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ARTIKEL/393: Eine von 500 - Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung im Kreis Viersen (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 163 - Heft 01/19, 2019
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Eine von 500
Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung im Kreis Viersen

Von Thomas Seelert


Seit Anfang 2018 werden im Rahmen eines vom Bundesgesundheitsministerium initiierten Modellprojektes bundesweit rund 500 Beratungsangebote der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) gefördert. Unser Autor stellt die EUTB im Kreis Viersen vor.


Grundlagen des Bundesprojektes EUTB

Mit dem Bundesprojekt sollen Menschen mit Behinderung oder von einer Behinderung bedrohte Menschen dabei unterstützt werden, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Im Vorfeld der Inanspruchnahme möglicher konkreter Teilhabeleistungen bedarf es für einen nicht unerheblichen Teil der betroffenen Menschen einer Orientierungshilfe. Eine daraus gebildete eigene Entscheidung kann den Weg zu Angeboten der Rehabilitation und Teilhabe ebnen. Im Idealfall erhält, oder besser erarbeitet sich der Betroffene ein großes Stück Chancengleichheit, indem seine persönlichen Teilhabebarrieren abgebaut und ein höheres Maß gesellschaftlicher und beruflicher Gleichberechtigung ermöglicht werden.

Und so wird für das bundesweite, kostenlose Angebot das »altbekannte« Ziel deutlich erkennbar: Unterstützung zur Selbstbefähigung! Man wünscht sich die EUTB als »Lotse im System« (auch hier kein neuer Begriff), der besonderheitenübergreifend die Selbstbefähigung der betroffenen Menschen stärkt. Neu ist, dass dabei das sogenannte »Peer Counseling« die Grundlage des Kontaktes der EUTBs mit den betroffenen Menschen bildet. Die Basis eines selbstverständlichen Umgangs mit eigener reflektierter Betroffenheit schafft auf verblüffende Weise eine andere vertrauensvolle und menschenzugewandte Basis für Beratung. Die Beratung von Betroffenen für Betroffene und ihre Angehörigen wandelt den oftmals empfundenen »Türsteher« des Systems in einen »Türöffner«.

Auf diese Art soll die EUTB eine Marke für unabhängige (auch aufsuchende) Beratung auf Augenhöhe sein, die das bisherige System nicht infrage stellt, sondern schlicht ergänzt.

EUTB Kreis Viersen - Kooperationspartner und Besetzung

Die EUTB Kreis Viersen ist als trägerübergreifendes Konzept angelegt. Vier Träger des Kreises bringen ihre jeweils vorhandenen Aktivitäten im Teilhabespektrum gebündelt in das seit 2018 geschaffene Bundesprojekt EUTB ein. Jeder Träger ist personell mit 0,5 Vollzeitäquivalenten beteiligt. Zusammen mit der im Kreis etablierten Anlauf- und Koordinationsstelle für Selbsthilfe wird ein breites Spektrum an Wissen, Erfahrung und Vernetzungsmöglichkeiten abgebildet.

Die vier Träger sind der AWO Kreisverband Viersen e.V., die Lebenshilfe Kreis Viersen e.V., LVR-HPH-Netz West (Heilpädagogische Hilfen für Erwachsene mit geistiger Behinderung) und die Psychiatrische Hilfsgemeinschaft Viersen. Der Kooperationspartner für den Bereich Selbsthilfe ist die Beratung Information Selbsthilfe Brüggen e.V.

Das Beraterteam setzt sich trialogisch aus je zwei Profis, Angehörigen und Betroffenen zusammen. Das von ihnen eingebrachte Wissen über Strukturen (Behindertenbeauftragter, Ehrenamt), Selbsthilfe (Peer Counseling, EX-IN) und Sozialarbeit ist vielfältig und deckt ein breites Spektrum zu Themen wie den Formen der Behinderung, Wohnen, Freizeit und Beschäftigung, Pflege und Rehabilitation ab.

Doch so vielseitig eine EUTB auch sein mag, so vielfältig sind die Bedarfe der Betroffenen. Und auch die Erwartungen sind hoch und gehen häufig dahin, in den EUTBs noch besser beraten zu werden als in den bisherigen Anlaufstellen. Dabei sollte die Spezifik der EUTB nicht in einer allumfassenden und allwissenden Auskunftsuniversalität gesehen werden, sondern in der speziellen Expertise der einzelnen Beraterinnen und Berater und der Vernetzung der EUTBs untereinander.

