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POLITIK/513: Reform der Pflegeversicherung - Ein steiler Weg mit guten Aussicht (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 2/2011

Reform der Pflegeversicherung - Ein steiler Weg mit guten Aussicht

KLARTEXT VON DR. MARTIN DANNER


Die Bundesregierung hat das Jahr 2011 als "Jahr der Pflege" ausgerufen. Dies ist durchaus begrüßenswert, da Begriffe wie "Pflegenotstand" und "Finanzierungskollaps der Pflegeversicherung" seit Jahren die Runde machen. Politischer Handlungsbedarf könnte nicht deutlicher formuliert werden.


Auch die BAG SELBSTHILFE hat seit langem eine Vielzahl von Forderungen zur Reform der Pflegeversicherung an die Politik herangetragen. Allem voran steht die Forderung nach einer Überwindung des sogenannten verrichtungsbezogenen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Es liegt nämlich auf der Hand, dass man den Pflegebedarf eines Menschen nicht adäquat erfassen kann, wenn man im Rahmen der Pflegebegutachtung mit der Stoppuhr lediglich den Zeitaufwand für einzelne körperliche Verrichtungen erhebt.

Bereits im Rahmen der letzten Legislaturperiode hatte der Beirat für die Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Bundesministerium für Gesundheit unter Beteiligung der BAG SELBSTHILFE einen weitreichenden Vorschlag erarbeitet.

Dieser Vorschlag ermöglicht es, die Bedarfe von Menschen mit Demenzerkrankungen und mit psychischen Erkrankungen besser zu erfassen und löst den Begriff der Pflegebedürftigkeit vom Verrichtungsbezug.

Um aber zu verhindern, dass es bei einer Ausweitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu Gewinnern und Verlierern unter den Menschen mit Pflegebedarf kommt, müsste die Pflegeversicherung mit einer besseren Finanzierungsgrundlage ausgestattet werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass insbesondere Menschen mit Körperbehinderung bei Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs schlechter gestellt werden als bisher.

Diese Schwierigkeit war wohl eine der Ursachen für das Schicksal des Abschlussberichts zur Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs: Er verschwand in den Schubladen des Ministeriums.

Immerhin, im Rahmen der Veranstaltungen des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler, zum sogenannten Pflegedialog, ließ der Minister jüngst verlautbaren, dass er mit dem Vorsitzenden des Beirats bereits gesprochen habe. Man werde die Vorschläge des Beirats durchaus aufgreifen.

So sehr man sich über diese Botschaft freuen darf - erst recht, wenn man wie ich mehr als ein Dutzend Sitzungstage im Beirat zugebracht hat -, so dringend stellt sich nach wie vor die Frage der Finanzierung.

Im Raum steht nämlich nach wie vor die Idee, die Pflegeversicherung über eine Kapitaldeckung zu finanzieren. Soweit dort der individuelle Aufbau eines Kapitalstocks durch die Versicherten gemeint ist, führt diese Idee sehr schnell in die Irre: Während man bei der altersbedingten Pflegebedürftigkeit vielleicht noch die Überlegung nachvollziehen kann, dass man ein Leben lang Mittel anspart, um die eigene Pflege später zu finanzieren, kann dies bei Menschen mit Behinderungen gar nicht funktionieren: Wer unter Umständen schon von Geburt an pflegebedürftig ist, der kann gar nichts ansparen, mit dem dann die Pflege finanziert werden kann.

Aber auch der Aufbau eines kollektiven Kapitalstocks durch die jetzige Versichertengeneration muss angesichts der Erfahrungen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise als wenig zuverlässige Methode zur Sicherung der künftigen Finanzierung der Pflegeversicherung angesehen werden.

Letztlich bleibt nur die Erkenntnis, dass eine älter werdende Gesellschaft einen immer größeren Anteil ihres Wohlstands darauf verwenden muss, Pflegekosten abzudecken. An dieser Wahrheit wird keines der aktuell diskutieren Finanzierungsmodelle für die Pflege vorbeikommen.

Als Ausweg aus dem geschilderten Dilemma wird freilich immer häufiger das Ehrenamt gesehen: Eine der Hauptbotschaften des Pflegedialogs, aber auch zahlloser Veranstaltungen zum Thema Pflege ist es, dass die pflegenden Angehörigen eine immer wichtigere Rolle spielen werden.

Diese Erkenntnis hat gewiss ein Gutes: Die Rolle der Selbsthilfe soll nach dem Willen der Bundesregierung gerade im Bereich der Pflege künftig gestärkt werden. Es wird insbesondere erwogen, im SGB XI eine Vorschrift zur Förderung der Selbsthilfe nach dem Modell des § 20c SGB V aufzunehmen. Dies kann nur mit Nachdruck begrüßt werden.

Andererseits wird darauf zu achten sein, dass gerade pflegende Angehörige in ihrer schwierigen Situation nicht überfordert werden. Auch die Selbsthilfe kann nicht zum Ausputzer für Pflegenotstände aller Art werden.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es daher wichtig, Überforderungstendenzen auch und gerade in der Selbsthilfe entgegen zu wirken.

Ein entsprechendes Projekt werden wir in Kürze gemeinsam mit einigen Mitgliedsverbänden auf den Weg bringen.

Insgesamt liegt sicherlich noch ein steiniger Weg vor uns, um die Pflege in Deutschland zukunftsfähig zu gestalten.

DER AUTOR
Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.


*


Quelle:
Selbsthilfe 2/2011, S. 10-11
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2011