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BUNDESTAG/6137: Heute im Bundestag Nr. 651 - 08.11.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 651
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 08. November 2016, Redaktionsschluss: 09.15 Uhr

1. Nachhaltigkeitsbilanzen im Detail strittig
2. Lob für Gleichstellung der Verkehrsträger


1. Nachhaltigkeitsbilanzen im Detail strittig

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Die Absicht, von Großunternehmen Jahresberichte über verantwortliches Verhalten gegenüber der Allgemeinheit zu verlangen, wurde in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses weithin positiv aufgenommen. Der europäische Gesetzgeber hat solche Berichtspflichten zur gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility - CSR) in einer EU-Richtlinie (2014/95/EU) vorgesehen. Jetzt ist der Bundestag am Zug, dem ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/9982) zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht vorliegt.

Im Kern geht es darum, dass große kapitalmarktorientierte Unternehmen nicht mehr nur Jahresabschlüsse über ihre finanzielle Lage veröffentlichen sollen. Vielmehr sollen sie auch darlegen, welche Bilanz sie in Bereichen wie dem Umweltschutz, Menschenrechten, Arbeitnehmerrechten und der Korruptionsbekämpfung vorweisen können.

Dass die Bundesregierung dabei weit hinter dem Wünschenswerten zurückbleibt, war die dezidierte Meinung von Christian Felber, österreichischer Autor und Vertreter der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung. Diese tritt nach Felbers Angaben für ein Wirtschaften nach ethischen Grundsätzen ein und zählt derzeit rund 400 Unternehmen als Mitglieder. Der Regierungsentwurf enthalte "Kann-Bestimmungen statt Muss-Bestimmungen sogar bei Menschenrechtsverletzungen", kritisierte Felber. Grundtendenz sei, dass die Unternehmen durch die Umsetzung der EU-Richtlinie möglichst wenig belastet werden sollen. Dabei enthielten alle Verfassungen des Bundes und der Länder eine Gemeinwohl-Verpflichtung der Wirtschaft.

In einem Punkt war sich Felber mit den meisten anderen Sachverständigen einig: Dass nicht nur kapitalmarktorientierte, sondern alle Großunternehmen zu CSR-Bilanzen verpflichtet werden sollten. Die Teamleiterin Unternehmensverantwortung der Organisation Germanwatch, Cornelia Heydenreich, wies darauf hin, dass nach dem Regierungsentwurf Konzerne wie Aldi, Lidl und Edeka überhaupt nicht berichtspflichtig seien. Für berichtspflichtige Unternehmen wiederum seien nur solche Angaben verpflichtend, die für den Geschäftsverlauf wesentlich sind. Dies lasse ihnen großen Spielraum, Unangenehmes zu verschweigen. Ins Gutdünken der Unternehmen sei insbesondere die Berücksichtigung ihrer Lieferketten in den CSR-Berichten gestellt.

In deutlichem Widerspruch dazu begrüßte Amanda Lipuscek vom Verband der Chemischen Industrie ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung auf eine Eins-zu-Eins-Umsetzung der EU-Richtlinie beschränkt und dabei Spielräume in der nationalen Umsetzung genutzt habe. Die Industrie sei bereit, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, sagte Lipuscek, und sie berichte schon jetzt vielfach auf freiwilliger Basis über ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen. Bei der Umsetzung der EU-Richtlinie sei aber wichtig, dass "keine überschießenden Rechtspflichten und Belastungen eingeführt werden". Lipuscek kritisierte, dass sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung den Aufwand der Unternehmen für die Erfüllung der Vorschriften um Größenordnungen zu niedrig angesetzt hätten. Insbesondere die Angaben über die Einhaltung der gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung in der Lieferkette erforderten einen "übermäßigen Verwaltungsaufwand". Lipuscek begrüßte daher einen Vorschlag des Bundesrates, sich auf die erste Stufe der Lieferkette zu beschränken.

