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INTERVIEW/032: Sterben nach Plan - gesundheitsökonomische Instanzen ...    Erika Feyerabend im Gespräch (SB)


Erika Feyerabend ist beim Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien BioSkop e.V. aktiv. Die Wissenschaftsjournalistin gehört zu den erfahrensten und kundigsten KritikerInnen biomedizinischer und biopolitischer Entwicklungen in der Bundesrepublik. Ihre Texte veröffentlicht sie vor allem in der Zeitschrift BIOSKOP, die das gleichnamige Forum herausgibt. Nach der unter anderem von BioSkop veranstalteten Tagung "Zwischen Planungssicherheit und Sorgegesprächen - Nachdenken über Vorsorgeprogramme in der Alten- und Behindertenhilfe", die am 23. September 2017 in der Katholischen Hochschule (KatHO) NRW in Münster stattfand, beantwortete sie dem Schattenblick einige das Thema der Konferenz vertiefende Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Erika Feyerabend
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Du hattest in deinem Vortrag den Begriff des Entscheidungstodes verwendet, der konträr zu stehen scheint zum Freitod, der mit Blick auf die eigene Entscheidungsfähigkeit als eine im Grunde emanzipatorische Handlung verstanden wird. Auf der Staatsebene hingegen haben wir es mit dem Dezisionismus bzw. einer autoritären Verfügungsgewalt von oben zu tun, die über alle Köpfe hinweg entscheidet, was richtig bzw. rechtens ist. Könntest du einmal erläutern, wie du zum Begriff Entscheidungstod gekommen bist?

Erika Feyerabend (EF): Ich bin vor allem auf den Begriff gekommen, weil die Gestaltungsfrage in dem großen Diskurs um Sterben und Tod überhaupt nicht mehr sozial und auch nicht mehr prozessual gesehen wird, sondern nur noch als eine punktuelle Ja-Nein-Entscheidung zwischen vorgelegten Optionen. Das Lebensende erlebt man nur einmal und hat auch Angst davor, was auch richtig ist. Meiner Meinung nach läßt sich das auch nicht bewältigen. Auf der einen Seite mobilisiert der Diskurs dieses Entscheidungsverhalten, auf der anderen Seite verengt er die Phantasien darauf, nur noch sterben zu können, expertengestützt und entschieden. Ansonsten würde man, was sowieso Quatsch ist, ewig am Leben erhalten werden. Im Gesundheitswesen gibt es Über-, Fehl- und Unterversorgung, aber im Zuge der Kommerzialisierung des gesamten Gesundheitswesens spielt die Unterversorgung eine viel größere Rolle, als öffentlich gedacht, gesprochen und persönlich imaginiert wird.

Die Idee, also dieser Mythos, würde ich fast schon sagen, der Übertherapie, die im Bild der kalten Apparatemedizin zum Thema gemacht wird, ist so übermächtig und zur durchschlagenden Metapher geworden, daß ich im Editorial auf einen Ausspruch von Friedrich Nietzsche zurückgegriffen habe: Es handelt sich um eine Illusion, von der man vergessen hat, das es eine ist. Und diese ist handlungsleitend geworden für das Verhalten und das wird auch ständig befeuert, weil es ressourcensparend ist. Die letzten drei Monate im Leben eines Menschen sind sehr teuer, vor allem mit Blick auf die Krankenhauseinweisungen. Ohne Krankeneinweisung kommen ungefähr 1500 Euro zusammen, mit Krankenhauseinweisung und Notfällen, die nicht immer richtig sind, aber nicht per se abgewählt werden sollten, kostet der Einsatz 11.000 Euro oder so. Diese Größenordnung hat es.

Dafür gibt es durchaus ein großes Interesse, aber ich würde das eben nicht nur ökonomisch sehen. Es gibt auch das Interesse der Haftungssicherheit für die, die in den Institutionen arbeiten, und dies wiederum als Konsequenz einer totalen Verrechtlichung von Beziehungen, die die Möglichkeit oder Hoffnung in sich birgt, nicht mehr der Willkür einzelner ausgesetzt zu sein. Wer aber wendet Recht an bzw. interpretiert Recht? Es sind nicht die Patienten. Was im Gesetz steht, muß immer durch Gerichtsverhandlungen und Gerichtsurteile ausgedeutet werden, im Falle von ACP extrem durch Verhandlungen von sehr mächtigen Akteuren, bei denen kein einziger späterhin Betroffener beteiligt sein wird. Es sind die Institutionen, die diesen Rahmen setzen, den man dann auch nicht mehr verlassen kann, sollte man, einmal salopp gesagt, die paar Kröten von der GKV haben wollen für das, was man an toller Beratung anbietet.