Konzept, Haltung und erste Erfahrungen

Die Beraterinnen und Berater der EUTB Kreis Viersen verstehen sich ausdrücklich als ein Team, arbeiten jedoch dezentral an den unterschiedlichen Standorten der jeweiligen Träger. Die regelmäßigen Besprechungen finden auf dem »neutralen« Boden des Kooperationspartners der Selbsthilfe statt und werden von diesem auch moderiert. Die inklusive und interdisziplinäre Zusammenarbeit war für den Teamaufbau sehr hilfreich. Das Profil der EUTB wurde dabei geschärft und erweitert. Die inhaltliche und fachliche Weisungsbefugnis über die Berater befindet sich nicht bei den Trägern, sondern bei der Fachstelle Teilhabeberatung, die bei der gsub (Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbh) angesiedelt ist und die regionalen Beratungsangebote fachlich und organisatorisch unterstützt. Dies ist wichtig, da das Beraterteam anderenfalls seine Unabhängigkeit in der Beratung nicht glaubhaft vertreten könnte.

Mit diesem Konzept und dieser Grundhaltung will die EUTB Kreis Viersen verschiedene Rollen erfüllen: Als »Plattformgestalter« bietet sie mit ihrer Arbeit Betroffenen Entwicklungsräume für eigene Lebensperspektiven. Im Falle konkreter Leistungen kommt ihr die Rolle des »Lotsen« zu, der in unbekanntem Gebiet die Richtung weisen kann und an einzelnen Wegstationen auch als »Vermittler« der Betroffenenbelange auftritt.

Eine weitere Rolle kommt der EUTB in einem vielleicht unerwarteten Zusammenhang zu. Durch ihr Selbstverständnis und ihre Haltung ist sie ein »Multiplikator« für die Arbeit mit Betroffenen. Die EUTB-Beratenden schaffen eine trialogische Beratungsexpertise, die es in dieser Art und Ausprägung beim jeweiligen Träger noch nicht gibt und daher beispielgebend sein kann.

Vernetzung

Die regional arbeitenden Beratungsstellen können für den einzelnen Betroffenen ein wirksames und hilfreiches Unterstützungsangebot bilden. Doch für die Etablierung einer bundesweiten Struktur bedarf es der Vernetzung. Diese Vernetzung wird von der gsub mit der regional arbeitenden Fachstelle Teilhabeberatung (FTB) und einem bundesweiten Onlineberaterforum als wichtigen Vernetzungsbaustein realisiert.

Die EUTB Kreis Viersen hat sich im Rahmen der Grundqualifikation der FTB mit den (Nachbar-)EUTBs vernetzt. Zudem wurde die Möglichkeit des Kontaktes im Rahmen der LVR-Regionaltagungen des Integrationsamtes, des LVR-Verbändetreffens und des »Arbeitskreises EUTB« des Paritätischen genutzt. Außerdem arbeitet die EUTB Kreis Viersen mit zahlreichen Partnern zusammen, zu denen u.a. das Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben (KSL), der Landschaftsverband Rheinland (LVR), die Rheinische Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (RGSP), die Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrischer Verbünde (BAG GPV) und das Bundesweite Netzwerk für Beratung BNB-MeH (Beratungsstelle für Menschen mit erworbenen Hirnschäden) gehören.

Eine große Herausforderung wird es sein, sich in den zahlreichen Institutionen und Organisationen vor Ort nachhaltig bekannt zu machen. Hier liegen Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit sehr wirkungsvoll beisammen. Schafft die EUTB Kreis Viersen es, die Idee der EUTB gut zu vermitteln, kann sie zu einer bekannten und festen »Größe« werden. Flankiert durch aktive Öffentlichkeitsarbeit auf Tagungen (z.B. RehaCare 2018) und lokalen Veranstaltungen (u.a. Paritätischer Öffentlichkeitstag), versucht die EUTB Kreis Viersen, sich und das Thema bekannter zu machen.

Das erste halbe Jahr der EUTB Kreis Viersen war neben den beginnenden Beratungsgesprächen durch Koordination, Kooperation und Selbstdefinition geprägt. Es gibt selbstredend noch viel Grundlagenarbeit für die neu geschaffene Teilhabeberatung zu erledigen. Die Struktur der EUTB ist aber deutlich erkennbar, und die Haltung des Teams ist gefestigt.


Thomas Seelert, Peer-Counseling-Berater bei der Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft Viersen (PHG) und Mitarbeiter der EUTB Kreis Viersen

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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 163 - Heft 01/19, 2019, Seite 10 - 11
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2019

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