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VERBAND/620: 118. Adventskonferenz - Gemeinsam nach Zion hinaufgehen (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - Januar 2009

118. Adventskonferenz
Gemeinsam nach Zion hinaufgehen ...


In der traditionellen Adventskonferenz am Montag nach dem ersten Advent hat der Vorstandsvorsitzende der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, Pastor Ulrich Pohl, Stellung bezogen. Rückblick und Ausblick waren ein Votum für die klare Positionierung Bethels als diakonisches Unternehmen. Gleichzeitig forderte Ulrich Pohl von der Gesellschaft eine soziale Grundsicherung und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein. Der RING gibt seine Rede in gekürzter Fassung wieder.


"Advent - das heißt Warten auf die Ankunft Jesu Christi, warten auf die Geburt des Kindes von Bethlehem. Zeit des Wartens ist Gelegenheit zur Besinnung, der Rückschau, des Nachdenkens. Advent ist aber auch der Beginn eines neuen Kirchenjahres, der Blick auf etwas Neues. Und so werden wir eingeladen, mit Jesus den Aufbruch zu wagen. 'Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden.' (Lukas 18,31) Dieser Vers berichtet davon, wie Jesus seine Jünger auf die entscheidende Veränderung ihres bisherigen Weges einstimmt. Jetzt gibt es ein neues Ziel: Jerusalem, Zion. Und wie wir wissen, wird das ein schwerer Weg werden, voller Schmerzen und Enttäuschungen, der Weg endet am Kreuz.


Topografie als Symbol

Die Topografie der Ortschaft Bethel erzählt auf ihre eigene Weise, was die Aufgabe auf diesem Weg nach Zion ist. Unten im Tal liegen die verschiedenen Häuser zum Leben und Arbeiten, oben auf dem Berg die Kirche als Ort der Begegnung mit Gott. Noch etwas höher liegen dann der Friedhof und die Auferstehungskapelle - als symbolische Orte für die Auferstehung, durch die wir in die vollkommene Gemeinschaft mit Gott eintreten.

Und so entspricht diesem Weg auch der Stiftungszweck Bethels, der sich an dieser Topografie ablesen lässt. Nichts anderes, als den Menschen eine umfassende Lebensbegleitung an Leib und Seele anzubieten, ist unsere Aufgabe. Mit den Menschen gemeinsam nach Zion zu ziehen und dabei jeden auf diesem Weg mitzunehmen - dadurch wird die Heilsbotschaft Gottes in Bethel erlebbar und erfahrbar.

Das Jahr 2008 war in der gesamten Welt von tief greifenden Veränderungen gekennzeichnet. Das Wort "Change" wurde zu einem geflügelten Wort, nicht zuletzt durch den eindrucksvollen Wahlkampf des designierten amerikanischen Präsidenten Barack Obama. In seinem Mund weckte dieses Wort "Change" viele Hoffnungen und Erwartungen. Es sorgte für Aufbruchsstimmung, für Träume.


Schmerzhafte Krise

Anders ist es mit den Veränderungen, die wir in den vergangenen Monaten sehr schmerzhaft erleben mussten. Die Krise am Finanzmarkt hat entsetzliche Folgen und ist noch lange nicht überwunden. Ängste vor Rezession und Arbeitslosigkeit sind wieder da. Uns in Bethel hat diese Krise bisher zum Glück nur wenig getroffen. Das liegt natürlich daran, dass wir mit dem sozialen Bereich in einem anderen Sektor tätig sind. Dennoch spüren wir auch Folgen der Krise: In den Werkstätten von proWerk fehlen die ersten Aufträge. Da wird es viel Kreativität und Anstrengung brauchen, um die Arbeitsplätze in Bethel proWerk zu sichern. Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen oder ausgelagerte Arbeitsplätze einzurichten wird in 2009 deutlich schwerer zu verwirklichen sein.

Das wahrzunehmen und zu erleben führt dazu, dass wir noch stärker als bisher Orientierung geben müssen. Wer sich nicht bewegt und zielgerichtet den zukünftigen Herausforderungen stellt, wird auch als diakonische Einrichtung nicht überleben können. Wir müssen dem Stiftungszweck dienen, einen ehrlichen Blick auf die finanzielle Situation und den Mut haben, rechtzeitig das Notwendige zu tun.

