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POLITIK/507: Verunglimpfung der Altenhilfe muss aufhören (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - April 2011

NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens in Bethel
Verunglimpfung der Altenhilfe muss aufhören

Von Petra Wilkening


"Pflegen kann doch jeder!" Gegen diese Abwertung des Pflegeberufs, auch aus der Politik, verwahrt sich Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens entschieden. Professionelle Pflege erfordert gut ausgebildete Fachkräfte; allein in NRW fehlen 3000. Damit die Träger von Pflegeeinrichtungen mehr Ausbildungsplätze bereitstellen, führt die Landesregierung in diesem Jahr die Umlagefinanzierung wieder ein. Die gute Nachricht überbrachte die Ministerin im März bei ihrem Besuch in Bethel. Im Pflegezentrum Lohmannshof in Bielefeld traf sie sich mit Leitungskräften der Altenhilfe.


Bis 2003 zahlte jeder Träger für die Ausbildung des Nachwuchses eine Umlage, die sich nach der Anzahl seiner examinierten Fachkräfte richtete. Seither muss, wer Ausbildungsplätze anbietet, alleine für die Kosten aufkommen. Engagierte Träger werden bestraft: Um den Mehraufwand für die Nachwuchsausbildung zu finanzieren, müssen sie ihren Pflegesatz erhöhen und werden so weniger konkurrenzfähig. "Die privaten Träger bilden nicht selbst aus und warten einfach auf unsere Absolventen", kritisiert Bethels stellvertretender Vorstandsvorsitzender Pastor Bernward Wolf.

Der massive Mangel an Pflegekräften in NRW macht sich auch in der Betheler Altenhilfe deutlich bemerkbar: Von den 44 ausgeschriebenen Stellen im vergangenen Jahr konnte nur die Hälfte mit einer Fachkraft besetzt werden. Wenig förderlich für die Nachwuchsgewinnung ist das Image des Altenpflege-Berufs. Vereinzelte Skandale führen zur Verunglimpfung des gesamten Berufsstandes. "Skandale gibt es, und sie dürfen nicht totgeschwiegen werden. Es kommt aber zu Pauschalisierungen, und das trifft die Mitarbeiter", machte Altenhilfe-Geschäftsführer Ulrich Strüber in dem Fachaustausch deutlich.

Klare Worte fand auch Petra Knirsch, Bethels "dienstälteste" Einrichtungsleiterin in der Altenhilfe. "Die finanziellen Rahmenbedingungen werden enger, Personal und Gehälter reduziert, mit weniger Kräften müssen immer pflegebedürftigere Menschen versorgt werden, und zugleich heißt es in der öffentlichen Meinung: Die Heime zocken die Leute ab, die Menschen werden totgepflegt, es muss stärker kontrolliert werden." Die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen wollten für wenig Geld eine Spitzenqualität - und die Leitungskräfte müssten es schaffen, den hohen Anforderungen zu genügen und dabei in dem vorgegebenen Kostenrahmen zu bleiben. "Zugleich begegnen uns Öffentlichkeit und Kostenträger mit Misstrauen, und wir befinden uns in einer ständigen Verteidigungsposition. Das macht mürbe!", so Petra Knirsch. Auch Ministerin Steffens ärgert sich über die Berichterstattung in den Medien und will sich für ein besseres Image der Altenhilfe einsetzen. "Dinge laufen überall schief, es gibt kein stärkeres Maß an Böswilligkeit in der Altenhilfe als anderswo, und wir wehren uns als Ministerium dagegen, dass es für Pflegeeinrichtungen Sonderregelungen der Überwachung geben soll."

