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INNEN/4585: Rede der Parteivorsitzenden Katja Kipping auf dem Magdeburger Parteitag am 28.5.2016


DIE LINKE - Presseerklärung vom 28. Mai 2016

Rede der Parteivorsitzenden Katja Kipping, 1. Tagung des 5. Parteitages in Magdeburg am 28.5.2016


Es gilt das gesprochene Wort


Liebe Genossinnen,
liebe Genossen,
liebe Freundinnen,
liebe Freunde,
verehrte Gäste!

Die Gesellschaft verändert sich, und das stellt uns vor neue Herausforderungen.

Die Märzwahlen waren bitter für uns. Und sie haben noch mal in aller Deutlichkeit gezeigt, dass Abstiegsängste und Hoffnungslosigkeit ein guter Nährboden für Rechtspopulismus und Rassismus sind.

Wer also vom Rassismus redet, darf vom Neoliberalismus nicht schweigen!

Für uns folgt daraus zweierlei: Wir müssen verlässlich Haltung zeigen und unverändert ein Bollwerk gegen den Rechtspopulismus bilden. Und zugleich müssen wir offensiv auf Veränderung drängen, um soziale Garantien zu erkämpfen!

Politik ist jedoch nicht allein eine Frage der besseren Forderungen, sondern eben auch von Mehrheiten. Es geht um Kräfteverhältnisse, um Kämpfe und Bewegungen. Es geht dabei auch um die Macht. Und deshalb betrifft uns der Niedergang der Sozialdemokratie in Europa.

Niedergang der Sozialdemokratie in Europa

Einst stand die Sozialdemokratie für soziale Gerechtigkeit. Sie erkämpfte Schutzrechte, ihr Herz galt der Arbeiterschaft, ihre Machtbasis waren die Industriebetriebe. Doch die Epoche der Sozialdemokratie ist beendet.

Sie liegt in ganz Europa am Boden und sozialdemokratische Politiker werden vom transnationalen Kapital und Konservativen am Nasenring durch die Manege geführt.

Das sozialdemokratische Gerechtigkeits-Versprechen kann mit ihrem Ansatz nicht mehr eingelöst werden. Und das liegt auch an Veränderungen:

Die nationalen Parlamente sind zunehmend ohne Macht und werden durch Erpressung gezwungen eine menschenfeindliche Austeritätspolitik durchzudrücken.

Der alte Klassen-Kompromiss, von dem alle profitieren sollten, wurde vor Jahren von oben aufgekündigt. Heute gewinnen nur noch die einen: Diese Klasse der Superreichen führt einen Krieg gegen alle.

Wer also heute soziale Gerechtigkeit will, der muss bereit sein, sich mit den Superreichen und dem Finanzkapital anzulegen. Doch genau davor schreckt die Sozialdemokratie zurück.

Technischer Fortschritt verändert unsere Art zu produzieren und zu kommunizieren in immer kürzeren Zeitabschnitten fundamental. Doch die gute alte Sozialdemokratie steht fremdelnd davor.

Die internationale Politik ist im Umbruch. Es ist die Zeit der Kriege und der großen Fluchtbewegungen. Eine friedliche Außenpolitik lässt sich eben nicht in den Bahnen der neuen Mitte, also in Gefolgschaft der USA durchsetzen.

Wir brauchen eine neue, eine wirkliche Friedenspolitik ohne Waffen und ohne Interventionskriege!

Hinzukommt: Europa ist auf dem Weg, ein Kontinent der Einwanderung zu werden, ein Kontinent mit vielfältigen Identitäten. Auch diese neue Welt gestaltet die Sozialdemokratie nicht mit, sie verwaltet nur ihren fleischgewordenen Opportunismus.

Da scheint sogar der Papst weiter, so dass auch ich als Laizistin ihn mal zitieren will. Denn:
"Wie schön sind die Städte, die das krankhafte Misstrauen überwinden! Wie schön sind die Städte, die reich sind an Räumen, die verbinden und die Anerkennung des anderen begünstigen!"
Zitatende

Ja, Integration, wie wir sie meinen, beginnt damit, den anderen willkommen zu heißen und Raum für Begegnungen zu schaffen. Und in diesem Sinne stehen wir für Humanität ein - ganz gleich ob sie auf Nächstenliebe oder einfach auf Mitmenschlichkeit basiert.

