis heute nicht. Immerhin konnten für einige dieser Teilchen, wie etwa für das Gluino, den Superpartner des Gluons, die unteren Masseschranken immer weiter nach oben in den Teraelektronvolt-Bereich getrieben werden.

Im Moment scheint es jedoch, dass wir auf den Nachweis der Superteilchen am LHC noch warten müssen. Im Messbereich, dem der erste LHC-Durchlauf in den vergangenen drei Jahren galt, sind sie wohl nicht mehr zu finden. Nun aber beginnt die etwa zweijährige Wartungspause, in der der Beschleuniger auf noch höhere Energien umgerüstet wird. Man hofft, anschließend doch noch Hinweise auf die Supersymmetrie zu entdecken. Allerdings geraten schon jetzt einige der theoretischen Vorhersagen immer mehr unter Druck, insbesondere jene, die sich auf die einfachsten supersymmetrischen Erweiterungen des Standardmodells beziehen. Unter den theoretischen Physikern macht sich darum eine gewisse Nervosität bemerkbar, ob die Entdeckung der Supersymmetrie gelingt.

Auch durch indirekte Messungen will man SUSY auf die Spur kommen. Wenn bestimmte Elementarteilchen, nämlich schwere B-Mesonen, zerfallen, könnten sich dabei vorübergehend so genannte virtuelle Superteilchen bilden. Sie würden sehr kleine, aber im Prinzip nachweisbare Auswirkungen auf den Zerfall haben - genauso wie man indirekte experimentelle Hinweise auf die Existenz des Higgs-Teilchens schon lange vor dessen Entdeckung gewonnen hatte, und zwar durch die Berechnung so genannter Strahlungskorrekturen im Standardmodell. Doch die indirekte Suche nach SUSY ist bis jetzt ebenfalls ohne Befund. Zwar meldete das Team des LHCb-Detektors am CERN im November 2012 Hinweise auf den sehr seltenen Zerfall solcher B-Mesonen in zwei Myonen. Vielen SUSY-Theorien zufolge müssten dabei Superteilchen in Erscheinung treten. Offenbar läuft der Zerfall aber genau so ab, wie dies vom Standardmodell vorhergesagt wird - Superteilchen scheinen dazu keine Beiträge zu liefern.

Die theoretischen Physiker sehen sich darüber hinaus mit einer konzeptionell noch weit schwierigeren Herausforderung konfrontiert. Sie suchen nach einer mathematisch korrekten Formulierung einer Theorie, die sowohl die drei Fundamentalkräfte umfasst, die im Standardmodell eine Rolle spielen und als so genannte Quantenfeldtheorien beschrieben werden, als auch die vierte Fundamentalkraft, die Gravitation. Anders gesagt: Das Standardmodell soll mit Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie unter einem gemeinsamen theoretischen Dach, der Quantengravitation (siehe »Auf dem Weg zur Quantengravitation« in SdW 4/2012, S. 34), zusammengeführt werden. Einsteins Relativitätstheorie beschreibt die von der Gravitation bestimmte Entwicklung des Universums seit der Zeit kurz nach dem Urknall - in großer Übereinstimmung mit allen Beobachtungen - und sagt darüber hinaus sein Schicksal bis in die ferne Zukunft voraus. Das Standardmodell gilt hingegen für die Welt des Mikrokosmos. Es beruht insbesondere auf den Gesetzen der Quantenmechanik, wie sie Max Planck, Werner Heisenberg und Paul Dirac in den 1920er Jahren aufstellten.

Weil sich aber allgemeine Relativitätstheorie und Quantenmechanik gegenseitig ausschließen, stürzen sie die theoretische Physik in ein Dilemma. Besonders offensichtlich wird dies am Beispiel des Urknalls. Damals war das Universum mikroskopisch klein, weshalb neben der Gravitation auch Quanteneffekte eine wichtige Rolle spielten. Berücksichtigt man beide Effekte, gelangt man zu widersprüchlichen Ergebnissen. Ohne eine Theorie der Quantengravitation wird man die Vorgänge während des Urknalls also nicht berechnen und verstehen können.

