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MELDUNG/062: UN-Sonderberichterstatter verurteilt Inters*x-Genitalverstümmelungen (zwischengeschlecht.org)


zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!
Pressemitteilung vom 7. März 2013

Genf: UN-Sonderberichterstatter verurteilt Inters*x-Genitalverstümmelungen - Zwischengeschlecht.org belegt grausame und unmenschliche Behandlung



Am 05.03.2012 präsentierte die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org in Genf anlässlich einer NGO-Informationsveranstaltung im Beisein des UN-Sonderberichterstatters über Folter eine englischsprachige Dokumentation "Inters*x-Genitalverstümmelungen: Geschichte und gegenwärtige Praxis", und überreichte Sonderberichterstatter Juan Ernesto Méndez persönlich ein Exemplar. Bei einem anschließenden Treffen sicherte Méndez Betroffenenorganisationen seine Unterstützung zu.

INHALT
1. UN-Sonderberichterstatter: Kosmetische Genitaloperationen unmenschlich
2. Zwischengeschlecht.org belegt grausame und unmenschliche Behandlung
3. Inters*x-Verstümmelungen als eigenständige Problematik gezielt bekämpfen


1. UN-Sonderberichterstatter: Warum kosmetische Genitaloperationen an Inters*x-Kindern unmenschlich sind und geahndet werden müssen

Hintergrund des Side-Events war ein bahnbrechender Report des Sonderberichterstatters zum Thema "Folter und unmenschliche Behandlung im Gesundheitswesen" (A/HRC/22/53), den dieser am Vortag dem UN-Menschenrechtsrat während dessen 22. Session offiziell vorgestellt hatte. Dieser verurteilt explizit und deutlich auch kosmetische Genitaloperationen und andere menschenrechtswidrige Zwangsbehandlungen an Inters*x-Kindern.

Sowohl vor dem Menschenrechtsrat wie am Side-Event hielt der Sonderberichterstatter über Folter diese Kritik ausdrücklich aufrecht. Gemäß der UN-Definition von Folter oder unmenschlicher Behandlung sei es keine Voraussetzung, dass kriminelle Absichten vorlägen, Nachlässigkeit sei dazu ausreichend. Sogar wenn der ursprüngliche Behandlungszweck gute Absichten verfolge, komme es letztlich auf die konkreten Auswirkungen an. Informierte Zustimmung durch die direkt Betroffenen sei zentral.

Gerade gegenüber gefährdeten Gruppen habe der Staat laut UN-Antifolterkonvention eine besondere Schutzpflicht und sei bei Verstößen auch zur Ahndung verpflichtet. Die Ratifizierung des Fakultativprotokolls verpflichte zudem zu Prävention sowie zur Behandlung von Individualbeschwerden.

Von Daniela Truffer (Zwischengeschlecht.org) als Direktbetroffene konkret auf die Inters*x-Genitalverstümmelungen angesprochen und insbesondere auf den Missstand, dass wegen Verjährung als Kleinkinder Verstümmelte gar nie die Chance haben, auf juristischem Wege Gerechtigkeit einzufordern, unterstrich UN-Sonderberichterstatter Juan Ernesto Méndez die Notwendigkeit absoluter Verbote, die auch dieses Problem berücksichtigen. Hierzu brauche es entsprechende Gesetzesanpassungen auf nationaler Ebene, sowie das Engagement weiterer regionaler wie auch internationaler Organe zur Verhütung von Folter, namentlich des UN-Unterausschusses zur Prävention (SPT).


2. Zwischengeschlecht.org belegt grausame und unmenschliche Behandlung

Die von Zwischengeschlecht.org vorgestellte Dokumentation "Inters*x Genital Mutilations: History & Current Practice" [1] befasst sich mit medizinisch nicht notwendigen, irreversiblen kosmetischen Genitaloperationen an Kindern mit atypischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen und enthält eine Vielzahl von konkreten Beispielen aus namhaften medizinischen Fachpublikationen, die Mal für Mal eindrücklich die außerordentliche Grausamkeit der an betroffenen Kindern begangenen medizynischen Verbrechen belegen.

