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WERKSTATT/271: Werkstätten für behinderte Menschen machen Bildung barrierefrei (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2014

Werkstätten für behinderte Menschen machen Bildung barrierefrei
BAG WFBM tritt für anerkannte berufliche Abschlüsse ein

Von Claudia Fischer



Werkstätten für behinderte Menschen unterstützen Menschen mit Behinderung, ihre Berufswünsche zu verwirklichen. In über 100 Berufsfeldern- von A wie Altenpflege bis Z wie Zweiradmechanik - bieten Sie berufliche Qualifizierung. Bundesweit waren es 2013 rund 33.000 Menschen mit Behinderung, die den zweijährigen Berufsbildungsbereich in einer Werkstatt absolvierten.

Der Berufsbildungsbereich der Werkstätten ist ein notwendiges Angebot für Menschen mit wesentlichen Behinderungen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht die individuelle Unterstützung bekommen. Sie hätten ohne dieses Angebot keine Chancen, eine berufliche Qualifizierung zu erhalten. Es gibt Bildungsangebote innerhalb der Werkstatt, zum Beispiel in der Werbetechnik, im Garten- und Landschaftsbau oder in der Gastronomie. Darüber hinaus gibt es immer mehr Angebote außerhalb der Werkstatt. Werkstätten kooperieren dazu mit Kindergärten, mit Hotels, betreiben Stadtbüchereien und vieles mehr. Die Angebote richten sich nach individuellen Berufswünschen. Ganz im Sinne der Inklusion.


Bildung anerkennen - Inklusion fördern

Ganz und gar nicht im Sinne der Inklusion ist, dass die Absolventen des Berufsbildungsbereiches am Ende ihrer Qualifizierung keinen Abschluss erwerben können, der auf dem ersten Arbeitsmarkt bekannt und anerkannt ist. Noch gibt es keinen bundesweiten Standard und keinen qualifizierten Abschluss, den sie zum Einstieg in die Arbeitswelt nutzen können.

Das möchte die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) ändern. Jeder Mensch kann lernen und diese Lernerfolge müssen anerkannt werden. Deshalb fordert die BAG WfbM die Politik auf, die Berufsqualifizierung der Werkstätten ernst zu nehmen und im Berufsbildungsgesetz zu verankern. Grundsätzlich sollte mindestens der gleiche zeitliche Rahmen für die Qualifizierung durch die Werkstatt wie für eine Berufsausbildung gelten. Eine Erweiterung des Berufsbildungsbereiches auf drei Jahre ist daher längst überfällig, lautet eine Grundforderung der BAG WfbM.


Bundesweiter Standard für Berufliche Bildung

Um einen bundesweiten Standard für die berufliche Bildung in Werkstätten zu etablieren, arbeitet die BAG WfbM gemeinsam mit den Landesarbeitsgemeinschaften der Werkstätten seit November 2013 an Bildungsrahmenplänen. "Bildungsrahmenpläne bundesweit auf einen Nenner zu bringen, erhöht die Transparenz und Vergleichbarkeit", erklärt Vera Neugebauer, stellvertretende Vorsitzende der BAG WfbM.

Diese Bildungsrahmenpläne knüpfen direkt an die Rahmenpläne anerkannter Ausbildungsgänge an: "Wenn wir Bildungsinhalte in der Werkstatt ähnlich aufbauen wie die offiziell anerkannten Ausbildungsgänge, werden die Bildungs- und Arbeitsbereiche durchlässiger für Menschen mit Behinderung. Das erleichtert Werkstattbeschäftigten den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt", so Neugebauer.

"Ein ähnlicher Aufbau und die gleiche Sprache führen zu mehr Verständnis: Auf Seiten der Arbeitgeber, die besser einschätzen können, welche Qualifikationen die Menschen mit Behinderungen mitbringen. Aber auch auf Seiten der Menschen mit Behinderung, die die Anforderungen der Arbeitswelt dadurch besser einschätzen können. Alle sprechen dann die gleiche Sprache", so Neugebauer weiter. "Langfristig möchten wir erreichen, dass Menscben mit Behinderungen in Werkstätten anerkannte berufliche Abschlüsse erwerben können", beschreibt sie das Ziel.


