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BUNDESTAG/5270: Heute im Bundestag Nr. 470 - 23.09.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 470
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 23. September 2015, Redaktionsschluss: 17.31 Uhr

1. 2.500 Euro für sowjetische Kriegsgefangene
2. Stärkung der Kultur im ländlichen Raum
3. Kritik an Grünen-Antrag zu Vergaberegeln
4. Anhörung zur Sterbehilfe


1. 2.500 Euro für sowjetische Kriegsgefangene

Haushalt/Ausschuss

Berlin: (hib/MIK) Ehemalige sowjetische Kriegsgefangene können einen finanziellen Anerkennungsbetrag von 2.500 Euro erhalten. Das beschlossen die Mitglieder des Haushaltsausschusses am Mittwochnachmittag, indem sie einem Richtlinienentwurf des Bundesfinanzministeriums einstimmig zustimmten.

Danach ist Voraussetzung für die Anerkennungsleistung, dass der Berechtigte den sowjetischen Streitkräften angehörte und sich zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 8. Mai 1945 als Kriegsgefangener in einem deutschen Kriegsgefangenenlager in Gewahrsam befand. Die Leistung wird nicht Personen gewährt, die ihrer unwürdig sind. Unwürdig ist insbesondere, wer Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder daran teilgenommen hat.

Die Leistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht, wird nur auf Antrag gewährt. Dieser Antrag muss spätestens bis zum 30. September 2017 an das "Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen" in Berlin gerichtet werden.

Die Leistungen sind laut Richtlinie "höchst persönlicher Natur" und daher nicht übertragbar. Erben von ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen haben kein Antragsrecht. Wenn der Berechtigte jedoch selbst den Antrag gestellt hat und anschließend gestorben ist, können nach seinem Tod auch hinterbliebene Ehegatten beziehungsweise seine hinterbliebenen Kindern die Anerkennungsleistungen ausgezahlt werden.

Die Abgeordneten aller Fraktionen würdigten die Möglichkeit der finanziellen Anerkennung als "herausragende Leistung" des Ausschusses. Wichtig sei, dass die Richtlinie nun schnell umgesetzt werde.

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2. Stärkung der Kultur im ländlichen Raum

Kultur und Medien/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Der Kulturausschuss spricht sich für eine verstärkte Kulturförderung im ländlichen Raum aus. Der Ausschuss nahm einen entsprechenden Antrag von CDU/CSU und SPD (18/5091) mit den Stimmen der Koalitionfraktionen gegen das Votum der Fraktion Die Linke mehrheitlich an. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen enthielt sich der Stimme. In ihrem gemeinsamen Antrag fordern die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung auf, besonders Regionen und Kommunen verstärkt zu unterstützen, die vom demographischen Wandel betroffen sind. Die vielfältigen sozialen, ökonomischen und finanziellen Probleme in diesen Regionen und Kommunen hätten unmittelbare Auswirkungen auf das kulturelle Leben und die Kulturpolitik.

Konkret setzen sich Union und Sozialdemokraten unter anderem dafür ein, ein Pilotprojekt zu den Herausforderungen des demographischen Wandels für die kulturelle Bildung zu konzipieren und finanziell zu unterstützen. Zudem soll die Regierung prüfen, inwiefern das Antrags- und Vergabesystem der Kulturförderung vereinfacht und Kulturakteure vor Ort bei der Beantragung öffentlicher Fördermittel unterstützt werden können. Ebenso soll der Deutsche Musikinstrumentenpreis verstetigt werden, der überwiegend an kleine Handwerksbetriebe abseits der großen Ballungsräume vergeben wird.

Die Linksfraktion begrüßte prinzipiell das Ziel des Antrags. Der Antrag vernachlässige jedoch, dass der demographische Wandel auch von einer zunehmenden Urbanisierung begleitet werde. Sie kritisierte zudem, dass die Forderungen der Koalition an die Regierung unter einem Finanzierungsvorbehalt stünden. Die Fraktion sprach sich zugleich dafür aus, ein Staatsziel Kultur ins Grundgesetz aufzunehmen und das Kooperationsverbot in der Kultur- und Bildungspolitik endgültig zu kippen.

Auch die Grünen erklärten, der Antrag greife ein wichtiges Thema auf und gehe in die richtige Richtung. So hätten Union und SPD Forderungen aus einem alten Antrag der Grünen übernommen, den die Koalition damals aber abgelehnt habe. Allerdings differenziere der Antrag zu wenig zwischen wirtschaftlich schwachen und starken ländlichen Regionen. Manche starke Region sei kulturell besser positioniert als die ein oder andere schwache Stadt.

