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BUNDESTAG/8042: Heute im Bundestag Nr. 176 - 18.02.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 176
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 18. Februar 2019, Redaktionsschluss: 16.18 Uhr

1. Experten: Regelmäßige Sicherheitsberichte
2. Experten begrüßen Sozialplan für Brexit
3. Streit um Veröffentlichung von Verstößen


1. Experten: Regelmäßige Sicherheitsberichte

Inneres und Heimat/Anhörung

Berlin: (hib/suk) Experten und Fachleute aus Wissenschaft, Polizei und Sicherheitsbehörden sind sich einig darin: Eine regelmäßige und fortlaufende Berichterstattung über die Kriminalitätslage in Deutschland ist nötig. Dies wurde deutlich in einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat zu einem Entwurf für ein Kriminalitätsstatistikgesetz (19/2000) sowie zu einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu "aussagekräftigen Dunkelfeld-Opferbefragungen" (19/5894) am Montag.

In der Anhörung unter dem Vorsitz von Andrea Lindholz (CSU) sagt der Leitende Polizeidirektor a.D. Otto Dreksler, "jeder" wisse, dass es in der registrierten Statistik des BKA oder den Statistiken der Länderpolizeien "Lücken" gebe. Zudem gebe es in der Bevölkerung den starken Eindruck, dass bestimmte Zuschreibungen etwa zu rechtsextremistischen Taten oder Tagen gegen jüdische und israelische Einrichtungen nicht korrekt erfasst würden und möglicherweise der Bereich "arabisch gesinnter Migranten" nicht berücksichtigt würden. Zudem sei klar, dass der Bereich der Dunkelfeldforschung "hoch komplex" sei und dabei in den vergangenen Jahren "nichts dabei herausgekommen" sei.

Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sagte, "aus gutem Grund" forderten Praktiker schon lange periodische Sicherheitsberichte ein; es sei "ausdrücklich" zu begrüßen, dass sich der Koalitionsvertrag und die Anhörung des Themas annähmen. Er wünsche sich eine weniger rückwärtsgewandte und reaktive Kriminalberichterstattung. Es wäre sinnvoll, Daten aus anderen Bereichen ebenfalls einzubeziehen: So wisse man etwa über Abwasseruntersuchungen oder Angaben aus dem Gesundheitswesen über Schwerstabhängige etwas über die Mengen an Rauschgift, die sich auf dem Markt befänden. All dies finde aber keinen Eingang in die klassische Statistik.

Prof. em. Dr. jur. Wolfgang Heinz aus Konstanz plädierte dafür, weitere Themenfelder wie etwa eine Rückfallstatistik, Anzeigebereitschaft oder Verlaufsstatistiken mit zu berücksichtigen: So wisse man heute etwa nicht, was aus Tatverdächtigen werde.

Robert Mischkowitz vom Bundeskriminalamt sagte, er plädiere für eine Berichterstattung im zweijährigen Turnus. Ideal wäre es, wenn diese von einem unabhängigen Gremium käme und dann von Regierung und Sicherheitsbehörden kommentiert werde. Denkbar sei aber auch ein "Kooperationsmodell".

Hartmut Pfeiffer, Landeskriminalamt Niedersachsen, sagte, ein Periodischer Sicherheitsbericht in Niedersachsen, an dem er 2002 und 2007 mitgearbeitet habe, wirke bis heute und habe zu einer "Ausschärfung der Analyseinstrumente" geführt. Denkbar seien zudem Ergänzungsstudien, die sich mit bestimmten Opfergruppen, die sonst keine Stimme hätten, befassen würden oder in den Blick nehmen würden, was mit den Opfern geschehe.

Johannes Rieckmann vom Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit sagte in seinem Statement, eine jährliche Dunkelfelderhebung sei wünschenswert. Antrag und Gesetzentwurf, die Anlasse der Anhörung waren, seien "stimmig" und gingen "in die richtige Richtung". Bei der darin genannten Stichprobengröße von 100.000 seien jährliche Kosten von 1,2 Millionen Euro realistisch. Man müsse immer die Grenzen von Dunkelfeldstudien mit bedenken: Sie sagten nicht unbedingt etwas darüber aus, wie gut die Polizei gearbeitet habe. er wünsche sich, so Rieckmann, dass auch das Anzeigeverhalten und der Migrationshintergrund von Tätern und Opfern erfasst würden.

Stephanie Schmidt, Soziologin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, hielt eine zweijährige Statistik für zu ambitioniert; dies sei würde Abstriche an der analytischen Qualität zur Folge haben. Die Forscherin sprach sich dafür aus, unbedingt auch eine "Perspektivenerweiterung" vorzunehmen: Auch racial oder social profiling und Körperverletzung im Amt müssten Eingang in die Berichterstattung finden. Bestimmte Personengruppen hegten großes Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen und Polizei.

