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BUNDESTAG/5810: Heute im Bundestag Nr. 324 - 02.06.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 324
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 02. Juni 2016, Redaktionsschluss: 09.49 Uhr

1. Breites Ja zu Nein heißt Nein
2. Geschichte des Kanzleramtes erforschen
3. Zukunft der Pflanzenzüchtung
4. Zukunft der bäuerlichen Milchviehhaltung
5. Verpflegung in Kitas und Schulen


1. Breites Ja zu Nein heißt Nein

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses über drei Gesetzentwürfe zur Reform des Sexualstrafrechts hat sich eine breite Zustimmung zu einer Lösung gezeigt, die sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer Person generell unter Strafe stellt. Die beiden im vergangenen Jahr eingebrachten Gesetzentwürfe der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen (18/5384) und Die Linke (18/7719) sind, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, solche "Nein-heißt-Nein"-Lösungen. Dagegen geht der zuletzt von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf (18/8210) einen anderen Weg. Er fügt den bestehenden Tatbestandsmerkmalen, die zur Strafbarkeit eines sexuellen Übergriffs führen, weitere Merkmale hinzu, um Schutzlücken zu schließen. Allerdings wird dieser Weg auch von den Koalitionsfraktionen nicht weiterverfolgt.

Bei der Anhörung am Mittwoch, der auch zahlreiche Abgeordnete anderer Ausschüsse beiwohnten, wies von den sieben Sachverständigen einzig der Tübinger Strafrechtler Jörg Eisele auf Vorzüge auch des Regierungsentwurfs für ein "Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung" hin. Angesichts der Schwierigkeiten insbesondere bei Beziehungstaten, dem Beschuldigten eine Straftat nachzuweisen, sei es für die Justiz hilfreich, Kriterien im Gesetz vorzufinden. Eisele schlug deshalb vor, die auch von ihm befürwortete Nein-heißt-Nein-Lösung durch einige konkrete, "vertypisierte" Tatmerkmale zu ergänzen.

Die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm ging auf den Einwand gegen eine Nein-heißt-Nein-Regelung ein, dadurch werde Falschbeschuldigungen der Boden geebnet. Diese Sorge, sagte Clemm, sei seinerzeit auch gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe geäußert worden. Sie habe sich aber nicht bestätigt. Die Fallzahlen unterschieden sich hier nicht vor denen bei anderen Delikten.

Unterschiedlich wurden die verschiedenen Lösungsvorschläge für die in der Justizpraxis häufig auftretenden Fälle bewertet, in denen das Opfer eines sexuellen Übergriffs nicht zu einem klaren Nein in der Lage ist, sei es aus Angst in einer Gewaltbeziehung, sei es aufgrund einer Behinderung oder Krankheit oder aus anderen Gründen. So plädierte die Berliner Strafrechtlerin Tatjana Hörnle einerseits nachdrücklich für die Formulierung "Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit" im Gesetzentwurf der Grünen, fand aber andererseits die Fälle, die sich in einem Klima der Angst ereignen, einzig im Regierungsentwurf gut gelöst.

Schon vor Sitzungsbeginn fanden die Parlamentarier und Sachverständigen ein Eckpunktepapier von acht SPD- und CDU-Abgeordneten als Tischvorlage vor. Ebenso wie die Gesetzentwürfe der Linken "zur Änderung des Sexualstrafrechts" und der Grünen "zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung" plädiert auch dieses Papier für eine "Reform des Sexualstrafrechts mit dem Grundsatz Nein heißt Nein". Wesentlichster Unterschied zu den Gesetzentwürfen der Oppositionsfraktionen sind neue Strafbestimmungen gegen "Grapschen" sowie gegen Übergriffe aus einer Gruppe heraus. Sie sind eine Reaktion auf die neuartigen sexualisierten Taten, wie sie in der Silvesternacht in Köln in Erscheinung getreten waren. Damals waren die Reformvorschläge der Opposition bereits in die parlamentarische Beratung eingebracht. Diese Eckpunkte waren zwar nicht offiziell Gegenstand der Anhörung, doch mit Einwilligung der Ausschussvorsitzenden Renate Künast (Grüne) nahmen die Sachverständigen auch dazu Stellung.

