Schattenblick →INFOPOOL →PANNWITZBLICK → PRESSE

TAGUNG/297: Auf den Spuren diakonischer Identität (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - April 2013

Bundesweite Bethel-Zusammenkunft in Erkner
Auf den Spuren diakonischer Identität

von Gunnar Kreutner



Die Religiosität, der Lebensstil und die Wertevorstellungen der Betheler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Auf der einen Seite wird das als positive Vielfalt und Bereicherung erlebt. Andererseits führt es dazu, dass gemeinsame Werte und Glaubensvorstellungen als Grundlage für die Arbeit nicht mehr selbstverständlich sind, Immer häufiger wird daher die Frage nach der diakonischen Identität Bethels gestellt.


Aus nahezu allen Stiftungs- und Unternehmensbereichen und aus allen Regionen, in denen Bethel mit Hilfeangeboten präsent ist, waren Ende Februar rund 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Erkner angereist, um sich über die diakonische Identität auszutauschen. Zwei Tage lang diskutierten sie 30 Kilometer südöstlich von Berlin über das diakonische Profil Bethels und über das eigene christliche Rollenverständnis am Arbeitsplatz. Der Bethel-Vorstand hatte die Veranstaltung mit Vorträgen und Workshops unter der Fragestellung "Was ist hier eigentlich diakonisch?" initiiert.

Als Expertin für "diakonische Profilbildung" war Prof. Dr. Beate Hofmann von der Evangelischen Hochschule Nürnberg eingeladen. Nach ihrer Ansicht hat sich das Selbstverständnis diakonischer Arbeit auch durch die "dramatischen ökonomischen Veränderungen" radikal gewandelt. Der knallharte Wettbewerb mit privaten Trägern und die Deckelung von Kostensätzen für soziale Leistungen hätten dazu geführt, dass diakonische Unternehmen zunehmend allein nach Effizienzkriterien arbeiten müssten. "Arbeitsverdichtung, Personaleinsparungen, Outsourcing und die Schließung nicht mehr rentabler Betriebseinheiten sind heute auch in der Diakonie gängige Wege, sich finanziell zu behaupten", sagte Prof. Dr. Beate Hofmann.


Nur noch ökonomisch?

Bethels Vorstandsvorsitzender Pastor Ulrich Pohl sieht diakonische Unternehmen zunehmend unter Legitimationsdruck - so auch die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Er verwies auf die Bethel-Satzung, nach der Bethel in erster Linie für die Menschen in ihrer Not da sei. "Sind wir das wirklich, oder ist alles nur noch ökonomisch?", fragte er als Impuls für die kommenden Gespräche und Diskussionen.

In Zeiten schwieriger Refinanzierung würde man sich in einigen diakonischen Unternehmen zunehmend überlegen, sich aus bestimmten Arbeitsfeldern zurückzuziehen, stellte Vorstandsmitglied Pastor Dr. Johannes Feldmann fest. Prof. Dr. Beate Hofmann kennt diese Gedankenspiele aus zahlreichen Beratungs- und Führungsseminaren in unterschiedlichen diakonischen Unternehmen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fürchten die "Ökonomisierung der sozialen Arbeit". Kritische Fragen würden lauter werden: "Ist das noch christlich, wenn ihr genauso scharf rechnet wie die anderen, die privaten? Müsste nicht gerade die Kirche da noch helfen, wo die anderen nicht mehr helfen?" Es gebe aber auch Stimmen, die das Gegenteil propagierten und für radikale Lösungen plädierten: "Raus aus den profitablen Bereichen, raus aus der normalen Alten- und Krankenpflege, raus aus den leistungsfinanzierten Feldern!" Beate Hofmann warnte aber vor den dramatischen Folgen: "Solche radikalen Schritte hätten den Verzicht auf viele Arbeitsplätze zur Folge. Sie würden Menschen, die sich bewusst für eine Einrichtung in kirchlicher Trägerschaft entschieden haben, anderen überlassen, denen eine christliche Spiritualität möglicherweise fremd oder unwichtig ist."

In Erkner, dem ausgewählten Ort für die "diakonische Spurensuche", unterhält die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderung in den Bereichen Wohnen und Arbeiten. Der Standort ist ein Beispiel für die breite Streuung der Betheler Hilfeangebote in mittlerweile sechs Bundesländern. Pastor Dr. Johannes Feldmann machte auf die "rasante Entwicklung der vergangenen Jahre" aufmerksam, die zwangsläufig Einfluss auf die diakonische Identität der Mitarbeitenden habe. "Von Siegen bis Bad Kösen und Waltersdorf in Sachsen - wir sind Menschen, die unterwegs sind", sagte Pastor Feldmann. Mehr als 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiteten an weit über 230 Standorten. Deswegen sei es wichtig, regelmäßig und intensiv über gemeinsame Werte und die Besonderheiten diakonischer Arbeit ins Gespräch zu kommen.