Um es zusammenzufassen: die schwindende Bedeutung der Nationalstaaten, Globalisierung, technischer Fortschritt, Einwanderung und der Wandel der Arbeitswelt - all das verändert die Bedingungen für Politik. Und zwar in einer Weise, die ein Weiter so unmöglich macht.

Ich sage das ohne Häme. Denn auch ich kenne viele redliche Sozialdemokrat_innen. Doch auch sie konnten nicht verhindern, dass bei den großen Konflikten der letzten Zeit wie der Eurokrise, der Kriegs- und der Flüchtlingsfrage die Sozialdemokratie in Europa ein Totalausfall war.

Nur um Missverständnisse auszuschließen: Mit meiner grundsätzlichen Kritik an der SPD rede ich wahrlich nicht einer Stärkung der CDU oder CSU das Wort. Von wegen. Diese CDU ist mit ihrer Schwarzen Null ein Garant mehr soziale Verunsicherung.

Angela Merkel hat an ihrer Seite bekanntlich Horst Seehofer. Und wer will schon eine Regierung, deren Kanzlerin sich das Geschäft mit diesem irren Grenzfetischisten aus Bayern teilt?

Schlüsse aus Wandel der Sozialdemokratie

Liebe Genossinnen und Genossen,

uns Linken fällt deshalb die Aufgabe zu, das Versprechen der sozialen Gerechtigkeit in dieser globalisierten Welt zu erneuern. Dieses Versprechen kann heute belastbar nur als internationaler demokratischer Sozialismus erneuert werden.

Zu dieser notwendigen linken Erneuerung gehören:

eine handlungsfähige europaweite Bewegung, die ein demokratisches und soziales Europa neu begründet;
den Wandel in der Arbeitswelt zum Ausgang nehmen und ein neues Verständnis von Solidarität im 21. Jahrhundert zu verankern;
verlässlich als soziale Schutzmacht im Alltag zu wirken;
die Bereitschaft, sich mit den Superreichen und dem Finanzkapital anzulegen, um auf eine sozial-ökologische Wirtschaftsordnung hinzuarbeiten;
konsequente Friedenspolitik und eine neue internationale Bündnispolitik.

All das ist undenkbar ohne grenzübergreifende Solidarität und Weltoffenheit!

Bewegung zur Neubegründung Europas

Zur Neubegründung Europas: Wir tragen hier in Deutschland eine ganz besondere Verantwortung dafür, die Austerität, also die Politik der Kürzungsdiktate, zu Fall zu bringen.

Schließlich sind wir die LINKE im wahrscheinlich einflussreichsten Land Europas. Wir sind DIE LINKE im Herzen des Krisenregimes.

Versagen wir, dann ist es für alle Linken in Europa schwerer. Gewinnen wir, so wird es für alle leichter.

So ist es unsere Aufgabe, die Heuchelei der EU-Eliten offenzulegen und Klartext zu reden: Als es darum ging, die Kürzungsdiktate durchzudrücken, da hielten die EU-Eliten zusammen wie Pech und Schwefel.

Und in der Flüchtlingsfrage verraten sie kurzerhand alle Werte, die sie kurz zuvor noch zelebrierten.

All den Regierungschefs, die den dreckigen Deal mit der Türkei zur Flüchtlings-Abwehr abgeschlossen haben, denen möchte ich in ihre Gesichter schreien: Bei wie vielen Toten liegt denn Eure Grenze? Bei wie vielen Kinderleichen im Mittelmeer ist Eure persönliche Schmerzgrenze erreicht?

Auch deshalb brauchen wir ein anderes Europa, einen Kontinent der Gerechtigkeit und des Friedens.

Ich streite für solch ein Europa:
Für ein Europa, das nicht in Stacheldraht und Flüchtlingsabwehr, sondern weltweit in Flüchtlingsschutz und Frieden investiert! Für ein Europa, in dem niemand mehr betteln muss, sondern der Anspruch von Rosa Luxemburg verwirklicht wird, dass jeder und jede ein Recht auf die sozialen Garantien des Lebens hat, um sich in die Gesellschaft einbringen zu können.

