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BUNDESTAG/3827: Heute im Bundestag Nr. 227 - 24.04.2013


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 227
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 24. April 2013 Redaktionsschluss: 14:40 Uhr

1. Schiffspools von Versicherungssteuer befreit
2. Airline-Chefs stehen Rede und Antwort
3. 120 Millionen Euro mehr für contergangeschädigte Menschen
4. Experten bewerten Lage in Tschernobyl und Fukushima weiter kritisch
5. Nationaler Radverkehrsplan 2020 einhellig begrüßt
6. Experten lehnen Einführung eines besonderen Straftatbestands "Genitalverstümmelung bei Frauen" mehrheitlich ab
7. Im Bundestag notiert: Energie-und Klimafonds
8. Im Bundestag notiert: Leistungsschutzrecht für Presseverlage



1. Schiffspools von Versicherungssteuer befreit

Finanzausschuss

Berlin: (hib/HLE) Der Finanzausschuss hat am Mittwoch eine Klarstellung zur Versicherungssteuerpflicht sogenannter Schiffspools vorgenommen. Bei der abschließenden Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/89/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Richtlinien 98/97/EG, 2002/87/EG, 2006/48EG und 2009/138/EG hinsichtlich der zusätzlichen Beaufsichtigung der Finanzunternehmen eines Finanzkonglomerats (17/12602) wurden Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP eingefügt, mit denen klargestellt wird, dass Schiffspools bis Ende 2015 nicht der Versicherungssteuer unterliegen. Ein Sprecher der CDU/CSU-Fraktion erläuterte dazu, damit bestehe Gelegenheit, das Thema nach der Bundestagswahl grundsätzlicher anzugehen.

Wie in dem Änderungsantrag erläutert wird, sind Schiffspools ein weit verbreitetes Instrument zur gemeinsamen, flexiblen und wettbewerbsfähigen Vermarktung der in einem Pool zusammengeschlossenen Schiffe verschiedener Reedereien. Die Reeder können damit das Risiko der Unterbeschäftigung ihrer Schiffe ausgleichen, was in bestimmten Koalitionen auch die Merkmale einer Versicherung erfüllen könne. Die versicherungssteuerrechtliche Einstufung von Schiffserlöspools sei umstritten und bisher nicht höchstrichterlich geklärt, wird in dem Änderungsantrag weiter erläutert. Mit der jetzt beschlossenen befristeten Steuerbefreiung werde Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geschaffen.

Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und die SPD-Fraktion stimmten dem Gesetzentwurf zur Beaufsichtigung der Finanzunternehmen eines Finanzkonglomerats in geänderter Fassung zu. Die Linksfraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen enthielten sich. Mit dem Entwurf werden die bisher im Kreditwesengesetz und im Versicherungsaufsichtsgesetz enthaltenen Regelungen zur Beaufsichtigung von Finanzunternehmen eines Finanzkonglomerats zusammengeführt und Regelungslücken geschlossen. Ziel des Entwurfs ist die verschärfte Beaufsichtigung von Gruppen von Unternehmen aus verschiedenen Finanzmarktsektoren zum Beispiel aus dem Bankensektor und dem Versicherungssektor.

Die CDU/CSU-Fraktion stellte klar, dass die Deutsche Bundesbank keine Aufsichtsrechte im Versicherungsbereich erhalten werde. Dies wurde auch von der FDP-Fraktion so gesehen. Die drei Oppositionsfraktionen kritisierten übereinstimmend die unzureichende Definition des Begriffs "Finanzkonglomerat". Die Linksfraktion bezeichnete es darüber hinaus als fraglich, dass mit dem Gesetz das Problem der Ansteckungsgefahr von Unternehmen in einer Finanzkrise gelöst werden könne.

