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BUNDESTAG/5696: Heute im Bundestag Nr. 210 - 14.04.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 210
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 14. April 2016, Redaktionsschluss: 09.29 Uhr

1. BND zurückhaltend in Kooperation mit NSA
2. Zufriedenheit mit Smart Metern
3. Sachverständige gegen Prüfungsgrundsatz
4. Wettbewerb bei Online-Plattformen
5. Humanitäre Lage in Syrien


1. BND zurückhaltend in Kooperation mit NSA

1. Untersuchungsausschuss (NSA)/Ausschuss

Berlin (hib/wid) - Ein ehemaliger Abteilungsleiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) hat vor dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) bekräftigt, dass seine Behörde nur mit erheblichem Misstrauen bei der Überwachung internationaler Datenverkehre mit der amerikanischen National Security Agency (NSA) kooperiert habe. "Wir wissen schon, für wen wir arbeiten, und von wem wir bezahlt werden, und dass es unsere Aufgabe ist, Dinge zu verhindern, die uns schaden", sagte der Zeuge Dieter Urmann am Mittwochabend bei seiner Vernehmung, zu der er über Video aus Regensburg zugeschaltet war. Der heute 64-jährige pensionierte Berufssoldat leitete von 2006 bis 2008 in der Pullacher BND-Zentrale die Abteilung 2 "Technische Aufklärung".

In dieser Funktion wurden ihm, wie er am Mittwoch erneut berichtete, Anfang 2006 Auffälligkeiten unter den Suchmerkmalen gemeldet, die die NSA zur Einspeisung in die gemeinsam betriebene Abhöranlage in Bad Aibling geliefert hatte. Ein zuständiger Sachbearbeiter habe Selektoren entdeckt, die sich erkennbar und vereinbarungswidrig gegen deutsche Ziele gerichtet hätten. Es seien allerdings nur wenige gewesen, zwischen fünf und zehn, schätzte der Zeuge, der sich auf die genaue Anzahl nicht festlegen mochte: "Ich habe in meiner letzten Vernehmung schon erläutert, dass ich mir Zahlen nicht merken kann, und das hat sich nicht geändert."

Urmann war ein erstes Mal am 5. März 2015 vor dem Ausschuss aufgetreten. Etwa sechs Wochen später erfuhr die Öffentlichkeit, dass der BND 2013 in Bad Aibling etwa 40.000 NSA-Selektoren entdeckt hatte, die zur Ausspähung europäischer Partner geeignet waren. Seither wollte der Ausschuss Urmann zu diesem Thema erneut befragen. Einer Ladung für den 12. Juni 2015 hatte Urmann krankheitsbedingt nicht nachkommen können, und auch am Mittwoch war er nur eine Stunde lang verfügbar. Zur weiteren Aufhellung des Sachverhalts konnte er nicht viel beitragen, weil sein Gedächtnis ihn im Stich ließ. Schließlich sei der Vorgang schon zehn Jahre her: "Ich weiß nicht, was Sie für eine Vorstellung haben, was man da noch an Details wissen muss."

Immerhin meinte er sich zu erinnern, dass die Anfang 2006 festgestellten fragwürdigen Selektoren sich auf Firmen, nicht auf Personen, bezogen, und dass es einen vergleichbaren Vorgang in der Zusammenarbeit mit der NSA bis dahin noch nicht gegeben hatte. Welche Firmen betroffen waren, wusste der Zeuge nicht mehr zu sagen: "Ich kann mich nur erinnern, dass da etwas war, bei dem man gesagt hat: Das können wir auf keinen Fall durchgehen lassen."

Urmann meldete den Vorfall dem damaligen BND-Präsidenten Ernst Uhrlau. Der BND suchte das Gespräch mit den Amerikanern. Diese hätten "die übliche Antwort" gegeben, dass es sich um einen "Bürofehler" gehandelt habe: "Wir waren durch diese Sache vorgewarnt. Wir haben da schon beobachtet, wann immer irgendwelche Selektoren eingestellt wurden."