Die Krise der theoretischen Physik wird aber auch an Schwarzen Löchern sichtbar. Das Problem ist als Informationsparadoxon bekannt. Der Relativitätstheorie zufolge verlieren Objekte, die in ein Schwarzes Loch stürzen, jegliche physikalische Information - sie behalten nur ihre quantenmechanischen Eigenschaften. Doch laut Quantenmechanik bleibt Information stets erhalten. Um diese Widersprüche aufzulösen, benötigt man auf jeden Fall eine Theorie der Quantengravitation, die mathematisch saubere und konkrete Berechnungen zu den Quanteneigenschaften von Schwarzen Löchern ermöglicht. Das Problem ähnelt also jenem, dem sich 't Hooft und Veltman vor rund 40 Jahren stellen mussten.

Zahlreiche theoretische Physiker sind heute aber davon überzeugt, bereits eine mathematisch korrekte Lösung gefunden zu haben, nämlich in Form der so genannten Stringtheorie. Von Haus aus ist diese Theorie eine wie viele andere. Sie besteht aus einem Satz mathematischer Gleichungen und macht Aussagen über physikalische Größen wie beispielsweise über die Energie des Vakuums. Doch in einem wichtigen Punkt weicht sie von etablierten Theorien ab: Mathematisch konsistent ist sie nur, wenn die Welt zehn Raumzeitdimensionen besitzt - neun Dimensionen des Raums und eine Zeitdimension.

Spätestens Mitte der 1980er Jahre stellte sich überdies heraus, dass in einem solchen zehndimensionalen Raum gleich fünf verschiedene Stringtheorien existieren können, von denen jede einzelne eine Theorie der Quantengravitation liefert. Dies war allerdings ein unerwünschter Nebeneffekt, schließlich hoffte man doch auf eine einzige Fundamentaltheorie. Sie sollte auf eindeutige Weise alle bekannten physikalischen Phänomene erklären und dazu noch neue Vorhersagen treffen, die sich heute oder in Zukunft auch experimentell überprüfen lassen.

Im folgenden Jahrzehnt gelang es den Physikern jedoch, dieses Problem zu beheben. Indem sie den Modellen noch eine weitere Raumdimension hinzufügten, konnten sie die fünf Theorien zu einer einzigen vereinigen, der so genannten M-Theorie. Dieser bemerkenswerte Umstand ließ die Theoretiker wieder Mut schöpfen. Zwar verstehen wir die M-Theorie noch nicht genau, auch lässt sie noch keine sehr konkreten Rechnungen zu. Andererseits beschreibt die Stringtheorie einen bestimmten Grenzfall der M-Theorie, in dem wir sehr gut konkrete Berechnungen anstellen können. Kann also die Stringtheorie vielleicht doch aus einem Satz fundamentaler Gleichungen eindeutige Vorhersagen über unser Universum ableiten? Kann sie tatsächlich unser Universum beschreiben, also beispielsweise die Physik des Urknalls und der Schwarzen Löcher, oder sogar das Spektrum an Elementarteilchen voraussagen, wie wir sie kennen?

Zunächst scheint eine zehndimensionale Theorie allerdings kaum geeignet, ein Modell der vierdimensionalen Welt zu liefern, wie wir sie kennen. Dies ist nur sinnvoll, wenn man sich die sechs Extradimensionen als kompaktes, sehr kleines räumliches Gebilde vorstellt, wenn man die Welt also, wie Physiker sagen, von zehn auf vier Raumzeitdimensionen kompaktifiziert. An jedem Raumzeitpunkt der vierdimensionalen Welt - entsprechend einem beliebigen Ort mit seinen drei Raumkoordinaten zu einem bestimmten Zeitpunkt - »hängen« dann sechs Raumdimensionen, die allerdings so klein sind, dass wir sie nicht wahrnehmen oder beobachten können.

