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BERICHT/312: Zielvereinbarungen ebnen Weg zur Barrierefreiheit (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2009

ZUM BEISPIEL RHEINLAND-PFALZ
Zielvereinbarungen ebnen Weg zur Barrierefreiheit

Von Anna Schädler


Das im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz verankerte Instrument der Zielvereinbarungen wurde in den letzten Jahren auf Bundesebene eher skeptisch betrachtet. Anders in Rheinland Pfalz...


Während seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bundesweit bisher nur sehr wenige solcher Zielvereinbarungen abgeschlossen wurden, erfreut sich dieses Instrument in Rheinland-Pfalz bei den Selbsthilfeverbänden mittlerweile großer Beliebtheit. Dort wurden bereits eine Reihe von Zielvereinbarungen für die Schaltung von mehr Barrierefreiheit in den unterschiedlichsten Bereichen abgeschlossen und zeigen mittlerweile gute Erfolg. Anita Schädler, die ehrenamtliche Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter Rheinland Pfalz, hat diese Prozesse intensiv begleitet und berichtet im folgenden über ihre Erfahrungen:

Nicht nur die Fleischwurst war ausgezeichnet als wir im April 2008 den Globus Handelshof in Gensingen besuchten, sondern der gesamte Eindruck des Einkaufsmarktes war sehr ansprechend. Vor allem für behinderte Menschen wird dort, wo die erste Zielvereinbarung im Bundesgebiet am 6. Oktober 2004 abgeschlossen wurde, inzwischen sehr viel getan. Wenn Sie beispielsweise blind sind, können Sie sich vorher telefonisch ankündigen, sich dann am Informationsschalter melden und bekommen dort ganz selbstverständlich eine Begleitung gestellt, die Sie beim Einkauf unterstützt. Preisschilder wurden für sehbehinderte Menschen größer gestaltet und die Bewegungsflächen für gehbehinderte Menschen großzügiger und barrierefrei angelegt. Auch an kleinwüchsige Menschen wurde gedacht, indem das Informationstelefon niedriger gehängt wurde. Bereits am Eingang kann man einen Rollstuhl bzw. einen Scooter ausleihen, so dass gehhehinderten Menschen, die nicht so weit gehen oder so lange stehen können, der Einkauf erleichtert wird und sie diesen mit Spaß genießen können. Dies wird durch ein verstärktes Bewusstsein der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Belange behinderter Menschen des Globus Handelshofes begleitet.

Diese Veränderungen sind natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern konkrete Ergebnisse einer Zielvereinbarung zwischen den Verbänden der Selbsthilfe behinderter Menschen und dem Globus Handelshof in Gensingen, die vom rheinland-pfälzischen Sozialministerium moderiert und durch den ehemaligen Landesbehindertenbeauftragten Dr. Richard Auernheimer begleitet wurden. Damit diese Veränderungen mit der Zeit nicht verblassen und keine Rückschritte eingeleitet werden, findet jedes Jahr eine Begehung statt, zu der der rheinland-pfälzische Landesbehindertenbeauftragte zusammen mit dem Globus Handelshof einlädt. Dabei werden auch Ideen für die Weiterentwicklung der Barrierefreiheit entwickelt und gemeinsam besprochen. Diese positive Entwicklung wäre nicht vollständig ohne die Erwähnung, dass nach Abschluss der Zielvereinbarung auch der Globus Handelshof in Zell Interesse signalisierte, eine ähnliche Zielvereinbarung mit den Verbänden abzuschließen, was gut zwei Jahre nach Abschluss der ersten Zielvereinbarung erfolgte. Dieses Beispiel macht deutlich, dass Zielvereinbarungen nicht nur für behinderte Menschen von Vorteil sind, sondern auch den Unternehmen helfen, sich auf die Kundengruppe der behinderten Menschen einzustellen und sie zu bewerben.