SB: Wäre es denn ein wertfreier Prozeß, wenn jemand in seiner Patientenverfügung oder bei Advance Care Planning verlangt, daß unter allen Umständen alles nur Erdenkliche gemacht wird, um ihn am Leben zu erhalten? Wäre das im Verhältnis zum Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen eine gleichwertige Option?

EF: Ja, aber das ist gar nicht das Problem. Das Rechtsproblem, das hinter diesem ganzen Projekt Patientenverfügung und ACP steht, ist, daß eine medizinisch indizierte Behandlung durchgeführt werden muß. Das ist erst einmal die Setzung und eben nicht palliativ, wobei die Grenze zwischen therapeutisch und palliativ alles andere als eindeutig ist. Begründungspflichtig im juristischen Sinne ist der Verzicht. Deswegen wird auch dieses ganze Projekt Patientenverfügung, ACP durchgeführt, damit legitimiert ist, daß man eine Behandlung unterläßt, der der Tod folgt. Die Frage, die ich auch mit gutem Recht immer aufwerfe, ist: Wenn die Zielsetzung der Unterlassung der Tod des Patienten ist, stellt sich nicht selten die Frage, warum dann nicht gleich töten? Daß man an einem nicht behandelten Schlaganfall oder an einer nicht behandelten Lungenentzündung oder an akuten Darmblutungen verstirbt, ist alles andere als würdig und auch kein einfacher Tod. Auch wenn das immer so dargestellt wird, ist dem nicht so. Ich könnte diese Begleiterkrankung behandeln und auch das Leiden lindern. Ob ich damit das Leben verlängere oder nicht, läßt sich nicht unbedingt sagen, aber man erleichtert die Situation dieser Menschen.

SB: In der Debatte um aktive Sterbehilfe wird immer auf die Niederlande verwiesen, wo sie längst praktiziert wird. Hat man dort im Vorwege vor den Gefahren dieser Entwicklung gewarnt und etwa auf die möglichen Konsequenzen von Patientenverfügungen hingewiesen?

EF: Historisch ist das hochinteressant. In den 60er, 70er Jahren fing man an, zunächst in Fachkreisen darüber zu diskutieren. Es war nicht so, genau wie jetzt bei der Patientenverfügung und ACP, daß die Bürger und Bürgerinnen nach diesem neuen Instrument gerufen haben. In den Niederlanden haben zunächst die Ärzte darüber debattiert. Hintergrund war eine Publikation von Jan Hendrik van den Berg 1969, die innerhalb kürzester Zeit eine hohe Auflage erzielte. In dem Buch "Ärztliche Macht und ärztliche Ethik" wird die Frage thematisiert, was man mit den total Dementen tun soll, mit denen, die nicht sterben wollen und denen, die suizidwillig sind. Das betraf auch Behinderte, insbesondere behinderte Kinder, und Unfallopfer. Sollen wir sie überhaupt noch behandeln? Die Antwort des Autors war Nein. Wir brauchen Sterbehilfe. Das hat den Diskurs befeuert.

Erst einmal hat es Fachdiskussionen innerhalb der Ärzteschaft gegeben, die sich jedoch überhaupt nicht um Selbstbestimmung und Autonomie drehten, sondern um die Frage von Ressourcenverteilung. Wen sollen wir bei beschränkten Ressourcen behandeln? Es ging um die Vermeidung des Leidens von Angehörigen, die nicht mitansehen können, wie sich ihr Angehöriger dementiell verändert, oder die Frage, unter welchen Leidenssituationen die Eltern von total behinderten Kindern stehen. Das war der Anfang. Der ganze Diskurs um die Sicherung von Selbstbestimmung und Autonomie ist erst später entstanden. Um Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft für das Thema zu schaffen, wurde argumentiert, daß nicht die Ressourcenverteilung, sondern die Autonomie des Einzelnen die Antriebskraft sei, die Sterbehilfe notwendig machte. Das ist ein sehr interessanter Verlauf. Heute wird nur noch über Autonomie gesprochen, wobei die Praxis ja enorme Steigerungsraten aufweist.

