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PROJEKT/707: Aktiv für die Natur - Ungehindert engagiert (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2014

Aktiv für die Natur
Ungehindert engagiert

Von Kerstin Emonds


Wer die Natur liebt, möchte oft einen eigenen Beitrag zu ihrem Schutz leisten. Manche spenden Geld, manche spenden ihre Zeit. Zufriedenheit durch freiwilliges Engagement ist unabhängig von körperlichen oder geistigen Voraussetzungen. Willkommen sind alle.


Ein trüber Samstagmorgen im November. Genau richtig, um sich noch einmal gemütlich im Bett umzudrehen. Das allerdings sehen die 15 naturbegeisterten, von der Lebenshilfe Altmark-West betreuten Männer und Frauen heute ganz anders. Sie machen sich schon früh auf den Weg von ihren Wohnstätten in den nahe gelegenen Naturpark Drömling. Sie wollen mithelfen, damit sich alle Lebewesen im "Land der tausend Gräben" wohlfühlen. Was ist der Grund für ihre Unternehmungslust? "Na, weil es wichtig ist. Die Natur ist so schön. Menschen machen so viel kaputt. Da können die Tiere doch nichts dafür", begründet es einer der Teilnehmer.

Die meisten von ihnen engagieren sich seit geraumer Zeit im Naturpark, packen mit an, wo Hilfe gebraucht wird. Zum Beispiel im Besuchergarten des Infohauses Kämkerhorst, dort, wo sich Ausflügler und Schulklassen über die Natur des Drömlings informieren können. Die Männer und Frauen mit geistiger Behinderung sorgten mit Tatkraft und handwerklichem Geschick schon dafür, dass ein Kräutergarten und andere Erlebnisstationen für Besucher entstehen konnten. Dieses Mal ist praktische Hilfe für Tiere gefragt. Für Igel, Frösche und Molche werden artgerechte Behausungen angelegt. Hoch wölben sich nach dem Arbeitseinsatz die wärmenden Laubhaufen über stabilen Astkonstruktionen. In einem solchen Unterschlupf werden auch unzählige nützliche Insekten gut über den Winter kommen.

Naturschutzwissen in Leichter Sprache

Welche effektiven Möglichkeiten es gibt, einigen wildlebenden Tieren zu helfen, wissen die Freiwilligen im Naturpark Drömling gut. Dieses Wissen ist aber nicht selbstverständlich. Es muss sich jemand darum kümmern und die Zusammenhänge in der Natur angemessen erklären. Fachwissenschaftliche Vorträge und die im Handel zu findenden Bücher sind dafür wenig geeignet. Den meisten Menschen mit geistiger Behinderung fällt es schwer, komplexe Texte zu erfassen. Sie brauchen jemanden an ihrer Seite, der sie beim Lernen unterstützt. Deshalb ist Leichte Sprache im Schriftlichen wie im Mündlichen ein wichtiger Zugang zum Lesen und Verstehen.

In einem bundesweiten Projekt, an dem auch der Naturpark Drömling beteiligt ist, erhalten Menschen mit Lernschwierigkeiten im Rahmen ihrer Freiwilligentätigkeit nun gezielt Angebote in Leichter Sprache. Das Projekt heißt "Ungehindert engagiert". Träger und Ideengeber ist EUROPARC Deutschland. Der gemeinnützige Umwelt- und Naturschutzverband unterstützt die Nationalen Naturlandschaften - das sind die 15 Nationalparks, 16 Biosphärenreservate sowie zahlreiche Naturparks in Deutschland, führt überregionale Projekte und langfristige Programme durch. An "Ungehindert engagiert" sind neben dem Naturpark Drömling das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin sowie die Nationalparks Harz und Wattenmeer mit Partnern von Lebenshilfe und den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel beteiligt.

Ein wichtiges Projektergebnis sind drei Themenhefte in Leichter Sprache. Sie vermitteln Grundlagenwissen über Tiere und Pflanzen in den Lebensräumen von "Meer und Küste", "Bach, Graben und Fluss" sowie "See und Teich": Ohne Fremdwörter, mit einfachen Sätzen und vielen Fotos wird beschrieben, welche Lebewesen für diese Landschaften typisch sind, welche Gefahren auf sie lauern und wie freiwillige Hilfe zu ihrem Schutz aussehen kann.