Für eine europäisch koordinierte Arbeitslosen- und Sozialversicherung, die allen ermöglicht, in unterschiedlichen Ländern zu arbeiten, und das ohne großen bürokratische Hürden oder soziale Unsicherheiten! Für den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft!

Kurzum, mein Herz schlägt für ein Europa, in dem soziale Garantien und Klimaschutz Verfassungsrang haben und das Handeln bestimmen.

Davon sind die EU-Eliten unendlich weit entfernt. Deshalb muss dieses Europa neu gegründet werden.

Dazu verbünden wir uns europaweit mit anderen Linken.

Um die Kräfteverhältnisse auf diesem Kontinent zu verschieben, befördern wir, wo wir können, eine europäische Bewegung. Eine europäische Bewegung, die von den Platzbesetzungen über die Demokratieinitiative mit Yanis Varoufakis bis zu Jeremy Corbyn reicht.

Uns eint ein Ziel: Austerität und Abschottung gehören zurückgedrängt und abgewählt. Und zwar in ganz Europa!

Wandel der Arbeitswelt zum Ausgangspunkt

Um zukunftsfähig zu sein, müssen wir den Wandel der Arbeits- und Lebenswelt zum Ausgang nehmen.

Der Gedanke der Solidarität machte einst die Gewerkschaften stark. Wenn alle morgens gemeinsam durchs Werkstor gehen, ist die solidarische Zusammengehörigkeit leichter begreifbar. Doch das, was einst als Proletariat galt, setzt sich neu zusammen.

Wer von uns lebt noch da, wo er geboren wurde? Und wer arbeitet noch dort, wo er aufgewachsen ist? Es gibt Migration. Menschen kommen zu uns, andere gehen weg.

In diesen Zeiten braucht es ein neues Verständnis für gemeinsame Interessen. Solidarität, die wie ein rotes Band alle jene verbindet, die nur ihre Arbeitskraft als Ware haben.

Dieses Band der Solidarität muss reichen: von der Kernbelegschaft über Leiharbeitende, Erwerbslose und Soloselbstständige am Laptop bis hin zum illegalisierten Migranten.

Soziale Schutzmacht im Alltag

Gerade, wenn sich alles immer schneller verändert, braucht es auch verlässliche Größen. Dazu gehört unbedingt und unverhandelbar: soziale Sicherheit.

Deshalb verteidigen wir jede Wohnung gegen Räumung und kämpfen gegen jede Kürzung bei Bildung, bei Frauenhäusern oder sozialen Diensten in diesem Land!

Lasst uns immer wieder deutlich machen: Wir sind die soziale Schutzmacht im Alltag - und das verlässlich.

Mit Sozialabbau und Sanktionssystemen wie Hartz IV schließen wir keinen Frieden! Niemals!

Und in diesem Zusammenhang ist es mir auch ganz persönlich eine große Ehre ein neues Mitglied in unseren Reihen zu begrüßen: Ulrich Schneider.

Autor vieler lesenswerter Bücher, ein hartnäckiger Streiter für die Rechte von Armen und seit 1999 Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Und obendrein spielt er in einer Rockband.

Herzlich willkommen!

Bereitschaft, sich mit Superreichen anzulegen

Soziale Gerechtigkeit lässt sich heute nur noch im Vorwärtsgang verteidigen. Wer soziale Gerechtigkeit will, muss um eine andere Zukunft kämpfen. Und das heißt: Eintreten für einen demokratischen Sozialismus.

Wenn wir die Wirtschaft demokratisieren, das Öffentliche stärken und vergesellschaften - dann können die Lebensverhältnisse grundlegend verbessert werden.

Um in diesem Sinne voranzukommen, müssen wir uns mit den Ratingagenturen, dem Finanzkapital und den Superreichen anlegen. Je konkreter wir dies tun, umso wirksamer. Dazu ein Beispiel:

Mit den Panamapapieren wurde belegt, dass Milliarden am Fiskus vorbei geschmuggelt wurden.