Grundsätzlich positiv zum Regierungsentwurf äußerte sich Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland. Warum ihm zufolge aber der herkömmliche Jahresabschluss und der nichtfinanzielle Bericht getrennt vorgelegt werden dürfen, wollte Naumann nicht einleuchten. Er forderte, dass beides verpflichtend Bestandteil eines Berichts werden solle. Dann sei für "Stakeholder" zu ersehen, dass beides den gleichen Stellenwert hat. Auch wandte sich Naumann gegen eine Klausel im Regierungsentwurf, nach der Angaben im CSR-Bericht unterlassen werden können, wenn dem Unternehmen bei ihrer Veröffentlichung wirtschaftliche Nachteile drohten. Dies entspreche nicht deutscher Rechts-Systematik und sei eine Einladung zum "green-washing", was sich mit Grünfärberei übersetzen lässt.

Der Vertreter der Vereinigung zur Mitwirkung an der Entwicklung des Bilanzrechts für Familiengesellschaften, der Stuttgarter Rechtsanwalt Matthias Schüppen, kritisierte nur einen Punkt im Gesetzentwurf. Dieser stellt es dem Aufsichtsrat frei, ob er den CSR-Bericht des Vorstands externen Prüfern vorlegt. Sofern eine solche Prüfung erfolgt, muss das Ergebnis aber veröffentlicht werden. Schüppen wies darauf hin, dass ein Aufsichtsrat über keinen eigenen Stab verfüge, der die Angaben überprüfen kann. Schüppen plädierte daher dafür, die externe Prüfung verpflichtend vorzuschreiben, und war sich dabei mit der Mehrzahl der Sachverständigen einig. Damit würden zudem nicht-finanzielle Informationen gleichrangig mit den finanziellen behandelt, argumentierte er.

Für eine Erweiterung der Pflichtthemen von CSR-Berichten um Verbraucheranliegen plädierte Ingmar Streese vom "Verbraucherzentrale Bundesverband". Bereits heute enthielten 90 Prozent der freiwilligen Nachhaltigkeitsberichte deutscher Unternehmen auch Verbraucheranliegen wie Verbraucher-Datenschutz und -Sicherheit. Je transparenter der Umgang mit Verbraucheranliegen, umso höher sei das Vertrauen bei Verbrauchern, aber auch bei Investoren, argumentierte Streese. Zudem forderte er, so wie auch einige andere Sachverständige, die Schwelle für die Berichtspflicht schon bei Unternehmen mit 250 Mitarbeitern anzusetzen und nicht erst, wie im Regierungsentwurf, bei 500 Mitarbeitern.

Als Vertreter eines Unternehmens, das bei Umsetzung des Regierungsentwurfs nicht betroffen wäre, bezeichnete Andreas Streubig, Bereichsleiter Nachhaltigkeitsmanagement der Hamburger Otto Group, die Trennung in kapitalmarktorientierte und sonstige Unternehmen als "nicht nachvollziehbar". Die finanzielle Berichterstattung alleine reiche nicht aus, um den Wert eines Unternehmens darzustellen. Er wehre sich gegen die Vorstellung, sagte Streubig, "dass Unternehmen das alles nicht wollen". Angesichts der Probleme in der Welt sei es richtig, dass sie sich "dem politischen Gestaltungswillen unterwerfen". Allerdings müsse die Politik "auf das Verhältnis Aufwand - Ertrag achten", warnte Streubig vor zu weitreichenden Regulierungen. Man dürfe "nicht das Kind mit dem Bade ausschütten".

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2. Lob für Gleichstellung der Verkehrsträger

Verkehr und digitale Infrastruktur/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die von der Bundesregierung im Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) (18/9350) geplante Gleichstellung der Bundeswasserstraßen mit den Verkehrsträgern Straße und Schiene wird von Experten begrüßt. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung "über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes" (18/9527) am Montagabend deutlich. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass große Teile der Wasserstraßeninfrastruktur älter als 60 Jahre sind, sei Handlungsbedarf gegeben, hieß es von Seiten der Experten.