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2. Airline-Chefs stehen Rede und Antwort

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Berlin: (hib/PST) Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands sei "ohne funktionierenden Luftverkehr nicht denkbar". Mit dieser Feststellung eröffnete der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Ernst Hinsken, ein nichtöffentliches Gespräch seines Gremiums mit den Vorstandsvorsitzenden der Lufthansa, Dr. Christoph Franz, und der Air Berlin, Wolfgang Prock-Schauer. Die Gäste nutzten die Gelegenheit, um die Abgeordneten auf die Probleme ihrer Unternehmen in einem harten internationalen Wettbewerb hinzuweisen.

Lufthansa-Chef Franz beklagte angesichts des aktuellen Arbeitskampfes, im deutschen Flugverkehr herrsche "eine Situation wie in Großbritannien vor Margaret Thatcher". Beinahe im Drei-Monats-Abstand werde er durch Streiks einer Vielzahl teils kleinster Sparten-Gewerkschaften beeinträchtigt. Franz rief den Bundestag auf, in der nächsten Legislaturperiode Rahmenbedingungen zu schaffen, um "ohne Eingriff in den Kern der Tarifautonomie" solche Konflikte friedlich beilegen zu können. Auf den Hinweis aus der FDP-Fraktion, dass die Lufthansa aktuell nicht mit einer Splittergewerkschaft, sondern mit Ver.di im Arbeitskampf stehe, entgegnete Franz, Erfolge kleiner Gewerkschaften führten dazu, dass große ein ähnliches Verhalten wählten.

Die Eingangsbemerkung Hinskens aufgreifend erklärte Franz, die Luftfahrt sei nicht nur selbst eine Wachstumsbranche, sondern stimuliere "empirisch belegt" auch Wachstum in anderen Bereichen. Air-Berlin-Chef Prock-Schauer stellte allerdings fest, global gesehen sei die Luftfahrt in Europa "bei Wachstumsperspektiven und Margen hintendran". Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Probleme seines Unternehmens sagte Prock-Schauer, der deutsche Markt sei einer der wenigen, die einen zweiten Carrier vertrügen. Die Politik müsse aber die Rahmenbedingungen schaffen, damit dies so bleiben könne.

Prock-Schauer beklagte vor allem hohe Abgaben sowie Nachtflugverbote. Franz ergänzte für sein Unternehmen, die Gebühren und Steuern seien in den letzten zehn Jahren doppelt so stark gestiegen wie die Personalkosten, nämlich um über fünf Prozent jährlich. Sie seien inzwischen der zweitgrößte Kostenfaktor nach dem Treibstoff und noch vor dem Personal. Prock-Schauer verneinte eine Frage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ob man die Luftverkehrsabgabe mit einer Lenkungswirkung verbinden könne, indem man ihre Höhe vom Lärm und Schadstoffausstoß abhängig macht. Die Fluggesellschaften flögen ohnehin fast alle mit demselben Material.

Franz bezweifelte zudem die Lenkungswirkung von CO2-Steuern. Der Treibstoff sei ein so großer Kostenfaktor, dass sich die Fluggesellschaften ohnehin um Einsparungen bemühten. Sie brauchten aber die Mittel, um in moderne Technik zu investieren, und diese würden durch die hohen Abgaben geschmälert. Ähnlich äußerte er sich zu einer Frage aus der Fraktion Die Linke, wie die Fluggesellschaften ihre Forderung nach mehr Nachtflügen angesichts der Beeinträchtigung der Bevölkerung rechtfertigen könnten. Die Triebwerke würden mit jeder Generation deutlich leiser, erklärte Franz. Er könne aber den Kauf der neuen, leisen Maschinen "nicht garantieren, wenn wir nicht erheblich ertragsstärker werden".

Auf die Frage aus der SPD-Fraktion, ob der Kostendruck auf die Sicherheit durchschlagen könnte, antwortete Franz unter Kopfnicken von Prock-Schauer, die gesamte Branche sei sich einig, dass sie "nicht am sehr hohen Sicherheitsstandard sparen" werde. Einig waren sich die beiden Vertreter der Luftfahrt zudem, aus der CDU/CSU-Fraktion danach gefragt, im Wunsch nach einer einheitlichen europäischen Flugüberwachung. Ein solcher "Single European Sky" wäre "das größte CO2-Einsparungsprojekt", sagte Franz. Wenn die Maschinen nicht wegen der nationalen Luftraumüberwachung große Umwege fliegen müssten, könnten bis zu 12 Prozent Treibstoff eingespart werden.

