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BUNDESTAG/6586: Heute im Bundestag Nr. 339 - 30.05.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 339
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 30. Mai 2017, Redaktionsschluss: 09.15 Uhr

1. Ausschluss von Parteienfinanzierung
2. Kontroverse um Wissenschaftsschranke


1. Ausschluss von Parteienfinanzierung

Inneres/Unterrichtung

Berlin: (hib/STO) Gesetzesinitiativen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD sowie des Bundesrates zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Finanzierung und steuerlichen Begünstigungen stoßen bei Experten auf ein unterschiedliches Echo. Dies wurde am Montag bei einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses deutlich. Dazu lagen je ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen (18/12357) und des Bundesrates (18/12100) zur Änderung des Grundgesetzes sowie je ein Entwurf der Koalition (18/12358) und des Bundesrates (18/12101) für ein entsprechendes Begleitgesetz vor. Danach soll das Bundesverfassungsgericht über den Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung entscheiden.

In den Vorlagen wird darauf verwiesen, dass das Verfassungsgericht mit seinem Urteil vom 17. Januar dieses Jahres (Az. 2 BvB 1/13) den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD zurückgewiesen und damit kein Parteiverbot ausgesprochen hat. Zugleich habe das Gericht in dem Urteil festgestellt, "dass die Ziele der NPD und das Verhalten ihrer Anhänger gegen die Menschenwürde und den Kern des Demokratieprinzips verstoßen und dass sie Elemente der Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus aufweisen". Zudem sei die Programmatik der NPD auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet . Im Ergebnis sei die Partei "wegen ihres eigenen politischen Misserfolges und der derzeit geringen politischen Einflussmöglichkeiten" nicht verboten worden.

Wie die Koalitionsfraktionen in ihrer Vorlage zur Grundgesetzänderung weiter ausführen, hat das Gericht in dem Urteil zudem darauf hingewiesen, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber freistehe, neben dem Parteiverbot weitere, abgestufte Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Parteien mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung zu schaffen. In diesem Sinne solle eine "gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Zielsetzung zukünftig alleinige Tatbestandsvoraussetzung für einen Ausschluss politischer Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung sein, ohne dass es auf die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs ankommen würde".

Professor Michael Brenner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena sagte bei der Anhörung, es spreche nichts gegen die Aufnahme einer Bestimmung zum Ausschluss aus der Parteienfinanzierung in das Grundgesetz. Zwar müssten Parteien grundsätzlich gleichbehandelt werden, und es handele sich hier um einen Eingriff in dieses Gleichbehandlungsgebot, der jedoch bei "hinreichend gewichtigen Gründen" dafür verfassungsrechtlich zulässig sei. Solche Gründe seien hier gegeben. Der Staat müsse nicht die Parteien finanzieren, die ihn ablehnen oder gar bekämpfen. Brenner verwies zugleich darauf, dass nach dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen eine von der Finanzierung ausgeschlossene Partei frühestens nach vier Jahren beantragen können soll, diesen Ausschluss aufzuheben, während der Bundesratsvorschlag diese Frist auf zwei Jahre begrenzt. Dabei scheine ihm die Zwei-Jahres-Frist zu kurz bemessen.

Der Dresdener Rechtsanwalt Johannes Lichdi äußerte Zweifel an der Erforderlichkeit des Ausschlusses extremistischer Parteien aus der staatlichen Finanzierung. Schließlich wäre auch eine allgemeine Abschaffung oder Absenkung der Parteienfinanzierung möglich. Sollte der Gesetzgeber die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen beschließen, würde er zudem "der Urteilskraft der Bürger und der Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses sein Misstrauen erklären". Dies würde der Glaubwürdigkeit der Demokratie schweren Schaden zufügen. "Eine von Staats wegen gelenkte Demokratie, in der bestimmte Ansichten bevorzugt oder benachteiligt werden, widerspricht fundamental dem freiheitlichen Geist des Grundgesetzes", argumentierte Lichdi. Deshalb sollten Bundestag und Bundesrat den Vorschlägen nicht folgen.

Professor Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität gab zu bedenken, dass die Regelungen mit Blick auf die Fristen "wahrscheinlich im Ergebnis ziemlich problematisch" seien. Er verwies darauf, dass der Staat verfassungsfeindliche Parteien überwachen wolle. Er müsste aber zu dem Zeitpunkt, an dem eine Partei die Aufhebung des Ausschlusses beantragt, seine V-Leute aus dieser Partei bereits seit längerem zurückgezogen haben. Das gehe aber nicht. Möllers regte daher an, dass der Ausschluss von vornherein begrenzt werde und dann auf Betreiben des Staates verlängert werden müsse.