Kritik gab es von Seiten des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) an geplanten Flussvertiefungen bei Elbe, Rhein, Weser und Ems. Diese seien nicht mit der europäischen Wasserrahmenrichtlinie vereinbar, sagte BUND-Vertreter Magnus Wessel. "Flussvertiefungen haben immer gravierende ökologische Schäden zur Folge", betonte er. Mit Blick auf die konkreten Bauvorhaben sagte Wessel auf Nachfrage, für den Ausbau des Elbe-Lübeck-Kanals mit Kosten von 790 Millionen Euro gebe es keinen Bedarf. Zugleich bedauerte der BUND-Vertreter, das die Bundesregierung es verpasst habe, im Zusammenhang mit der Novellierung des Bundeswasserstraßengesetzes das im Koalitionsvertrag enthaltene Bundesprogramm "Blaues Band" zur Förderung der Renaturierung von Fließgewässern und Auen "zu verrechtlichen".

Aus Sicht der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi steht der aktuelle Personalmangel einer Realisierung des im BVWP beschlossenen Bedarfsplans im Weg, wie Verdi-Vertreterin Antje Schumacher-Bergelin sagte. Allein für die schon jetzt als dringend sanierungsbedürftig priorisierten 1.800 Projekte benötige die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung 500 bis 1.000 zusätzliche Stellen. Die Gewerkschaftsvertreterin bemängelte zudem, dass die im Mai 2013 begonnene Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung nicht vorankomme. Der ohnehin bestehende Personalmangel habe sich verschärft, da sich die notwendigen Stellenbesetzungen verzögerten.

Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt begrüßt neben der geplanten Gleichbehandlung der Verkehrsträger auch den Verweis der Bundesregierung in der Gesetzesbegründung auf die besondere Förderung des Transports auf Bundeswasserstraßen als umweltfreundlichem Verkehrsträger, sagte Verbandsvertreter Martin Staats. Besonders positiv bewertet er die geplanten Fahrrinnenvertiefung im Mittelrhein. Es könne so gelingen, mehr zu transportieren ohne zusätzliche Kosten und Schadstoffe zu verursachen, was einen hohen gesellschaftlichen Nutzen darstelle. Gleichzeitig verwies Staats auch auf aus seiner Sicht fehlende Maßnahmen im Bedarfsplan. Dazu gehörten Maßnahmen an der Elbe, der erweiterte Ausbau der Mittelweser oder die Brückenanhebungen im westdeutschen Kanalgebiet für den mehrlagigen Containertransport.

Die Binnenhäfen würden durch den BVWP gestärkt, sagte Eberhard Weiß vom Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen. Auf die Frage eingehend, wie mehr Transport auf das Wasser zu bekommen ist, stellte er die Bedeutung einer funktionierenden Infrastruktur heraus. Nicht funktionierende Schleusen beispielsweise stellten immer wieder ein Problem dar, wie er auf verschiedenen Vortragsreisen erfahren habe. Weiß sagte weiter, er wünsche sich "einen sanften Schub von oben", damit mehr Schwerlasttransporte über die Wasserwege erfolgen. Was die Umsetzung des BVWP angeht, so warb er dafür, "in Einzelfällen innovativ vorzugehen damit das Gesetz auch ankommt". Zugleich forderte er bei Planung, Genehmigung, Ausschreibung und Vergabe von Bauprojekten "schlankere Abläufe".

Eine generelle Antwort darauf, wie man mehr Transporte auf Binnenschiffe bringen kann, gebe es nicht, sagte Peter Rieken von der Planco Consulting GmbH. Es müsse jeweils der Einzelfall betrachtet werden. Grundsätzlich sei aber festzustellen, dass die Binnenschifffahrt gute Zukunftschancen habe. Entscheidend sei der finanzielle Vorteil der die im Vergleich zum Lkw geringere Flexibilität wettmachen müsse, sagte Rieken.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 651 - 8. November 2016 - 09.15 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2016

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