SB: In den USA fing die Debatte mit den Fällen derjenigen an, die sich nicht selbst töten können, weil sie beispielsweise nur noch imstande sind, die Augenlider zu bewegen. Die Diskussion ist danach unmerklich übergegangen in den allgemeinen Wunsch nach Sterbehilfe. Das anfängliche Argument war jedoch, daß denjenigen in den Tod geholfen werden muß, die sich nicht selber helfen können.

EF: Zentral in den Niederlanden lautete die Frage, sagen wir einmal idealtypisch und auf der juristischen Ebene: Wann findet Sterbehilfe Akzeptanz? Das setzt einen entscheidungsfähigen Menschen voraus, der es wollen muß, ohne daß Druck auf ihn ausgeübt wird, wobei man sich natürlich fragen kann, wie sich sozialer Druck äußert. Es fing an mit schwerstbehinderten Neugeborenen, die getötet werden konnten, und ist dann weitergegangen zu den dementiell veränderten Menschen, die das entweder im Frühstadium per Patientenverfügung für ein späteres Stadium anfragen und wünschen konnten oder eben solchen, die sich gar nicht mehr äußern können. Das wurde dann auch durchgeführt. Die Entwicklung ging dann weiter zu den Psychiatriepatienten, die auch getötet werden. Jetzt hat eine Diskussion angefangen, daß Selbstbestimmung und Autonomie nicht abhängig sein müssen von ärztlicher Diagnostik. Diejenigen, die des Lebens müde sind, oder Menschen mit einem "vollendeten Leben" - ist die Sprache nicht toll? - sollen nun auch diese Möglichkeit bekommen.

Die Berichte, die die Kontrollkommissionen veröffentlichen, gehen eindeutig in die Richtung, diese Sterbewünsche zu befeuern, vielfach wegen des Verlustes an Autonomie bzw. was sie darunter verstehen, nämlich eigenständige Alltagsbewältigung oder Souveränität im eigenen Leben. Unter anderem sagen auch Menschen mit Pflegeerfahrung, ob beruflich oder privat, das möchte ich anderen Menschen nicht zumuten, oder es sind Leute, die schlecht versorgt sind, wobei die Niederlande, ob nun ambulant oder was den Personalschlüssel in den Krankenhäusern anbelangt, wesentlich besser aufgestellt sind als wir. Dort hat man einen Betreuungsschlüssel in den Krankenhäusern von 1:4,9-Patienten, während bei uns das statistische Mittel bei 1:13,9-Patienten liegt. Und das wird auch noch in der Praxis getoppt, besonders in den Nachtschichten mit 1:40 zum Teil.

SB: In der bioethischen Debatte wird oft gesagt, daß diese Menschen kein Benefit mehr haben, sich also ihr Leben für sie nicht mehr lohne. In einem Vortrag heute wurde implizit unterstellt, daß nicht loslassen zu können bedeute, den Sterbeprozeß unnötigerweise aus Angst vor dem Tod zu verlängern. Wo kommt diese Art der normativen Setzung her?

EF: Im Zusammenhang mit ACP und Patientenverfügung wird ein bestimmtes Bild vom Tod gemalt, daß man keine Angst vor ihm zu haben bräuchte und ihm heroisch und mit voller Souveränität entgegengehen sollte. Karin Michel sprach denn auch davon, daß die Menschen ihren Willen in die Situation, in der sie sich nicht mehr äußern können, irgendwie konservieren. Souveränität im Sterben ist das Bild, was man erfüllen soll. Jemand, der leidet, jammert, nicht sterben will, dem es schlecht geht, der keine Hoffnung mehr hat usw., den will man eigentlich nicht haben, weil er nicht ins Bild eines souveränen, willenfähigen, vom reinen freien Willen geprägten Menschen paßt. Daß dieses Bild jetzt in diese Phase des Lebens installiert wird, finde ich ganz dramatisch.