Einfluss besitzen sie dennoch. Es gibt extrem viele Möglichkeiten für Mathematiker, zehn Raumzeitdimensionen so zu kompaktifizieren, dass daraus ein Modell eines vierdimensionales Universums entsteht. Allerdings führt die Art der Kompaktifizierung zu ganz unterschiedlichen Universen, in denen unterschiedlich viele Teilchenarten existieren und in denen unterschiedliche Kraftgesetze regieren. Einige Kompaktifizierungen - und das ist ermutigend - passen gut zum Standardmodell der Elementarteilchen und zu seiner mathematischen Struktur. Viele andere Lösungen ähneln ihm allerdings nur sehr entfernt. Wie wir unter den sehr vielen Lösungen die richtige oder auch nur annähernd richtige finden können, wissen wir allerdings noch nicht. Vorhersagen der Stringtheorie bezüglich der Elementarteilchen und ihrer Eigenschaften sind im strengen Sinn daher noch nicht möglich.

Deswegen werden zunehmend kritische Stimmen laut. Mit der Weiterentwicklung der Stringtheorie gelingen zwar beachtliche theoretische Fortschritte auf dem Weg zu einer Theorie der Quantengravitation. Doch die meisten Naturwissenschaftler halten sich nach wie vor an die von dem österreichisch-britischen Wissenschaftsphilosophen Karl Popper aufgestellte Forderung nach direkter Falsifizierbarkeit: Damit eine Aussage als wissenschaftlich gelten kann, muss sie so formuliert sein, dass sie sich durch Beobachtungen widerlegen lässt. Doch weder Extradimensionen noch die parallelen Universen, welche die Stringtheorie postuliert, lassen sich gegenwärtig - und möglicherweise nicht einmal in ferner Zukunft - beobachten. Mancher wird sich also mit der Stringtheorie im Moment nicht anfreunden können.

Gibt es aber nicht vielleicht doch Gründe, ihre Postulate ernst zu nehmen - auch wenn sie allein aus mathematischen Formalismen resultieren und bislang noch nicht aus Beobachtungen der Natur? Der wohl beste Grund ist das ungeheure Potenzial der Stringtheorie, konkrete und mathematisch wohldefinierte Berechnungen zu bislang unlösbaren Problemen zu liefern. Insbesondere war es in der Stringtheorie zum ersten Mal möglich, exakte Berechnungen zu den Quanteneigenschaften von Schwarzen Löchern durchzuführen, die nicht im Widerspruch zur Quantenmechanik stehen.

So gelang es 1996 Andy Strominger und Cumrun Vafa, die mikroskopischen »Quantenbausteine« - nämlich die von der Stringtheorie postulierten D-Branen und offenen Strings - so genannter extremer, elektrisch geladener Schwarzer Löcher zu identifizieren. Für einen bestimmten Grenzfall leiteten sie daraus mathematisch her, wie groß eine bestimmte Eigenschaft dieser Schwarzen Löcher ist, nämlich die Entropie. Das Resultat der beiden Physiker stimmt genau mit der berühmten Vorhersage von Jacob Bekenstein und Stephen Hawking überein, der zufolge die Entropie eines Schwarzen Lochs exakt einem Viertel der Oberfläche seines so genannten Ereignishorizonts entspricht.


Was erwarten Stringtheoretiker vom LHC?

Dieses Verhalten ist zudem nicht von der jeweiligen Kompaktifizierung abhängig, sondern universeller Natur. Das heißt: Es gilt für alle Lösungen der Stringtheorie - für diejenige, die unser Universum beschreibt, aber auch für alle anderen. Würde es hingegen nur für bestimmte Arten der Kompaktifizierung gelten, könnte sich erweisen, dass diese in der Natur gar nicht vorkommen - damit wäre das Resultat irrelevant geworden. Ich denke, dass man die Wichtigkeit dieses Ergebnisses durchaus mit jener der Resultate von 't Hooft und Veltman vergleichen kann.

Welche konkreten neuen Ergebnisse erhofft sich die Zunft der Stringtheoretiker in den nächsten Jahren vom LHC? Am spektakulärsten wäre sicherlich der Nachweis von mikroskopischen Schwarzen Löchern, da man durch die Rate ihrer Produktion und die Geschwindigkeit ihres Zerfalls am direktesten Aufschlüsse über die Quantengravitation bekommen könnte. Ebenso bahnbrechend wäre der Nachweis, dass es in der Natur mehr als drei Raumdimensionen gibt.

