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KULTUR/136: 40 Jahre Künstlerhaus Lydda (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Juni 2010

40 Jahre Künstlerhaus Lydda
Auf Augenhöhe in der "Akademie der Begegnung"

Von Petra Wilkening


Eine Stelle in Bethel, an der die Grenze zwischen Kranken und Gesunden, zwischen Drinnen und Draußen durchlässig wird - so beschrieb Diakon Werner Pöschel die Bedeutung des Künstlerhauses Lydda. Als dort unter seiner Leitung im Dezember 1969 die erste Ausstellung gezeigt wurde, waren auch viele Bielefelder unter den Gästen. Seit Ende vergangenen Jahres feiert das Betheler Künstlerhaus mit zahlreichen Aktivitäten sein 40-jähriges Bestehen. Dazu gehört auch die Teilnahme an der aktuellen Werkschau von Künstlerinnen und Künstlern mit Autismus in der documenta-Halle in Kassel.


In Lydda gehe es um mehr als um "Kunst um der Kunst willen", schrieb eine Zeitung 1976; hier sei die Kunst Teil einer Therapie, Teil der Hilfe für die Schwachen. "Genau darum geht und ging es aber nie", betont Jürgen Heinrich, seit 2007 Leiter des Künstlerhauses Lydda. Wie seine Vorgänger Werner Pöschel und Willi Kemper hat auch er den Fokus auf die Kunst und nicht auf die Kunsttherapie gesetzt. "Bei uns steht nicht das Krankheitsbild eines Künstlers im Vordergrund, sondern sein Werk!"


Buntes Gemisch

Rund 200 Künstlerinnen und Künstler sind im Haus Lydda und in den Ateliers in der Handwerkerstraße und im Grete-Reich-Weg in Bielefeld-Bethel aktiv. Die Hälfte von ihnen lebt in Bethel und Eckardtsheim, die anderen kommen von außerhalb. "Menschen unterschiedlichster Couleur und Behinderung treffen hier zusammen, und alle arbeiten auf Augenhöhe. Jeder lernt vom anderen", erläutert Jürgen Heinrich seine Idee von Lydda als "Akademie der Begegnung". Eines haben sie alle gemeinsam: Sie wollen schöpferisch tätig sein.


Freiheit der Kunst

"Als Künstler setzt man sich mit dem Ich im Bezug zur Welt auseinander, Impulse von innen und außen werden bildnerisch verarbeitet", so der Leiter des Betheler Künstlerhauses. In Lydda könne man die Maske abnehmen, dort dürfe man sich frei äußern. "Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Ziel. Die Kunst darf nicht zweckgerichtet sein!", betont Jürgen Heinrich. Ihre Ehrlichkeit schätzt er an den Lydda-Künstlern besonders. "Sie malen, weil sie es müssen, weil es ihnen ein Bedürfnis ist, sich mit den existenziellen Fragen des Menschseins zu beschäftigen, und nicht, weil sie mit ihren Werken prominent werden wollen. Das Absichtslose spricht mich an, das genieße ich!"

Jürgen Heinrich kann verstehen, wenn Künstler ihr Schaffen als schwere Arbeit empfinden: "Man kommt mit Innenräumen in Kontakt, die man sonst nicht nach außen trägt, man weckt Verborgenes, setzt sich mit eigenen Ängsten auseinander ... Vollblutkünstler denken nur an die Kunst und malen den ganzen Tag." Diese intensive Beschäftigung bedeutet Mühe und Anstrengung, und auch wenn es im Künstlerhaus Lydda nicht um gezielte Therapie geht, kann diese Arbeit doch als Nebeneffekt eine heilende Wirkung im Sinne einer Selbsttherapie haben.