Professor Martin Morlok von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sah in den vorgeschlagenen Regelungen "keine gravierenden verfassungsrechtlichen Risiken". Allerdings habe er dabei ein "gewisses verfassungspolitisches Grummeln im Bauch". Schließlich lebe die Demokratie auch von der Überzeugungskraft, und dazu zähle, dass "Minderheiten eine Chance sehen, gleichberechtigt am politischen Meinungskampf und Wettbewerb teilzunehmen". Er kritisierte zugleich, dass nach der vorgeschlagenen Verfassungsänderung der "Parteien-Artikel" im Grundgesetz in drei von fünf Absätzen von Parteiverbot beziehungsweise Sanktionen gegen verfassungsfeindliche Parteien handeln solle. Dies sei "völlig unangemessen". Dieses Problem könne man lösen, indem man die einschlägigen Bestimmungen in einem Absatz konzentriere.

Professor Uwe Volkmann von der Goethe-Universität Frankfurt am Main warnte ebenfalls davor, die "Attraktivität des Verfassungstextes" zu beschädigen. Zwar sei das Grundgesetz im Laufe der Zeit "mit immer technischeren Bestimmungen aufgeladen" worden, doch sei dies überwiegend nicht im vorderen Teil geschehen, der die "Kern- oder Bürgerverfassung" darstelle und dessen Bestimmungen auch in den Schulen gelehrt würden. Mit Blick auf "den verfassungspolitischen Gesichtspunkt" sagte Volkmann, die Überlegung, dass der Staat nicht diejenigen finanzieren solle, die ihn abschaffen wollten, sei von einer "so schlagenden Plausibilität, dass man gar nichts dagegen sagen kann".

Professor Christian Waldhoff von der Humboldt-Universität Berlin sah in beiden Gesetzesinitiativen Beiträge zur Stärkung der "wehrhaften Demokratie", wobei er den Vorschlag der Koalitionsfraktionen vorziehe. Schwierig wäre es nach seinen Worten, einen Ausschluss von der Parteienfinanzierung unbefristet zu gestalten und der betreffenden Partei zu ermöglichen, nach mehreren Jahren die Aufhebung dieses Ausschlusses zu beantragen. Damit gebe der Staat "das Geschehen aus der Hand", während sich die Partei "alle vier Jahre der Bühne des Bundesverfassungsgerichts bedienen" könne. Würde man diese Regelung "umdrehen", bliebe die "Verfahrensherrschaft" dagegen beim Staat.

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2. Kontroverse um Wissenschaftsschranke

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Interessengegensätze von Wissenschaft und Lehre einerseits und Wissenschafts- und Lehrbuchverlagen andererseits hat eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses geprägt. Im Mittelpunkt stand dabei der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur "Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz)" (18/12329). Mit ihm sollen die Regelungen für die erlaubte Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Bildung und Wissenschaft sowie Bibliotheken, Museen und Archiven systematisiert und an die Bedingungen des digitalen Zeitalters angepasst werden.

Der Gesetzgeber soll zum einen festlegen, inwieweit urheberrechtlich geschützter Werke im Unterricht und in der Forschung frei genutzt werden dürfen und insoweit die Urheberrechte außer Kraft sind - die sogenannte Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Zum anderen soll sichergestellt werden, dass die Rechteinhaber eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke erhalten. So ist in dem Gesetzentwurf vorgesehen, dass an Bildungseinrichtungen "bis zu 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger Weise öffentlich wiedergegeben werden" dürfen. Abbildungen sowie einzelne Zeitungs- und Zeitschriftenartikel dürfen in vollem Umfang für Unterricht und Lehre vervielfältigt werden. Ähnliche Regelungen sind für die wissenschaftliche Forschung vorgesehen.

Auch die zulässige Herstellung und Verbreitung von Vervielfältigungen durch Bibliotheken und Archive wird in dem Gesetzentwurf geregelt. Neu im Urheberrecht ist eine Regelung für das Text- und Data-Mining, bei dem, wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, "eine Vielzahl von Texten, Daten, Bildern und sonstigen Materialien ausgewertet werden, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen".

Das Gesetz soll weiterhin regeln, dass ein Urheber "zum Ausgleich für Nutzungen im Bereich der gesetzlichen Schranken grundsätzlich eine angemessene Vergütung" erhält. Diese Vergütung soll ausschließlich pauschal über die Verwertungsgesellschaften erfolgen. Gleichzeitig wird in dem Gesetzentwurf festgelegt, dass Verträge zur Umgehung der Bildungs- und Wissenschaftsschranke unzulässig und damit unwirksam sind.