Offen und vorurteilsfrei

An diesem Samstag, als sich alle im Naturparkhaus aufwärmen, holt Antje Weber das Heft zum Thema Graben hervor. Die Biologin ist heute zum zweiten Mal Lernbegleiterin für die Freiwilligen der Lebenshilfe. Als Naturwissenschaftlerin ist sie es gewohnt, Vorträge zu halten. Meist hat sie Fachpublikum, das mühelos folgen kann, wenn es um komplexe Erklärungen geht. Hier nun die einfache Sprache anzuwenden, findet sie "ungewohnt, aber erlernbar". Über die Wissbegier der Freiwilligen ist sie hoch erfreut: "Für mich ist spannend und erstaunlich, wie viele Informationen aufgenommen werden. Sie haben keine vorgeformten Meinungen, sondern gehen ganz offen ran und freuen sich über Informationen, die man ihnen vermittelt, und stellen selbst ganz viele Fragen."

Mehr noch als das Themenheft sind es die spannenden Details draußen in der Natur, die begeistern. "Man kann etwas nur dann schützen, wenn man es kennt." Das bekannte Zitat des verstorbenen Tierfilmers Heinz Sielmann hat nichts an Gültigkeit verloren. Die Spannung ist den Teilnehmenden ins Gesicht geschrieben, als sie sich gemeinsam auf die Suche nach Tierspuren begeben. Die frischen Nagespuren des Bibers erkennen sie sofort. Interessiert betrachten sie den Eingang zur Erdhöhle, den Antje Weber ihnen zeigt, und registrieren mit Erstaunen, was die Bibereltern ihren Kindern alles beizubringen vermögen.

Gewinn für alle Seiten

Bleibt die Frage zu beantworten: Wieso engagieren sich Naturschutzexperten für Menschen mit Behinderung? Bettina Kühnast von EUROPARC Deutschland: "Ob mit oder Behinderung - das spielt doch keine Rolle. Wichtig ist, vorhandene Barrieren zu beseitigen, damit jeder, der sich in den Nationalen Naturlandschaften informieren und engagieren möchte, entsprechende Möglichkeiten hat. Aus diesem Grund kooperieren wir zum Beispiel seit vielen Jahren mit der Bundesvereinigung Lebenshilfe. Und immer wieder hören wir von unseren Mitstreitern vor Ort, wie sehr sie von der Begeisterung und der Kompetenz der Freiwilligen beeindruckt sind. Das steckt an, es macht Spaß, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die so sehr mit dem Herzen dabei sind." Im Miteinander lernen auch Naturschutzleute jede Menge dazu, und Berührungsängste werden ganz schnell abgebaut.

Allen, die dies einmal selbst ausprobieren und erleben möchten, sind EUROPARC Deutschland und die Bundesvereinigung Lebenshilfe gern behilflich, zum Beispiel beim Vermitteln von Kontakten. Interessierte Freiwillige erhalten die Printausgabe der Themenhefte kostenlos. Die Themenhefte online sowie Kontaktdaten und alle anderen Infos zum Projekt sind zu finden unter:
www.ungehindert-engagiert.de/lernangebote-in-leichter-sprache/



Kerstin Emonds, EUROPARC Deutschland e.V.
zuständig für den Bereich Barrierefreiheit/Inklusion
Tel. 030 / 2 887 882 -0
kerstin.emonds@europarc-deutschland.de


Konzept

Für das Konzept "Ungehindert engagiert" wurde EUROPARC Deutschland, der Dachverband der Nationalen Naturlandschaften, mit dem Förderpreis des Deutschen Naturschutzpreises 2013 ausgezeichnet, der vom Bundesamt für Naturschutz als Träger und Jack Wolfskin als Stifter ausgelobt wird. Nationale Naturlandschaften - das ist die Dachmarke für Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks. Der Name steht für deren deutschlandweite Bedeutung. Alle haben eines gemeinsam: das Ziel, diese Natur zu schützen und sie für Bewohner und Gäste erfahrbar zu machen.

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Quelle:
Selbsthilfe 4/2014, S. 26 - 27
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren
Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de
 
Die "Selbsthilfe" erscheint mit 4 Ausgaben pro Jahr.
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Einzelpreis: 5,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2015

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