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3. Kritik an Grünen-Antrag zu Vergaberegeln

Sport/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Für den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag (18/3556) zur Festlegung von Vergabekriterien bei Sportgroßereignissen zeichnet sich keine Mehrheit ab. Das wurde bei der ersten Beratung der Vorlage während der Sitzung des Sportsausschusses am Mittwochnachmittag deutlich. Vertreter von Unions-, SPD- und Linksfraktion sahen - ebenso wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Ole Schröder (CDU) - einzelne Punkte in dem Antrag als unterstützenswert an. Insgesamt sei er in seiner jetzigen Form jedoch nicht zustimmungsfähig, urteilten sie.

In dem Antrag werden Änderungen bei Vergabeentscheidungen von Sportgroßereignissen gefordert. So soll die Bundesregierung nach den Vorstellungen der Grünen die Sportverbände dazu anhalten, die verbindliche Einhaltung menschen- und bürgerrechtlicher und ökologischer Standards bei der Vorbereitung und Durchführung von Sportgroßereignissen verpflichtend zur Voraussetzung von Vergabeentscheidungen zu machen und ihre Umsetzung "sanktionsbewehrt sicherzustellen". Zudem soll sie über die Einhaltung dieser Standards in regelmäßigen Abständen berichten. Dabei seien die relevanten Organisationen einzubeziehen und diese Berichte zu veröffentlichen, schreibt die Fraktion.

Ein Vertreter der Grünen betonte, nicht zuletzt der Skandal rund um die Weltfußballorganisation Fifa habe gezeigt, wie wichtig Kriterien für den Sport seien, "damit es fair und sauber zugeht". Angesichts der Dimension des Fifa-Skandals hoffe er, dass sich auch die Koalitionsfraktionen in dieser Frage bewegen werden. Wenn der Bundestag einen möglicherweise sogar einstimmigen Beschluss zur Vergabe von Sportgroßereignissen fällen könnte, "wäre das ein wichtiges Signal", betonte der Grünen-Vertreter.

Aus Sicht der SPD-Fraktion steckt der internationale Sport derzeit in einer Glaubwürdigkeitskrise. Dennoch seien die Forderungen in dem Antrag teils überzogen. Man dürfe auch nicht vergessen, dass der Sport autonom ist, hieß es von der SPD-Vertreterin. Im Übrigen zeigten die geplanten Regelungen im Bereich Doping und Spielmanipulationen, "dass wir dort Regelungen schaffen, wo es gut und sinnvoll ist".

Er sehe den Antrag eher als Bestätigung und Unterstützung denn als Kritik, sagte Staatssekretär Schröder. Vieles von dem was seitens der Grünen angemahnt werde, tue die Bundesregierung bereits, urteilte er. Von Seiten der Unionsfraktion kam die Anregung, einige Aspekte des Antrags in den 13.Sportbericht der Bundesregierung einzuarbeiten. Dies könne auch gemeinsam in Angriff genommen werden, schlug der Vertreter der Unionsfraktion vor.

Auch von der Fraktion Die Linke gab es Kritik an der Vorlage. Auf bestimmte Dinge, die die Grünen forderten, könne die Bundesregierung keinen Einfluss nehmen, sagte die Linken-Vertreterin. Gleichzeitig wandte sie sich gegen den Vorwurf, Regelungen zur Vergabe von Sportgroßereignissen würden die Autonomie des Sports gefährden. Eine Bewerbung für Olympische Spiele beispielweise sei nicht eine Sache des Sports allein sondern eine nationale gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

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4. Anhörung zur Sterbehilfe

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/SCR) Die intensive Debatte zum Thema Sterbehilfe hat am Mittwochnachmittag im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine Fortsetzung gefunden. Zwölf Sachverständige nahmen zu den vier Gruppen-Gesetzentwürfen Stellung, die sich vor allem auf die Frage der Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid beziehen.

Der überwiegende Teil der geladenen Experten sprach sich für den Entwurf der Gruppe von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) sowie 208 weiteren Abgeordneten (18/5373) aus. Er sieht vor, die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Das beträfe sowohl Sterbehilfevereine als auch Mediziner, die ein solches Angebot als quasi normale Behandlungsoption anböten. Beihilfe im Freundes- oder Angehörigenkreis wäre nicht betroffen.

Ruth Rissing-van Saan, Richterin am Bundesgerichtshof a.D., argumentierte wie auch andere, dass sich aus der Verfassung keine "Pflicht zum Leben" ableiten ließe. Entsprechend seien die freiverantwortliche Selbsttötung und auch die Teilnahme daran nicht unter Strafe zu stellen, wenn es sich im Hinblick auf die Teilnahme um einen individuellen, zwischenmenschlichen Akt handle. Es könne aber bei Suizidwilligen nicht immer von einem freiverantwortlichen Verhalten ausgegangen werden, daher bestehe auch ein "legitimes Schutzinteresse" daran, eine übereilte Selbsttötung zu verhindern. Daher sei ein Verbot der geschäftsmäßigen, auf Wiederholung angelegten Sterbehilfe geboten.