Schon das ist empörend. Der eigentliche Skandal beginnt jedoch früher: Was sind das für Verhältnisse, die es einzelnen Personen überhaupt möglich machen, so unverschämt viel Geld anzuhäufen? Ein Reichtum, der mit Nichts zu rechtfertigen ist.

Nehmen wir VW: Ein Vorstandsmitglied bekam im Jahr 2015 das 222fache - ich wiederhole das 222fache - der niedrigsten Entgeltstufe. Haben die wirklich das 222fache geleistet? (1)

Hier sind Obergrenzen nicht nur angebracht, sondern überfällig - Obergrenzen für Einkommen.

In einem Unternehmen sollte beim 20fachen des niedrigsten Einkommens Schluss sein. Ein Manager, der mit 1 Million Euro nach Hause gehen will, muss der Reinigungskraft oder der Pförtnerin wenigstens 50.000 bezahlen.

Und wer die unterste Gehaltsgruppe nicht gut bezahlen kann, der hat auch keine Millionen-Boni verdient!

Nun schafft diese Maßnahme allein nicht die Macht des Finanzkapitals ab. Aber sie reduziert die Möglichkeit, enormen Reichtum anzuhäufen. Und sie kann mit anderen Maßnahmen verbunden werden, um massiven Reichtum zu begrenzen und den Kapitalverkehr zu kontrollieren, im Sinne einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung.

Internationales Verantwortungsbewusstsein

Eine Überlegung, die uns direkt in die internationale Politik führt: Diese steht vor einem großen Schlamassel - Failed states, also auseinanderfallende Staaten, wohin wir schauen. Der angebliche Krieg gegen den Terror, hat die Terrorgefahr nicht verringert, er hat den Terror stärker gemacht.

Der Westen hat weltweit die Glaubwürdigkeit der Demokratie zugunsten seiner wirtschaftlichen Interessen geopfert.

So sind die Golfstaaten die Tankstellen des globalen Kapitalismus und deswegen schauen alle demokratisch gewählten Regierungen über die Todesstrafe und die Frauenunterdrückung hinweg.

Und was macht die Bundesregierung von Angela Merkel und Sigmar Gabriel angesichts dieser Weltlage? Sie machen immer mehr - vom Falschen: Die Rüstungsexporte gedeihen. Deutsche Waffen werden in alle Welt exportiert und mit ihnen wird in vielen Bürgerkriegen getötet. Um die Flüchtenden abzuwehren, die aus den Bürgerkriegsregionen fliehen mussten, reist Angela Merkel in die Türkei und verbündet sich mit Erdogan. Ausgerechnet mit Erdogan, der dort gerade die Demokratie abschafft!

Ihr Vizekanzler Sigmar Gabriel schließt zudem wirtschaftliche Deals mit Diktatoren in Nordafrika.

Und Ursula von der Leeyen wirbt für eine weitere Militarisierung!

Das ist doch alles absurd!

Das, was die Regierung Merkel-Gabriel da treibt, ist das Gegenteil von verantwortungsbewusster Außenpolitik.

Wir müssen diesen Wahnsinn, dieses außen- und sicherheitspolitische Harakiri stoppen!

Dazu brauchen wir einen neuen Anlauf für internationale Kooperation. Dieser muss als erstes mit einer Unterstellung aufräumen. Der Unterstellung, Militäreinsätze seien Ausdruck von globalem Verantwortungsbewusstsein.

Also halten wir noch mal unmissverständlich fest: Was immer im Jahr 2017 kommen mag, die Linke will auch international einen Politikwechsel, und genau deshalb wird sich nicht an außenpolitischen Abenteuern und neuen Kreuzzügen des Westens beteiligen!

Da gibt es kein Wanken und kein Schwanken!

Wir wissen, wahrhaftes globales Heldentum beginnt damit, das Falsche endlich zu unterlassen.

Unbedingt zu unterlassen ist:
eine imperiale Außenpolitik, die andere Regionen nur zum Spielball eigener Interessen macht!

Unbedingt zu unterlassen ist:
die ökologische Verwüstung ganzer Landstriche;
die Unterstützung von Terrorpaten wie Saudi-Arabien;
der Beteiligung an der Überfischung der Meere vor Afrikas Küsten sowie die Beteiligung westlicher Konzerne am Landraub.

