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VERBAND/725: Geschlechtergerechte Kommunikation (Selbsthilfe)


Selbsthilfe 2/2015

Geschlechtergerechte Kommunikation

Von Nicole Kautz


In der täglichen Selbsthilfearbeit stehen der gegenseitige Austausch von Erfahrungen, die Weitergabe von Informationen, das Ermutigen und Zuhören, die emotionale Unterstützung und die Beratung im Umgang mit chronischer Erkrankung und Behinderung im Mittelpunkt. Die Kommunikation ist dabei das zentrale Handlungsinstrument, welches täglich benutzt wird, um Ratsuchende bei fachlichen oder lebensorientierten Anfragen mit Wissen und Lösungswegen zu unterstützen. Auch im Schriftverkehr, bei der Erstellung von Broschüren, Internetseiten oder Pressetexten sollen Menschen erreicht, gewonnen und überzeugt werde. Wichtig dabei ist das WIE. Denn Sprache kann hierbei wertschätzend und anerkennend, aber auch verletzend, diskriminierend oder gar ausgrenzend sein. Gerade in der Selbsthilfe sollten besonders sensibel mit der Gefahr von Ausgrenzungen umgegangen werden.


Was ist Kommunikation?

Die Gesellschaft definiert sich nicht nur als modern, sondern bezeichnet sich sogar als Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Der Begriff Kommunikation ist längst fester Bestandteil der Alltagssprache (Ternes 2008). Die sprachliche Wurzel von Kommunikation liegt im lateinischen Verb "communicare" und bedeutet: etwas gemeinsam machen, teilnehmen lassen, Anteil nehmen, sich beraten und besprechen (Anderssohn 2005). Jeder trägt beim Sprechen und Schreiben eine große Verantwortung, um so verstanden zu werden, wie es gemeint ist. Eine Kommunikationsbeziehung wird dann erfolgreich sein, wenn der gewünschte Empfänger das versteht, was ihm mitgeteilt wird (Kastell 2010). Um dies zu erreichen, sind ein situationsentsprechender Kommunikationsstil (persönliche Haltung) als auch eine hinreichende Wertschätzung und Gleichstellung von Agierenden unabdingbar. Die persönliche Haltung nimmt dabei Einfluss auf die Entwicklung des Gesprächs (Ternes 2008).

Zusammenspiel Gender, Mainstreaming und Kommunikation

Die Art und Weise von Kommunikation ist fester Bestandteil der umfassenden Frage, wie in einer demokratischen Gesellschaft, welche sich per Gesetz zur Chancengleichheit verpflichtet hat, Frauen und Männer kommunizieren und leben können. Vor allem mit dem Wissen, dass es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt und die Zugehörigkeit zum weiblichen oder männlichen Geschlecht noch immer eine der prägendsten gesellschaftlichen Unterscheidungen ist. Die Beachtung der weiblichen und männlichen Sichtweisen, Erfahrungen, Gefühle bei Ratsuchenden oder bei den zu pflegenden Angehörigen hat erhebliche Konsequenzen für Angebote, Aktivitäten oder Beratungen in den jeweiligen Selbsthilfegruppen oder -organisationen (Rogall-Adam, Josuks, Adam, Schleinitz 2011).

Die Strategie des Gender Mainstreamings versucht deshalb, das Leben in all seinen Facetten aus der Sicht von Frauen und Männern wahrzunehmen sowie deren Bedürfnisse bei allen Entscheidungen und Planungen von Anfang an zur Geltung zu bringen (Rogall-Adam, Josuks, Adam, Schleinitz 2011). Jener Gender-Ansatz hat für die Arbeit in der gesundheitlichen Selbsthilfe die Konsequenz, sich stetig die Fragen zu stellen: Was bedeutet das für Frauen? Was bedeutet dies für Männer? Welche Auswirkungen hat die Handlung/Entscheidung?