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3. 120 Millionen Euro mehr für contergangeschädigte Menschen

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Berlin: (hib/AW) Der Bund wird die Zahlungen und Renten an contergangeschädigte Menschen um voraussichtlich 120 Millionen Euro jährlich erhöhen. Dies sieht der von CDU/CSU, SPD und FDP vorlegte Gesetzentwurf zur Novellierung des Conterganstiftungsgesetzes (17/12678) vor, den der Familienausschuss am Mittwoch mit den Stimmen aller Fraktionen in geänderter Fassung verabschiedete. Der Bundestag wird am Donnerstag abschließend über die Gesetzesvorlage beraten und abstimmen.

Der Gesetzentwurf beruft sich auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts zur Lebenssituation von Contergangeschädigten, das das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg im Auftrag des Deutschen Bundestages durchgeführt hat. Die Studie habe gezeigt, dass sich der Verlust von Fähigkeiten und Fertigkeiten der betroffenen Menschen in den letzten Jahren stark beschleunigt habe. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, um die eine angemessene und zukunftsorientierte Unterstützung der älter werdenden Betroffenen zu sichern. Derzeit haben 2.700 Menschen Anspruch auf Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz.

Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, dass die monatlichen Conterganrenten rückwirkend ab dem 1. Januar dieses Jahres von derzeit maximal 1.152 Euro auf maximal 6.912 Euro erhöht werden. Für die Anhebung dieser Renten soll der Bund rund 90 Millionen Euro jährlich aufbringen. Zudem sollen weitere 30 Millionen Euro jährlich für die Deckung spezifischer Bedarfe der Betroffenen breitgestellt werden.

Durch die Novellierung des Gesetzes soll zudem geregelt werden, dass alle Leistungen ausländischer Staaten an contergangeschädigte Menschen künftig auf die Leistungen der Conterganstiftung - mit Ausnahme der jährlichen Sonderzahlungen - angerechnet werden sollen. Rund zehn Prozent der 2.700 Leistungsberechtigten leben derzeit im Ausland. Zudem sollen Unterhaltsansprüche Contergeschädigter gegen nahe Angehörige im Bedarfsfall nicht auf den Träger der Sozialhilfe übergehen.

Der Familienausschuss veränderte den Gesetzentwurf noch einmal durch einen Änderungsantrag, den CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eingebracht hatten. Durch diese Änderung wird unter anderem geregelt, dass die Einkommen und Vermögen contergangeschädigter Menschen bei Hilfen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des Zwölften Sozialgesetzbuches freigestellt werden.

Zudem soll der Stiftungsrat der Conterganstiftung zukünftig prinzipiell öffentlich tagen. Lediglich in Fällen, in denen das öffentliche Wohl oder die berechtigten Interessen Einzelner betroffen sind, soll nichtöffentlich getagt werden dürfen. Die Fraktionen erhoffen sich somit die Transparenz der Stiftung zu erhöhen.

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4. Experten bewerten Lage in Tschernobyl und Fukushima weiter kritisch