Wir brauchen einen gerechten Welthandel, denn nur der ermöglicht eine gute Entwicklung.

Zudem sollte sich die deutsche Regierung international für ein neues Bündnis einsetzen. Ein Friedens-Bündnis, das Fluchtursachen nachhaltig abbaut.

Diese neue Bündnispolitik könnte anknüpfen an der Tradition der blockfreien Staaten.

Als mögliche Partner dafür kämen in Frage:
Länder im Süden Europas, wie Griechenland, Portugal und vielleicht demnächst auch Spanien;
einige Länder in Lateinamerika, in denen der Neoliberalismus nicht die Oberhand hat.

Eine solche Bündnispolitik wüsste zudem, dass es im Nahen Osten und gerade in Syrien keine tragfähige Lösung ohne die Kurdinnen und Kurden gibt und würde sie deshalb offensiv in jede Verhandlung einbeziehen.

Übrigens: Vor einer Woche bei ihrem Besuch in Istanbul lehnte Angela Merkel ein Treffen mit Selahattin Demirtas, dem Vorsitzenden der HDP, ab. Wieder kuschte sie vor Erdogan.

Die HDP hat es geschafft, die Sache der Kurden zu verbinden mit dem Kampf um Geschlechtergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit. Damit schaffte sie den Sprung über die 10-%-Hürde und den Einzug ins türkische Parlament. Nun wird sie von Erdogan aufs Schärfste bekämpft. Er will sie aus dem Parlament werfen und vor Gericht stellen.

Während Merkel vor Erdogan kuscht, stehen wir klar an der Seite der Kurdinnen und Kurden.

Das tun wir nicht nur in Talkshows und auf Demos. Nein, Bodo Ramelow hat als Ministerpräsident bewusst die Staatskanzlei geöffnet für das kurdische Newrozfest.

Danke Bodo, für dieses klare Statement. Davon könnte sich die Bundesregierung echt eine Scheibe abschneiden!

Liebe Genossinnen und Genossen der HDP, gemeinsam mit Euch rufen wir: Für Frieden und Freiheit in der Türkei und in Kurdistan!

Weltoffenheit

Dieses Land verändert sich. Und wir alle sind mittendrin. Was früher woanders war, ist heute alles hier.

Die Flüchtlingsbewegung hat etwas sichtbar gemacht, was lange vom Westen verdrängt wurde. So hat die imperiale Außenpolitik der Nato-Staaten Bürgerkriege angeheizt. Diese Kriege wiederum trieben Menschen in die Flucht. Lange Zeit fand dies außerhalb der EU statt. Nun führen uns die Geflüchteten vor unserer Haustür vor Augen, dass Krieg die Fluchtursache Nr. 1 ist.

Hinzukommt: Das kapitalistische Wirtschaftssystem basiert auf der Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden. Die Handelspolitik der EU entzieht Millionen Menschen in Afrika ihre Lebensgrundlage. Die schrecklichen Folgen waren für uns lange Zeit komfortabel weit weg. Mit den Fluchtbewegungen kommen nun auch Zeugen dieser Ausbeutung direkt zu uns.

Es fällt uns also zunehmend schwer, die Folgen unseres Handelns und Wirtschaftens zu verdrängen. Denn die ganze Welt findet jetzt auch bei uns statt. Es gibt kein Außen mehr.

Das ist eine Chance. Denn das Versprechen der sozialen Gerechtigkeit zu erneuern, geht nur mit Weltoffenheit.

Damit meine ich nicht das naive Multikulti all derjenigen, die im Zweifelsfall ihre Kinder dann in Privatschulen schicken, wenn der Migrantenanteil an öffentlichen Schulen zu hoch wird.

Damit meine ich schlichtweg eine sozialistische Erkenntnis: Da die Ausbeutung keine Grenzen kennt, darf sich Solidarität nicht auf den nationalen Tellerrand begrenzen!

Und insofern bin ich froh, dass wir auch in schweren Zeiten als LINKE in der Flüchtlingspolitik klaren Kurs gehalten haben. In dieser Frage gibt es bei uns kein Schwanken und Wanken. Hier zeigen wir verlässlich Haltung.