Die Umsetzung jener Strategie im Bereich der Kommunikation bedeutet in Text und Bild Kommunikationsformen anzuwenden, welche weder Frauen noch Männer herabsetzt oder ausschließt sowie eine Geschlechtergruppe aufwertet. Vielmehr sollte ein Umgang gepflegt werden, welcher beiden Geschlechtern denselben Stellenwert zukommen lässt und sie gleichermaßen wertschätzend und diskriminierungsfrei anspricht (Kastell 2010).

Geschlechtergerechte Kommunikation

Sprache wird im Alltag oft als neutrales Mittel verstanden, das benutzt wird, um zu kommunizieren. Sprache ist aber ein wirkmächtiges Instrument, wenn es darum geht, der Welt eine Bedeutung und einen Sinn zu geben. Mit der Benennung der Umwelt nicht nur mittels Sprache, wird eine Welt mittels Sprache "erschaffen". Beispielsweise werden Männer fast immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in der Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger. Weg sind die 99 Frauen, verschwunden in der "Männerschublade", konstatierte die Linguistin Luise F. Pusch in ihrem Buch "Alle Menschen werden Schwestern" (Levecke 2006). Aber der Mensch agiert nicht nur mit seinen Handlungen, sondern auch mit dem was er sagt sagt und was er verschweigt. Diskriminierende Sprache kann deswegen explizit (Schimpfwörter, sexistische Witze oder rassistische Bemerkungen) oder auch implizit durch Zuschreibungen von Eigenschaften, Metaphern oder Infantilisierung geschehen, in dem Personengruppen systematisch nicht erwähnt oder zu "Objekten" werden (Voglmayer 2010).

Eine geschlechtergerechte Sprachverwendung im Arbeitsalltag ermöglicht demzufolge, sowohl in der Kommunikation als auch in geschriebenen Texten, Frauen und Männer gleichermaßen anzusprechen. Sprache bietet verschiedene Möglichkeiten geschlechtergerecht und wertschätzend zu formulieren:

• Sichtbarmachen des Geschlechts
• Neutralisieren des Geschlechts.

Das Geschlecht sichtbar machen bedeutet, zunächst klarzustellen, ob es sich um Frauen oder Männer oder um beide handelt. Hierzu zählt auch das Sichtbarmachen von Menschen, die nicht in das Geschlechtersystem "Mann und Frau" fallen (Transgender, Intersexuelle) (Gäckle 2013). Geschlechtsneutrale Formulierungen beziehen sich auf beide Geschlechter, machen aber weder Frauen noch Männer sichtbar. Diese Handlungsstrategie bietet sich an:

• wenn Rollen und Funktionen im Vordergrund stehen
• aus stilistischen Gründen (Worthäufungen)
• aufgrund der Lesbarkeit und der Übersichtlichkeit von Texten
• aufgrund von Platzgründen (Flyer, Broschüre, Internetseite).

Um die Gefahr zu vermeiden, dass ein Geschlecht übersehen wird, sollten sich die Schreibweisen aus den einzelnen Handlungsstrategien abwechseln (Kastell 2010).

Schlussbetrachtung

Sprache ist das wichtigstes Handlungsinstrument - auch in der gesundheitlichen Selbsthilfe. Mit Hilfe der Sprache drückt der Mensch aus, wie er sich selbst und seine soziale Wirklichkeit sieht. Geschlechtergerecht formulierte Texte leisten deshalb einen aktiven Beitrag zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Anregungen und Tipps für eine sprachliche Gleichstellung bietet die Broschüre: "Die Macht der Sprache - Ein Sprachleitfaden zur geschlechtergerechten und Wertschätzenden Kommunikation in Wort und Bild", welche im Rahmen des Projekts Implementation eines genderorientierten Verbandsmanagement der BAG SELBSTHILFE entstanden ist.


Nicole Kautz M.A. (Projektleitung)
nicole.kautz@bag-selbsthilfe.de

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Quelle:
Selbsthilfe 2/2015, S. 10 - 11
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
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Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2015

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