Standort des Kreativen

Das Haus Lydda im Maraweg in Bielefeld-Bethel gibt es seit 1905. Es wurde als Kindergarten, im Ersten Weltkrieg als Lazarett und später als Pflegehaus für anfallskranke Frauen genutzt. Mitte der 1960er-Jahre verhinderte das Ehepaar Pöschel seinen Abriss und zog dort ein. Unter der Leitung von Werner Pöschel, als "Petit Frère" in der Kunstszene weit über die Grenzen Bielefelds hinaus bekannt, entwickelte sich Lydda zu einem Standort der kreativen Künste. Der Nazareth-Diakon spürte in der Betheler Bewohnerschaft künstlerisch interessierte Menschen auf und eröffnete ihnen in Lydda die Möglichkeit, unter seiner Anleitung und im Kreise Gleichgesinnter aktiv zu werden.


Offen für alle

Als Werner Pöschel 1992 in den Ruhestand ging, folgte ihm Willi Kemper nach. Der freischaffende Künstler und Lehrbeauftragte für bildnerische Darstellung und Gestaltung in Dortmund förderte in Bethel nicht nur die offenkundigen Talente, sondern öffnete das Künstlerhaus Lydda für alle Bewohner. Unter seiner Leitung entstanden neue Angebote wie die Sommerakademie oder die offenen Ateliers. In vielen Einzelausstellungen stellte er die Künstler in der Lydda-Galerie vor und rückte sie so in das Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Seit Willi Kemper vor drei Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde, leitet der bildende Künstler und Diplom-Kunsttherapeut Jürgen Heinrich das Künstlerhaus. Sein Anliegen ist es, nicht nur die Betheler Künstler in die Öffentlichkeit zu bringen, sondern umgekehrt auch "externe" Künstler nach Bethel zu holen - und so eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu ermöglichen. "Für die Kunst ist es wichtig, dass sie einen utopischen Charakter hat. Lydda muss Avantgarde sein, muss vordenken. So erklärt es sich, dass Inklusion hier bereits umgesetzt wird, während sie sich in anderen Bereichen noch entwickeln muss", sagt Jürgen Heinrich. Ihm ist es wichtig, dass zu jeder Lydda-Ausstellung in Bethel auch ein Gastkünstler von außerhalb eingeladen wird. Umgekehrt ist das Künstlerhaus bei unterschiedlichsten Gelegenheiten außerhalb Bethels vertreten.


Guter Ruf europaweit

Lydda trägt mit kreativen Angeboten zum Gelingen von Veranstaltungen wie dem Kirchentag oder dem Protesttag behinderter Menschen bei; vor allem aber bereichert das Schaffen seiner Zeichner, Maler und Bildhauer die Kunst. Schöpferisch Tätige wie die bereits verstorbenen Künstler Horst Hallensleben oder Rolf Neuhaus sind in der deutschen und europäischen Kunstszene anerkannt; Wolfgang Marx' Arbeiten sind neben denen von Joseph Beuys und Marcel Duchamp im Art & Marges Museum in Brüssel zu sehen; Konrad H. Giebeler stellt zurzeit in der renommierten documenta-Halle in Kassel aus. Und sogar bis nach Japan hat sich der gute Ruf des Künstlerhauses herumgesprochen. Auch dort waren bereits in verschiedenen Städten Arbeiten aus Lydda zu sehen.


Lydda im Jubiläumsjahr

bis 1. Oktober
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel
Ausstellung "Farben des Augenblicks" - Aquarelle von Arnhild Köpcke und Melinda Berecz

18. Juni, 19 Uhr
Künstlerhaus Lydda in Bielefeld-Bethel
Eröffnung der Ausstellung "Gedankenstriche" - Zeichnungen und Skulpturen von Lydda-Künstlern

27. Juni, 11.15 Uhr
Eckardtskirche in Bielefeld-Eckardtsheim
Eröffnung einer Ausstellung mit Arbeiten von Eva Maria Born und Klaus Dieter Ennen


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Quelle:
DER RING, Juni 2010, S. 12-13
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2010