Wir stehen geschlossen für Willkommenskultur!

ALS CDU und SPD das Asylrecht verstümmelten, da war es sowohl für Sahra und mich im Bundestag, wie für Susanne in Thüringen und Christian in Brandenburg selbstverständlich: Dazu sagen wir geschlossen Nein!

Welche Partei hat in dieser Frage solch eine Geschlossenheit gezeigt wie wir?
Keine.

Und genau darauf kommt es an:
Gemeinsam handlungsfähig zu sein!


Zusammenfassung

Mein Fazit: Wenn die Sozialdemokratie sich sozial entkernt, müssen wir dieses gesellschaftliche Feld neu erobern. Ich meine damit ausdrücklich keine Sozialdemokratisierung der LINKEN. Ich habe vielmehr die Grundhaltung einer widerständigen, ungehorsamen und zugleich modernen Linken im Sinn. Denn: Das alte Versprechen sozialer Gerechtigkeit lässt sich heute nur als internationaler demokratischer Sozialismus erneuern.

Selbstveränderung: frecher und widerständiger

Dazu müssen wir uns auch als Organisation weiterentwickeln. Wenn wir auf ein einfaches Weiter so setzen, wird es zwar auch irgendwie weitergehen. Aber wir werden letztlich an den Herausforderungen vorbeisteuern.

Nun müssen wir nicht alles anders machen. Aber so manches geht widerständiger und frecher.

So sollten wir uns selbstkritisch eingestehen: Das, was Greenpeace bei TTIP geleistet hat, das wäre unser Job gewesen. Wir hätten der Geheimniskrämerei von EU und USA einen Strich durch die Rechnung machen müssen. Da waren wir schlichtweg zu zaghaft.

Aufstand der Alten

Widerständigkeit ist übrigens kein Privileg der Jugend. Die Berliner Seniorinnen und Senioren der Stillen Straße haben gezeigt, wie kämpferisch Menschen im höheren Alter sein können. Als ihre Begegnungsstätte weggekürzt werden sollte, haben sie sie einfach besetzt.

Von diesem Beispiel können wir lernen, wenn es gilt, die Rentendiskriminierung Ost anzugreifen. Stellen wir uns doch einfach mal vor, Senioren und Senioren würden im Osten vor die Büros von CDU und SPD ziehen und dort deutlich machen: wir lassen uns nicht länger mit Kaffee und Kuchen abspeisen!

Das beständige Spielen auf Zeit lassen wir Euch nicht durchgehen! Wir wollen die Renteneinheit jetzt. Sonst droht hier ein Aufstand der Alten!

Und wenn die Alten aufstehen, dann wird den Jungen ja wohl nichts anderes übrigbleiben, als mitzuziehen!

Öffnen und Verbinden

Liebe Genossinnen, liebe Genossen!

Zur notwendigen Erneuerung gehört, auch immer wieder auszustrahlen, dass wir uns mit all jenen verbinden wollen, die an der Erneuerung dieses Versprechens der Gerechtigkeit mitarbeiten.

Das reicht
von den vielen, die Abkommen wie TTIP und CETA stoppen wollen; über die vielen in Gewerkschaften oder in der Zivilgesellschaft, für die schlichtweg Humanismus die Triebfeder ihres Handelns ist bis zu diejenigen, die für ein Recht auf Stadt oder Freiheit im Netz streiten.

Insofern freue ich mich sehr über die Entscheidung linker Ex-Pirat_innen nun mit uns zusammen zu kämpfen. Und stellvertretend für viele begrüße ich Anke Domscheit-Berg, die im Brandenburger Wahlkreis Steinmeier herausfordern will.

Anke Domscheit-Berg ist Netzaktivistin, Feministin, aktiv in der Flüchtlingssolidarität. Als Buchautorin und als eloquente Kämpferin für mehr Transparenz und Demokratie ist sie breit bekannt. Liebe Anke, herzlich willkommen!

Die Verbindungen mit Bewegungen, die Mobilisierung kritischer Köpfe, die Verschiebung des Zeitgeistes - das ist die Grundlage dafür, dass wir Durchsetzungsmacht erreichen. Und das ist auch die Grundlage für das Wahljahr 2017.