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Berlin: (hib/AS) Nach den Atomunfällen von Tschernobyl im Jahr 1986 und Fukushuma Dai-Ichi im Jahr 2011 werden die Lage vor Ort und die Folgen für Menschen, Flora und Fauna von Experten als kritisch eingeschätzt. "Die Situation ist nach wie vor gefährlich", sagte Wladimir Kuznetsov, Direktor des Nuklear- und Strahlungssicherheits-Programms von Green Cross Russland, über den Zustand der Anlage in Tschernobyl am Mittwochvormittag bei einer Anhörung des Umweltausschusses des Bundestages. Kuznetsov, der selber als einer der sogenannten Liquidatoren in Tschernobyl gearbeitet hatte, sagte, es gebe Probleme mit der Stabilisierung des bereits vorhandenen Sarkophags und bei der Errichtung eines neuen sicheren Einschlusses, die von den G8-Staaten finanziell unterstützt wird. Kuznetsov machte deutlich, dass die Arbeit vor Ort von außen beobachtet werden müsse: "Wenn es keine unabhängige Kontrolle gibt, wird die Ausführung nicht so verlaufen wie es sein soll und die finanziellen Mittel werden nicht dorthin fließen, wie es sein soll", warnte der russische Sachverständige. Nach den Unfällen von Fukushima seien in Russland alle 32 Atomkraftwerke überprüft worden. Die Kontrolle habe zwei Wochen gedauert und ergeben, dass "alles in Ordnung sei". Er selber habe aber keine Informationen erhalten, die er als Techniker bewerten könne. Er machte darauf aufmerksam, dass es im Moment elf Reaktorblöcke des Typs in Tschernobyl gebe. Viele dieser Reaktoren hätten bereits ihre technische Lebensdauer überschritten, ihre Betriebszeiten seien aber verlängert worden. Es gebe eine Initiative, die sich an Präsident Wladimir Putin und das russische Verfassungsgericht gewandt habe, den Betrieb dieser Reaktoren einzustellen, allerdings bislang ohne Erfolg. Auch ein Antrag an das Europäische Parlament sei bisher noch nicht beantwortet worden.

Zur Lage in Fukushima erläuterte der Co-Direktor des japanischen Citizens' Nuclear Information Centers (CNIC), Hideyuki Ban, der wie sein russischer Kollege per Videokonferenz zugeschaltet wurde, dass es Vorbereitungen gebe, die atomaren Brennstäbe aus Reaktor IV herauszunehmen. Es bestehe aber momentan die Sorge, dass radioaktive Substanzen über das Meer verbreitet würden. Daher müssten circa 400.000 Tonnen Grundwasser, das durch die Anlage fließt und kontaminiert wurde, gespeichert werden. Zwar habe die Betreiberfirma Tepco Filteranlagen installiert, es gebe aber momentan große Platzprobleme, das aufgefangene Wasser zu speichern. Zu den Arbeiten an dem Atomkraftwerk erklärte er auf Nachfrage einer Abgeordneten: "Das sind in der Tat Methoden aus der Steinzeit. Dadurch, dass alles so schnell geschieht, sehen wir, dass ein Problem nach dem anderen auftritt", erklärte Ban.

Zur Zeit sei in Japan kein Atomausstieg geplant. Die Atomkraftwerke sollten aufrechterhalten, aber gleichzeitig die erneuerbaren Energien verstärkt werden. In vier Präfekturen, darunter Fukushima, gebe es aber erheblichen Widerstand gegen die Wieder-Inbetriebnahme der 17 dort vorhandenen Atommeiler. "Der Verzicht auf diese Meiler ist wahrscheinlich", sagte Ban. Die Regierung plant als weitere Maßnahme eine Liberalisierung des Strommarktes bis zum Jahr 2020. Dabei sollen die Stromerzeuger von den Stromverteilern getrennt werden. Zur gesundheitlichen Lage der Bevölkerung sagte er, dass in der Region Fukushima 38.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren untersucht worden seien. Bei drei der Untersuchten sei Schilddrüsenkrebs und bei sieben der Verdacht auf Schilddrüsenkrebs diagnostiziert worden.

Dörte Siebenkopf von der Initiative Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) erklärte, dass normalerweise Schilddrüsenkrebs bei Kindern nicht vorkomme. Sie äußerte die Erwartung, dass in Japan zwischen 20.000 und 100.000 zusätzliche Krebsfälle zu erwarten seien. Die Ärztin wies darauf hin, dass gerade auch niedrige Strahlendosen Zellschäden verursachen könnten: "In Fukushima erleben wir gerade erst den Beginn der radioaktiven Zerstörung", sagte sie. Auf die Frage, ob eine Dekontaminierung der Flächen möglich sei, wies die Sachverständige darauf hin, dass es auf die Beschaffenheit des Bodens ankomme. Während es in der Region um Tschernobyl eher sandigen Boden gebe, würde man in Fukushima eher felsigen Boden vorfinden. die Frage, was mit der kontaminierten Erde passiere, sei bisher noch unbeantwortet.

