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PROJEKT/605: Hilfe für Familien mit psychisch krankem Elternteil (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - April 2010

Hilfe für Familien mit psychisch krankem Elternteil
Wenn Kinder keine Kindheit haben dürfen

Von Silja Harrsen


Das Hauptproblem ist das Tabu. Kinder psychisch kranker Eltern wissen: Sie sollen nicht darüber reden. Denn anders als bei körperlichen Leiden sind Depression und Schizophrenie immer noch schambesetzt. Die Belastung für die betroffenen Kinder ist groß - so groß, dass sie Hilfe brauchen, um nicht selbst psychisch krank zu werden. Seit März wird in Bielefeld ein Projekt durchgeführt, um Präventionsmaßnahmen zu erproben. Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel des Ev. Krankenhauses Bielefeld (EvKB) ist maßgeblich daran beteiligt.


"Kinder psychisch kranker Eltern übernehmen oft schon in jungen Jahren die Pflichten und die Verantwortung in der Familie, die sonst die Eltern haben. Dadurch verlieren sie ihre Kindheit", sagt Prof. Dr. Ullrich Bauer von der Universität Duisburg/Essen. Kinder, die die Rolle der Erwachsenen übernehmen, sind nicht nur hoffnungslos überfordert, sondern auch verängstigt durch das veränderte Verhalten des erkrankten Elternteils. Oft glauben sie sogar, schuld daran zu sein.

In einer Studie wurden Präventionsmaßnahmen erarbeitet, die jetzt erstmalig in der Praxis erprobt werden. "Kanu - gemeinsam weiterkommen" heißt das bundesweit beachtete Gemeinschaftsprojekt der Betheler Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, der LWL-Klinik Gütersloh, des Jugendamts und des Kinderschutzbundes Bielefeld sowie der Universitäten Bielefeld und Duisburg/Essen. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Forschung und Bildung.

120 Familien, bei denen sich ein Elternteil zur ambulanten oder stationären Behandlung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des EvKB befindet, beteiligen sich an dem Projekt. In der Klinik in Gütersloh wird zeitgleich eine Kontrollgruppe beobachtet, der keine präventiven Maßnahmen angeboten werden. "Nur wenn belegt werden kann, dass die Angebote wirklich helfen, wird aus dem Modell ein Weg", so der Leiter des Projekts Prof. Dr. Ullrich Bauer.


Patenschaften

"Normalität schaffen, damit das Kind Kind bleiben kann", formuliert Privatdozent Dr. Thomas Beblo ein Ziel der Prävention. Den Kindern werden Gruppen angeboten, in denen sie lernen, mit ihren Gefühlen umzugehen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln, so der Leiter der Forschungsabteilung im EvKB. Sie treffen auf Gleichaltrige, denen es genauso geht wie ihnen. Die Mauer des Schweigens wird durchbrochen.

Herzstück der Präventionsmaßnahme für Mädchen und Jungen im Alter von sechs bis zwölf Jahren ist das Angebot von Patenschaften. Der Kinderschutzbund sucht zurzeit Frauen, die der Aufgabe gewachsen sind. Ideal sind Mütter, die die Familienphase hinter sich haben und sich zutrauen, für die Kinder psychisch kranker Eltern als kontinuierliche Begleiterinnen da zu sein. Die ehrenamtlichen Patinnen lernen die Familiensituation kennen und nehmen das Kind in Krisenzeiten bei sich auf.

"Wichtig ist, dass das Kind einen erwachsenen Ansprechpartner hat", betont Dr. Beblo. Er ist sich sicher, dass sich viele Patientinnen und Patienten auf das Präventivangebot einlassen werden. "Es gibt Eltern, die nicht in die Klinik kommen, weil sie nicht wissen, wo sie ihre Kinder unterbringen können." Eine ehrenamtliche Patin wäre die Lösung für das Problem. "Wenn es den Kindern gut geht, dann geht es auch den Eltern besser", so der Betheler Wissenschaftler.


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Quelle:
DER RING, April 2010, S. 15
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2010