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MELDUNG/025: Ethikrat bewegt sich (zwischengeschlecht.org)


zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!

Pressemitteilung vom 21. Juli 2011

Deutscher Ethikrat: "rassistische Operationen an Intersexuellen seit 1934" - Parallelen zu heute "unzulässig" - Privilegien für Täter, Zensur für Opfer


Nach einer Pressemitteilung der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org vom 19.7.2011 zog der Deutsche Ethikrat umgehend seine Behauptung zurück, "jüdische Sexualwissenschaftler" hätten "die erste vollständige Genitaloperation an intersexuell geborenen Menschen" in Deutschland verbrochen.

Stattdessen benannte der Deutsche Ethikrat in einer Stellungnahme nunmehr den bereits in der letzten Pressemitteilung erwähnten deutschen Gynäkologen und Mitarbeiter des u.a. für Zwangssterilisationen zuständigen Rassepolitischen Amtes der NSDAP, Prof. Dr. Hans Christian Naujoks (1892-1959):

"Als gesichert kann hingegen gelten, dass Hans Naujoks seit 1934 rassistisch motivierte medizinische Operationen an intersexuellen Menschen vorgenommen hat." (Ethikrat 19.7.11)

Worin die "rassistische Motivation" des Mediziners Naujoks zur 'Pioniertat' der ersten dokumentierten Genitalamputation an einem "Intersexuellen" in Deutschland konkret begründet sein soll, ließ der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme offen.

Auf den ranghohen Nazi Prof. Dr. Hans Naujoks als ersten offiziell belegten deutschen Zwitter-Genitalabschneider hatte im Ethikrat-Online- "Diskurs" seit längerem eine Betroffene in mehreren Kommentaren hingewiesen, die allerdings - Überrschung! - von der Redaktion in einer Nacht-und-Nebel-Aktion flächendeckend getilgt worden waren.

Der Weblog Zwischengeschlecht.info dokumentiert Ergebnisse dieser Recherchen in einem chronologischen Überblick über die "lückenlose" Karriere des Genitalamputierers Hans Naujoks vor und nach 1945 inkl. Schlaglichtern auf seine Wirkung mittlerweile 50 Jahre über seinen Tod hinaus.


Ethikrat: "Verbindungslinie von NS-Medizinverbrechen an intersexuellen Menschen zur heute gängigen Praxis unzulässig"

Ebenfalls keine konkrete Begründung, geschweige denn historische Belege kann der Deutsche Ethikrat für seine unbeirrbar wiederholte These liefern, die heutigen Genitalverstümmelungen in den Kinderkliniken stünden unmöglich in einem ursächlichen Zusammenhang mit Forschungen und Behandlungsentwicklungen im Rahmen von NS-Medizinverbrechen. Offensichtlich ist es dem Ethikrat Bestätigung genug, dass er dieses Dogma mittels Zensur auf seinem Online-"Diskurs" mühelos durchsetzen kann.

Wie auch die nach wie vor im "Diskurs" online stehenden Bemerkungen der Ethikrat-Redaktion über "jüdische Sexualwissenschaftler" und "erste vollständige Operation dieser Art" belegen, ist es mit der Sattelfestigkeit des Ethikrates in Sachen Geschichte der Genitalverstümmelungen in den heutigen Kinderkliniken alles andere als gut bestellt. Die ungebrochen stark täterlastige Auswahl der "Experten" im "Diskurs" lässt kaum auf Besserung hoffen.

Dass es sich bei dieser selektiven Blindheit des Ethikrates leider kaum um Fahrlässigkeit handelt, verdeutlicht die Tatsache, dass dem Ethikrat in einem Kommentar Nr. 102 am 22.6.2011 vorgeschlagen wurde, als "ausgewiesenen Experten" Prof. Dr. Dr. Michael Hubensdorf beizuziehen. Die vorhersehbare Reaktion des Ethikrates darauf? Richtig, auch dieser Kommentar wurde umgehend gelöscht ...


Macht und Privilegien für die Täter ...