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5. Nationaler Radverkehrsplan 2020 einhellig begrüßt

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Anhörung)

Berlin: (hib/MIK) Der Nationale Radverkehrsplan 2020 (NRVP 2020) der Bundesregierung findet bei Experten weitgehend Zustimmung. Allerdings wird eine größere Beteiligung des Bundes bei der Finanzierung von Radwegen sowie mehr institutionelle Unterstützung gefordert. Dies wurde am Mittwochmittag bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung deutlich.

Grundlage der Anhörung war der Bericht der Bundesregierung (17/10681) "Nationaler Radverkehrsplan 2020 - Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln". Danach nimmt die Zahl der Radfahrer zu. Für die Fahrradnutzung im Jahr 2020 prognostiziert die Regierung im ländlichen Raum eine Steigerung von derzeit acht auf 13 Prozent, in städtischen Kommunen von elf auf 16 Prozent.

Weiter ging es um einen Antrag (17/11000) der SPD-Fraktion. Darin fordern die Abgeordneten, den NRVP 2020 zu überarbeiten. Er sollte den unterschiedlichen Entwicklungsstufen des Radverkehrs in den Regionen gerecht werden und differenzierte Förderansätze beinhalten. Die SPD empfiehlt, für den Bau von Radwegen an Bundesfernstraßen 100 Millionen Euro in der mittelfristigen Finanzplanung festzuschreiben. Dies fordert auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag (17/11357), die den NRVP 2020 zum "ambitionierten Aktionsplan der Radverkehrsförderung" weiterentwickeln wollen.

Timm Fuchs von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städte- und Gemeindebund) betonte in der Anhörung, dass der NRVP 2020 viele Ansätze zur Radverkehrsförderung enthalte. Er sei ein gutes Leitbild für den Ausbau der Radverkehrsnetze und eine gute übergeordnete Grundlage für die Radverkehrsförderung der kommenden Jahre. Es sei besonders zu begrüßen, dass Wert auf gemeinsame Lösungsstrategien und Handlungsnotwendigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen sowie dritter gesellschaftlicher Akteure gelegt werde - statt Kompetenzen und Zuständigkeiten gegeneinander abzugrenzen.

Weiter begrüßte er, dass der NRVP 2020 weiterhin den Charakter eines orientierten politischen Zielpapiers habe und nicht anstrebe, eine verpflichtende Vorgabe für das politische Handeln in der Verkehrspolitik zu sein. Deshalb seien auch die beiden Fraktionsanträge als Bekenntnis zur Weiterentwicklung des Radverkehrs in Deutschland und als Ausdruck des Willens, durch fachliche Diskussion die Rahmenbedingungen für verkehrspolitische Handeln auch der kommunalen Ebene zu unterstützen, positiv zu bewerten.

Tilman Bracher, Deutsches Institut für Urbanistik, forderte vom Bundestag konkrete Handlungs- und Finanzierungsschritte zu beschließen: Die Förderung des Radverkehrs könne nur gelingen, wenn es auch in erheblichem Umfang entsprechende zusätzliche Maßnahmen gebe. Dazu zählte er vor allem die Finanzausstattung. Dabei hielt er die Forderung von SPD und Grünen nach Mittel von jährlich 100 Millionen Euro für den Neubau von Radwegen an Bundesstraßen für "plausibel". Die Bundesländer hätten gezeigt, dass sie Mittel dieser Größenordnung kurzfristig abrufen könnten.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, Christian Kellner, befürchtete bei der prognostizierten Steigerung des Radverkehrs eine relative Zunahme der Zahl der Verkehrsunfälle mit Personenschäden. Angesichts von 399 getöteten Fahrradfahrern, 14.426 schwerverletzten Radfahrern und insgesamt 76.351 bekannt gewordenen verletzten Fahrradfahrern im Jahr 2011 sei vor allem die Verkehrssicherheit für den Radverkehr insgesamt ein wichtiges Handlungsfeld. Um dieses zu erhöhen, seien große Anstrengungen aller Beteiligten notwendig. So könne zum Beispiel über eine allgemeine Helmpflicht nachgedacht werden sagte er.