Ebenfalls keine präzisen Erinnerungen hatte der Zeuge an eine Unterredung mit dem damaligen Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) und dem BND-Präsidenten, an der er im Januar 2008 teilgenommen hatte. Die NSA hatte den Wunsch geäußert, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Die deutsche Seite lehnte ab, nicht zuletzt, weil der BND und auch Urmann Einwände erhoben haben sollen. Welcher Art und wie sie begründet waren, wusste der Zeuge nicht mehr zu sagen. Der BND sei der NSA damals mit generellem Misstrauen begegnet: "Insgesamt war die Stimmung etwas zurückhaltender. Das war auch eine Frage der Zusammenarbeit zwischen zwei sehr unterschiedlich großen Partnern."

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2. Zufriedenheit mit Smart Metern

Wirtschaft und Energie/Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Mit den geplanten Neuregelungen zur Digitalisierung der Energiewende haben sich die Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am Mittwoch grundsätzlich zufrieden gezeigt. Kritik kam allerdings von Verbraucherschützern, die in den geplanten technischen Vorgaben für intelligente Messsysteme ("Smart Meter") ein Einfallstor für eine kostenintensive Einbauverpflichtung für alle Haushalte sehen. Umstritten ist auch die Verwendung der Daten.

Ausdrücklich begrüßt wurde der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende (18/7555) von Peter Heuell, Vorstandsmitglied des Zentralverbandes der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie. Nach seinen Angaben können Verbraucher mit intelligenten Messsystemen von den durch die Energiewende gesunkenen Strombörsenpreisen profitieren. Die intelligenten Systeme würden neue Tarife und Dienstleistungen ermöglichen und auch zu Energieeinsparungen von mindestens 1,5 Prozent führen. Auch die Netzausbaukosten könnten reduziert werden. Tim Bagner (Deutscher Städtetag) erklärte in seiner Stellungnahme, die Digitalisierung mittels des Roll-Outs von Smart-Metern und die Definition von einheitlichen und ambitionierten Datenschutz-Standards seien eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende. Die Nutzung von intelligenten Zählern sei ein dringend notwendiger Schritt, um die umweltfreundliche Erzeugung von Energie und deren Nutzung in Industrie, im Verkehr und in den Haushalten auf intelligente Weise miteinander zu vernetzen, Energieeinsparpotenziale zu generieren und die Energieeffizienz deutlich zu steigern.

Bernd Kowalksi vom Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erklärte, mit seinen Rolloutvorgaben (Einbauverpflichtungen) sichere der Entwurf eine breite Verwendung des neuen Standards. Die Regelungen zur Datenkommunikation würden zentrale Datenschutzanforderungen umsetzen und seien auch transparent für Verbraucher. Laut Entwurf gelten als intelligente Messsysteme nur solche Systeme, die die Anforderungen des BSI erfüllen und vom BSI ein "Gütesiegel" erhalten haben. Ein intelligentes Messsystem muss laut Gesetzentwurf "die zuverlässige Erhebung, Verarbeitung, Übermittlung, Protokollierung, Speicherung und Löschung von aus Messeinrichtungen stammenden Messwerten" gewährleisten. Verbrauchern sollen zum Beispiel Informationen über den tatsächlichen Energieverbrauch sowie Informationen über die tatsächliche Nutzungszeit bereitgestellt werden. Zu den Voraussetzungen für intelligente Messsysteme gehört auch die Gewährleistung einer sicheren Verbindung in Kommunikationsnetze, zum Beispiel um die Grenzen für den maximalen Eigenstromverbrauch für das Smart-Meter-Gateway und andere typischerweise an das intelligente Messsystem angebundene Komponenten einzuhalten. Wie es zum Erfüllungsaufwand heißt, könnten durch die gesetzlichen Änderungen privaten Haushalten Kosten bis zu 100 Euro im Jahr entstehen. Allerdings würden diesen Mehrkosten auch Einsparpotenziale gegenüberstehen. Zudem gibt es klar definierte Preisobergrenzen. Bei Verbrauchern mit einem Jahresverbrauch bis 6.000 Kilowattstunden sei kein flächendeckender Pflichteinbau vorgesehen, heißt es weiter.