Anspruchsvolle Vision

Bei der Tagung sollten sich vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander austauschen. Das geschah besonders in den Workshops. Unter dem Titel "Die Vision Bethels - identitätsstiftend, entwicklungsfördernd oder nur Hochglanzprospekt?" fand ein Workshop mit dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Pastor Bernward Wolf und Vorstandsmitglied Prof. Dr. Günther Wienberg statt. Einig waren sich die meisten in der Runde, dass die Vision mit der Überschrift "Bethel - Gemeinschaft verwirklichen" grundsätzlich "richtig und wichtig" sei. Allerdings wurde kritisiert, dass sie wegen der extremen Arbeitsverdichtung oft auf der Strecke bleibe. "Ich würde gerne die Vision leben, da sie mich überzeugt und anspricht. Aber die Rahmenbedingungen sind zu schwierig in Relation zu dem Geforderten. Dadurch nimmt die Identifikation mit dem Haus, der Kirche und der Diakonie insgesamt ab", meinte eine Krankenschwester aus dem Ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin-Lichtenberg.

Einige fanden die Vision "zu mächtig und anspruchsvoll" formuliert. Dadurch sei es schwer oder sogar unrealistisch, sie zu verwirklichen - und das frustriere viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "Vielleicht sollte man die Maßstäbe nicht zu hoch ansetzen, sondern eher schauen, welche Maßstäbe konkret für den eigenen Bereich umsetzbar sind", schlug ein Mitarbeiter vor. Wenn die Vision machbar werde, dann stelle sich auch eine andere Zufriedenheit ein, ist er überzeugt.


Diakonische Verwaltung?

Überfordert fühlte sich ein Mitarbeiter aus dem Stiftungsbereich Bethel.regional. Das Tempo der vergangenen Umstrukturierungen sei viel zu schnell gewesen. "Wie soll man eine Vision leben, wenn man damit kämpft, nach so vielen Veränderungen überhaupt mal wieder normale Arbeitsabläufe hinzubekommen", kritisierte er.

Es sei wichtig, dass sich nicht nur Basis-Mitarbeiter mit der Vision beschäftigten, sondern zum Beispiel auch Reinigungskräfte oder "Verwaltungsmenschen", meinte eine Teilnehmerin. Unbeabsichtigt wurde bereits hier die Brücke zu einem anderen Workshop am zweiten Veranstaltungstag geschlagen. "Da haben wir nichts mit zu schaffen!" lautete der provokante Titel dieses Workshops, bei dem es um die diakonische Identität in der Verwaltung, den Betrieben und den Werkstätten ging. Teilnehmer aus der Verwaltung räumten ein, dass es schwierig sei, sich mit diakonischen Fragen zu beschäftigen. "Dafür sind wir einfach zu weit weg von den behinderten Menschen", hieß es beispielsweise. Einige waren überzeugt, dass es durchaus möglich sei, diakonische Werte auch in der Verwaltung zu leben. "Das geschieht dann zum Beispiel über den zwischenmenschlichen Umgang, über Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung für andere", sagte ein Teilnehmer. "Man braucht nicht über Andachten nachzudenken, wenn es bereits am Zwischenmenschlichen hapert", meinte ein anderer.


Das diakonische "Wie"

Das "Was" diakonischer Arbeit unterscheide sich weitestgehend nicht mehr von anderen Trägern, steht für Prof. Dr. Beate Hofmann fest. Das "Wie" könne sich aber unterscheiden durch die Atmosphäre und den Versuch, Ressourcen so effektiv einzusetzen, dass noch Raum für den Menschen und seine Bedürfnisse bleibe. Zum Abschluss ihres Vortrags brachte die Referentin ihre ganz persönliche Definition für "diakonisch" auf den Punkt: "Diakonisch ist für mich ein kreativer Umgang mit Mangel, die Reflexion der eigenen Werte und des eigenen Handelns, Aktualisierung christlicher Theologie in der Lebensgestaltung in diakonischen Einrichtungen, Hilfe in Not, wo niemand anders hilft, sowie die Verbindung von Spiritualität und sozialer Verantwortung."

*

Quelle:
DER RING, April 2013, S. 5-7
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
Telefon: 0521/144-35 12, Fax: 0521/144-22 74
E-Mail: presse@bethel.de
Internet: www.bethel.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2013