In den letzten Jahren haben wir uns deshalb zusammen mit einigen Kollegen intensiv Gedanken darüber gemacht, wie man Teilchen, wie sie die Stringtheorie vorhersagt, am LHC nachweisen kann. Die fundamentalen Bausteine der Theorie sind vibrierende eindimensionale Objekte, so genannte Strings oder Fädchen. Jedes Elementarteilchen, das wir kennen, ist in der Theorie letztlich ein String, der auf unterschiedliche Weise zum Schwingen angeregt wurde; Stringtheoretiker sprechen deshalb auch von massereichen Stringanregungen.

Bestimmte Stringanregungen zerfallen auf sehr charakteristische Weise, nämlich in zwei Jets aus Quarks. Quarks sind die Teilchen, die man als Bestandteile von Protonen und Neutronen kennt; in diesem Fall entstehen sie am Zerfallsort einer Stringanregung und werden dann von dort als gebündelter Strom von Teilchen, als Jet, weggeschleudert. Die von der Theorie vorhergesagte Zerfallsrate solcher Stringanregungen ist ebenfalls unabhängig von der betrachteten Kompaktifizierung. Die Massen der Stringanregungen lassen sich jedoch nicht vorhersagen, sondern hängen von einem bestimmten, noch unbekannten Parameter in der Stringtheorie ab, der so genannten Stringlänge.

Bislang sind aber alle Messungen am CERN, die sich direkt auf diese Berechnungen berufen, ohne positiven Befund geblieben: Weder am ATLAS- noch am CMS-Detektor ließ sich eine Stringanregung nachweisen, man konnte lediglich schärfere untere Grenzen für die Massen dieser Teilchen angeben. Es ist zwar noch immer denkbar, dass am LHC der direkte Nachweis von Schwarzen Löchern, Extradimensionen und den dazugehörigen Stringanregungen gelingt, zumal der Beschleuniger künftig bei höheren Energien arbeitet. Es kann aber auch sein, dass sich die Massen dieser Objekte in Bereichen bewegen, die weit jenseits der am LHC zur Verfügung stehenden Energie liegen. Sollten sie gar in der Nähe der Planck-Masse zu suchen sein, müsste die LHC-Energie um den Faktor 1016 gesteigert werden; dann ist der Nachweis entsprechender Teilchen praktisch unmöglich.

Weiterhin denkbar bleibt der zumindest indirekte Nachweis supersymmetrischer Teilchen, auch wenn etwa die B-Mesonen bislang noch keine Hinweise geliefert haben. Denn in die zehndimensionale Stringtheorie ist die Supersymmetrie automatisch eingebaut; die Kompaktifizierung der zusätzlichen Raumdimensionen führt in vielen Fällen wie von selbst zu einem supersymmetrischen Teilchenspektrum.

Fast ebenso wichtig wie experimentelle Hinweise auf die Richtigkeit der Stringtheorie erscheint mir jedoch folgende Feststellung: Der Nachweis des Higgs-Teilchens hat beeindruckend gezeigt, mit welch großem Erfolg theoretische Überlegungen zur mathematischen Widerspruchsfreiheit sowie zur Berechenbarkeit bislang ungelöster physikalischer Probleme den Weg zu einer neuen physikalischen Theorie aufzeigen können. Dies war nicht nur im Standardmodell von zentraler Bedeutung, sondern ist es auch für die Stringtheorie. Als bislang einzige Theorie erlaubt sie sehr konkrete Berechnungen zu grundsätzlichen Problemen der Quantengravitation. Zuletzt belegten dies zum Beispiel Arbeiten von Ashoke Sen und anderen. Die Forscher zeigten darin, dass man die Entropie von Schwarzen Löchern mittels so genannter holografischer Methoden berechnen kann, sogar unter der Einbeziehung von Quantenkorrekturen zum erwähnten Flächengesetz von Bekenstein und Hawking (Details unter anderem in »Das holografische Universum« von Jacob Bekenstein in SdW 11/2003, S. 34). Sollte es also gelingen, im LHC Schwarze Löcher herzustellen, dann ließe sich die Quantengravitation auf diese Weise experimentell überprüfen.