Menschen kommen heute erst in Altenheime, wenn sie sehr schwer pflegebedürftig sind. "Die Hälfte derjenigen, die wir neu aufnehmen, stirbt im ersten Halbjahr", berichtete Ulrich Strüber. Die Pflegeeinrichtungen werden hospizähnlicher, sie haben immer mehr mit Sterbebegleitung zu tun. Umso wichtiger ist eine professionelle Altenpflege. Barbara Steffens sprach sich für eine Akademisierung des Pflegeberufs aus, hierzu gebe es bereits Modellprojekte. Sie verteidigte aber auch die Absenkung der Eingangsvoraussetzungen für die Altenpflege-Ausbildung auf Hauptschulniveau. Eine gute Pflege hänge nicht nur von der Schulausbildung ab, sondern auch von der Empathie, die jemand für den Beruf mitbringe, so die Ministerin. Für das Berufsbild sei es nicht gut, wenn Hauptschüler mit schlechten Noten, die anderswo nicht untergekommen seien, sich dann sagten: "Ich kann es ja noch in der Altenhilfe versuchen!", merkte dagegen Petra Knirsch kritisch an. In fast allen europäischen Ländern sei eine zwölfjährige Schulausbildung Voraussetzung für die Ausbildung in der Altenpflege, gab Maria Mevenkamp, Qualitätsbeauftragte in der Betheler Altenhilfe, zu bedenken. Da es im Moment keine Bereitschaft gebe, die Voraussetzungen zu ändern, sei eine besondere Förderung dieser jungen Menschen notwendig, betonte die NRW-Ministerin.


Öffnung ins Quartier

Die Zukunft der Altenhilfe sieht Barbara Steffens in einem breit gefächerten Angebot. "Das Selbstbestimmungsrecht muss gelten, deswegen werden wir weder das eine noch das andere allein haben", bestätigte sie die Sicht der Betheler Fachleute, dass ein Mix aus ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen notwendig sei. Großeinrichtungen, die nicht in Wohngruppen organisiert seien und sich nicht ins Quartier öffneten, hätten keine Zukunft mehr. Als offene Zentren im jeweiligen Wohnquartier, auch als künftige Pflegestützpunkte seien stationäre Einrichtungen dagegen unverzichtbar. Im Pflegezentrum Lohmannshof fand sie ein gelungenes Beispiel für die Umsetzung ihrer Forderungen. Die Einrichtung mit 76 Plätzen in 7 Wohngruppen ist - wie andere Betheler Pflege- und Altenheime - in das Wohnquartier gut eingebunden. Von der Kooperation mit dem benachbarten Kindergarten, dem ehrenamtlich organisierten Café, dem Nachbarschaftsfrühstück oder der Sozial- und Pflegeberatung im Haus zeigte sich Barbara Steffens beeindruckt. Neben solchen Einrichtungen müsse es aber mehr teilstationäre und ambulante Angebote für alte Menschen geben. Ostwestfalen sei da schon sehr weit, im Ruhrgebiet gebe es dieses Hilfespektrum noch nicht.

Die Öffnung ins Quartier stellt hohe Anforderungen an die Träger und die Mitarbeitenden. Darauf wies Jochen Blanke, Leiter des Lohmannshofs, hin. "Die Netzwerk-Arbeit muss nebenbei laufen, und die zusätzlichen Kosten werden zurzeit noch aus Spendenmitteln finanziert." Auch Susanne Langemeier, Leiterin des neuen Betheler Seniorenzentrums in Dissen, sprach die mangelnde Unterstützung für die Einrichtungen an, die sich ins Quartier öffnen wollen. "Altenheime müssen finanziell und personell so ausgestattet werden, dass sie die Netzwerk-Arbeit leisten können. Zurzeit sind alle Kräfte mit der primären Pflege ausgelastet." Ministerin Steffens will für die Quartiersarbeit in der Altenpflege die Kommunen mit ins Boot nehmen. "Sie profitieren davon, wenn ihre Bürger gut versorgt sind."


Vorschläge erwünscht

Noch offene Baustellen sind auch die Überprüfung des Wohn- und Teilhabegesetzes (WIG), dessen Geltungsbereich immer noch nicht geklärt ist, sowie eine Bearbeitung des Pflegebegriffs, der sich auf die körperliche Versorgung beschränkt. Barbara Steffens verabredete mit den Betheler Fachleuten, dass diese ihrem Ministerium zur Überarbeitung des WTG Vorschläge machen. "Es ist uns wichtig, diejenigen, die in der Praxis arbeiten, einzubeziehen." In Bethel stieß dieses Anliegen auf offene Ohren.


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Quelle:
DER RING, April 2011, S. 8-9
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2011