Mit ihrem Gesetzentwurf "zur fortlaufenden Untersuchung der Kriminalitätslage und ergänzenden Auswertung der polizeilichen Kriminalitätsstatistik" wollen die Grünen die Grundlage für eine regelmäßige Berichterstattung über die Kriminalitätslage in Deutschland schaffen. Durch den alle zwei Jahre vorzulegenden Bericht sollen die Feststellungen der polizeilichen Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistiken ergänzt und eingeordnet werden. Im Antrag der Fraktion heißt es weiterhin, Gesetzgeber, Wissenschaft und Praxis benötigten differenzierte, valide, methodisch saubere und aussagekräftige Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken. Eine wichtige Grundlage seien dabei die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik. Zu den weiteren notwendigen Quellen gehörten jedoch auch Dunkelfeld-Opferbefragungen. Der Beschluss der Innenministerkonferenz zur "Verstetigung eines bundesweiten Viktimisierungssurveys" vom 12. Juli 2017 sei daher im Grundsatz zu begrüßen.

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2. Experten begrüßen Sozialplan für Brexit

Arbeit und Soziales/Ausschuss

Berlin: (hib/CHE) Die von der Bundesregierung geplanten Übergangsregelungen für die Sozialversicherungen im Falle eines ungeordneten Brexit werden von Experten begrüßt. Das ist das Ergebnis einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag, 18. Februar 2019.

Gegenstand der Anhörung war ein Gesetzentwurf (19/7376) der Bundesregierung, der britische und deutsche Bürger vor Nachteilen in ihrer sozialen Absicherung schützen soll, falls Großbritannien am 30. März 2019 ohne Austrittsabkommen aus der EU austritt. Der Gesetzentwurf sieht deshalb unter anderem vor, dass Personen, die vor dem Austritt in der deutschen gesetzlichen Renten- oder Krankenversicherung versichert waren, nicht allein wegen des Austritts ihren Versicherungsstatus verlieren. In der Rentenversicherung soll die Versicherungspflicht oder die Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung in den ersten fünf Jahren nach dem Austritt bestehen bleiben. Auszubildende sollen auch nach dem Austritt für einen in Großbritannien bereits vorher begonnenen Ausbildungsabschnitt gegebenenfalls noch bis zu dessen Abschluss Leistungen nach dem BAföG erhalten. Auch auf Einbürgerungsverfahren soll sich ein No-Deal-Austritt Großbritanniens nicht negativ auswirken.

Für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sagte Hanna Schöls, die BDA sei zufrieden mit dem Entwurf, sehe aber durchaus noch weitere Fragen, die dringend gelöst werden müssten. Die internationale Mobilität von Lernenden nach Großbritannien müsse auch über die Änderungen beim BAFöG hinaus gesichert werden, so die BDA in ihrer Stellungnahme. Johannes M. Eisenbarth vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) bezeichnete den Entwurf ebenfalls als sachgerecht, auch wenn punktuell noch Änderungsbedarf bestehe. Horst Armbrüster von der Bundesagentur für Arbeit (BA) betonte, der Entwurf biete genügend Rechtssicherheit für die Arbeitsagenturen. Heinz-Dietrich Steinmeyer, Professor für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht, verwies darauf, dass der Entwurf das bestehende System nicht vollständig ersetzen könne. Er setze schlicht um, was derzeit möglich ist, so Steinmeyer. David Hole, für den Verein British in Germany eingeladen, schreibt in seiner Stellungnahme: "Wir sind für das Engagement der Bundesregierung und der betroffenen Behörden in dieser bedauerlichen Angelegenheit sehr dankbar."

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3. Streit um Veröffentlichung von Verstößen

Ernährung und Landwirtschaft/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Hinsichtlich der Veröffentlichung von Verstößen gegen die Lebensmittelsicherheit, wie sie im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) geregelt ist, vertreten Verbraucherschützer auf der einen Seite und Gaststätten- und Handelsverbände auf der anderen Seite kontroverse Ansichten. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am Montag deutlich. Aus Sicht der Organisation foodwatch und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) werden zu wenige Vorfälle öffentlich dokumentiert, was an der im LFGB festgeschriebenen Veröffentlichungsgrenze für Verstöße ab einem Bußgeld von 350 Euro liege. Nach Auffassung der Vertreter von Gaststätten- und Handelsverbänden muss hingegen die Bußgeldschwelle deutlich heraufgesetzt werden, da nicht Bagatellvergehen sondern nur gravierende Mängel veröffentlicht werden sollten.

Hintergrund der Anhörung war ein von der Bundesregierung vorgelegter Gesetzentwurf (19/4726), mit dem eine Löschfrist der Veröffentlichungen nach sechs Monaten, bei sonst gleichbleibenden Voraussetzungen, in das LFGB eingefügt werden soll. Damit will die Regierung einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, mit dem die Veröffentlichungspraxis grundsätzlich bestätigt, zugleich aber eine Löschfrist für die Daten angemahnt wurde. Ebenfalls beraten wurden in der Anhörung ein Antrag der Fraktion Die Linke (19/4830), in dem eine Löschfrist von zwei Jahren und zugleich ein Smiley-System nach dänischem Vorbild gefordert wird, sowie ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/7435), in dem eine Löschfrist von zwölf Monaten und eine Veröffentlichung unabhängig vom Schweregrad der Verstöße verlangt wird.