Des Weiteren gelangen in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte bei stringtheoretischen Branen-Modellen. Branen kann man sich als Erweiterung von Strings in mehrere Dimensionen vorstellen (siehe auch »Universen auf der kosmischen Achterbahn«, SdW 2/2008, S. 26). Sie haben uns bei der Vereinigung der Naturkräfte zu einer Quantengravitation vorangebracht, aber auch bei der nachträglichen Herleitung des Standardmodells aus noch fundamentaleren Gesetzen. Die Vielzahl der möglichen Kompaktifizierungen steht zwar auch hier eindeutigen Vorhersagen im Weg; sie deutet sogar auf die Existenz eines Multiversums hin. Dennoch erlauben die Gleichungen konkrete Berechnungen zum Teilchenspektrum, zu den Wechselwirkungen der Teilchen untereinander und zur Stringkosmologie. Ob die daraus resultierenden Vorhersagen »unserem« Universum entsprechen, ist noch offen; prinzipiell lassen sie sich jedoch experimentell überprüfen und sind damit falsifizierbar.

Nicht zuletzt sei erwähnt, dass stringtheoretische Erkenntnisse zum holografischen Prinzip auch sehr erfolgreich bei Berechnungen etwa des Quark-Gluon-Plasmas (der Zustand der Materie kurz nach dem Urknall, siehe »Die Jagd nach dem Quark-Gluon-Plasma«, SdW 5/2011, S. 86), der Hydrodynamik und auf bestimmten Gebieten der Festkörperphysik eingesetzt werden.

Letztlich stellt vermutlich selbst die Stringtheorie, und mit ihr verknüpft die Hypothese über das Multiversum, keine endgültige Theorie, keine universelle Weltformel dar. Wichtig ist jedoch, dass wir mit ihr konkret rechnen und physikalische Probleme bearbeiten können. Die meisten Physiker sind sich ohnehin einig darin, dass jede Theorie über kurz oder lang einer experimentellen Überprüfung bedarf. Bis diese gelingt, brauchen wir aber sicher noch viel Geduld und vermutlich auch viel Zeit; auch dies hat uns die lange, fast 50-jährige Zeitspanne von der theoretischen Entdeckung des Higgs-Teilchens bis zu seinem experimentellen Nachweis gelehrt.

Es sollte sich also niemand allzu sehr wundern, wenn die experimentellen Belege für die Stringtheorie erst in einigen Jahrzehnten gefunden werden. Falls der direkte Nachweis von Effekten der Stringtheorie und der Quantengravitation tatsächlich nur auf der Planck-Skala möglich sein sollte, ist er noch weitaus schwieriger als der Nachweis des Higgs-Teilchens am LHC. Wir können deswegen sehr gespannt in die Zukunft blicken, ob sich eines Tages das Wunder vom CERN wiederholt und wir erneut eine noch fundamentalere Ebene der Wirklichkeit enthüllen.


DER AUTOR
Dieter Lüst erforscht, wie sich Quanten- und Gravitationsphysik mittels Stringtheorie und supersymmetrischen Feldtheorien zusammenführen lassen. Seit 2003 ist er Direktor am Münchner Max-Planck-Institut für Physik, seit 2004 leitet er auch das Arnold-Sommerfeld-Zentrum für theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Lüst erhielt hohe Auszeichnungen. Zuletzt erkannte ihm der Europäische Forschungsrat einen Advanced Investigator Grant zu Erforschung der »Fundamentalen Aspekte von Strings und Gravitation« zu.


QUELLEN
Anchordoqui, L.A. et al.: LHC Phenomenology and Cosmology of String-Inspired Intersecting D-Brane Models.
http://arxiv.org/abs/1206.2537v2, 22. August 2012
Anchordoqui, L.A. et al.: Vacuum Stability of Standard Model++.
http://arxiv.org/abs/1208.2821v2, 23. Januar 2013
Blumenhagen, R. et al.: Four-Dimensional String Compactifications with D-Branes, Orientifolds and Fluxes.
http://arxiv.org/abs/hep-th/0610327v3, 19. April 2007
Lüst, D. et al.: The LHC String Hunter's Companion.
http://arxiv.org/abs/0807.3333v2, 29. Juli 2008


LITERATURTIPP
Lüst, D.: Quantenfische: Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel. C.H.Beck, München 2011
Populärwissenschaftlich und gut verständlich, allerdings noch vor dem Higgs-Fund verfasst