SB: Andreas Heller hat in seinem Referat den koreanischen Philosophen Byung-Chul Han zitiert, laut dem das Sterben im Grunde zu einer Art von Lifestyle-Option geworden ist. Würdest du das auch so sehen?

EF: Absolut. Das ist eine Ausdehnung dessen, wovon ich gerade gesprochen habe, sozusagen die neueste Fackel des Privatrechts und mittlerweile die einzig vorstellbare Angriffskraft des Menschen. Die Situation, die wirklich schwierig sein kann und die alle Menschen bedrohlich finden und auch schon immer bedrohlich fanden, wird gerade so gebaut, als ob wir alle sterben wollten. Das ist doch gar nicht die Frage und zudem eine völlig irrwitzige Idee. Wir müssen sterben. Die Lebensumstände sind unerträglich entweder durch soziale Isolation, durch körperliche Entstellung, was in einer Gesellschaft wie der unsrigen immer wichtiger wird, oder durch die Unmöglichkeit, sein Leben selber zu organisieren und hilfebedürftig zu sein. Das gilt als der Super-GAU.

Diese Situation wird auf der Ebene des "Wertesystems" und gleichzeitig aber auch sozialpolitisch so aufgebaut. Wir rennen ja nicht nur als Babyboomer in diese letzte Lebensphase rein, sondern auch als Altersarme. Durch die Reform der Rentenversorgung, die privatisiert und bis zum Abwinken gekürzt worden ist, werden doch alle in einer Situation landen, wo sie auf Grundsicherung gesetzt sind. Damit ist ein öffentlich zur Verfügung gestelltes Versorgungssystem im Sinne von Pflege und Aufrechterhaltung von Teilhabe überhaupt nicht mehr möglich. Das kannst du nur noch, indem du dir das zukaufst. Wer kommt denn auf die Idee, daß ich unter solchen Umständen irgendwie den Tod wollen würde im Sinne einer Willensfreiheit?

Ich hatte den Referenten im Vorwege gesagt, sie sollten die Mißstände, Lücken usw. in der Versorgung von Menschen mit Behinderungen als auch von alten Leuten darstellen. Das war ja nun nicht der Fall. Aber sie haben immerhin demonstriert, welche Leute in der Wissenschaft, in der Praxis und im Fortbildungssystem sitzen, die solche Instrumente vermitteln. Was soll auch daraus werden, wenn der selbstreflektierte Ansatz der politischen Elite von an sich gutgemeinten Planungsinstrumenten durch Ignoranz und persönliche Naivität getragen ist?

SB: Wir waren heute in der Katholischen Hochschule, also einem Ort, der von gesellschaftlich fortschrittlichen Kräften eher mit Skepsis betrachtet wird. Das gilt natürlich auch umgekehrt. So gab es vor ein paar Tagen in Berlin eine größere Demo von Linken gegen LebensschützerInnen. Wie bewertest du diesen Konflikt aus Sicht einer langjährigen Aktivistin?

EF: Und einer Feministin, die sich 1975 und in den Folgejahren die Regelung des Abtreibungsrechtes anders vorgestellt hat, als es dann im Ergebnis war. Die mediale Vermittlung des Problems von Abtreibungen, Selbstbestimmung und medizinischem Fortschritt tut so, als ob es eine einfache Opposition gäbe, nämlich zwischen Wertkonservativen, die immer fürs Leben eintreten und sich auch Kritiken an eugenischen Konzepten den Sterbegestaltungen durch professionelle Dienstleister aneignen, und den Liberalen, die den freien Willen des Individuums in einer privatrechtlich und marktwirschaftlich organisierten Gesellschaft propagieren. Aus ihrer Sicht untersteht es dem eigenen Willen, wenn eine Frau abtreiben will, weil das Kind entweder behindert auf die Welt kommen würde oder sonstwie nicht in den Lebensplan hineinpaßt, oder wenn ein Mensch aus welchen Gründen auch immer, möglicherweise weil die Konditionen der Versorgung so schlecht sind, sterben will. Für die Liberalen zählt der Wille - fertig, aus, kein Problem.

