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VERBAND/719: Studienergebnisse - Älterwerden von Menschen mit Kleinwuchs (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2014

Studienergebnisse
"Älterwerden von Menschen mit Kleinwuchs - Anforderungen an Präventionsmaßnahmen"

Von Dr. Birgit Behrisch und Alicia Prinz


Über die Gesundheits- und Lebenssituation von Menschen mit Kleinwuchs im Alter ist nur wenig bekannt. Vorhandene Studien thematisieren vielmehr die Lebensphasen der Kindheit und Jugend, dabei meist aus einem medizinisch-therapeutischen Blickwinkel. Konkret fehlen Informationen für und über ältere kleinwüchsige Menschen rund um gesundheitliche Risiken, Bedarfslagen sowie Anforderungen an Präventionsmaßnahmen auch aus der Sicht kleinwüchsiger Menschen selbst. An dieser Forschungslücke im deutschsprachigen Raum setzt das Kooperationsprojekt des BundesselbsthilfeVerbandes Kleinwüchsiger Menschen e.V. (VKM) und des Instituts Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW) an. Die Studie wurde vom BKK-Dachverband unterstützt.


Partizipative Ausrichtung des Projekts

Den Impuls zur Studie gaben die Beobachtungen des VKM, dass vor allem ältere Mitglieder an Veranstaltungen die der Verband anbietet oft nicht mehr teilnehmen. Das Ergebnis von informellen Gesprächen: Die wichtigsten Gründe für das Fernbleiben sind gesundheitliche Problematiken und damit verbundene Einschränkungen gesellschaftlicher Teilhabe.

Gesundheitlichen Risiken entgegenzuwirken sowie den Ist-Zustand der körperlichen Funktionsfähigkeit zu erhalten oder wieder zu verbessern ist Auftrag des Bereichs Prävention und Gesundheitsförderung. Daher entwickelten Mitglieder des VKM und Forscherinnen des IMEW gemeinsam ein Forschungsprojekt zur Frage nach der Bedarfsgerechtigkeit präventiver Angebote für diese Personengruppe. Dabei ging es darum, einen Einblick zu erhalten, inwieweit momentane präventive und gesundheitsfördernde Angebote von kleinwüchsigen Menschen bewertet und genutzt werden und (überhaupt) genutzt werden können. Ziel war es, Vorschläge für eine verbesserte Praxis von Prävention und Gesundheitsförderung für die Personengruppen zu erarbeiten, um auch dadurch eine längere gesündere sowie mit weniger Einschränkungen verbundene Teilhabe kleinwüchsiger Menschen am Arbeits- als auch am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

"aber die Ärzte haben da eigentlich keine Ahnung. Man muss zu den Ärzten sagen was brauch ich (.) warum bin ich klein oder = oder die Schwierigkeiten."
(Aussage einer Befragten)

Das IMEW hat zehn Einzelinterviews mit Verbandsmitgliedern des VKM geführt. Es hat - in Abstimmung mit dem VKM - einen Interviewleitfaden entwickelt, welcher in verschiedenen Fragenkomplexen die Erfahrungen mit dem Älter werden und der selbstständigen Alltagsführung bespricht und den Befragten die Möglichkeit gibt, Ansichten, Meinungen, Wünsche und Verbesserungsvorschläge zu äußern. Im gesamten Forschungsprozess haben die Kooperationspartnerinnen darauf geachtet, dass eine gleichberechtigte Zusammenarbeit in allen Phasen des partizipativen Projektes erfolgen konnte.

Ergebnisse

Zunächst konnte durch die Ergebnisse die Annahme bestätigt werden, dass kleinwüchsige Menschen einen vergleichsweise frühen Alterseintritt meist um das vierte oder fünfte Lebensjahrzent erfahren. Dabei führen gesundheitliche Einschränkungen zunächst zu einem vorzeitigen Austritt aus dem Arbeits- und Berufsleben und wirken sich zudem auch negativ auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aus.

"Man ist nicht behindert //mhm// man wird behindert gemacht."
(Aussage einer Befragten)

Behinderungsbedingte physische Fehl- und Überbelastungen mit der Folge von Verschleißerscheinungen sind dabei eine Ursache gesundheitlicher Einschränkungen, die so auch die bestehenden persönlichen Strategien selbstständiger Lebensführung der Befragten gefährden.