Wenn wir die Chance haben:
die Austerität zu Fall zu bringen;
die Amtszeit von Angela Merkel zu beenden und damit den Einfluss von Horst Seehofer zu begrenzen;
den Aufstieg des Rechtspopulismus zu stoppen und einen wirklichen Politikwechsel einzuleiten, ohne unsere roten Linien zu überschreiten;
dann sind wir dabei. Aber nur dann.

Das heißt: wir sind keine willfährigen Mehrheitsbeschaffer für andere Parteien. Mit den anderen Parteien und insbesondere mit der SPD setzen wir uns auf Augenhöhe auseinander. Denn inzwischen ist klar: Wir sind das Original!

Wir sind die soziale Schutzmacht im Alltag. Wir erneuern das Versprechen sozialer Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert!

Daran ändert auch der aktuelle SPD-Schlingerkurs nichts. Wenn Sigmar Gabriel heute von Gerechtigkeit redet, kann er morgen schon wieder den Patrioten oder übermorgen den Konzernkumpel geben. Diese Politik nach Windbeutel-Art ist einfach unglaubwürdig!

Selbstveränderung: Wir sind die Partei der Hoffnung

In den Debatten der letzten Monate meinten einige, wir sollten mehr über unsere Schwächen reden.

Nun sind meine Veranstaltungen so angelegt, dass gut Zeit zum Austausch bleibt. Insofern weiß ich um viele Sorgen.

Aber ich treffe auch immer wieder auf Ermutigendes, wie das Pfingstcamp der Linksjugend Sachsen;
wie den Kreisvorsitzenden in BaWü, der nach verlorenen Wahlen nicht den Kopf in den Sand steckt, sondern wacker die nächste Aktion in Angriff nimmt oder
die Genossinnen in Nauen, die beständig von Rassisten angegriffen werden und trotzdem Flagge zeigen;
wie die Linksjugendgruppe in Stralsund. Viele von ihnen kamen zu solid, als die Flüchtlingsfrage brisant wurde. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, bei der LINKEN und in der Flüchtlingssolidarität aktiv zu sein. Mittwochs geht es ins Flüchtlingsheim, Donnerstag trifft sich solid.

Diese Beispiele stehen stellvertretend für so viele, und auch sie gehören weitererzählt, nicht nur die Sorgen!

Wem nützt es, wenn wir alle nur noch mit hängenden Schultern und hängenden Mundwinkeln rumlaufen?
Uns ganz bestimmt nicht!

Und in diesem Sinne ein großes Dankeschön an die tausenden aktiven Mitglieder, die teilweise massiven Anfeindungen, ja Angriffen von rechts ausgesetzt sind und nicht klein bei geben! Ihr seid echte Mutmacher_innen!

Dank Euch sind wir die Partei der Hoffnung.
Habt Dank dafür!

Zuversicht aus der Wende-Erfahrung

Nicht zuletzt unsere Geschichte stimmt mich zuversichtlich, dass wir Kraft für Erneuerung haben. Wir tragen in uns die Erfahrung einer tatsächlichen Neuerfindung nach der Wende.

Viele von uns erlebten einen gesellschaftlichen Neubeginn, der die Freiheit versprach und für die meisten doch nur die Freiheit des Marktes brachte.

Es war eine demokratische Wende, die Millionen ökonomisch ins Elend stürzte, und zugleich ihre kulturellen Lebensleistungen entwertete.

Viele von uns, besonders im Osten, haben daher eine bewusste Erinnerung daran, was es bedeutet quasi in ein "neues Leben" zu treten.

Dass wir heute hier sind, ist der unumstößliche Beweis, dass das gelungen ist. Darauf können wir stolz sein!

Gesellschaft an Weggabelung


Liebe Genossinnen, liebe Genossen!

Welches Ausmaß der Rechtsruck hierzulande nehmen kann, war am 1. Mai in Zwickau zu beobachten:

Ein rechter Mob kaperte mit seinem Gebrüll eine Gewerkschaftsveranstaltung. Die Redner_innen wurden niedergebuht - und das ganz gleich, ob es sich dabei um Gewerkschafter_innen, SPDler oder Linke handelte.