Wer sich dem Wandel verweigert, muss dann auch öffentlich dazu stehen. Verunsicherung kostet Kräfte. Das lähmt uns an Stellen, wo wir dringend Bewegung und ganzes Engagement aller Beteiligten benötigen. 'Change' ist aber auch Chance. Durch das unverantwortliche Handeln von Banken und Managern wurde offensichtlich: Der Markt sichert keine Lebensrisiken ab. Wir brauchen die Ordnungsfunktion des Staates, und wir müssen das Unsere beitragen.


200 Standorte

Das sichtbare Zeichen für begonnene und gelungene Veränderungen sind die mittlerweile über 200 Standorte, an denen die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel ihre vielfältigen Angebote machen. Die vier Regionen Ruhrgebiet/Rheinland, Ostwestfalen, Bethel im Norden und Berlin/Brandenburg bilden dabei mehr als nur eine geografische Aufteilung.

Im Stiftungsbereich Bethel vorOrt ist mit der Verlagerung einer großen Zahl von Plätzen aus Breckerfeld - der früheren Teilanstalt Homborn - in die Region Ruhrgebiet und bis in das Siegerland gut zehn Jahre nach Beginn dieser Veränderungen ein erstes grundlegendes Ziel erreicht. Die 'In der Gemeinde leben gGmbH', unsere gemeinsame Tochter mit der Diakonie in Düsseldorf, wird im nächsten Jahr mehr Menschen ambulant als stationär unterstützen.

Im Stiftungsbereich Behindertenhilfe spiegelt die Aufteilung in Regionen mit Regionalleitungen anstelle der früheren Teilbereiche die Entwicklung der vergangenen Jahre wieder. Die Regionalisierung der Angebote ist mittlerweile weit entwickelt.

Auch der Stiftungsbereich Integrationshilfen befindet sich in einem tief greifenden Veränderungsprozess. Ein Abbau von weiteren stationären psychiatrischen Plätzen in Bethel und Eckardtsheim ist geplant. Auf der anderen Seite werden neue stationäre Plätze in Hamm aufgebaut, und die Zahl der Klientinnen und Klienten in ambulanter Unterstützung in verschiedenen Gebietskörperschaften Westfalens bis nach Niedersachsen ist deutlich gewachsen.

Mit der Eröffnung des Wohnstifts Frieda von Bodelschwingh, des ehemaligen Abendfriedens, gibt es in der Ortschaft Bethel künftig ein gemeinsames Wohnen von Diakonissen und Privatpersonen im Alter. Ein schönes Zeichen dafür, wie Bethel sich nach außen öffnet.


Solidarität gefragt

Der Sanierungsprozess im Ev. Krankenhaus Bielefeld (EvKB) ist an vielen Stellen gut angelaufen. Ein wesentlicher Schritt bestand darin, zum 1. September neue Direktorien an den Standorten des EvKB einzurichten. Erfahrungen zeigen, dass Veränderungen und Reformen besser zu vermitteln und zu steuern sind, wenn Verantwortung ein konkretes Gesicht hat, Ansprechpartner im Alltag präsent sind. Wir sind optimistisch, das Defizit im Jahr 2009 deutlich zu reduzieren, damit das EvKB wieder in ruhigerem Wasser fahren kann und die dort arbeitenden Menschen wieder die ihnen gebührende Anerkennung für ihre gute Arbeit erfahren. Hier ist auch die Solidarität Bethels gefragt, denn auch andere Bereiche haben ja in schwierigen Zeiten Solidarität erfahren, wie Freistatt, die Betriebe oder die Altenhilfe.

Bereits in den vergangenen Jahren hat sich die bisherige Diakonie Freistatt intensiv darum bemüht, Angebote aus der Ortschaft in die Region zu verlagern. Neue Kooperationen, wie für das Suchttherapie-Zentrum Bassum, wurden eingegangen. Auch unser Engagement in Hannover im ehemals selbstständigen Birkenhof ist darin begründet, dass sich Bethel wesentlich stärker als bisher in der diakonischen Landschaft Niedersachsens vernetzen soll. Als Bethel im Norden sind beide Bereiche mittlerweile zu einem Unternehmensbereich zusammengeschlossen und auf einem guten Weg.


