Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FAKTEN

BUNDESTAG/4712: Heute im Bundestag Nr. 577 - 12.11.2014


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 577
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 12. November 2014, Redaktionsschluss: 15.30 Uhr

1. Zuschuss für den Klimafonds möglich
2. Probleme mit Regelung der Selbstanzeige
3. Potenziale der Verstädterung



1. Zuschuss für den Klimafonds möglich

Haushaltsausschuss

Berlin: (hib/MIK) Der Energie- und Klimafonds (EKF) kann jährlich einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt erhalten. Dies beschloss der Haushaltsausschuss am Mittwochnachmittag, in dem er einen Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/2443) in geänderter Fassung annahm. Dafür stimmten die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD; die Oppositionsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen votierten dagegen.

Die Maximalmehrausgaben sollen im kommenden Jahr 781 Millionen Euro, 2016 höchstens 848,5 Millionen Euro und 2017 maximal 826 Millionen Euro betragen. 2018 könnten es danach bis zu 836 Millionen Euro sein.

Seit 2012 finanziert sich der Energie- und Klimafonds wesentlich aus den Erlösen aus der Versteigerung von Berechtigungen zum Ausstoß von Treibhausgasen (sogenannte CO2-Zertifikate), heißt es im Gesetzentwurf. Die Preise für CO2-Zertifikate seien jedoch seit 2012 "deutlich" gefallen. Die geringeren Einnahmen des Energie- und Klimafonds würden daher derzeit nicht ausreichen, den notwendigen Finanzierungsbedarf des Fonds zu decken, so dass eine Stärkung der Einnahmeseite erforderlich sei.

Die Koalition betonte, dass mit dem möglichen Zuschuss Klarheit über die Finanzierung geschaffen werde. Das diene der Beschleunigung der Energiewende. Demgegenüber hielt die Linksfraktion den Fonds "grundsätzlich" für falsch und die Grünen kritisierten die Intransparenz. Sie schlugen vor, den Fonds aufzulösen.

Auf Antrag der Koalition löste der Ausschuss einstimmig den Erblastentilgungsfonds und den Ausgleichsfonds Währungsumstellung auf. Die Abgeordneten begründeten dies damit, dass dies wegen des deutlich zurückgegangenen Aufgabenumfangs und der nur noch untergeordneten finanziellen Relevanz sinnvoll sei.

*

2. Probleme mit Regelung der Selbstanzeige

Finanzausschuss/Öffentliche Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Die Bundesteuerberaterkammer hat davor gewarnt, die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerrecht faktisch abzuschaffen. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses erklärte die Organisation am Mittwoch, das Rechtsinstitut der Selbstanzeige habe sich bewährt und sollte grundsätzlich erhalten bleiben. Angesichts der von der Bundesregierung geplanten Änderungen stelle sich aber die Frage, "ob diese nicht zu einer faktischen Abschaffung der Selbstanzeige führen können". Insbesondere die Verlängerung des notwendigen Erklärungszeitraums auf zehn Kalenderjahre für alle Fälle der Steuerhinterziehung könne in vielen Fällen zur Unmöglichkeit einer Selbstanzeige führen, weil die erforderlichen Unterlagen nicht mehr beizubringen seien. Auch Regierungsdirektor Klaus Herrmann, Leiter des Referates für Fahndung und Strafsachen im Landesamt für Steuern in Koblenz, plädierte in seiner Stellungnahme grundsätzlich für den Erhalt der Selbstanzeige: "Das ist aus fiskalischer Sicht schon mal gut, denn das Instrument der Selbstanzeige bringt dem Staat viele Millionen Steuermehreinnahmen, die anders - trotz verbesserter Möglichkeiten der Finanzverwaltung - nicht kommen würden. Daher sind die meisten Finanzämter froh um jede Selbstanzeige."

Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (18/3018) sieht vor, dass die Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerrecht erheblich enger gefasst werden als bisher, unter anderem durch niedrigere Grenzwerte. So soll die Grenze, bis zu der eine Steuerhinterziehung ohne Zahlung eines zusätzlichen Geldbetrages bei Selbstanzeige straffrei bleibt, von 50.000 auf 25.000 Euro gesenkt werden. Der zu zahlende Geldbetrag soll abhängig vom Hinterziehungsvolumen gestaffelt werden. "Hervorzuheben ist auch die vorgesehene generelle Ausdehnung des Berichtigungszeitraums auf zehn Jahre für eine wirksame Selbstanzeige. Bisher besteht diese Verpflichtung nur in Fällen einer besonders schweren Steuerhinterziehung", heißt es im Entwurf.