Zwickau zeigt: die rechte Ausgrenzung kann inzwischen jeden treffen, der nicht komplett auf den Rechtsruck einschwenkt.

Als auf dem parallel stattfindenden AFD-Parteitag von diesem Vorkommnissen berichtet wurde, gab es dort tosenden Beifall.

Auf eben jenem Parteitag beschloss die AFD, der Islam gehöre nicht zu Deutschland.

Angesichts von Zwickau drängt sich die Frage auf: Wen wird ihre Ausgrenzung als nächstes treffen? Journalisten, Linke oder Gewerkschaften?

In letzter Zeit musste ich oft an den bekannten Ausspruch von Martin Niemöller denken, der mit den Worten beginnt:

"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.(2) Und wir alle wissen, wie es weiterging - im Gedicht und in der Geschichte.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, der Kampf gegen Rassismus und Rechtspopulismus ist nicht einfach.

Doch Ausgrenzung und Menschenhass dürfen nicht den Ton angeben. Insofern sind wir gefragt, alles zu tun, um Rassismus das Wasser abzugraben.
Dazu verpflichten uns Geschichte, Gegenwart und Zukunft!

Zum Glück erleben wir hierzulande nicht nur ein Anwachsen des Rechtspopulismus, sondern auch die Kräfte der Solidarität. Dazu gehören nicht nur die Vielen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren - in Kleiderkammern wie auf dem Mittelmeer, wo sie Geflüchtete vorm Ertrinken retten.

Dazu gehört, dass in Thüringen kein Flüchtling in einer Zeltstadt eingepfercht wurde. Dazu gehören auch große traditionsreiche Organisationen, wie Gewerkschaften, Verbände und Kirchen.

Noch ist offen, wer in dieser Polarisierung die Oberhand gewinnen wird.

Fest steht: Diese Gesellschaft steht an einer Weggabelung. Es geht dabei um die grundlegende Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Gegenwärtig bestimmt das Lager der Solidarität nicht die öffentliche Debatte. All die vielen agieren oft vereinzelt, sind zu wenig sichtbar. Oder werden von Rassisten niedergebrüllt. In dieser brisanten Zeit kommt uns eine besondere Aufgabe zu.

Ich meine: Wer, wenn nicht wir, hat das Zeug dazu, zum Kristallisationspunkt dieses Lagers der Solidarität zu werden.

Lasst uns deshalb immer wieder deutlich machen: Solidarität ist praktisch! Und lasst uns dafür sorgen, dass sich folgendes rumspricht: Solidarität hat hierzulande einen Namen - und dieser lautet: DIE LINKE

Für eine Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt


Liebe Genossinnen, liebe Genossen!

Jede linke Politik, das wusste schon Ferdinand Lassalle, beginnt mit dem Aussprechen, dessen, was ist.

In der schonungslosen Kritik dessen, was ist sind wir schon gut.

Erfolgreiche linke Politik darf aber dabei nicht stehen bleiben. Es geht auch darum, Lust zu machen auf die Zukunft. Zuversicht und Mut zu verbreiten - und diesen Mut praktisch zu machen.

Schon heute, schon jetzt: Das Morgen im Heute zu zeigen.

Es liegt auch an uns, ob die Zukunft links wird. Haben wir den Mut zu kämpfen, haben wir den Mut erfolgreich zu sein!

Das gesellschaftliche Lager der Solidarität und der Emanzipation, die Partei DIE LINKE, wir sind viele und wir sind mehr, als wir denken!

Also wagen wir wieder Zuversicht!

Für eine Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt!


Anmerkungen

(1) Grundlage für die Berechnungen sind der Geschäftsbericht 2015, der darin enthalten Vergütungsbericht sowie Angaben zum Haustarifvertrag VW von der IG Metall.

(2) "Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."

*

Quelle:
Partei DIE LINKE - Pressemitteilung vom 28. Mai 2016
Bundesgeschäftsstelle
Kleine Alexanderstraße 2, 10178 Berlin
Telefon: 030/240 09-0, Fax: 030 / 240 09 220
E-Mail: bundesgeschaeftsstelle@die-linke.de
Internet: www.die-linke.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2016

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