Auch Wasilis von Rauch, Verkehrsclub Deutschland, kritisierte, dass das Bundesverkehrsministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung als Herausgeber des NRVP 2020 den Ländern und Kommunen gute und wichtige Empfehlungen für die Fortentwicklung des Radverkehrs gebe, dabei aber seinen eigenen Gestaltungsspielraum bei weitem nicht ausschöpfe. Zudem fehle es an bundesweit verbindlichen, ambitionierten Zielen und an den dafür notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen. Trotz erkennbaren politischen Willens zur Fahrradförderung sei die Umsetzung "unklar".

Auch Burkhard Stork vom Allgemein Deutschen Fahrrad-Club hielt es für notwendig, dass der Bund seine besondere Rolle in der Radverkehrsförderung ungleich stärker wahrnehmen solle und die Finanzausstattung "entscheidend" verbessert werden müsse. So schlug er vor, Mittel der Radverkehrsförderung im Haushaltsansatz "offensiv" aufzuführen. Es sei ein falsches Signal gewesen, dass 2012 die Mittel für den Radwegebau an Bundesstraßen um 40 Prozent von 100 auf 60 Millionen Euro gekürzt worden seien.

Siegfried Neuberger, Zweirad-Industrie-Verband, forderte wie Tilman Heuser vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland klare, belastbare Aussagen zur Finanzierung der Radverkehrsförderung und die Festschreibung von 100 Millionen Euro für den Bau von Radwegen an Bundesstraßen in der mittelfristigen Finanzplanung. Zudem müssten klare, messbare Ziele und Fristen festgelegt werden, um den Radverkehrsanteil in Deutschland nachhaltig zu erhöhen. Auch müsse der Anteil von E-Bikes im Straßenverkehr entsprechend berücksichtigt werden. Heuser sprach sich zudem für eine Regelgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern in geschlossenen Ortschaften aus, um die Radfahrsicherheit zu erhöhen.

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6. Experten lehnen Einführung eines besonderen Straftatbestands "Genitalverstümmelung bei Frauen" mehrheitlich ab

Rechtsausschuss (öffentliche Anhörung)

Berlin: (hib/JBB) Soll die Genitalverstümmelung bei Frauen als besondere Straftat in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden? Um diese Frage ging es am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses. Hierbei waren sich die eingeladenen Experten uneinig, lehnten die vorgebrachten Gesetzesentwurfe jedoch mehrheitlich ab. Über die Strafwürdigkeit der Genitalverstümmelung herrschte jedoch Konsens. Grundlage der Diskussion waren Gesetzesentwürfe des Bundesrates (17/1217), der SPD (17/12374) und von Bündnis 90/Die Grünen (17/4759). Die Entwürfe sehen vor, Verstümmelung der äußeren Genitalien einer Frau durch Beschneidung als schwerwiegende Körperverletzung einzustufen und mit Gefängnis nicht unter zwei Jahren zu bestrafen. In minder schweren Fällen soll das Gericht Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren verhängen, so der Entwurf des Bundesrates. Der Vorschlag der Grünen würde die Höchststrafe auf bis zu 15 Jahre hochsetzen, momentan beträgt er zehn Jahre.