Die vorgeschlagenen Regelungen würden erhebliche volkswirtschaftliche Vorteile bieten und seien zielführend, ergänzte Boris Schucht vom Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Er begrüßte auch, dass die Übertragungsnetzbetreiber die Daten für die Bilanzkreisabrechnung direkt zur Verfügung gestellt bekämen.

Die genannten Preisobergrenzen für den Messstellenbetrieb würden die entstehenden Kosten nicht decken, kritisierte Martin Weyand vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). "Um die Wirtschaftlichkeit des Rollouts sicherzustellen, muss es dabei bleiben, dass Verbraucher mit einem jährlichen Stromverbrauch über 6.000 kWh den Einbau intelligenter Messsysteme nicht ablehnen können", forderte Weyand. Er lehnte auch eine Aufspaltung der Zuständigkeit für abrechnungsrelevante Daten ab. Die Verteilnetzbetreiber müssten weiterhin die Verantwortung für alle 43 Millionen Messstellen in Deutschland haben. Sie könnten das Datenmanagement leisten. Die Neuregelung sei nicht notwendig.

Die gesammelten Informationen würden aber ein "hohes Ausforschungsrisiko in Bezug auf die Lebensgewohnheiten der Betroffenen" bergen, beklagte Peter Büttgen (Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit) in seiner Stellungnahme. "Da eine sekundengenaue Verbrauchserfassung mittels Smart Metern möglich ist, wird jede einzelne Aktivität punktuell und in Echtzeit erkennbar. Über den Tag ergibt sich somit ein Ablaufprotokoll, das wesentliche Informationen für ein Persönlichkeitsprofil enthält", so Büttgen. Für Johanna Kardel (Verbraucherzentrale Bundesverband) handelt es sich bei dem Gesetzentwurf um einen "ungerechtfertigten Eingriff in die Verbrauchersouveränität". Trotz der weit verbreiteten Auffassung, dass intelligente Messsysteme auf Haushaltsebene nur einen geringen Nutzen stiften und keine nennenswerten Beitrag zur Energiewende oder zur Netzdienlichkeit leisten würde, würden die Grundlagen für einen "Full-Rollout" für alle privaten Endverbraucher gelegt, heißt es in Kardels Stellungnahme. Ein Recht auf Zustimmung oder Ablehnung der Verbraucher sei nicht vorgesehen.

Auf ein anderes Problem machte Holger Loew (Bundesverband Erneuerbare Energien) aufmerksam: Danach werden durch das Gesetz Erzeugungsanlagen zum Einbau und zur Nutzung von Geräten verpflichtet, "die bisher nicht existieren, für die bis heute nicht einmal ein Anforderungskatalog vorliegt". Es würden hohe Kosten für die Umrüstung und den Austausch von Wechselrichtern anfallen.

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3. Sachverständige gegen Prüfungsgrundsatz

Finanzen/Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Eine Mehrheit der Sachverständigen hat die Pläne der Bundesregierung zurückgewiesen, bei der Prüfung von Steuerfällen in den Finanzämtern den Grundsatz der "Wirtschaftlichkeit" einzuführen und damit die Behörden zu entlasten, indem personelle Ressourcen auf die wirklich prüfungsbedürftigen Fälle konzentriert werden. So erklärte der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine in seiner Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses am Mittwoch, die Einführung von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten als unbestimmter Rechtsbegriff sei als Grundlage für Entscheidungen über Art und Umfang der Ermittlungen zu weitgehend: "Wir sehen dadurch den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefährdet", warnte die Organisation.

