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POLITIK/524: Selbsthilfe - Viel Lob von der Politik, aber keine verlässliche Förderung (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2013

Viel Lob für die Selbsthilfe von der Politik, aber keine verlässliche Förderung

Klartext von Dr. Martin Danner



Die Beratungs- und Unterstützungsangebote der Selbsthilfe haben in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Mehr und mehr ist auch der Gesetzgeber dazu übergegangen, die Kompetenz und Erfahrung der Menschen, die in der Gesundheitsselbsthilfe engagiert sind, zu nutzen. Über die Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen bringt sich die Selbsthilfe in immer größerem Umfang bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens ein. Diese gestiegene Bedeutung findet aber bei der Förderung durch den Bund keinen Niederschlag. Bis auf das Bundesministerium für Gesundheit gibt es nirgends einen Fördertitel für die Selbsthilfe, und auch im Gesundheitsressort ist der Fördertitel extrem knapp bemessen.


Gefährliche Gedankenspiele Berlin

Diese ohnehin schon problematische Situation wurde Anfang des Jahres weiter erschüttert:

Aus heiterem Himmel verlautbarte das Gesundheitsministerium, dass der Fördertitel kurzerhand um 20% gekürzt werde. Da man sich auf eine Projektförderung eingelassen habe, müsse man nun selbst sehen, wie man mit dem Mittelausfall zurechtkomme.

Eine solche Kürzung würde aber nicht nur zu erheblichen Einschränkungen bei den über das Ministerium bislang geförderten Aktivitäten der Selbsthilfe führen. Einige der Mitgliedsverbände der BAG SELBSTHILFE, aber auch die BAG SELBSTHILFE selbst, würden durch dieses Kürzungsvorhaben im Kern ihrer Arbeit gefährdet. In einer solchen Krisensituation gibt es nur eins: Das gemeinsame Eintreten aller Selbsthilfeverbände für unsere Belange.


Resolution der Selbsthilfe

Im Rahmen der Veranstaltung "Förderung der Selbsthilfe - Was muss die Selbsthilfe einfordern?" am 15.02.2013 wurden mit großer Übereinstimmung von den teilnehmenden Vertreterinnen und Vertretern der Selbsthilfeorganisationen die Kürzungsbestrebungen des Bundesministeriums kritisiert und scharf abgelehnt.

Die anliegende Resolution wurde abgestimmt und es wurde einmütig beschlossen, die Resolution an den Bundesminister für Gesundheit, den Patientenbeauftragten, den Behindertenbeauftragten sowie an politische Einflussträger zu senden, um diese Kürzungen zu verhindern.


Selbsthilfeorganisationen soIidarisieren sich
deutschlandweit

Es war ein beeindruckendes Signal der Solidarität, dass diese Resolution in kürzester Zeit von den Selbsthilfeorganisationen im ganzen Land aufgegriffen und mit der geballten Wucht der gemeinsamen Interessenvertretung an die politischen Entscheidungsträger herangetragen wurde.

Glücklicherweise verfehlte das gemeinsame Auftreten aller seine Wirkung nicht. Am 21.02.2013 erhielten wir die Nachricht des Ministeriums, "dass die seinerzeitige Kürzung des Selbsthilfetitels nunmehr nicht mehr erforderlich ist." Das Schlimmste konnte also abgewendet werden.

Es bleibt aber dabei: Die Förderung der Selbsthilfe durch den Bund muss intensiviert und auf eine verlässliche Grundlage gestellt werden. Nur so kann die Selbsthilfe den immer stärker wachsenden Anforderungen gerecht werden. Die Kernbotschaft der Resolution ist daher immer noch aktuell und muss gerade im Jahr der Bundestagswahl an alle maßgeblichen politischen Kräfte gemeinsam herangetragen werden.


Der Autor Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.


KASTEN
 
DIE RESOLUTION IM WORTLAUT

Resolution
Eine verlässliche und verstärkte Förderung der Selbsthilfe ist unabdingbar

Das Engagement von Menschen mit Behinderung, mit chronischen Erkrankungen und von Angehörigen in den Organisationen der Gesundheitsselbsthilfe ist das Rückgrat eines bürgerorientierten Gesundheitswesens. Die Bedeutung der Beratungs- und Unterstützungsangebote der Selbsthilfe hat in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen.

Zu Recht hat auch der Gesetzgeber im Rahmen der Patientenbeteiligung die Kompetenz und Erfahrung der Menschen in den Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen in verstärktem Maße genutzt und der Gesundheitsselbsthilfe zunehmend gesetzliche Aufgaben übertragen.

Die Beratungs- und Unterstützungsangebote der Selbsthilfe, aber auch die Patientenvertretung in den Gremien des Gesundheitswesens werden in erster Linie durch das ehrenamtliche Engagement chronisch kranker und behinderter Menschen, aber auch durch deren finanzielles Engagement ermöglicht.

Die Maßnahmen zur Förderung der Selbsthilfe sind demgegenüber viel zu gering bemessen und werden zunehmend mit hohen bürokratischen Hürden verbunden. Die fachliche Aufwertung der Angebote der Selbsthilfe und die Nachfrage nach hochwertiger unabhängiger Information stehen in keinem Verhältnis zur zunehmend restriktiveren Gestaltung der Fördermöglichkeiten.

Der Grundsatz der Subsidiarität würde es hingegen erfordern, gerade die Angebote und Initiativen der Selbsthilfe verstärkt zu fördern.

Wir fordern daher:

1. Die Fördertitel des Bundeshaushalts zur Förderung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe müssen aufgestockt werden. Diese Förderung darf nicht auf eine kurzfristige und kleinteilige Projektförderung beschränkt sein. Es bedarf eines umfassenden verlässlichen Förderprogramms, das der Aufrechterhaltung und strukturellen Weiterentwicklung der Beratungs- und Unterstützungsangebote der Selbsthilfe und der Umsetzung der Patientenbeteiligung nachhaltig dient. Die Selbsthilfe muss insbesondere in die Lage versetzt werden, ihre fachliche Kompetenz auf Augenhöhe mit den Selbstverwaltungspartnern wahrzunehmen.

2. Aktuelle Bestrebungen, Kürzungen bei den ohnehin schon unterdimensionierten Haushaltstiteln für die Selbsthilfe vorzunehmen, müssen unmittelbar aufgegeben werden. Das Bundesministerium für Gesundheit muss die für die Jahre 2013 und 2014 angekündigten Kürzungsbeschlüsse umgehend zurücknehmen, da sie zu einer existenziellen Bedrohung der betroffenen Selbsthilfeorganisationen und zu einer Schwächung der Selbsthilfe insgesamt führen würden.

3. Forschungsaktivitäten dürfen nicht aus Haushaltstiteln zur Förderung der Selbsthilfe finanziert werden. Wir begrüßen die Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Arbeit der Gesundheitsselbsthilfe erarbeiten zu lassen. Diese Forschung kann aber nicht aus den Mitteln zur Unterstützung der Selbsthilfe genommen werden, sondern ist aus einem eigenständigen Haushaltstitel zu finanzieren.

4. Die verstärkte Förderung der Selbsthilfe ist eine notwendige Konsequenz der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Die in der Konvention festgelegten Maßgaben zur Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft und für eine verstärkte Partizipation der Betroffenen können nur durch ein erweitertes und nicht durch ein immer restriktiveres Förderengagement des Bundes erreicht werden.

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Quelle:
Selbsthilfe 1/2013, S. 8-9
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de
 
Die "Selbsthilfe" erscheint mit 4 Ausgaben pro Jahr.
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Einzelpreis: 5,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2013