Die gängigen Maßnahmen im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung stellen für kleinwüchsige Menschen jedoch Schwierigkeiten dar, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen:

Fehlendes Wissen und Erfahrung

Fehlendes Wissen über den Kleinwuchs sowie fehlende Erfahrung im Umgang mit kleinwüchsigen Menschen führen dazu, dass es von Seiten der ÄrztInnen zu Fehleinschätzungen und Folgeschäden, wie zum Beispiel fehlende Überweisungen an FachärztInnen oder falsch verordnete Medikamente, kommt. Auch beim Fachpersonal im Reha- und Therapiebereich kommt es vor allem zu realitätsfremden Beurteilungen der Leistungs- und Funktionsfähigkeit. Fehlendes Wissen und Erfahrung führt auch dazu, dass von Seiten der Krankenkassen wenig Verständnis für die speziellen Bedarfslagen herrscht und eine fehlende Vertrauensbasis beklagt wird.

Mangelnde Zugänglichkeit

Oftmals ist die Zugänglichkeit zu Arztpraxen, Therapie- und Sportangeboten aufgrund mangelnder Barrierefreiheit (fehlende Behindertenparkplätze, Aufzüge) eingeschränkt. Lange Wegstrecken oder Treppenabsätze die zu Fuß zurückgelegt werden müssen sind beschwerlich und kräftezehrend für kleinwüchsige Menschen. In vielen Situationen können gerade technische Gerätschaften nicht auf eine geringe Körpergröße verändert werden, was in der Folge die Optionen medizinsicher Behandlungen sowie therapeutischer oder sportlicher Angebote einschränkt.

Selbstwahrnehmung

Die Gründe für Über- und Fehlbelastungen finden sich in einem geringen Kenntnisstand der Befragten über mögliche Gesundheitsrisiken, welche sich aus den allgemein hohen physisch und psychisch belastenden Anpassungsleistungen kleinwüchsiger Menschen aufgrund einer fehlenden Barrierefreiheit im Umfeld ergeben. Aber auch der Wunsch nach einem 'normalen' und unauffälligen Leben mit dem Ziel weitestmöglicher Selbstständigkeit führt dazu, dass die Befragten eigene Bedürfnisse oft vernachlässigen.

Fazit

Eine an ihren Bedürfnissen orientierte Umwelt, um körperlichen Fehl- und Überbelastungen und somit Verschleißerscheinungen entgegenzuwirken, ist für kleinwüchsige Menschen unumgänglich. Zumal der vergleichsweise frühe Alterungsprozess die Problemlage verschärft. Dem voran bedarf es einer besseren und auf die speziellen Bedürfnisse kleinwüchsiger Menschen abgestimmten Aufklärungsarbeit im Bereich gesundheitlicher Risiken sowie entsprechende präventive Maßnahmen. Ärztliches, therapeutisches und sportwissenschaftliches Personal sollte für die individuellen Bedürfnisse kleinwüchsiger Menschen sensibilisiert werden, auch im Hinblick, diese als ExpertInnen in eigener Sache wahrzunehmen.

Außerdem stellen die Ergebnisse dieser Studie die Frage nach Alternativen in den Raum, da dieser kleinen Personengruppe ein umfangreiches Versorgungsnetz nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Es ergibt sich die zentrale Rolle der von kleinwüchsigen Menschen genutzten Netzwerke, um in bereits bestehenden Versorgungsstrukturen kompetente Fachleute gegenüber den Betroffenen bekannt zu machen. Eine Stärkung der Selbsthilfe, die bereits die Funktion des Erfahrungs- und Informationsaustausches übernimmt, ist so ratsam.


Weitere Informationen:

Weitere Informationen erhalten sie beim Bundesselbsthilfeverband Kleinwüchsiger Menschen e.V. (www.kleinwuchs.de) oder beim Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft (www.imew.de). Die Broschüre kann über den VKM bestellt werden.

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Quelle:
Selbsthilfe 4/2014, S. 30 - 31
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren
Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2015

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