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MELDUNG/148: Inklusion - Mein Menschenrecht (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2010

WELTTAG DER MENSCHEN MIT BEHINDERUNG

Inklusion - Mein Menschenrecht


Wie in jedem Jahr führte der Deutsche Behindertenrat (DBR) am 3. Dezember 2010, dem Welttag der Menschen mit Behinderungen, eine große Festveranstaltung in Berlin durch. Ziel der Veranstaltung war es, den Anliegen und Forderungen von Menschen mit Behinderungen eine deutlich vernehmbare Stimme zu geben und ein lebendiges Forum für Diskussionen zu bieten.


Im März 2009, also vor fast zwei Jahren, trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft. Politisch wurde die Konvention einmütig begrüßt. Doch wie sieht es mit ihrer Umsetzung aus? Welche Schritte wurden schon gegangen? Wo stockt die Umsetzung? Diesen und weiteren Fragen ging die Veranstaltung "Inklusion - Mein Menschenrecht" des DBR nach.

Im Fokus stand zum einen der Nationale Aktionsplan. Mit ihm möchte die Bundesregierung die UN-Konvention in Deutschland umsetzen. Auf der DBR-Veranstaltung wurden die konkreten Planungen der Bundesregierung vorgestellt und mit Politik, Verbänden und Betroffenen diskutiert.

Der zweite Schwerpunkt der Veranstaltung lag auf der inklusiven Bildung. Denn beim gemeinsamen Lernen behinderter und nicht behinderter Kinder ist der Handlungsbedarf besonders groß. In keinem Land Europas werden so viele Kinder mit Behinderungen auf Sonderschulen verwiesen wie in Deutschland.


Inklusive Bildung ist für alle Schüler vorteilhaft

Zu Beginn referierte Theresia Degener über das Menschenrecht auf inklusive Bildung und seine Umsetzung in Deutschland. Die Professorin wurde im Herbst 2010 bei den Vereinten Nationen in New York als Mitglied in den Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gewählt. Sie hat den Entstehungsprozess der UN-Konvention viele Jahre mitgestaltet. "Ich bin erstaunt, wie schnell die UN-Konvention weltweit und auch in Deutschland bekannt wurde", sagte Degener. Doch bei der Erarbeitung der Behindertenrechtskonvention habe es auch Auseinandersetzungen über die inklusive Bildung gegeben, z.B. über die Frage: Soll es einen Artikel zum Recht auf Sonderbeschulung geben? "Diese Diskussionen haben aber vor allem zu einem Ergebnis geführt, nämlich dass es ein Recht auf inklusive und diskriminierungsfreie Bildung gibt", so Degener. Um dieses Ziel zu erreichen, sei vor allem eine schrittweise Auflösung des Sonderschulsystems bei gleichzeitiger Veränderung des Regelschulsystems erforderlich.

Im Anschluss berichteten Betroffene und ihre Angehörigen von Mut machenden und ernüchternden Erfahrungen mit der inklusiven Bildung in Kindergarten, Schule, Studium und beruflicher Bildung.

"Jetzt starten - inklusive Bildung in Bund, Ländern und Gemeinden" - darüber diskutierten politische Vertreter aus Bund, Ländern, Kommunen und Verbänden. Hubert Hüppe, der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, erklärte: "Ich bin davon überzeugt, dass die inklusive Bildung für alle Schüler - und nicht nur für Schüler mit Behinderungen - von großem Vorteil ist." Jeder habe ein Recht darauf, dass sein behindertes Kind mit nichtbehinderten Kindern zur Schule gehen könne. Über das Thema Förderschulen wurde äußerst kontrovers diskutiert. Während sich Erich Weigl, Ministerialrat des Bayerischen Kultusministeriums, für eine Beibehaltung der Förderschulen aussprach, erklärte Dr. Valentin Aichele, Leiter der Monitoringstelle, Deutsches Institut für Menschenrechte: Der Auftrag sei es, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen, bzw. das bestehende Förderschulsystem zu überwinden. "Es geht um einen Lernort, wo sich die Vielfalt der Schüler wiederfindet", so Aichele.