Glaubenskurs

Die bereits erwähnte Regionalisierung geschieht in der Region Berlin/Brandenburg anders als in Ostwestfalen: Es gibt keine Verlagerung von Plätzen, sondern einen Aufbau neuer Plätze in der Region. Das zeigt sich in neu entwickelten Projekten, aber auch in Übernahmen bestehender Einrichtungen. Bemerkenswert ist, dass alle Mitarbeitenden der Hoffnungstaler Anstalten Lobetal im Laufe des Jahres an einem Glaubenskurs teilgenommen haben. Dadurch sollten sie zumindest in den Grundaussagen unseres Glaubens und damit der Identität unseres diakonischen Unternehmens aussagefähig werden.

Die in allen Regionen wahrzunehmende Entwicklung zu Regionalisierung und Ambulantisierung deutet an, welche Veränderungen auf unsere traditionellen Ortschaften zukommen. Mit der Abnahme der stationären Plätze werden wir uns zunehmend Gedanken darüber machen müssen, welche Infrastruktur aufrechterhalten werden kann und muss. Am weitesten fortgeschritten ist diesbezüglich die Entwicklung in Breckerfeld. Hier können wir erleben, wie ein frühes Anstaltsgebilde aufgelöst wird. Am Ende dieser Entwicklung werden in Homborn noch eine moderne Werkstatt für behinderte Menschen, ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung, ein Kurzzeitpflegeangebot sowie einige Wohnungen für Menschen, die ambulant unterstützt werden, verbleiben. Die besondere Ortschaft Homborn wird sich so in die Gemeinde Breckerfeld integriert haben.

In der Hospizarbeit blickten wir 2008 auf zwei runde Jubiläen zurück: 10 Jahre Haus Zuversicht in der Ortschaft Bethel und 5 Jahre Hospiz am Ostpark in Dortmund. Die Hospizarbeit ist mittlerweile ein fest etabliertes Arbeitsfeld in Bethel. Gerade in der Begegnung mit Tod und Sterben stellt sich die Frage, was unsere Arbeit trägt und leitet. 'Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden.' Für Friedrich von Bodelschwingh führte diese Botschaft dahin, dass er das Sterben als Ziel des irdischen Lebens fast verherrlichte. Das ist heute nicht mehr unsere Botschaft. Aber die Gewissheit, auf den schweren Wegen von Gott begleitet zu werden, bestärkt uns darin, auch in diesen letzten Momenten des Lebens Menschen zu helfen, sie zu begleiten und ihnen Gottes Trost nahezubringen.


Keine Sterbehilfe

Damit wird das Thema Sterbehilfe berührt. Die Position der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel ist eindeutig: Wir leisten keine Sterbehilfe, aber akzeptieren den Wunsch von Patienten, wenn sie weitere Behandlungen ausdrücklich ablehnen. Das Ziel unserer Bemühungen ist es, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. Die öffentliche Positionierung Bethels fand sehr großes Echo. Bethel wird als bedeutende Stimme in ethischen Grundsatzfragen wahrgenommen.

Rund 15.000 Mitarbeitende machen sich jeden Tag auf den Weg, um ihre Arbeit für die Menschen in unseren Einrichtungen zu tun. Sie haben sie 2008 gut gemacht, das zeigen die Ergebnisse und vielen Ereignisse dieses Jahres. Herzlichen Dank für die Mitarbeit, das Mitdenken und Handeln, ohne das es Bethel nicht geben könnte! Ihr Mittun, Ihr Gestalten sind Grundlage dafür, dass sich Menschen in Bethel wohl fühlen und in ihrem Leben gut begleitet wissen. Gleichzeitig nehmen wir im Vorstand sehr deutlich wahr, dass es an vielen Stellen, gerade in der Betreuungs- und Pflegearbeit, in den vergangenen Jahren eine enorme Arbeitsverdichtung gegeben hat. Weniger Menschen müssen das Gleiche, manchmal sogar noch mehr leisten als zuvor. Hinzu kommt, dass gerade in diesem Bereich eine wachsende und sehr ernst zu nehmende Sorge um den Arbeitsplatz besteht. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nur noch befristete Dienstverträge, da wir es uns wirtschaftlich momentan nur in ganz wenigen Fällen leisten können, uns langfristig zu binden.