Die Zehn-Jahres-Frist griff auch der Zentralverband des deutschen Handwerks ZDH auf. Die Abgabe von korrigierten Steuererklärungen werde erschwert, "da die erforderlichen Unterlagen zum Teil nicht mehr vorhanden sind oder Wissensträger dem Unternehmen nicht mehr zur Verfügung stehen". Ähnlich äußerte sich in der Anhörung der Steuerberater Frank Wehrheim. Auch nach Ansicht der Stiftung Familienunternehmen muss "Obacht gegeben werden, dass die jetzt vorgesehenen Maßnahmen nicht das Ziel einer Rückkehr in die Steuerehrlichkeit konterkarieren. Jede weitere Verschärfung der Selbstanzeige kann dazu führen, dass das Instrument der Selbstanzeige weniger oder gar nicht mehr genutzt wird".

Wie die Stiftung Familienunternehmen begrüßten auch die großen deutschen Wirtschaftsverbände in einer gemeinsamen Erklärung die vorgesehene Korrektur einiger Regelungen aus dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, die zur Kriminalisierung von steuerehrlichen Unternehmen und deren Mitarbeitern führen könnten, etwa im Fall irrtümlicher Angaben. Die Spitzenverbände begrüßten, dass im Bereich der Steueranmeldung bei der Umsatz- und Lohnsteuer Korrekturen vorgenommen würden, verlangten jedoch eine Ausweitung auch auf den Bereich anderer Steuern wie Kapitalertragsteuer und Versicherungsteuer. Die Verbände verlangten auch mehr Rechtsicherheit für Unternehmen. Es häuften sich die Fälle, in denen vorsätzliches und strafbares Verhalten unterstellt werde, auch wenn es nur um in einer Betriebsprüfung aufgedeckte Fehler gehe. Es würden Straf- oder Bußgeldverfahren angedroht. Auch Berend Holst (Volkswagen AG) schrieb in seiner Stellungnahme davon, dass im geltenden Recht bereits bloße Arbeitsfehler kriminalisiert werden könnten. Deshalb gebe es in den Unternehmen, aber auch in der Finanzverwaltung erhebliche Unsicherheit.

Die Aussagen der Wirtschaft stießen auf Widerspruch bei anderen Sachverständigen. Für eine Vielzahl von Strafverfahren im Unternehmensbereich gebe es keine Belege, sagte etwa Heinz-Joachim Mallach vom Finanzamt Hagen (Nordrhein-Westfalen). Aus Sicht des Praktikers sei "keine Kriminalisierung feststellbar". Dass Fehler im Schwarzgeldbekämpfungsgesetz korrigiert werden sollten, sei jedoch zu begrüßen. Hans-Peter Buckenberger (Finanzamt Verden) ergänzte, seit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz gebe es keinen Fall, der in einem Strafverfahren geendet habe.

Nach Angaben von Professor Markus Jäger (Richter am Bundesgerichtshof) besteht die Korrekturmöglichkeit falscher Daten schon heute und hat mit dem Institut der Selbstanzeige nichts zu tun. Es sei zwischen Korrekturfällen und Straftaten zu unterscheiden. Die Selbstanzeige als Mittel der Korrektur von Arbeitsfehlern zu betrachten, sei ein "grundsätzliches Missverständnis", weil der Hinterziehungsvorsatz fehle. Wenn jemand nach bestem Wissen und Gewissen in einer Firma eine Steuererklärung unterschreibe, fehle das für Steuerhinterziehung notwendige Willenselement. Den Befürwortern der Selbstanzeige gehe es nur um eine "wasserdichte Lösung", bei der der Vorsatz erst gar nicht geprüft werden müsse.

Professor Rudolf Mellinghoff, der Präsident des Bundesfinanzhofs, wies auf mögliche verfassungsrechtliche Probleme hin. Verfassungsrechtliche Risiken könne es angesichts der enorm hohen Zuschläge gebe. Ein weiteres Problem könne in der Verlängerung der Erklärungsfrist auf bereits verjährte Zeiträume bestehen. Da stelle sich die Frage der Ungleichbehandlung zwischen denen, die eine Steuererklärung abgeben würden und denen, die keine abgeben würden.

Die Deutsche Steuergewerkschaft (DStG) hält das Institut der Selbstanzeige als "Brücke zur Ehrlichkeit" nur noch im Bereich einfacher Steuerhinterziehung für vertretbar. Bei schwerer Steuerhinterziehung sollte eine Selbstanzeige nicht mehr möglich sein. "Im Bereich schwerer Steuerhinterziehung, insbesondere bei Schwarzgeldanlagen und mit Auslandsbezug, geht es in aller Regel um direkten Vorsatz. Vergessen und Fahrlässigkeit scheiden hier aufgrund konspirativen Vorgehens aus", so die Steuergewerkschaft in ihrer Stellungnahme. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit forderte, dass eine Strafbefreiung beziehungsweise Strafminderung nur einmal im Leben möglich sein sollte. Entsprechende Regelungen gebe es bereits in Kanada, Österreich und der Schweiz. Auf einen anderen Aspekt verwies Klaus Herrmann vom Landesamt für Steuern. Danach liegt der Schwerpunkt der Steuerhinterziehung nicht bei der Kapitalertragsteuer, sondern bei der Einkommen- und Umsatzsteuer.