Es gibt viele andere Analysen, darunter auch feministische, die nicht dem wertkonservativen und auch nicht dem neoliberalen Feld zuzuordnen sind. Daß sich vieles über eine mediale Vermittlung von Konflikten organisiert, fällt jedoch völlig weg. Indem diese beiden Positionen gegenübergestellt werden, was dann oftmals als neutrale Berichterstattung gilt, stärkt man sowohl den wertkonservativen als auch den neoliberalen Flügel. Diese katastrophale Situation kritisiere ich sehr, aber das dringt wie so vieles nicht durch.

SB: Wäre es angesichts dieses Feldes, wo es um existentielle Interessen ganz vieler Menschen geht, nicht sinnvoll, eine emanzipatorische und rebellische Front aufzumachen und sich der Frage zu stellen, ob es Selbstbestimmung unter den Bedingungen eines Entfremdung produzierenden Kapitalismus überhaupt geben kann? Damit knüpfe man auch an Überlegungen an, die in der heute am Boden liegenden Linken schon einmal angestellt wurden. Wäre das nicht auch eine Option für eine biomedizinische Kritik?

EF: Absolut. Ehrlich gesagt versuchen wir mit BioSkop, eine Gesellschaftskritik entlang dieser Fragen stark zu machen. Ich finde gleichwohl, daß es nicht einfach ist, mit den Gewerkschaften darüber zu diskutieren. In der letzten Woche gab es in Düsseldorf einen Warnstreik des Pflegepersonals. Ich hatte schon vorher vorgeschlagen, die Patienten mit ins Boot zu holen. Der Vorschlag ist bis nach oben gegangen, aber die Spitze der Gewerkschaft hat das bei der zentralen Aktionsplanung dann doch nicht gemacht. Sie haben eine wunderbare Erklärung abgegeben, in der die Streikbewegung in den Betrieben aus Sicht der Patienten und zu Betreuenden unterstützt wird. Das Problem ist ja, daß diese Einzelwesen nicht organisiert sind. Das sind machtpolitische Probleme. Wie erzeugt man Druck? Klar kann man immer über den Diskurs Einfluß nehmen, ich zum Beispiel ein bißchen, aber andere Leute können das eher durch Handlungen. Wie macht man das mit diesen ganzen Einzelwesen? Das ist ein großes Problem. Möglicherweise durch eine Fusionierung der Interessenvertretungen der in den Einrichtungen Beschäftigten mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Mir leuchten manchmal auch kleine Sachen ein. Die Care-Revolution ist ja auch so ein Versuch, und bei den Düsseldorfern haben neben feministischen Organisationen auch Einzelpersonen wie Volker Pispers, meine Wenigkeit und andere mit unterschrieben.

Daß 500 Leute von 700 aufgerufenen Leuten streiken, hat extrem damit zu tun, daß in den Medien im Zuge des Wahlkampfes das Feld Pflege aufgemacht worden ist und zivilgesellschaftliche Bewegungen die Pflege als wichtiges Thema erkannt haben. Überhaupt stellen sich feministische Aktivistinnen vermehrt die Frage, wie wir reproduktive und produktive Arbeit organisieren. Das Feld muß zumindest analytisch aufgemacht werden, sonst wird nämlich das schöne ehrenamtlich beteiligte Projekt auf den Rücken von Frauen ausgetragen. In diesem Sinne kritisiere ich auch Andreas Heller, Klaus Dörner und andere. Das sind alles Möglichkeiten und auch Notwendigkeiten, nicht nur bezogen auf die Frage nach dem Sterben, sondern auch bezogen auf das Problem, was wir in einer Gesellschaft machen, die sich als Arbeitsgesellschaft definiert. Keine Arbeitsgesellschaft kann für alle sein. All das könnte man wunderbar miteinander verknüpfen. Auf der Analyseebene geschieht das teilweise schon, aber die praktische Umsetzung ist unglaublich schwierig. Vor allem auf der Ebene einer gesellschaftlichen Wirksamkeit müssen wir das nicht nur ehrenamtlich, sondern durch verläßliche Strukturen schaffen. Auf dieser Ebene sehe ich momentan aber keine organisierte Kraft, die das wirklich stark machen kann, aber es ist dennoch eine Zielperspektive, die wir auf jeden Fall verfolgen.

SB: Erika, vielen Dank für das Gespräch.


Berichte und Interviews zur Tagung "Zwischen Planungssicherheit und Sorgegesprächen" im Schattenblick unter:
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9. November 2017


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