Grundlage der Anhörung war der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahren (18/7457). Danach sollen Steuererklärungen in Zukunft zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung soweit wie möglich automatisiert bearbeitet werden. Bürger, die ihre Steuererklärung mit erheblicher Verspätung einreichen, sollen einen Verspätungszuschlag zahlen. Ein wesentlicher Punkt des Gesetzesvorhabens ist die Änderung von Abgabefristen. Steuerpflichtige, die von Steuerberatern beraten werden, bekommen zwei Monate mehr Zeit zur Abgabe ihrer Erklärung. Die Jahressteuererklärung muss künftig am 28. Februar des Zweitfolgejahres vorliegen. Die Verlängerung der Fristen wurde von der Bundesteuerberaterkammer ausdrücklich begrüßt. Sie störte sich jedoch daran, dass die Finanzämter die Möglichkeit erhalten sollen, Steuererklärungen auch vorab anfordern zu können.

Auch der Neue Verband der Lohnsteuerhilfevereine warnte in seiner Stellungnahme davor, neben den geltenden Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit auch allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu berücksichtigen. Das ergebe einen sehr weiten Entscheidungsspielraum für die Finanzbehörden. Die neu aufgenommenen Gründe könnten die bisherigen Grundsätze der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit erheblich einschränken. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fragte, wie der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit in der Praxis funktionieren solle. Es sei ein Trugschluss, eine stärkere Serviceorientierung der Finanzverwaltung könne nur durch stärkere IT-Unterstützung und strukturelle Verfahrensanpassungen bei gleich bleibender oder sinkender Personalausstattung erreicht werden.

Der Deutsche Steuerberaterverband warnte, mit zunehmender Übermittlung sowie Verarbeitung der Daten von Dritten (Arbeitgebern, Versicherungen, Banken usw.) könne sich die Zahl der Fälle von abweichenden Angaben zu den Daten in den Steuererklärungen erhöhen. Dann müssten Rücksprachen mit Finanzverwaltung und Dritten erfolgen. Die Abwälzung der Sachverhaltsaufklärung nebst der unzureichenden Begründung im Steuerbescheid widerspreche jedoch dem Amtsermittlungsgrundsatz sowie den Hinweis- und Begründungspflichten der Finanzverwaltung. Darauf ging auch der Bund der Steuerzahler in seiner Stellungnahme ein. Der Laie habe sich bisher darauf verlassen können, dass die Finanzbeamten auch zu ihren Gunsten prüfen. Dieser gebiete der Amtsermittlungsgrundsatz: "Diese Hinweis- und Ermittlungspflicht darf durch eine vollautomatische Bearbeitung nicht verloren gehen", warnte die Organisation. Auch Jürgen Brand, Richter am Bundesfinanzhof und Präsident des Deutschen Finanzgerichtstages, erklärte, die Einführung der Parameter Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit lasse dem Wortlaut nach "selbst bei sich aufdrängenden Zweifeln ein Absehen von weiterer Prüfung durch die Finanzbehörde zu". Dies könne selbst dann passieren, wenn eine solche Prüfung rechtlich und tatsächlich möglich, verhältnismäßig und zumutbar sowie "im Rahmen der vorhandenen (unzureichenden) Ressourcen machbar" ist. Brand bejahte die Frage, ob der Begriff der Wirtschaftlichkeit wegfallen könnte. Der Begriff sei kontraproduktiv. Eine ähnliche Auffassung vertrat auch die Deutsche Steuergewerkschaft.

