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WERKSTATT/269: Eine Werkstatt für Menschen mit Autismus (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - März 2012

Eine Werkstatt für Menschen mit Autismus
Klare Strukturen, Reizabschirmung und Vorhersehbarkeit

von Silja Harrsen


Der Fotograf stört. Er gehört nicht in die Werkstatt. Die junge Frau reagiert irritiert. »Wann geht der wieder?«, fragt Juliane T. immer wieder. Und Sabine Prybylski erklärt ihr, was der Fotograf vorhat und wie lange er dableibt. »Viele Menschen mit Autismus sind gestresst, wenn sich etwas um sie herum verändert«, erläutert die Leiterin der Abteilung Autismus in der Werkstatt am Bullerbach in Bielefeld-Eckardtsheim.


Die Abteilung für Menschen mit Autismus ist in einem Extra-Gebäude untergebracht. Fünfzehn Menschen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren arbeiten dort in einer möglichst gleichbleibenden Umgebung. Sie haben einen eigenen Eingang. Von der Hektik und Unruhe im normalen Betrieb bekommen sie nichts mit. In ihrer Werkstatt gibt es Räume zum Arbeiten und Räume zum Ruhen. Um die Beschäftigten von Geräuschen und visuellen Reizen abzuschirmen, sind einzelne Arbeitsbereiche sogar durch Raumteiler begrenzt. »Nicht jeder ist gleich empfindlich gegenüber Ablenkungen. Und die Bandbreite der Fähigkeiten unserer Beschäftigten ist groß«, sagt Sabine Prybylski. Einige können lesen, schreiben und rechnen, andere nicht. Es gibt Beschäftigte, die zweisprachig sind, und solche, die gar nicht reden. »Gemeinsam haben sie, dass sie klare Strukturen brauchen, sowohl räumlich als auch zeitlich«, unterstreicht die Abteilungsleiterin.

Juliane T. arbeitet in der Montage. Sie steckt Verschlusskappen für Autopflegemittel zusammen. »Autistische Menschen arbeiten in der Regel verlässlich und sehr präzise«, so die Erfahrung von Sabine Prybylski. Wenn Juliane T. alle Teile zusammengesteckt hat, stellt sie die Kiste mit den fertigen Produkten auf die rechte Seite ihres Arbeitsplatzes. Das ist der »Fertigbereich«. Von alleine wüsste sie nicht, was als Nächstes ansteht - Mittagspause, nach Hause gehen, Trainingseinheit? Der Stress wäre groß, wenn nicht eine Mitarbeiterin eine Karte auf ihren Arbeitstisch gelegt hätte, die ihr die Information gibt, als Nächstes auf ihren Tagesplan zu schauen. Anhand der Symbole auf dem Plan liest sie den nächsten Programmpunkt ab. »Ihr Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit ist hoch. Durch den Plan erhält sie die Orientierung, die sie braucht. Das nimmt Ängste und Unsicherheiten«, erläutert Sabine Prybylski.

Menschen mit Autismus haben oft Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen und in der Kommunikation. Auch verarbeiten sie Sinnesreize meist anders als nicht autistische Menschen. Damit sie trotz dieser Besonderheiten am gesellschaftlichen und am Arbeitsleben teilhaben können, ist es notwendig, die Umgebung an ihre individuellen Möglichkeiten anzupassen. »Einige Betroffene profitieren von einer spezialisierten Gruppe, wie es sie in der Werkstatt am Bullerbach gibt. Andere kommen ohne Probleme in einer der herkömmlichen Werkstätten klar«, betont Thomas Feilbach vom Fachdienst Autismus in Bethel. »Wir brauchen sowohl die Spezialgruppe als auch gemischte Betreuungssettings. Gut, dass Bethel beides hat.«


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Quelle:
DER RING, März 2012, S. 12
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2012