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PROJEKT/728: Keine Monster - "Marsch für das Leben" 2016 in Berlin (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 119 - 3. Quartal 2016
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Keine Monster

Von Professor Dr. med. Holm Schneider


"LebensForum" dokumentiert nachfolgend die kurzen Reden, die der Stellvertretende Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V., der Erlanger Genforscher und Kinderarzt Professor Dr. med. Holm Schneider, und Conny Albert, eine 28-jährige Frau mit Down-Syndrom, auf der Kundgebung zum Auftakt des diesjährigen "Marsches für das Leben" auf Einladung des Bundesverbands Lebensrecht (BVL) am 17. September vor dem Reichstagsgebäude in Berlin gehalten haben.


Ich bin Kinderarzt in Erlangen und dort war vor kurzem eine schockierende Ausstellung zu sehen: eine Erinnerung an all die Kinder, die bis 1945 den Programmen zur Vernichtung "lebensunwerten Lebens" zum Opfer fielen ... Schockiert hat mich, wie viele Menschen daran beteiligt waren - auch Ärzte, die das Allgemeinwesen von sogenannten Ballastexistenzen befreien wollten. In sechs Jahren wurden Tausende kranker und behinderter Kinder umgebracht. Das geschah, wie die Ausstellung zeigte, keineswegs immer gegen den Willen der Eltern. Das geschah, nachdem über viele Jahre eine Propaganda gewirkt hatte, die zum Beispiel Menschen mit Down-Syndrom als unzumutbar bezeichnete. Dafür waren auch manche Eltern empfänglich. Und eugenische Bestrebungen gab es nicht nur in Nazideutschland.

Wer meint, wir hätten dieses Denken überwunden, der verkennt moderne Selektionstechniken wie den PraenaTest. Dieser europaweit am häufigsten benutzte Bluttest, so ist auf der Homepage des Herstellers zu lesen, sei "als primäres Screening bei Schwangeren jedes Alters und Risikos uneingeschränkt einsetzbar". Vorgeburtliche Trisomie-Tests, die bisher nur aus medizinischem Grund zulässig waren, werden jetzt also für Screening-Zwecke beworben - für eine Art Rasterfahndung.

Das kommt einem Jagdrecht auf Kinder mit Down-Syndrom gleich, denn fast jedes, das aufgespürt wird, wird abgetrieben.

Damit mich niemand missversteht: Ich will das, was heute passiert, nicht in einen Topf werfen mit Krankenmorden und Zwangsabtreibungen der Nazizeit. Das waren widerliche Verbrechen. Begründet wurden sie mit der Erbgesundheit eines Volkes. Heute geht es um die Erbgesundheit eines Wunschkindes. Das Ergebnis ist allerdings das gleiche: Menschen mit Down-Syndrom wird es irgendwann nicht mehr geben.

Auf einem Ärztekongress bekam ich neulich diesen Gutschein überreicht - eine Rabattaktion für einen solchen Bluttest: Ein Gutschein, den ich "beliebig vervielfältigen und weitergeben" dürfe, wie mir eine lächelnde junge Dame erklärte. Ein besonders günstiges Testangebot ab der neunten Schwangerschaftswoche einschließlich Geschlechtsbestimmung des Embryos und Expressauswertung binnen vier bis sechs Tagen.

Schon im ersten Jahr nach seiner Zulassung war von 7,5 Millionen Euro Umsatz mit diesem Test zu lesen. Wie viele Abtreibungen damit einhergingen, wurde nicht erfasst. Bei mehr als zwei Millionen solcher Tests, die inzwischen durchgeführt wurden, lässt sich eine Zahl von etwa 4.000 wegen des Testergebnisses getöteten Kindern hochrechnen ...

Das ist die Gegenströmung zu allen Inklusionsbemühungen unserer Gesellschaft. Was da in Frauenkliniken hierzulande geschieht, hat mit den gesetzlichen Vorgaben kaum noch etwas zu tun! Sonst müssten die allermeisten Abtreibungen verweigert und stattdessen Maßnahmen ergriffen werden, die einen durch Fortsetzung der Schwangerschaft möglicherweise drohenden Gesundheitsschaden der Mutter abzuwenden versuchen. Am besten, indem man die falschen Bilder in vielen Köpfen beseitigt.

Nein - Menschen mit Down-Syndrom sind keine Monster, und Erbgesundheit darf nicht höher stehen als das Recht auf Leben, ohne das jedes andere Recht wertlos ist!