Berufliche Bildung individuell auf Fähigkeiten und Stärken abstimmen

Im Berufsbildungsbereich der Werkstätten werden Qualifizierungsmaßnahmen und Lerninhalte immer wieder neu entwickelt - für jeden einzelnen Menschen. "Das ist ein ganz anderer Ansatz als wir ihn aus der Regelschule oder der regulären Berufsausbildung kennen. Dort werden vorgegebene Inhalte test- und prüfungsorientiert abgearbeitet. Bildung wird vielfach gleichgesetzt mit Leistungsanforderungen, die in den Kategorien 'bestanden' und 'nicht bestanden' münden", beschreibt BAG WfbM-Bildungsreferent Thomas Bauer den maßgeblichen Unterschied.

Im Gegensatz dazu bestimmen im Berufsbildungsbereich der Werkstätten die Fähigkeiten und Interessen des Menschen die Lerninhalte. Das Besondere ist: Niemand kann "durchfallen", da die individuellen Fähigkeiten das Lernniveau festlegen. "Berufliche Bildung in Werkstätten begleitet die Menschen auf ihrem Weg zu ihren individuellen Zielen", fasst Bauer die besondere Leistung der Werkstätten zusammen.

Insofern ist Berufliche Bildung in der Werkstatt nicht eins zu eins vergleichbar mit dem System der Berufsausbildung. Während die Berufsausbildung in festen zeitlichen und inhaltlichen Strukturen abläuft, bewegt sich die Berufliche Bildung in Werkstätten auf einer individuellen Ebene. Werkstätten integrieren eine Vielzahl von methodischen und didaktischen Ansätzen und konstruieren so immer ein individuelles Angebot. Bei aller Individualität bewegt sich aber eine Werkstatt immer in einem arbeitsmarktnahen Kontext und im vorherrschenden Berufsbildungssystem. Insofern bauen Werkstätten eine wichtige Brücke zum allgemeinen Arbeitsmarkt.


KASTEN I   Der Berufsbildungsbereich in Werkstätten

Die bis zu 27 Monate dauernde Ausbildungszeit gliedert sich in einen bis zu dreimonatigen Eingangsbereich und einen nachfolgenden Berufsbildungsbereich. Die Menschen mit Behinderungen durchlaufen die verschiedenen Arbeitsfelder in der Werkstatt, um den ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Kostenträger sind die zuständigen Rehabilitationsträger, in der Regel die Bundesagentur für Arbeit oder der Rentenversicherungsträger. Bundesweit absolvieren derzeit etwa 33.000 Menschen in 700 Werkstätten den Berufsbildungsbereich. In Deutschland gibt es ein Werkstättennetz mit rund 2.600 Standorten. Es bietet rund 300.000 Menschen mit Behinderung, Qualifizierung, Arbeit und dauerhafte Perspektiven.


KASTEN II
 
Die BAG WfbM

Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) ist der bundesweite Zusammenschluss der Träger von Werkstätten für behinderte Menschen mit deren angegliederten Förderstätten und Integrationsunternehmen. Der Verband dient seinen Mitgliedern mit Beratung und Interessenvertretung in allen fachlichen und politischen Angelegenheiten. Die BAG WfbM ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein. Sie wurde am 18. Juni 1975 in Bonn gegründet.

Wofür setzt sich die BAG WfbM ein?

Die Inklusion gerade auch schwer behinderter Menschen in Arbeit und Gesellschaft ist erklärtes Ziel der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Deshalb sind die Aufgaben der Werkstätten und ihr gesetzlicher Auftrag notwendiger denn je. Inklusion, verstanden als Einbezug in die Gemeinschaft bei gleichzeitigem Respekt der Individualität, darf nicht ausschließlich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt fokussieren, sondern muss vorrangig immer die individuelle Lebensqualität der Menschen in den Blick nehmen.
Werkstätten schaffen "Ausgleichsstrukturen" für Menschen, die ohne dieses Angebot keinen Bezug zum Arbeitsleben und keinerlei berufliche Perspektiven hätten. Solange der allgemeine Arbeitsmarkt Menschen mit schweren Behinderungen ausschließt, sind Werkstattträger gefordert, Brücken in die Arbeitswelt zu bauen, um Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen.

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Quelle:
Selbsthilfe 1/2014, S. 20-21
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen
mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de
 
Die "Selbsthilfe" erscheint mit 4 Ausgaben pro Jahr.
Jahresbezugspreis:
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Einzelpreis: 5,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2014