Der Überblick über unsere verschiedenen Arbeitsbereiche und Tätigkeitsfelder zeigt, dass wir insgesamt für die zukünftigen Aufgaben gerüstet sind. Dennoch ist der Aufbruch im Sinne eines positiv verstandenen "Change" nötig. Das wird ein mühsamer und steiniger Weg. Aber wir werden ihn gehen - nicht rennen, aber auch nicht schleichen. Wir werden uns bemühen, dabei alle mitzunehmen.


Erfreuliche Kontakte

Wenn wir auf das Gebiet der Sozial- und Gesundheitspolitik blicken, also das Feld, in dem wir als Bethel tätig sind, lässt sich ein doppeltes Fazit ziehen. Zum einen erfährt unsere Arbeit über die partei- und gesellschaftlichen Grenzen hinweg sehr hohe Aufmerksamkeit und Anerkennung. Vom Bundespräsidenten über die lokalen Abgeordneten im Bundestag und den verschiedenen Landtagen, von Ministerpräsidenten, Ministerinnen und Ministern, vom Oberbürgermeister bis zu den Ortsvorsteherinnen und -vorstehern haben vielfältige Kontakte und Besuche mit erfreulichen Ergebnissen stattgefunden. Die Einführung des "Persönlichen Budgets", die Verabschiedung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderung oder die Beteiligung von Städten und, Ländern an vielen Projekten und Veranstaltungen sind Belege für eine erfolgreiche Lobbyarbeit und gute Beziehungen zu den gesellschaftlichen Verantwortungsträgern. Vor allem aber sind sie ein Beleg dafür, dass die Arbeit Bethels mit den betroffenen Menschen überzeugend und gut ist.

Mit Blick auf die gesundheits- und sozialpolitischen Veränderungen in unserer Gesellschaft sind aber auch deutlich negative Punkte anzusprechen. Sie belasten unsere Arbeit und erschweren sie an vielen Stellen zunehmend. Das bekannteste Beispiel ist die dramatisch schlechte finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser. Mit Sorge stellen wir uns die Frage, ob und wie eine hochwertige medizinische Versorgung der Gesellschaft sichergestellt werden kann. Der Markt regelt nicht die Refinanzierung der Altenhilfe und der ambulanten Pflege. Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich zusehends. Soziale Grundsicherung, gesellschaftliche Teilhabe, Bildung und Gesundheitsversorgung dürfen aber nicht zu Gnadenakten verkommen. Die Finanzkrise sollte von der Politik als Chance wahrgenommen werden, über die grundsätzliche Orientierung unserer Gesellschaft nachzudenken. Wir werden Bethels Stimme noch deutlicher hörbar machen.

"Gemeinschaft verwirklichen" in Bethel heißt auch, eine gelingende Kommunikation zu praktizieren; es darf kein Gegenüber von 'wir da unten, die da oben' geben. Und so soll es das Bemühen auf allen Leitungsebenen sein, in klaren Strukturen in Kontakt miteinander zu kommen. Das gilt natürlich in besonderer Weise für das Miteinander mit der Mitarbeitervertretung und der Vertretung leitender Mitarbeiter. Die Kommunikationsformen müssen so verbessert werden, dass möglichst alle Menschen in Bethel auf den Weg 'hinauf nach Zion' mitgenommen werden können. In schwierigen Zeiten braucht es viel Mut auf beiden Seiten, damit in Bethel qualifizierte, refinanzierbare Arbeitsplätze erhalten oder neu geschaffen werden können.


Anerkennung und Dank

Der rasche Wandel in unseren Arbeitsfeldern betrifft natürlich zuerst und vor allem die Menschen Bethels, die wegen ihrer Behinderung, Krankheit oder persönlichen Lebenssituation Begleitung, Assistenz oder Therapie benötigen. Ihnen gilt meine Anerkennung und mein Dank für alle Mitwirkung und alles Verständnis in den notwendigen Veränderungen.

Zum 1. Februar 2008 habe ich meine neue Aufgabe übernommen. Mein persönlicher Dank gilt allen, die mich seitdem unterstützt haben, besonders dem Verwaltungsrat und dem Team von der '4. Etage'. Lassen Sie uns alle gemeinsam weiter hinaufgehen nach Zion, eingedenk des Bodelschwingh-Satzes: Neue große Nöte bedürfen neuer, mutiger Gedanken!"


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Quelle:
DER RING, Januar 2009, S. 5-9
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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Internet: www.bethel.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2009