Mehrheitlich befürworteten die Sachverständigen den Vorschlag, das "Grapschen", also das Befummeln im Schritt und am Busen, als eigenen Straftatbestand einzuführen. Bisher bleibt dies häufig straflos, wenn es oberhalb der Kleidung erfolgt. Nach den Vorfällen in Köln seien die Menschen darüber überrascht gewesen, stellte Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund fest, und forderte eine Anpassung der Rechtslage an das Rechtsempfinden der Bürger. Umstritten war allerdings, ob dafür ein neuer Straftatbestand der "tätlichen sexuellen Belästigung", wie ihn das Eckpunktepapier vorsieht, hilfreich und wie genau er abzugrenzen wäre. Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte verwies hier auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), in dem der Begriff der sexuellen Belästigung eingeführt und genau geregelt sei. Roswitha Müller-Piepenkötter, Bundesvorsitzende der Opferhilfeorganisation Weisser Ring, störte sich an dem Begriff der "Tätlichkeit". Dieser werde in der Rechtssprache als Vorstufe zur Körperver letzung benutzt und setze eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens voraus. Da dies beim Grapschen oft nicht erfüllt sei, plädierte Müller-Piepenkötter dafür, stattdessen von sexueller Belästigung "durch eine körperliche Berührung" zu schreiben. Ein geteiltes Echo fand der Vorschlag, die bloße Teilnahme an einer Gruppentat strafbar zu machen, weil hier oft schwer bestimmte Handlungen konkreten Personen zuzuordnen sind. Während beispielsweise der Bamberger Leitende Oberstaatsanwalt Erik Ohlenschlager nachdrücklich dafür plädierte, wies Rabe auf Abgrenzungsprobleme hin, wenn jemand nur unbeteiligt dabeistehe.

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2. Geschichte des Kanzleramtes erforschen

Kultur und Medien/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Einhellig haben sich Experten in einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses für eine Erforschung der Geschichte des Bundeskanzleramtes hinsichtlich personeller Kontinuitäten zur Zeit des Nationalsozialismus ausgesprochen. Die sechs geladenen Historiker schlossen sich damit einem entsprechenden Antrag der Fraktion Die Linke (18/3049) an.

Norbert Frei von der Friedrich-Schiller-Universität Jena verwies übereinstimmend mit seinen Kollegen darauf, dass entsprechende historische Untersuchungen zu vielen Bundesministerien und Obersten Bundesbehörden bereits abgeschlossen oder in Arbeit seien. Das Geschichte des Bundeskanzleramtes stelle bislang eine Lücke dar, die geschlossen werden sollte. Klaus-Dietmar Henke und Jost Dülffer, die beide der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) angehören, plädierten dafür, die Vergabe des Forschungsauftrages nicht wie im Fall des BND zu organisieren. Der BND habe den Forschungsauftrag selbst formuliert und die vier Mitglieder der Kommission ernannt. Zwar habe die Unabhängigkeit der Kommission darunter nicht gelitten, sagte Dülffer. Man sollte jedoch trotzdem einen anderen Weg suchen, um etwaigen Verdächtigungen zuvorzukommen. Die beiden Historiker sprachen sich dafür aus, den Forschungsauftrag im Rahmen eines Wettbewerbs zu vergeben.

Ulrike Jureit vom Hamburger Institut für Sozialforschung sagte, der Forschungsauftrag dürfe sich nicht auf ein reines Auszählen von NS-belasteten Personen im Kanzleramt und biographische Darstellungen beschränken. Ebenso wie Christian Mentel vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam plädierte sie dafür, den Forschungsauftrag möglichst weit zu fassen. Es müsse um eine qualitative Betrachtung von Transformationsprozessen im postdiktatorischen System gehen und um die Rolle, die das Personal und der bürokratische Apparat in diesem Prozess gespielt habe. In diesem Sinne argumentierten auch alle anderen Historiker. Ebenso müsse die Rolle der DDR-Propaganda gegen das Kanzleramt im Zusammenhang mit den personellen NS-Kontinuitäten untersucht werden. Weitgehend einig zeigten sich die Experten, dass sich der zu erforschende Zeitraum bis in die 1980er Jahre erstrecken sollte.

Der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Andreas Wirsching, warnte vor einer erneuten Politisierung der Forschungsergebnisse. Das Thema der personellen NS-Kontinuitäten müsse entpolitisiert und historisiert werden.

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3. Zukunft der Pflanzenzüchtung

Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) "Die deutsche Pflanzenzüchtung ist im internationalen Wettbewerb grundsätzlich gut aufgestellt." Diese Einschätzung vertrat Carl-Stephan Schäfer vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) am Mittwochabend während einer öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung. Die zum BDP gehörenden Unternehmen hätten in Forschung und Entwicklung investiert, Arbeitsplätze geschaffen und den Export ausgeweitet, sagte Schäfer. Um die Zukunftsfähigkeit der Pflanzenzüchtungsunternehmen in Deutschland sicherzustellen, müssten gleichwohl die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden.

Dabei müsse laut Schäfer unter anderem der Sortenschutz mit dem Züchtungsvorbehalt als Motor für Innovation als primäres Schutzrecht in der Pflanzenzüchtung gewahrt bleiben. Zudem müsse das "für Züchter und Landwirte gleichermaßen ungerechte Verfahren zur Erhebung von Nachbaugebühren zeitnah überarbeitet werden".

