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MELDUNG/076: Hamburg - Inters*x-Tagung der Justizbehörde (zwischengeschlecht.org)


Zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter! - Pressemitteilung vom 8. Juli 2014

Hamburg - Inters*x-Tagung der Justizbehörde



Die Diskrepanz könnte größer kaum sein: Während immer mehr internationale Menschenrechtsgremien Inters*x-Genitalverstümmelungen verurteilen (und Deutschland dafür rügen), hält der Hamburger Senat kosmetische Genitaloperationen an Kindern mit "atypischer" Geschlechtsanatomie für angeblich "nicht rechtswidrig" - und an der morgigen Fachtagung der Justizbehörde u.a. zu Inters*x stehen die in Hamburg laut Senat 2-3 mal wöchentlich praktizierten Genital-OPs gar nicht erst auf der Traktandenliste. Betroffene und ihre Organisationen wollen sich das nicht länger bieten lassen!


UN-Ausschüsse und Europarat kritisieren Untätigkeit gegen IGM

In den letzten 5 Jahren verurteilten u.a. der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (A/HRC/19/41), der UN-Ausschuss gegen Folter (CAT/C/DEU/CO/5), der UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW/C/DEU/CO/6), der UN-Sonderberichterstatter über Folter (A/HRC/22/53), die UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO Interagency Statement on Involuntary Sterilisation) und der Europarat (Resolution 1952/2013) unmissverständlich und umfassend "medizinisch nicht notwendige Genitaloperationen und erzwungene Sterilisierungen an Kindern mit atypischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen".

Aktuell fordert der UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD/C/DEU/Q/1) von Deutschland Daten und Statistiken über "irreversible chirurgische Eingriffe [...] an Inters*x-Kindern" sowie "Zwangssterilisierungen" - und will unmissverständlich wissen: "Beabsichtigt der Vertragsstaat, diese Praxis zu beenden?"


In Hamburg 2-3 kosmetische Genitaloperationen an Kindern PRO WOCHE

Die Hamburgische Bürgerschaft und der Senat wurden schon 2009 eindringlich auf das Unrecht der Inters*x-Genitalverstümmelungen aufmerksam gemacht durch 3 Kleine und 2 Große Schriftliche Anfragen, sowie durch Betroffene und medizinische und juristische Sachverständige anlässlich der Anhörung Nr. 19/10 des Ausschusses für Gesundheit und Verbraucherschutz vom 29.04.2010. Am 16.09.2009 erteilte die Bürgerschaft dem Senat einstimmig den Auftrag, "Gesellschaftliches Bewusstsein [zu] schaffen sowie Betroffene und deren Familien [zu] stärken" (Ds. 19/4095). Und der Rest war Schweigen ...

2013 musste der Senat aufgrund einer erneuten Schriftlichen Kleinen Anfrage (Ds. 20/8650) Auskunft geben, in welchen Hamburger Kinderkliniken wie viele kosmetische Genitaloperationen durchgeführt werden, und was der Senat zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Betroffenen zu unternehmen beabsichtigt sowie zur Aufarbeitung der menschenrechtswidrigen Behandlungen. Die erschreckenden Ergebnisse: In nicht weniger als 5 Hamburger Kinderkliniken werden wöchentlich 2-3 kosmetische Genitaloperationen an Kindern mit Varianten der Geschlechtsanatomie durchgeführt - laut Senat haben diese Kinder aber kein Recht auf körperliche Unversehrtheit, bzw. "Die zuständige Behörde geht davon aus, dass keine rechtswidrigen Eingriffe vorgenommen werden." Auch Anstrengungen zu historischer Aufarbeitung der in Hamburg bis in die 1980er-Jahre besonders vehement propagierten kosmetischen Klitorisamputationen oder zu Hamburgs Rolle als zweitwichtigstes Zentrum zur Durchsetzung der systematischen "Inters*x-Operationen" in Europa gebe es "nach Auskunft der Hamburger Universität keine".

Gleichzeitig weigert sich das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) seit Jahren standhaft, Betroffenen ihre medizinischen Akten zugänglich zu machen - und werden diesbezügliche juristische Begehren ebenso auf die lange Bank geschoben wie Anträge auf Opfer-Entschädigung (OEG).


Betroffene machen mobil!

Auf Mittwoch, den 9. Juli 2014 von 10:00-17:30h lädt die Hamburger Behörde für Justiz und Gleichstellung zu einer Fachtagung im Zentrum für Aus- und Fortbildung der Stadt Hamburg (ZAF) , in der zwar "Inters*xualität" auf dem Programm steht - jedoch ausdrücklich nicht das laut allen Betroffenenorganisationen dringlichste Problem der andauernden Genitalverstümmelungen.

Die internationale Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org wie auch der Bundesverband Inters*xuelle Menschen e.V. haben Mitglieder, die in Hamburger Kinderkliniken uneingewilligt irreversibel genitalverstümmelt wurden. Unter Betroffenen gehen die Emotionen hoch, seit bekannt wurde, dass kosmetische Genitaloperationen an der Fachtagung kein Thema seien, weil es laut Senatsverwaltung in Hamburg angeblich "keine sichtbaren inters*xuellen Menschen [gebe], die medizinische Interventionen und medizinische Eingriffe ohne ihre informierte Einwilligung erlitten haben."

Zwischengeschlecht.org wird zur Tagung eine Dokumentation zu Inters*x-Genitalverstümmelungen in Hamburg publizieren und in der Diskussion auf das andauernde Unrecht in Hamburger Kinderkliniken und Senat hinweisen. Und ruft mit Inters*xuelle Menschen e.V. dazu auf, sich an der Fachtagung und bei der Gleichstellungsbehörde kritisch zu Wort zu melden.

Die internationale Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 8. Juli 2014
Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
E-Mail: presse_at_zwischengeschlecht.info
Internet: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2014