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Diesen Artikel sowie weiterführende Informationen finden Sie im Internet: www.spektrum.de/artikel/1184764

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Unser Online-Dossier zum Thema »Teilchenphysik« finden Sie unter
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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien für den Unterricht zum Thema »Die Stringtheorie in der Schule« kostenfrei herunterladen unter:
www.wissenschaft-schulen.de/stringtheorie


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 54-55:
Die Welt besitzt neun Raumdimensionen, vermuten Stringtheoretiker. Wären die sechs Extradimensionen (angedeutet durch rötlich-weiße Objekte, mehr dazu auf S. 62) nicht so winzig, könnte man sich an jedem Punkt des Raums (hier durch ein zweidimensionales Gitter repräsentiert) in sie hineinbegeben. Solche Ideen halten manche zwar für abwegig. Doch sind derartige mathematische und theoretische Methoden prinzipiell in der Lage, grundlegende Eigenschaften der physikalischen Welt korrekt vorherzusagen, wie der Fund des Higgs-Teilchen belegt.

Abb. S. 56:
Physik-Nobelpreis noch im Jahr 2013? Nicht wenige Forscher erwarten, dass der britische Physiker Peter Higgs einer der Ausgezeichneten sein könnte. Das Foto zeigt ihn in Genf vor dem CMS-Detektor des Teilchenbeschleunigers LHC.

Abb. S. 57:
Die Physik-Nobelpreisträger von 1999, Martinus Veltman (oberes Bild) und sein ehemaliger Student Gerardus 't Hooft (darunter), haben maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des Standardmodells der Teilchenphysik. Erst dank ihrer Erkenntnisse wurden konkrete Berechnungen und experimentell überprüfbare Vorhersagen möglich. Der Higgs-Mechanismus spielte dabei ebenso eine wichtige Rolle wie die so genannte Renormierbarkeit des Modells. Dank dieser lassen sich unendlich große Zahlenwerte auf physikalisch sinnvolle zurückführen.

Abb. S. 58:
Das Grundinventar an Elementarteilchen ist bislang recht übersichtlich: Es besteht aus Leptonen und Quarks, die zu den Fermionen zählen, sowie aus Bosonen. Erstere sind die Teilchen, aus denen die Materie besteht, während letztere Kräfte vermitteln. Hinzugekommen ist nun das Higgs-Boson (H). Es verleiht fast allen Teilchen ihre Masse, nicht aber den Photonen (γ) und Gluonen (g). Der Supersymmetrie zufolge, die eine grundlegende mathematische Beziehung zwischen Fermionen und Bosonen herstellt, existiert zu jedem fundamentalen Teilchen zudem ein so genannter Superpartner (nicht dargestellt).

Abb. S. 59:
Theoretiker erkennen in diesen Diagrammen ein Indiz für die Existenz der Supersymmetrie. Dargestellt ist die Energieabhängigkeit der Kopplungskonstanten, die im Standardmodell als Maß für die Stärke der Fundamentalkräfte dienen. Erwartet wird, dass sich die drei Kräfte bei höheren Energien zu einer einzigen Kraft vereinigen (vergrößerter Ausschnitt). Im Standardmodell ist dies nur ungefähr der Fall (linkes Diagramm). Erweitert man das Modell um die Supersymmetrie, treffen sich die Kurven tatsächlich fast genau in einem Punkt (rechtes Diagramm).

Abb. S. 62:
Was kann man tun, um sich einen sechsdimensionalen Raum anschaulich vorzustellen? Leider gar nichts. Aber auf dieselbe Weise, wie der zweidimensionale Grundriss eines Hauses dessen dreidimensionale Form wenigstens erahnen lässt, gibt dieses Bild einen (sehr) eingeschränkten Blick auf eine Struktur im 6-D-Raum. Doch während ein Grundriss zwei Koordinaten darstellt und nur die dritte, also die Höhe, gewissermaßen unterschlägt, lässt diese Darstellung gleich drei von sechs Koordinaten unter den Tisch fallen.


© 2013 Dieter Lüst, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 4/13 - April 2013, Seite 54 - 63
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2013