Bischof a.D. Wolfgang Huber warnte davor, durch gesetzliche Regelungen die standesrechtlichen Vorgaben der Ärzteschaft zu untergraben, wie es die Entwürfe der Gruppe von Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD) und 105 weiteren Abgeordneten (18/5374) sowie Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Petra Sitte (Die Linke) und 51 weiteren Abgeordneten (18/5375 ) vorsehen. Diese standesrechtlichen Regelungen fallen in Hinblick auf Suizidbeihilfe überwiegend enger aus als das, was rechtlich möglich wäre. Das sei aber kein Problem, sondern ein gesellschaftlich begrüßenswerter Vorgang, sagte Huber. Denn schon die geschäftsmäßige Organisation von Sterbehilfe, auch ohne kommerzielle Absicht, sei ethisch problematisch, da sie eine explizite oder auch implizite Werbung für den Suizid bedeute. Die Gesellschaft dürfe das nicht hinnehmen, sagte Huber.

Gegen eine strafrechtliche Regelung und für den Entwurf der Gruppe Hintze-Reimann sprach sich der Rechtswissenschaftler Eric Hilgendorf von der Universität Würzburg aus. Er kritisierte am Brand-Griese-Entwurf, dass durch das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit auch Mediziner im Palliativ- und Hospizbereich unter Verdacht geraten könnten. Der Schaden durch eine Kriminalisierung der Suizidbeihilfe sei größer als deren Nutzen, sagte Hilgendorf. Es bedürfe vielmehr eines Ausbaus der standesrechtlichen Regelungen und der Sicherung der ärztlichen Gewissensfreiheit.

Palliativmediziner Matthias Thöns aus Witten berichtete, dass schon nach aktueller Rechtslage mehrfach gegen ihn ermittelt worden sei. Eine strafrechtliche Regelung könne die ambulante Palliativmedizin daher zerstören. Eine solche Regelung sei auch nur von einer Minderheit der betroffenen Ärzte gewollt. Die Gewissheit, dass er im Zweifelsfall auch beim Suizid helfen könne, wirke Wunder für seine Patienten, sagte Thöns.

Stephan Sahm, Palliativmediziner und Medizinethiker aus Offenbach, betonte, dass sich die Suizidhandlung einer moralischen Bewertung entziehe. In diesem Feld sei "Enthaltung" angesagt. Würden Ärzte geschäftsmäßig Suizidbeihilfe anbieten, werde damit hingegen gesellschaftliche Akzeptanz suggeriert. Die Geschäftsmäßigkeit könne zur Gefährdung vieler Menschen führen. Sie müsse daher unter Strafe gestellt werden.

Christian Hilgruber, Rechtswissenschaftler an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, sprach sich für ein striktes Verbot der Suizidbeihilfe aus, wie es auch der Gesetzentwurf der Gruppe von Patrick Sensburg (CDU), Thomas Dörflinger (CDU) und 33 weiteren Abgeordneten (18/5376) vorsieht. Das Problem liege in der Sache selbst und nicht in der Art des Geschäftsmodells, daher sei nicht nur kommerzielle sowie geschäftsmäßige Suizidbeihilfe problematisch, sondern auch jene im Familien- und Angehörigenkreis. Auch hier sei Selbstlosigkeit beim Helfenden nicht immer gegeben, folglich bestehe auch in der Familie eine "strukturelle Gefährdung der Autonomie". Für Grenzsituationen sehe das Straf- und Strafprozessrecht Möglichkeiten vor, von einer Strafverfolgung abzusehen. In Hinblick auf die Entwürfe von Hintze-Reimann und Künast-Sitte sprach Hilgruber davon, dass "offensichtlich" die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht gegeben sei, sie liege bei den Ländern.

Dem widersprach Reinhard Merkel, Rechtswissenschaftler von der Universität Hamburg. Er kritisierte zudem die Annahme, dass durch organisierte Sterbehilfe Druck entstehe. Dies müsse, gerade wenn der Gesetzgeber im Strafrecht tätig werden wolle, wissenschaftlich abgesichert werden. Merkel warnte zudem davor, Ärzte aus dem Suizidgeschehen auszuschließen. Damit werde eine "riesige Chance der Suizidprävention" verschenkt.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 470 - 23. September 2015 - 17.31 Uhr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2015

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