Die Neuregelung soll erklärtermaßen einen Interessenausgleich leisten zwischen dem Interesse von Wissenschaft und Lehre an ungehindertem Zugang zu Literatur und dem Eigentumsrecht der Urheber und der Fachverlage, ohne deren Zutun es diese Literatur vielfach gar nicht gäbe. Doch ob dieser Interessenausgleich gelungen ist, beurteilten in der Anhörung beide Seiten höchst unterschiedlich.

Die Vertreter der Wissenschaft begrüßten, bei aller Kritik in Einzelfragen, den Gesetzentwurf zumindest als Fortschritt gegenüber der geltenden Rechtslage. Überwiegend gaben sie freilich dem ursprünglichen Referentenentwurf des Justizministeriums den Vorzug gegenüber dem schließlich vom Kabinett beschlossenen, Bedenken der Verlegerschaft teilweise entgegenkommenden Regierungsentwurf.

So bemängelte die Berliner Rechtswissenschaftlerin Katharina de la Durantaye die Starrheit der Regelungen, die im Regierungsentwurf mit dem Bemühen um Rechtssicherheit begründet wird. Eine General- oder Öffnungsklausel, die Abweichungen in nicht explizit geregelten Konstellationen zulässt, sei zu ihrem Bedauern von der Regierung wieder herausgenommen worden, sagte Durantaye. Das Fehlen einer solchen Klausel verhindert nach Ansicht des Innsbrucker Organisationswissenschaftlers Leonhard Dobusch neue Entwicklungen. Etwas Ähnliches wir Google Books sei damit im deutschsprachigen Raum nicht möglich - mit Nachteilen für die hiesige Wissenschaftslandschaft. Der Leipziger Urheberrechtler Christian Berger kritisierte das Fehlen jeder Angabe, was unter "angemessener Vergütung" der Urheber zu verstehen ist. Er forderte zudem die Einrichtung einer Schiedsstelle, um Streitigkeiten über die Vergütung außergerichtlich klären zu können.

Ganz anders dagegen die Stellungnahme der Leverkusener Verlegerin von Fachzeitschriften und -büchern, Barbara Budrich. Das Gesetz bringe für ihre Branche "große Nachteile", warnte sie, ja sie sprach von einer "gesetzlichen Teilenteignung". Die meisten der mehr als 300 Wissenschaftsverlage in Deutschland seien kleine Unternehmen, so wie ihres mit 14 Mitarbeitern. Budrich führte aus, welch umfangreiche Vorleistungen die Verlage zum Erscheinen eines Werks erbringen müssten, und warnte, dass die Mittel dafür künftig fehlen könnten. Zumindest sollte eine im Gesetz vorgesehene, für Verlage vorteilhaftere Regelung für Schulbücher auch auf wissenschaftliche Lehrbücher übertragen werden, deren Herausgabe mit besonders viel Aufwand verbunden sei.

Dem widersprach Christoph Bruch von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen entschieden. Würden Lehrbücher von der Wissenschaftsschranke ausgenommen, würden die Verleger viele ihrer Produkte als Lehrbücher bezeichnen, nur um die Ausnahme zu bekommen. Es sei wichtig, dass die Schranken-Regelung so eindeutig bleibt, wie sie im Regierungsentwurf ist. Der Konstanzer Informatiker Rainer Kuhlen empfahl den Verlagen, sich von der Fokussierung auf Druckwerke zu lösen und von der Musikindustrie zu lernen. Die habe auf den Rückgang der CD-Verkäufe mit einer Ausweitung digitaler Angebote reagiert.

Diesen Vergleich mit der Unterhaltungsbranche wies der Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Christian Sprang, entschieden zurück. Zum Gesetzentwurf sagte er, dieser nehme Wissenschaftsverlage die Chance, ihre Investitionen am Markt zurückverdienen zu können. Er sei im wesentlichen ohne Beteiligung der Verlage erstellt worden. Das Ergebnis sei in vielen Punkten grundgesetz- und europarechtswidrig. So greife der Gesetzentwurf in das Eigentumsrecht und die Wissenschaftsfreiheit ein. Sprang warnte vor einem "gesetzgeberischen Schnellschuss", und bot eine "gemeinsame Lösungssuche" an, um in der nächsten Legislaturperiode zu einem besseren Ergebnis zu kommen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 339 - 30. Mai 2017 - 09.15 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2017

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