Anspruch und Realität bei der Umsetzung der UN-Konvention

Am Nachmittag ging es weiter mit dem Themenschwerpunkt "Nationaler Aktionsplan" zur UN-Behindertenrechtskonvention. Vertreter des DBR sprachen über die Erwartungen der Verbände an die Bundesregierung. Adolf Bauer, Vorsitzender des Sprecherrates des DBR und Präsident des Sozialverbandes Deutschland e.V. (SoVD) erklärte, er erwarte ein klares politisches Bekenntnis zur inklusiven Bildung: "Inklusive Bildung muss bei allen politischen Entscheidungen mitgedacht, im Schulrecht verankert und in die Schulpraxis aufgenommen werden." Bauer stellte zudem zehn Schwerpunktforderungen des DBR zur Behindertenpolitik vor. Dazu gehören unter anderem Barrierefreiheit, Stärkung der sozialen Teilhabe sowie eine Arbeitsmarktpolitik, die Menschen mit Behinderungen eine qualifizierte Beschäftigung ermöglicht. Hannelore Loskill, Mitglied des DBR-Sprecherrates und stellvertretende Bundesvorsitzende der BAG SELBSTHILFE, sprach über Anspruch und Realität der UN-Konvention im Bereich Gesundheit: "Die Wirklichkeit sieht so aus, dass behinderte Menschen das, was ihnen die Konvention verspricht, nämlich den uneingeschränkten Zugang zu Gesundheitsleistungen, verwehrt wird." Sie hoffe sehr, dass die Wünsche von Menschen mit Behinderungen im Aktionsplan auch zum Tragen kämen, so Loskill.


Der Aktionsplan muss zügig auf den Weg gebracht werden

Es folgte eine Vorstellung des Nationalen Aktionsplanes von Gitta Lampersbach, Leiterin der Abteilung Belange behinderter Menschen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Es gehe bei der Konvention darum, gleiche Rechte für Menschen mit Behinderung durchzusetzen, erklärte Lampersbach. Die Inhalte der UN-Konvention wurden an den Lebensbereichen von Menschen mit Behinderung ausgerichtet und umfassen u.a. die Bereiche Gesundheit, Arbeit und Bildung. "Dabei müssen wir sehen, was machbar ist", räumte Lampersbach ein. Über die Chancen und Herausforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention diskutierten anschließend die Mitglieder der Bundestagsfraktionen sowie Dr. Sigrid Arnade, Mitglied des DBR-Sprecherrates und Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL).

Am Ende der Veranstaltung gab der Vorsitzende des DBR-Sprecherrates, Adolf Bauer, eine Zusammenfassung und einen Ausblick auf die Umsetzung der UN-Konvention. "Die engagierten Debatten ließen erkennen, wie groß die Erwartungshaltung an die Politik ist. Sie haben auch gezeigt, dass der Aktionsplan zügig auf den Weg gebracht werden muss", so Bauer. Es sei deutlich geworden, dass die Politik von Machbarkeit spreche. Doch der Zeitfaktor spiele eine große Rolle: "Wir können diese Konvention nicht in die Zukunft projizieren. Wir brauchen sie heute und zwar so, dass ein Optimum dabei herauskommt. Die Kosten-Debatte darf dabei keine Rolle spielen." Abschließend appellierte Bauer: "Die Konvention muss noch stärker in das Bewusstsein der Menschen gerückt werden, die Belange behinderter Menschen werden viel zu oft vergessen".


Deutsche Behindertenrat

Im Deutschen Behindertenrat sind alle großen Organisationen behinderter und chronisch kranker Menschen und ihrer Angehörigen zusammengeschlossen. Der DBR-Sprecherrat wechselt turnusmäßig jedes Jahr zu einem anderen Mitgliedsverband. Im Jahr 2011 geht das Sekretariat des DBR an Weibernetz e.V. Adolf Bauer, der Präsident des SoVD, übergab auf der Veranstaltung den Staffelstab an Barbara Vieweg von Weibernetz e.V., die somit 2011 neue Sprecherratsvorsitzende des DBR wird.


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Quelle:
Selbsthilfe 4/2010, S. 12-13
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2011