*

3. Potenziale der Verstädterung

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Anhörung)

Berlin: (hib/AHE) Experten betonen die Potenziale der Urbanisierung für das Vorankommen von Entwicklungs- und Schwellenländern. In einer Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wurden am Mittwoch jedoch auch die Grenzen der Gestaltung und Steuerung von nachhaltigen Urbanisierungsprozessen deutlich.

George Deikun von UN-Habitat (Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen) betonte, dass heute etwas mehr als die Hälfte der Menschheit in städtischen Siedlungen lebt und diese Zahl im Jahre 2050 auf 70 Prozent steigen werde. Die größte Herausforderung liege in den spontan und häufig ungeregelt entstehenden "informellen Siedlungen". Bereits heute bewohnten rund eine Milliarde Menschen solche Siedlungen und Slums mit häufig nur begrenztem Zugang zu Dienstleistungen, Beschäftigung und politischer Teilhabe. Mit einer "New Urban Agenda" schlage UN-Habitat neun Instrumente für eine nachhaltige Stadtentwicklung vor - dazu zählten neben der Entwicklung einer Stadtpolitik auf nationaler Ebene auch die Stärkung der kommunalen Gesetzgebung und Finanzen, die Förderung eines angemessenen Wohnraums für alle Einkommensklassen sowie das Konzept der "durchmischten Stadt", die weder sozial noch nach Funktionen wie Arbeiten, Wohnen und Verkehr die Stadträume trenne.

Christian Schmidt von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich warnte davor, mit solch umfassenden allgemeinverbindlichen Konzepten die konkrete Situation vor Ort zu verfehlen: "Urbanisierung hat viele Gesichter", sagte Schmidt - dazu zählten die Megacities ebenso wie zunehmende Konzentrationsprozesse an Stadträndern, in kleinen und mittleren Städten und auf dem Land. Nachhaltige Urbanisierung, die insbesondere die ärmere und von Verdrängungsprozessen betroffene Bevölkerung im Blicke nehme, müsse zum einen bei der Stärkung der lokalen Verwaltung ansetzen und zum anderen auf die Selbstorganisationskräfte "informeller Siedlungen" setzen.

Der Architekt Albert Friedrich Speer nannte die "New Urban Agenda" einen "Wunschkatalog", der zwar positive Punkte aufliste, aber an den Realitäten vorbei gehe. Stadtentwicklung habe in Entwicklungsländern selten Priorität, die Frage des Bodeneigentums sei oftmals ungeklärt, die Verwaltungen häufig zentralstaatliche organisiert. Es müsse darum gehen, "spezifische Lösungen" vor jeweils anderen kulturellen, wirtschaftlichen, klimatischen und geschichtlichen Bedingungen zu finden. Speer machte sich stark für das Modell der kompakten und "durchmischten Stadt". Nur diese Siedlungsform ermögliche kurze Wege und damit eine Begrenzung des Verkehrs.

Wie wichtig gerade dieser Vorteil auch unter klimapolitischen Gesichtspunkten ist, machte Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik mit dem Vergleich von Barcelona und Atlanta mit ihrer Einwohnerzahl von rund fünf Millionen deutlich: Während in der ausgedehnten Südstaaten-Metropole CO2-Emmissionen von 7,5 Tonnen auf einen Einwohner pro Jahr entfallen, seien es im dicht besiedelten Barcelona nur 0,7 Tonnen. Als ein wichtiges Instrument nachhaltiger Urbanisierung in Entwicklungsländern nannte Brandi die Stärkung beziehungsweise Schaffung kommunaler Finanzhoheit.

In der häufig fehlenden städtischen Planungs- und Finanzhoheit in Entwicklungs- und Schwellenländern sah auch Einhard Schmidt-Kallert (Universität Dortmund) einen Hemmschuh. Er plädierte jedoch auch dafür, sich von der Fokussierung auf "plan making" zu lösen, von einer rein physischen Planung, die allzu häufig auf die Errichtung von Mittelschichtenquartieren hinauslaufe. "Planung müsste viel stärker die Moderatorenrolle übernehmen zwischen formellen und informellen Planungsbeteiligten, auch zwischen verschiedenen Rechtssystemen". Zudem gelt es, Stadt und Land nicht als Gegensatz, sondern als Kontinuum zu begreifen: Auf dem Land gebe es zunehmend Industrialisierungsprozesse, in den Städten selbst wiederum Landwirtschaft. Städte würden an den Rändern zerfasern, der Übergang von städtischen zu ländlichen Regionen sei fließend - und damit seien es auch die jeweiligen Lebensstile. Schmidt-Kallert lenkte den Blick auf multilokale Haushalte: Menschen, die in der Stadt arbeiten, aber weiterhin Teil eines ländlichen Haushaltes bleiben würden und auf diese Weise wirtschaftliche Risiken abfedern und minimieren könnten.

*

Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 577 - 12. November 2014 - 15.30 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2014