Grundsätzlich begrüßt wurde das Gesetzesvorhaben vom Bundesrechnungshof, der sich jedoch auch dafür aussprach, die unbestimmten Rechtsbegriffe Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu präzisieren beziehungsweise zu erläutern. Auch die als IT-Dienstleister für die steuerberatenden Berufe tätige DATEV erklärte die zunehmende Digitalisierung und elektronische Kommunikation im Besteuerungsverfahren für alternativlos und begrüßte den Grundtenor des Entwurfs. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft begrüßte in seiner Stellungnahme, die von den anderen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und Banken mitgetragen wurde, dass das Besteuerungsverfahren weiter digitalisiert und automatisiert werden solle. Erleichterungen dürfe es jedoch nicht nur für die Finanzverwaltung geben, sondern auch für die Wirtschaft, die eine hohe Bürokratiebelastung durch die mit dem Steuerrecht verbundenen Informationspflichten habe.

In der Stellungnahme der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit heißt es, vermisst werde ein Auskunftsanspruch gegenüber der Finanzverwaltung und eine Unterrichtungspflicht der Finanzverwaltung.

Welche Auswirkungen ein Verspätungszuschlag haben könnte, machten Steuerberaterverband und Lohnsteuerhilfevereine in einer gemeinsamen Stellungnahme deutlich: Danach kommt ein Rentner im Mai des Jahres 2020 zu Beratung, um prüfen zu lassen, ob er verpflichtet ist, eine Steuererklärung abzugeben. Der Berater stellt fest, dass für die Jahre 2017 bis 2019 eine Steuererklärung hätte abgegeben werden müssen. Nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung kommt es zu keiner Steuerfestsetzung. Dennoch sei nach der Neuregelung ein Verspätungszuschlag in Höhe von 1.800 Euro festzusetzen.

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4. Wettbewerb bei Online-Plattformen

Ausschuss Digitale Agenda/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die vorhandenen Instrumentarien des Wettbewerbs- und Kartellrechts sind grundsätzlich ausreichend, um einen funktionierenden Wettbewerb im Bereich der Online-Plattformen sicherzustellen. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses Digitale Agenda am Mittwoch geladenen Experten einig. Nachbesserungsbedarf sahen sie unter anderem im Bereich der Marktabgrenzung. Es müsse explizit festgeschrieben werden, dass auch dann ein Markt vorliegt, wenn Leistungen unentgeltlich erbracht werden und Daten als Zahlungsmittel fungieren, sagte beispielsweise Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes.

Mit Blick auf das von seiner Behörde angestrengte Kartellverfahren gegen Facebook hinsichtlich eines eventuellen Missbrauchs seiner Marktmacht sagte Mundt, wenn sich eine marktbeherrschende Stellung von Facebook nachweisen lasse, müsse darauf gedrungen werden, dass das Unternehmen aus kartellrechtlichen Gründen die nationalen und europäischen Datenschutzgesetze einhält.

Online-Plattformen hätten eine intensivierende Wirkung auf den Wettbewerb, sagte Professor Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie. Für Kunden ergäben sich so bessere Vergleichsmöglichkeiten während sich die Absatzmöglichkeiten der Händler erhöhten. Problematisch sei aber die Gefahr der Beschränkung auf nur noch eine Plattform in einzelnen Märkten. Dem vorbeugend müsse mit Exklusivitätsklauseln "sehr kritisch" umgegangen werden. Dazu müsse jedoch das Kartellrecht nicht neu erfunden werden, befand Haucap.

"Wettbewerb ist der erste Schritt zu solidem Verbraucherschutz", sagte Miika Blinn, Referent beim Team Digitales und Medien in der Verbraucherzentrale Bundesverband. Blinn plädierte für eine Einzelfallbetrachtung der verschiedenen Plattformen. Was den Missbrauch von Marktmacht angeht, so ist der aus Sicht des Verbraucherschützers bei Online-Märkten dann gegeben, wenn Nutzer keine wirkliche Alternative hätten und die Betreiber der Plattform vor diesem Hintergrund die Kosten, "also die Menge an Daten, die erhoben wird", erhöhen. Laut Blinn spräche vieles dafür, diese Situation so zu behandeln, "als gebe es in der analogen Welt nur noch einen Cola-Produzenten, der plötzlich für die Flasche 50 Euro haben will".

