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TAGUNG/300: Bericht über den Ethik-Fachtag in Hannover (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - März 2014

Ethik-Fachtag in Hannover
Lebensqualität dank Achtsamkeit und Rollentausch

Von Robert Burg



"Die Würde des Menschen mit Demenz ist unantastbar", stellte Prof. Dr. Torsten Kratz vom Ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin fest. Der Leiter der Gerontopsychiatrie referierte beim Fachtag "Ethik in Altenhilfe und Pflege" Ende Januar in Hannover über ethische Fragen im Umgang mit demenziellen Erkrankungen. Er forderte: "Nehmen Sie die Perspektive der Betroffenen ein." Dieser Rollentausch helfe, sowohl ihre Bedürfnisse als auch ihre Handlungen zu verstehen und sie angemessen - und somit auch unter ethischen Gesichtspunkten korrekt - zu behandeln.


Auch wenn das Leben mit Demenz "Leben in jeder Beziehung" sei, so verändere die Erkrankung die individuellen Fertigkeiten: "Je mehr die geistige Leistungsfähigkeit abnimmt, desto stärker entwickelt sich eine emotionale Sensibilität", machte Prof. Kratz deutlich. Er habe festgestellt, dass seine Patienten manches wahrnähmen, was ihm selbst entgehe. "Wenn es Spannungen zwischen zwei Mitarbeiterinnen gibt, sind die Patienten unruhig. Während ich selbst das gar nicht bemerkt habe." Diese größere Sensibilität zu beachten sei wichtig, damit sich die Patienten wohlfühlten und eine möglichst hohe Lebensqualität behielten.

Hinsichtlich der Lebensqualität müsse auch der häufige Einsatz von Magensonden kritisch hinterfragt werden. Oftmals bestünde ein deutliches Missverhältnis zwischen Schaden und Nutzen einer so genannten PEG, betonte der Mediziner. "Wenn Patienten mit einer Magensonde zu uns in die Klinik kommen, heißt es oft: Patient verweigert die Nahrung." Hier widerspricht Prof. Dr. Kratz: "Es gibt keine 'Nahrungsverweigerung'. Dass Patienten nicht mehr essen, hat immer Gründe." So gebe es beispielsweise satt machende Medikamente, Probleme im Mundraum, unentdeckte Magenentzündungen oder auch psychische Begleiterkrankungen, die "auf den Magen schlagen". Hinzu kämen wahnhafte Störungen: Vor allem demenziell erkrankte Frauen glaubten manchmal, man wolle sie vergiften.

Bei der Ernährung forderte der Mediziner Achtsamkeit. Demenzkranke haben ein reduziertes Geschmacksempfinden. Darauf müsse sich ein Koch einstellen. Also kräftig würzen - mitunter über das gemeinhin als wohlschmeckend geltende Maß hinaus. Da das Empfinden für Süßes unverändert bliebe, könne man damit Mahlzeiten attraktiver machen. Wenn jemand nicht mehr mit Besteck umgehen könne, solle er mit den Händen essen. "Das erhält die Autonomie", sagt Prof. Dr. Torsten Kratz. "Bieten Sie Essen an aus der Zeit, in der die Patienten jetzt leben - also aus der Vergangenheit." Das oft angeführte Horrorszenario vom "Verhungern und Verdursten" finde nicht statt, wenn man nachdenke.

Diese oftmals sehr einfachen Maßnahmen haben eine direkte Auswirkung auf die Lebenserwartung. Denn anders, als es beispielsweise bei Krebspatienten der Fall ist, versterben viele Menschen mit Demenz kurze Zeit nach dem Einsatz einer PEG - statistisch gesehen sogar eher als Patienten ohne PEG. Allerdings sei hieran nicht die Sonde selbst schuld, sondern ein "Mangel an Sinneseindrücken".


Pflege-Ethik

Bereits seit etlichen Jahren wird die Auseinandersetzung mit ethischen Aspekten der klinischen Arbeit in vielen Krankenhäusern von ausgewiesenen Ethikkomitees betrieben, die den Mitarbeitenden - vor allem den Medizinern - bei schwierigen Entscheidungen zur Seite stehen. Doch auch in der vornehmlich pflegerischen Altenhilfe wirft die Arbeitspraxis ethische Fragen auf. Hier müsse die kritische Reflexion pflegerischen Handelns ebenfalls auch unter sittlichen Gesichtspunkten stattfinden, betonte Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Körtner von der Universität Wien. Die Pflege-Ethik berühre nicht nur die Praxis, sondern auch Bereiche des Managements, der Pädagogik oder der Pflegewissenschaft. Sie werde im Handeln des einzelnen Mitarbeiters deutlich, aber auch in der Haltung des Unternehmens, das eine Einrichtung trägt, oder im Wertekanon einer Gesellschaft. In Einrichtungen beschränke sich die Ethik nicht auf den menschlichen Faktor: Auch bauliche Gegebenheiten seien zu prüfen, da sie die Entfaltungsmöglichkeiten der Bewohner bedingen würden, erklärte der Theologe, der auch Mitglied im Betheler Verwaltungsrat ist.

Da im Bereich der Pflege schwierige Entscheidungen mit existenziellen Folgen getroffen werden müssen, informierte Christina Lecke von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. in ihrem Vortrag über die rechtlichen Aspekte ethischer Fragestellungen. Anhand von Fallbeispielen machte die Juristin deutlich, was beispielsweise passiert, wenn Angehörige, Mediziner und die Pflegekräfte in einer Altenhilfe-Einrichtung nicht einer Meinung sind, oder wer bestimmt, ob und wann die Sondenernährung eines Patienten abgestellt werden soll.


Drei Ethikkomitees

Im vergangenen Jahr wurden in der Betheler Altenhilfe drei regionale Ethikkomitees etabliert, in denen ethische Fragestellungen multi-professionell bearbeitet werden. "Sie bilden das 'Geländer', an dem entlang der berufliche Alltag gestaltet werden kann", fasste Bethel-Vorstand Pastor Dr. Johannes Feldmann die Aufgabe dieser interdisziplinären Gremien zusammen.

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Quelle:
DER RING, März 2014, S. 14-15
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2014