Ich habe viele Leute befragt, was ihnen fehlen würde, wenn es Menschen mit Down-Syndrom nicht mehr gäbe, und ein paar Antworten will ich Ihnen vorlesen: "Mit Chiara ist mir auch im Winter immer warm", sagt Gabi, die große Freundin von Chiara Liepe aus Neunkirchen am Brand.

"Seit Anna hier arbeitet, fällt in unserer Küche kaum noch ein böses Wort", gab Jürgen, der Chef von Anna Langlouis aus Bamberg, zur Antwort.

"Michelle ist unser Terminkalender. Sie weiß alle Termine, ob Geburtstag oder Arzttermin - sie erinnert sich an alles", so die Mutter von Michelle Jurina aus Lautertal.

"Ich kenne keinen Menschen, der mehr Lebensfreude verströmt als unser Alexander", schreibt der Vater von Alexander Neufeld aus Schwarzenfeld.

"Tobi war immer offen und ehrlich und hat sich bis ins Erwachsenenalter seine kindliche Reinheit bewahrt. Argwohn, Falschheit und Hinterlist gab es bei ihm nicht. Ich habe mich nie für Tobi geschämt, sondern war immer stolz auf meinen Bruder." Das hat Christopher, der Bruder von Tobias Hahn aus Neershof, gesagt.

Vorgeburtliche Bluttests machen es ganz leicht, solche Menschen aus unserer Welt verschwinden zu lassen. Nein, keiner dieser Tests darf verharmlost werden - damit nicht irgendwann Ausstellungen daran erinnern, wie Menschen mit Down-Syndrom aussahen, und niemand mehr weiß, wie sie sind!

Ich habe eine junge Frau mitgebracht, Conny Albert, die als Betroffene selbst sprechen wird. Immer, wenn ich ihr begegne, frage ich mich, wie jemand auf die Idee kommen kann, Menschen wie Conny das Lebensrecht abzusprechen ...


"Das Leben ist etwas ganz Wertvolles"

Von Conny Albert

Ich heiße Conny. Ich lebe und lache gerne, und eigentlich stört es mich nicht, dass ich ein Chromosom mehr habe. Denn mein Leben ist trotzdem schön.

Ich bin jetzt 28 Jahre alt und arbeite bei der Verkehrspolizei in Erlangen. Dort erledige ich Schreibarbeiten am Computer. Wenn mich ein Kollege von der Unfallflucht für eine Vernehmung braucht, ruft er mich und ich schreibe dann alles mit, was der Betroffene sagt.

In meiner Freizeit bin ich viel unterwegs. Ich fahre mit dem Rad und manchmal auf Inlinern durch die Gegend. Auch geh ich gerne schwimmen. Im Sommer ins Freibad, im Winter in die Halle.

Die meisten Leute merken, dass ich anders bin als andere junge Menschen. Aber meine Familie und meine Freunde mögen mich so, wie ich bin. Manchmal gehen wir in die Disco oder organisieren Partys. Den besten Draht habe ich zu meinem Bruder. Wir haben uns früher schon prächtig verstanden und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Das Leben ist etwas ganz Wertvolles, das gilt für mich wie für meine Mitmenschen, auch für kranke und alte. Ich bin zum Beispiel total froh, dass meine Omas noch leben. Und wie sie sich jedes Mal freuen, wenn ich vorbeikomme und sie besuche!

Meine Arbeit macht mir Spaß, auch wenn ich nur halbtags arbeite. Ich bin seit fünf Jahren bei der Polizei. Dort nehme ich auch am Dienstsport teil, jeden Montagnachmittag. Das ist richtiges Muskeltraining, nicht nur für die Beamten, sondern auch für uns Schreibkräfte. Da bin ich immer gern dabei.

Ich weiß, dass sich schwangere Frauen manchmal große Sorgen machen, wenn sie ein Baby mit Down-Syndrom erwarten. So sehr, dass sie nicht mehr weiterwissen. Diesen Frauen möchte ich sagen, dass sie keine Angst haben müssen, denn Kinder mit Down-Syndrom sind Menschen, keine Monster. Sie können eine Mutter genauso glücklich machen wie jedes andere Kind. Und sie haben ein Recht auf Leben. Es ist unfair, sie auszusortieren. Denn jeder Mensch hat etwas Besonderes. Ich zum Beispiel kann fast immer lachen!

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 119, 3. Quartal 2016, S. 21 - 22
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Alexandra Maria Linder M.A. (V.i.S.d.P.)
Verlag: Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
Tel: 0821/51 20 31, Fax: 0821/15 64 07
E-Mail: info@alfa-ev.de
Internet: www.alfa-ev.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2017

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