Vor einer weiteren Konzentration auf dem Markt für Saatgutproduzenten warnte Christoph Then, Geschäftsführer des Vereins Testbiotech. Es drohe ein Oligopol, so Then, "wenn der Konzern Bayer den Konkurrenten Monsanto übernimmt, DuPont und Dow AgroSciences fusionieren und Syngenta von ChemChina übernommen wird". Diese "Seed Giants" würden darüber entscheiden, was gezüchtet und angebaut wird, und damit letztlich auch darüber, welche Nahrungsmittel überhaupt verfügbar sind.

Kritik übte Then auch an den aktuellen Züchtungsstrategien in Deutschland. Es sei falsch, die Entwicklung eines gentechnisch veränderten Hybridweizens, der andere Weizensorten verdrängen würde und nicht nachbaubar sei, mit Steuergeldern zu fördern, wie es beim Projekt PLANT 2030 der Fall sei.

Die Übernahme von Monsanto durch Bayer müsse durch die Politik verhindert werden, forderte auch Stig Tanzmann, Referent für Landwirtschaft bei Brot für die Welt. Gleiches gelte für die anderen geplanten oder zurzeit ablaufenden Übernahmen oder Fusionen. Nach Ansicht Tanzmanns wurden die traditionell starken universitären und staatlichen Forschungsstrukturen in den letzten Jahrzehnten stark in Richtung Kooperation mit den großen Konzernen ausgerichtet.

Dabei sei ein starker Fokus auf biotechnologische Verfahren, wie der Gentechnik und die weitere Entschlüsselung der Pflanzengenetik gelegt worden, wovon vor allem die großen Konzerne profitiert hätten. Diese Ausrichtung sei stark zu hinterfragen, "insbesondere auch da sie die Vielfalt, die in der deutschen Pflanzenzucht vorhanden ist, nicht ausreichend berücksichtigt".

In der Schweiz habe man sich für eine nationale Züchtungsstrategie entschieden, sagte Peter Latus vom schweizerischen Bundesamt für Landwirtschaft. Es habe Zweifel gegeben, ob der Schweizer Landwirtschaft mittel- bis langfristig geeignete Sorten der notwendigen Pflanzenarten zur Verfügung stehen, führte er als einen Grund für die Initiative an.

Ziel der Strategie sei die Entwicklung neuer Sorten für den landwirtschaftlichen Anbau mit Fokus Schweiz, wobei aber die internationale Zusammenarbeit unabdingbar sei. Zwei prioritäre Maßnahmen seien derzeit in Arbeit, erläuterte Latus. Zum einen liefen die Vorbereitungsarbeiten für den Aufbau eines Schweizer Zentrums für Pflanzenzüchtung. Zum anderen soll eine "Expertengruppe aus Forschung und Wertschöpfungskette" über die mit öffentlichen Mitteln geförderten Züchtungsportfolios beraten.

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4. Zukunft der bäuerlichen Milchviehhaltung

Ernährung und Landwirtschaft/Antrag

Berlin: (hib/EIS) Durch eine Begrenzung der Milchmenge soll die Zukunft der bäuerlichen Milchviehhaltung gesichert werden. Das fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag (18/8618) von der Bundesregierung. Dazu heißt es weiter, dass gestaffelte, nicht rückzahlbare Soforthilfen an Milchbetriebe bereitgestellt werden sollen, die ihre Erzeugung im Vergleich zu einem zweijährigen Vergleichszeitraum für die Dauer von mindestens einem Jahr senken, um die Menge wirkungsvoll zu reduzieren. Des Weiteren sollen die Molkereien aufgefordert werden, ihre Möglichkeiten zur Absprache von Produktionsmengen zu nutzen und durch Bonuszahlungen an Milcherzeuger bei Mengenreduzierung die Anlieferungsmenge zu reduzieren. Die Bundesregierung soll zudem Maßnahmen vorschlagen, die die Verhandlungsposition der Erzeuger durch Änderungen im Kartell-, Wettbewerbs- und Genossenschaftsrecht gegenüber den Molkereien und dem Lebensmittelhandel unmittelbar, wirkungsvoll und tatsächlich stärken.

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5. Verpflegung in Kitas und Schulen

Ernährung und Landwirtschaft/Antrag

Berlin: (hib/EIS) Bundesweit sollen alle Kinder und Jugendlichen in Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen sowie Horteinrichtungen und in der Tagespflege mit Ganztagsangebot eine beitragsfreie, altersgerechte, abwechslungsreiche und ansprechende Essensversorgung erhalten. Das fordert die Fraktion Die Linke von der Bundesregierung in einem Antrag zur Einrichtung eines Bundesprogramms zur Kita- und Schulverpflegung (18/8611). Der Bund soll zur Finanzierung der Forderung ausreichend Mittel zur Verfügung stellen und mit den Bundesländern Vereinbarungen treffen, damit diese die Finanzmittel entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung stellen. Für jedes Kind und jeden Jugendlichen soll eine Pauschale von 4.50 Euro pro Verpflegungstag veranschlagt werden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 324 - 2. Juni 2016 - 09.49 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2016

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