Er wünsche sich in Deutschland mehr Plattformjazz als nur Plattformblues, sagte Ansgar Baums, Leiter der Berliner Geschäftsstelle des Unternehmens Hewlett Packard (HP). Derzeit gebe es im politischen Raum eine problematische Zuspitzung des Begriffs der Digitalen Plattform. Gemeint sei dann das Geschäftsmodell des Vertriebs personalisierter Werbung. "Wir können es uns nicht leisten, Plattformen so einseitig zu bewerten und daraus regulatorische Maßnahmen treffen, die eine Kollateralschaden im Bereich Industrie 4.0 mit sich bringen könnten", warnte Baums. Statt einer Revolution werden seiner Ansicht nach lediglich ein paar Anpassungen im Detail benötigt.

Auch Michael Menz vom Online-Mode-Händler Zalando sprach sich dafür aus, mit den vorhandenen Regulierungen zu arbeiten. "Wir agieren nicht im rechtsfreien Raum", machte er deutlich. Menz appellierte an die Abgeordneten "die Entstehung und das Wachstum von deutschen Digitalunternehmen nicht durch neue staatliche Regulierung zu hemmen".

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5. Humanitäre Lage in Syrien

Menschenrechte/Ausschuss

Berlin: (hib/AHE) Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, warnt vor einer fortdauernden Verschärfung der humanitären Situation im Syrienkonflikt. Die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sei zwar Monat für Monat in der Lage, Räume der humanitären Versorgung mit Konfliktparteien zu verhandeln und offen zu halten, sagte Maurer am Mittwoch im Menschenrechtsausschuss. "Trotzdem stellen wir am Ende des Monats oft genug fest, dass die Lage schlimmer geworden ist." Der Umfang der humanitären Hilfen nehme zu, die Zahl der Opfer aber wachse schneller.

Syrien stehe für eine beunruhigende Zunahme regionaler und oft asymmetrisch ausgetragener Konflikte mit globalen Auswirkungen, sagte Maurer. Solche Konflikte führten zum Ausfall ganzer Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme, zerstörten Lebensgrundlagen, sie würden zudem manches aus den vergangenen Jahrzehnten bekannte Ausmaß von Gewalt und Zerstörung in den Schatten stellen. Trotz "ermunternden Schritten", etwa der Verständigung auf einen teilweisen Waffenstillstand in Syrien, sei in der nächsten Zeit nicht mit einem "großen Wurf" für eine politische Lösung zu rechnen. Humanitäre Hilfe sei unter solchen Bedingungen besonders schwer zu organisieren. "Die Akteure sind zunehmend zersplittert, schwieriger erreichbar", sagte Maurer. So sei allein ein Abkommen zur humanitären Versorgung der syrischen Stadt Aleppo mit insgesamt 35 Konfliktparteien ausgehandelt worden.

Mit Blick auf den humanitären Weltgipfel in Istanbul im Mai warnte Maurer vor überzogenen Erwartungen einer humanitären Gesamtlösung. Rotes Kreuz und Roter Halbmond seien zur Kooperation bereit, sie könnten aber zum Beispiel nicht in einem UN-geführten System der Humanitären Hilfe komplett aufgehen, sondern müssten ihrer Rolle als "absolut neutraler" und unpolitischer Akteur unbedingt treu bleiben. Nur auf dieser Grundlage, "decken wir Räume ab, die andere nicht abdecken können". Maurer sprach in diesem Zusammenhang vom "Vorteil der Differenz" der Hilfsansätze. Größeres Problem als mangelnde Koordinierung sei die Abwesenheit von humanitärer Hilfe, sagte Maurer mit Blick auf vernachlässigte Konflikte. Es gebe "weiße Flecken" auf der Weltkarte, wo einzig die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung und die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (Médecins Sans Frontières) aktiv sein könnten.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 210 - 14. April 2016 - 09.29 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2016

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