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TAGUNG/250: Wege zur inklusiven Entwicklungszusammenarbeit (bezev)


Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V. (bezev)

'Nichts über uns ohne uns'

Wege zur inklusiven Entwicklungszusammenarbeit


Ende März 2009 wird in Deutschland die UN-Menschenrechtskonvention für Menschen mit Behinderungen in Kraft treten - das erste international rechtlich bindende Übereinkommen, das die Rechte behinderter Menschen sichert.

Damit verpflichtet sich Deutschland dazu, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen zu ermöglichen und bestehende Barrieren abzubauen. Diese Selbstverpflichtung betrifft aber nicht nur die Situation in Deutschland, ein eigener Artikel (32) definiert die deutsche Entwicklungspolitik neu: er besagt, dass künftig behinderte Menschen in die internationale Zusammenarbeit einbezogen werden müssen.

Weltweit gibt es etwa 650 Millionen Menschen mit Behinderung, davon leben rund 80 Prozent in Entwicklungsländern. Ohne Menschen mit Behinderung einzubeziehen, und ihre Belange zu berücksichtigen, kann die globale Armut nicht effektiv bekämpft werden. Wie nun die Kooperation mit Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern verwirklicht werden kann, das war Gegenstand der Tagung "'Nichts über uns ohne uns' - Menschen mit Behinderung als Akteure einer nachhaltigen Entwicklung", die am 2. und 3. Dezember 2008 im Berliner Kleisthaus stattfand. Die ReferentInnen aus Deutschland, Indien, Simbabwe, Großbritannien, Finnland und den USA stellten auf der Tagung vor, wie ihre Organisationen inklusive Entwicklung gestalten. Für die Veranstalter (Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit, Christoffel-Blindenmission, Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben und Misereor) war es wichtig, selbst betroffene Fachleute zu Wort kommen zu lassen. Sie gelten in besonderem Maße als ExpertInnen in eigener Sache. Diese Sichtweise entspricht einem veränderten Menschenbild, das auch der UN-Konvention zugrunde liegt: anstelle von Fürsorge geht es heute um die aktive Teilhabe von Menschen mit Behinderung, und um die Stärkung ihrer Menschenrechte.

Ein wichtiger Ansatz der inklusiven Entwicklungszusammenarbeit ist die Stärkung von Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen (Disabled People's Organisations - DPOs) in Entwicklungsländern. Im Sinne von Capacity Development sollen sie unterstützt werden, eigene, effektive Strukturen aufzubauen. So können DPOs ihre Interessen besser vertreten, und Strategien entwickeln, um die Situation von Menschen mit Behinderung nachhaltig zu verbessern. DPOs sind bereits heute in vielen Bereichen aktiv und führen eigene Projekte durch. Dadurch werden Menschen mit Behinderung in die Lage versetzt, aktiv die Verbesserung ihrer Lebensumstände in die eigenen Hände zu nehmen und Projekte so zu planen, dass sie den Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen. Auf der Tagung wurden Good Practice-Beispiele vorgestellt, wie das folgende von den Philippinen: dort ist es einer lokalen DPO gelungen, ein eigenes, international gefördertes Projekt aufzubauen, dessen Finanzierung inzwischen zu 70% von der philippinischen Regierung übernommen wurde, und damit nachhaltig gesichert ist.

Beteiligung - Kämpfen für die eigenen Rechte - dazu brauchen Menschen auch das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Das kann durch gute Vorbilder gestärkt werden oder durch andere Formen des Empowerment, also Aktivitäten, die Menschen mit Behinderung ermutigen und befähigen, ihre Potenziale einzusetzen. Eine solche Maßnahme, die über kulturelle Grenzen hinweg funktioniert, ist das Peer-Counseling, also die Beratung von Menschen mit Behinderung durch Menschen mit Behinderung.

Weiterhin ist es auch wichtig, die Vernetzung von DPOs untereinander zu fördern. Gerade kleinere DPOs, deren Organisationsaufbau noch nicht weit entwickelt ist, sind darauf angewiesen, Kenntnisse und Informationen auszutauschen. So können sie besser die hohen formalen Anforderungen internationaler Geber erfüllen, und werden auch eher von ihnen als mögliche Partner wahrgenommen. Auch für die Mitarbeit an nationalen Armutsbekämpfungsstrategien (PRS-Prozesse), sind die DPOs auf eine gute Zusammenarbeit untereinander angewiesen. DPOs sind als Teil der Zivilbevölkerung in PRS-Prozessen zu beteiligen, um dort die Belange von Menschen mit Behinderung zu vertreten. Dies erfordert ein erhebliches Fachwissen, was gerade für kleinere DPOs eine Herausforderung darstellt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Zusammenarbeit mit DPOs in der Entwicklungszusammenarbeit stärker als bisher erfolgen sollte. Die UN-Konvention bietet mit dem darin enthaltenen Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur selbstbestimmten Teilhabe den rechtlich verbindlichen Rahmen. Auf der Tagung wurde aber auch deutlich, dass DPOs den gleichen Anforderungen partnerschaftlicher Beziehungen unterliegen, wie andere Nichtregierungsorganisationen auch. Dies erfordert eine differenzierte Unterstützung, die dem Organisationsgrad der DPO entsprechen sollte.


Zur Stärkung der Zusammenarbeit mit DPOs wurden auf der Tagung die folgenden wesentlichen Empfehlungen erarbeitet:

- Organisationen, die FÜR Menschen mit Behinderung tätig sind, bleiben häufig beschränkt auf Programme der Wohlfahrt und Fürsorge. Deshalb werden eher Partnerschaften MIT Selbstvertretungsorganisationen empfohlen, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu gewährleisten.

- Bei den DPOs das Gefühl von Ownership erzeugen, also Eigenleistung und eigene Beteiligung zu fordern, anstatt lediglich Mittel bereitstellen.

- Für eine nachhaltige Entwicklung ist es sinnvoller, einheimische MitarbeiterInnen (auch mit Behinderung) im Süden auszubilden, um langfristig unabhängiger von Experten aus dem Norden zu werden.

- Menschen mit Behinderung stärker sichtbar machen, zum Beispiel, indem sie auf Veranstaltungen, in Öffentlichkeit und Medien auch als Sprecher auftreten. Nur so kann die Wahrnehmung von Behinderung in der Bevölkerung langfristig verändert werden.

- Es braucht eigene Programme zur Förderung von Frauen mit Behinderung, da sie in vielen Ländern mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind.

- Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen (auch geistig behinderte Menschen genannt) sind bei den DPOs kaum bis gar nicht vertreten. Um diese Gruppe mit einzubeziehen, sollten Informationsmaterialien auch in einfacher Sprache bereitgestellt werden. Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse wird in Form einer Broschüre erscheinen, die ab der zweiten Jahreshälfte bei bezev bezogen werden kann.


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Quelle:
Pressemitteilung: März 2009
Herausgeber: Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V. (bezev)
Ansprechpartnerinnen: Mareike Bübl, Gabriele Weigt
Wandastraße 9, 45136 Essen
Tel.: 0201/ 17 88 963; Fax: 0201/ 17 89 026
Email: presse@bezev.de
Internet: www.bezev.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2009