Diese zeigen auf, wie kaltherzig viele TäterInnen die schrecklichen Folgen für die Überlebenden rundheraus leugnen. So behaupteten zahlreiche "führende" BehandlerInnen auch aus Deutschland und der Schweiz über Jahrzehnte unbeirrbar, kosmetische Klitorisamputationen (!) hätten für die Betroffenen "nachweislich keinen negativen Einfluss auf das S*xualempfinden". Erst als 1993 in den USA die ersten Proteste Überlebender in die Medien gelangten, änderten die TäterInnen ihre Taktik: Seither behaupten sie einfach alle Jahre stets aufs Neue, dank "verbesserten Operationsmethoden" seien chirurgische Genitalverkleinerungen usw. mittlerweile ganz sicher unschädlich - obwohl Aussagen Überlebender wie auch Studien wieder und wieder das Gegenteil belegen.

Ein eigenes Kapitel der Dokumentation informiert konkret in Wort und Bild über die 3 häufigsten kosmetischen Genitaloperationen an wehrlosen Säuglingen, die heute noch täglich (!!!) in zahllosen Kinderkliniken rund um den Globus praktiziert werden, und was für Folgen diese angeblich "sicheren" und "harmlosen Operationen" für die Betroffenen haben.


3. Inters*x-Genitalverstümmelungen als eigenständige Problematik gezielt bekämpfen

Bei einem persönlichen Treffen mit UN-Sonderberichterstatter Juan Méndez und seinem Stab erläuterten Mitglieder der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org und der US-Lobbygruppe Advocates for Informed Choice (AIC) unsere Anliegen und unterstrichen, dass medizinisch nicht notwendige, irreversible kosmetische Genitaloperationen an Kindern mit atypischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen ein eigenes und einzigartiges Problemfeld mit erheblichen Menschenrechtsverstößen darstellen.

Obwohl Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung verschiedenen Problemfeldern ausgesetzt sind, bilden die nicht eingewilligten Eingriffe an Genitalien und Fortpflanzungsorganen betroffener Kinder klar das dringendste Problem, und unterscheiden sich von den Problemstellungen, mit denen die LGBT-Community konfrontiert ist. Um Inters*x-Genitalverstümmelungen angemessen bekämpfen zu können und mögliche Missverständnisse auszuschließen, ist es deshalb angebracht, dieses spezifische Problem angemessenerweise künftig in einem eigenen Abschnitt anzusprechen, wie dies bereits in einer kommenden WHO-Stellungnahme über erzwungene Sterilisierung vorgesehen ist.

Sonderberichterstatter Méndez räumte ein, dass die kosmetischen Genitaloperationen an betroffenen Kindern auf dem Gebiet der Folterbekämpfung noch Neuland sind und nun nach grundlegenden ersten Schritten eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema erst beginne. Und erklärte seine Bereitschaft, auf Anfrage jederzeit öffentlich Stellung zu beziehen.

Zwischengeschlecht.org dankt dem UN-Sonderberichterstatter über Folter Juan Ernesto Méndez und allen weiteren Beteiligten ganz herzlich für ihr willkommenes Engagement zur Beendigung der andauernden medizinischen Verbrechen an Zwittern und zur Durchsetzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit!

Wir werden unsererseits am Ball bleiben und weiterhin Behörden, regionale und internationale Organe auf die Menschenrechtsverletzungen an Zwittern aufmerksam machen - und nicht zuletzt auch die TäterInnen immer wieder mit dem Unrecht ihres Tuns konfrontieren.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.


[1] Download Dokumentation (PDF, 2.4 MB) - [ TRIGGERWARNUNG!!! ]
http://stop.genitalmutilation.org/public/Zwischengeschlecht_UNHRC_Docu_2013_web.pdf

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Quelle:
Pressemitteilung vom 7. März 2013
Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
E-Mail: presse_at_zwischengeschlecht.info
Internet: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2013