Als "definitiv nicht ausreichend" bezeichnete Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), die bloße Ergänzung des Gesetzes um eine Löschfrist. Vielmehr bedürfe es konkreter harter Kriterien statt unbestimmter Rechtsbegriffe wie "hinreichend gravierender Verdacht" und Verstoß "nicht nur unerheblichen Ausmaßes". Die derzeitige Bußgeldschwelle von 350 Euro sei zudem zu niedrig, sagte Hartges.

Björn Fromm, Präsident des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg sagte, bei mehreren Bagatellfällen sei die Bußgeldschwelle und damit die Veröffentlichung schnell erreicht. Diese Doppelbestrafung "durch Prangerwirkung" sei abzulehnen. "Das Internet vergisst nicht", sagte Fromm. Wenn aber eine solche Doppelbestrafung durch Prangerwirkung politisch gewollt sei, müsse dies "verfassungskonform, verhältnismäßig und fair" sein. Benötigt werde eine deutlich höhere Bußgeldschwelle und ein bundesweit einheitlicher Bußgeldkatalog.

Martin Rücker von der Organisation foodwatch kritisierte ebenfalls die aktuelle Gesetzeslage sowie die angedachte Änderung. Das Gesetz sei wirkungslos, befand er. Das vom Bundesverfassungsgericht gestärkte Grundrecht auf Information werde damit nicht durchgesetzt. Die Bagatellschwelle diene der Verhinderung der Veröffentlichung, so seine Einschätzung. Die meisten Bußgelder lägen unter 350 Euro, viele Verstöße würden gar nicht mit einem Bußgeld belegt. Dies führe dazu, dass nur ein sehr geringer Teil der Verstöße veröffentlich werden, sagte Rücker. Einig war er sich mit seinen Vorrednern in der Forderung nach einer bundeseinheitlichen Praxis.

Jutta Jaksche von der Verbraucherzentrale Bundesverband bewertete dies ebenso. Sie forderte, das Internetportal Lebensmittelwarnung müsse qualitativ besser und bekannter gemacht werden. Jaksche bemängelte zudem, dass die Ergänzung der Löschfrist nicht zu einer in allen zuständigen Behörden einheitlichen Auslegung der Regelung führen werde. Für Verbraucher sei es aber wichtig, in jedem Fall eines solchen Verstoßes auf Grundlage eines bundesweit einheitlichen Beurteilungsmaßstabs informiert zu werden.

Für ein Smiley-System nach dänischem Vorbild sprach sich Lutz Zengerling vom Bezirksamt Pankow in Berlin aus. Man habe dies in Pankow proaktiv eingeführt und damit gute Erfahrungen gemacht, sagte er. Laut Zengerling hätten sowohl Verbraucher als auch die Unternehmen das System begrüßt, dass das Hygieneniveau habe erkennbar ansteigen lassen.

Anja Tittes, Vorsitzende des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure, verwies darauf, dass mit der aktuellen Personalausstattung im Bereich der Kontrolleure derzeit etwa 40 Prozent aller Betriebe kontrolliert werden könnten. Wolle man also die Umfänge oder die Aufgabengebiete steigern, müssten die entsprechenden monetären und personellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. "Wer den dänischen Smiley präferiert, muss wissen, dass dort andere Voraussetzungen herrschen", sagte sie. Während ein Kontrolleur in Deutschland etwa 450 bis 800 Betriebe in seinem Überwachungsbezirk habe, seien das bei dem dänischen Kollegen maximal 450 Betriebe. Zudem gehöre die Entnahme von Proben nicht zum Aufgabenbereich der Kontrolleure in Dänemark.

Die Bundesländer hätten sich von Anfang an schwer getan mit der Anwendung des 2012 neu in das LFGB eingefügten Paragrafen zur Veröffentlichung von Verstößen, da es massive Rechtsunsicherheiten gegeben habe, sagte Kristian Kühn vom Landwirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern. Das Gesetz müsse nun dahingehend geändert werden, dass es rechtssicher wird.

Der Einzelsachverständige Kurt Dietrich Rathke sagte, die geplante Befristung der Veröffentlichung auf einen einheitlichen Zeitraum sei "sachlich nicht überzeugend". Bei hygienischen Mängeln ohne die Gefahr gesundheitlicher Auswirkungen würde aus seiner Sicht eine Frist von drei Monaten reichen, bei Irreführungen könne die Frist sechs Monate betragen. Zumindest bei schwerwiegenden gesundheitlichen Gefahren, aber auch bei betrügerischen Täuschungen mit erheblich nachteiligen Auswirkungen sollte die Frist nach Auffassung des Rechtsanwaltes mindestens ein Jahr sein. "Zwei Jahre sind aber durchaus vertretbar", befand er.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 176 - 18. Februar 2019 - 16.18 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2019

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