Täter-assoziierte "Experten" dürfen im Ethikrat-"Diskurs" auf allen Ebenen ungerührt und einseitig ihre Sicht der Dinge öffentlich durchdrücken, ohne Rücksicht darauf, ob dies Überlebende der Zwangsbehandlungen verletzt oder nicht. Während gleichzeitig kritischen Betroffenen im Online-"Diskurs" nicht erlaubt wird, ungeschminkt öffentlich über ihre Lebensrealität zu berichten und ihre ureigenen Sichtweisen aufzuzeigen. Während die Betroffenenorganisationen ihre Vertreter für die Ethikrat-Anhörung nicht selbst bestimmen durften, sah es bei den Tätern offenbar anders aus.

Auch mit Transparenz ist es nicht weit her: Erst auf inständiges Drängen von Lucie Veith von Intersexuelle Menschen e.V. erwägt der Ethikrat seit grad mal gestern, die Statements der vom Ethikrat ausgewählten "Experten" möglicherweise auch den Opfern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen - sofern die "Experten" nachträglich ihre Zustimmung geben.

Was für die Betroffenen einen Skandal darstellt und zu Aufschreien führte, ist in den Augen des Leiters der Arbeitsgruppe Intersexualität des Ethikrates Normalbetrieb: "eine ordentlich durchgeführte Recherche [...] Also kein Grund zur Aufregung." (Kommentare 342 und 350 von Michael Wunder, 20.7.2011)

Die ungleiche Verteilung der Spieße wie auch das erdrückende Übergewicht von bestellten "Experten" aus dem Dunstkreis der Täter und Mittäter war von Anfang an von allen Betroffenen durchgehend und immer wieder konkret angesprochen und kritisiert worden. Konkrete Antworten von Seiten des Ethikrates gab es keine, sofern es überhaupt zu Reaktionen außer Zensur kam, beschränken sich diese auf paternalistische bis persönliche Anwürfe.

Eine Anfrage von Michel Reiter (Kommentar 171 vom 4.7.2011), wie und nach welchen Kriterien die Zusammenstellung der geladenen Betroffenen und "Experten" zustande kam, wer alles angefragt wurde und wer nicht, wurde bis heute schlicht ignoriert.

Auch welche Publikationen und Medien in der Literaturrecherche des "Diskurses" berücksichtigt werden und welche nicht, bleibt weiterhin geheim oder allenfalls den "Experten" zugänglich. Fortsetzung folgt ...


... Willkür und Zensur für die Opfer

Der Deutsche Ethikrat streitet in einer Stellungnahme vom 19.7.2011 pauschal ab, dass auf dem Online-"Diskurs" speziell für die verwundbarste Gruppe der Betroffenen von Genitalverstümmelungen im Kleinkindesalter Zensur und Willkür auf der Tagesordnung stehen.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org hält an ihrer Darstellung fest und kann diese auch mit konkreten Beispielen belegen. Eine Auswahl davon ist auf dem Weblog Zwischengeschlecht.info dokumentiert, im Anschluss an die Chronologien zu Karriere und Wirkung des Genitalabschneiders Prof. Dr. Hans Naujoks vor und nach 1945.

Als pauschale Begründung für die Zensur auf dem Online-"Diskurs" unterstellte der Ethikrat in seiner Stellungnahme vom 19.7.2011 den Zensierten mehrfache Erfüllung der Straftatbestände nach § 185 StGB ("Beleidigungen") sowie § 187 StGB ("Verleumdungen").

Konkrete Begründungen für die Stichhaltigkeit seiner Unterstellungen bleibt der Ethikrat bis heute schuldig.

Umgekehrt ist für die Haltlosigkeit der Unterstellungen des Ethikrates längst mehrfach der Tatbeweis erbracht:

Nicht nur standen alle bekannten zensierten Kommentare meist seit Wochen unbehelligt zunächst auf dem Ethikrat-Online-"Diskurs" und sind seither ebenso unbehelligt auf dem Weblog Zwischengeschlecht.info dokumentiert. Ebenso seit Jahren eine Vielzahl durchaus vergleichbarer Kommentare derselben Kommentierenden unter anderem Pseudonym. Sowie seit noch mehr Jahren auf einem immer noch zugänglichen Online-Forum.

Würden die zensierten Äußerungen tatsächlich wie vom Deutschen Ethikrat unterstellt Straftatbestände darstellen, wäre dem wohl anders ...


Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!". Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 21. Juli 2011
Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
E-Mail: presse_at_zwischengeschlecht.info
Internet: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2011