Ortswechsel: Wenn man die Mainzer Sparkasse in der Bahnhofstraße betritt ist auf den ersten Blick vieles wie bei anderen Banken. Beim genauen Hinschauen stellt man allerdings fest, dass einige Geldautomaten für Rullstuhlnutzerinnen und Rollstuhlnutzer unterfahrbar sind. Geldautomaten sind auch in Brailleschrift gekennzeichnet und können mit Kopfhörern via Sprachausgabe genutzt werden. Auch diese Veränderungen sind Ergebnis einer Zielvereinbarung. Mit dem rheinland-pfälzischen Sparkassen- und Giroverband haben die Selbsthilfeorganisationen nämlich auch verhandelt und deutlich gemacht, wo noch Barrieren für eine gleichberechtigte Nutzung der Sparkassen für behinderte Menschen auftreten. Auf dieser Basis wurde wiederum mit Unterstützung des Sozialministeriums und des Landesbehindertenbeauftragten am 17. April 2007 eine Zielvereinbarung mit dem Dachverband abgeschlossen, der mittlerweile eine Reihe von Sparkassen beigetreten sind.

Ein anderes Problem, das sich für die rheinland-pfälzische Selbsthilfe schon seit einigen Jahren stellt und das mit Hilfe einer Zielvereinbarung gelöst wurde, ist der Shuttle-Busverkehr vom Flughafen Frankfurt-Hahn über Mainz zum Frankfurter Flughafen. Dort fahrers zwar Busse, doch diese sind bisher nicht barrierefrei gewesen. Daher nahmen die Selbsthilfeverbände mit den verschiedenen Partnern Zielvereinbarungen auf und erreichten mit dem Abschluss einer Zielvereinbarung am 2. Juli 2007 mittlerweile, dass die BOHR Omnibus GmbH jetzt einen Bus einsetzt, der von sechs Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern genutzt werden kann. Die ORN Omnibusverkehr Rhein-Nahe GmbH hat darüber hinaus im November 2008 einen Reisebus angeschafft, der mit einem Hublift ausgestattet ist und die Mitnahme von Rollstuhlnutzerinnen und -nutzern ermöglicht.

Das Interessante an diesem Prozess war, dass ursprünglich ein hoch kompliziertes Konstrukt als Lösung ausgehandelt wurde, nämlich die Installation von stationären Hubliften am Mainzer Hauptbahnhof, am Flughafen Frankfurt Hahn und am Frankfurter Flughafen. Hierfür sollte eine von den Verbänden eigens gegründete Gesellschaft Bürgerlichen Rechts für den Betrieb geschaffen werden. Die Diskussionen zwischen den Selbsthilfeverbänden und den Busbetreibern haben aber deren Bewusstsein derart positiv geprägt, dass diese mittlerweile Busse mit fahrzeuggebundenen Hubliften angeschafft haben, die nun zum Einsatz kommen. Ein entscheidender Durchbruch für die Selbsthilfebewegung, der hoffentlich such an anderen Orten Schule macht. Denn gerade der Überlandverkehr ist oftmals noch äußerst barrierebehaftet, so dass diese Entwicklung nach Ansicht des Landesbehindertenbeauftragten von Rheinland-Pfalz, Ottmar Miles-Paul, ein Quantensprung darstellt.

Dies sind nur einige Beispiele von positiven Entwicklungen, die in Rheinland-Pfalz mit Hilfe von Zielvereinbarungen erreicht werden konnten. Sicherlich schafft man die Verhandlung und den Abschluss von Zielvereinbarungen nicht mit links und braucht dabei gute Unterstützerinnen und Unterstützer. Zurückblickend kann jedoch gesagt werden, dass sich dieser Aufwand für alle Beteiligten gelohnt hat und es uns dadurch such gelungen ist, einen besseren Zusammenhalt in der Selbsthilfe in Rheinland-Pfalz zu erreichen. Denn auch wir von der Selbsthilfe haben in diesen Verhandlungsprozessen viel dazu gelernt. Es lohnt sich also, sich auf den Weg zu weiteren Zielvereinbarungen zu machen.


Dit Autorin Anna Schädler ist Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter Rheinland-Pfalz.


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Quelle:
Selbsthilfe 1/2009, S. 40-41
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2009