Bernd Carstensen, Stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Richter, wies auf die Schwierigkeiten bei der praktischen Strafverfolgung hin. Ihm sei kein Fall bekannt, in dem es konkret um Genitalverstümmelung bei Frauen ginge. Als Problem sah er die Weitergabe der Informationen, falls eine Genitalverstümmelung festgestellt werde. Das könnten nur Ärzte und diese unterlägen der Verschwiegenheitspflicht. Hier müsse eine rechtliche Lösung gefunden werden. Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe pflichtete ihm bei: Aufgrund des Problematik bei der Strafverfolgung sei der Zweck der Gesetzesentwürfe, eine Stärkung des Unrechtsbewusstseins, nicht möglich. Die Straftat spiele zudem in der Praxis keine Rolle und auch die bisherigen Strafen für Körperverletzung seien ausreichend. Man solle es bei den bisherigen Regelungen belassen. Diese Sicht teilte Ralf Wehowsky, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, und Edward Schramm von der Friedrich-Schiller Universität Jena. Stephan Beichel-Benedetti, Richter am Amtsgericht Heidelberg, wies darauf hin, dass die Einführung des Straftatbestand "Genitalverstümmelung" Folgen das Ausländerrecht und Familienrecht habe. Die Täter und Opfer seien oftmals Ausländer und die Opfer zum überwiegenden Teil noch Kinder. Eine Strafverfolgung habe Auswirkungen auf die Familiensituation der Opfer. Im schlimmsten Fall würden die Eltern abgeschoben und das Kind komme ins Heim.

Für die Gesetzesänderung sprach sich hingegen Helmut Fünfsinn, Leiter der Strafrechtsabteilung des hessischen Justizministeriums, aus. Der Straftatbestand der Genitalverstümmelung werde benötigt, gerade weil es sich dabei um eine "symbolische Gesetzgebung" handele. Die Problematik lasse sich nicht allein durch Bestrafung bekämpfen, sondern nur durch Prävention. Durch die Schaffung eines Straftatbestandes ließen sich präventive Ideen jedoch besser umsetzen und er verwies dabei auf das Beispiel der Zwangsverheiratung. Ebenso für die Gesetzesentwürfe sprach sich Klaus Hoffmann-Holland von der Freien Universität Berlin aus. Die Systematik im Strafgesetzbuch decke den Straftatbestand bisher nicht komplett ab. Die Paragrafen, die sich mit dem Straftatbestand der Körperverletzung beschäftigen, griffen zu kurz oder behandelten die falsche Deliktart. Dirk Wüstenberg, Rechtsanwalt aus Offenbach, forderte, die Gesetzentwürfe breiter zu fassen und zu ändern. Man solle sich von den Definition von Genitalverstümmelung der Weltgesundheitsorganisation WHO lösen, die allen Gesetzesentwürfen zu Grunde liegt.

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7. Im Bundestag notiert: Energie-und Klimafonds

Finanzen/Antwort

Berlin: (hib/HLE) Es gibt keine Überlegungen in der Bundesregierung, den Energie-und Klimafonds aufzulösen. Wie es in einer Antwort der Bundesregierung (17/12973) auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion (17/12757) weiter heißt, hängt es von der Entwicklung der Märkte ab, welche Einnahmen aus dem Emissionshandel ohne stützende Maßnahmen zur Stabilisierung des CO2-Zertifikatepreises tatsächlich zu erwarten seien. Wie die Abgeordneten im Vorwort zur Kleinen Anfrage schreiben, drohen wichtigen Bundesprogrammen zu Energieeffizienz und Klimaschutz angesichts massiver Einnahmeausfälle beim Energie- und Klimafonds das Aus.

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8. Im Bundestag notiert: Leistungsschutzrecht für Presseverlage

Recht/Antwort

Berlin: (hib/VER) Die Bundesregierung teilt die Rechtsauffassung, dass Suchmaschinen als Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne einer EU-Richtlinie zu qualifizieren sind und "damit grundsätzlich dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterfallen", schreibt sie in ihrer Antwort (17/12471) auf eine Kleine Anfrage (17/12314) der Linksfraktion. Allerdings unterfallen Suchmaschinen nach Regierungsmeinung "nicht dem Wortlaut der jeweiligen Haftungsprivilegierungstatbestände der Artikel 12 bis 14 der Richtlinie", schreibt sie weiter. Deshalb verstoße das Leistungsschutzrecht für Presseverlage auch nicht gegen diese Tatbestände.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 227 - 24. April 2013 - 14:40 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2013