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BUNDESTAG/8248: Heute im Bundestag Nr. 385 - 08.04.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 385
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 8. April 2019, Redaktionsschluss: 18.10 Uhr

1. Kontroverse um Sozialschutzempfehlung
2. Experten: IT-Sicherheit fehlt Strategie


1. Kontroverse um Sozialschutzempfehlung

Arbeit und Soziales/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die Empfehlung des Europäischen Rates für einen besseren Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbständige und der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf (19/8460), der die Grundlage dafür schaffen soll, dass der deutsche Vertreter im Rat dem Vorschlag zustimmen darf, werden von Experten unterschiedlich bewertet. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag deutlich. Der Ratsvorschlag soll vor allem dem Grundsatz 12 der Europäischen Säule sozialer Rechte dienen, wonach alle Arbeitnehmer, unabhängig von der Art und Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses, aber auch Selbständige das Recht auf angemessenen Sozialschutz haben. Die Ratsempfehlung sei rechtlich nicht bindend und begründe keine neue sozialpolitische Kompetenz auf europäischer Ebene, schreibt die Bundesregierung. Für Deutschland ergebe sich daraus keine Handlungsverpflichtung.

Kritik an der Ratsempfehlung übten Arbeitgebervertreter. Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) besteht bei einigen Vorschlägen der Empfehlung das Risiko, dass damit in nationale Sozialsysteme eingegriffen werde, was gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoße, sagte die BDA-Vertreterin. Aus ihrer Sicht darf beispielsweise eine geringfügige Beschäftigung keinen vollumfassenden Krankenversicherungsanspruch auslösen, da dies die Gesamtheit der Beitragszahler zu stark belasten und die Tragfähigkeit des Systems bedrohen würde. Die Schaffung eines Überwachungsrahmens für die Umsetzung der Empfehlung stehe zudem im Widerspruch mit dem nicht rechtsverbindlichen Charakter der Empfehlung und sei daher strikt abzulehnen.

Der Vertreter des Gesamtverbandes der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie bewerte das ähnlich. In keiner Ratsempfehlung der vergangenen zwei Jahre gebe es einen ähnlich eng getakteten Umsetzungsplan wie im vorliegenden Fall, sagte er.

Der Einzelsachverständige Professor Gunnar Beck sagte, der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe schon mehrfach rechtlich eigentlich nicht bindende Empfehlungen als "Soft Law" zur Urteilsbegründung herangezogen. Die EU-Kommission handle nach dem Motto: Regt sich kein Widerstand, ist der Weg frei für einen bindenden Gesetzentwurf. Daher müsse man sich ganz kategorisch gegen die Empfehlung aussprechen, sagte Beck.

Es dürfe kein Popanz aufgebaut werden, sagte hingegen Professor Ulrich Becker vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. Es gehe nicht darum, dass Kompetenzen auf die EU übertragen würden. Vielmehr gehe es darum, Vereinbarungen zu treffen, um gemeinsam in den EU-Mitgliedstaaten sozialpolitische Maßnahmen zu ergreifen. Ein Thema dabei sei die Absicherung der Selbstständigen. Nicht gedeckt durch die Empfehlung sei die Vorstellung, jeden Arbeitnehmer zwingend in die Sozialversicherung bringen zu müssen, befand Becker.

Die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten blieben unberührt, hieß es auch vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Es gebe auch keinen Hinweis darauf, dass die EU eine weitergehende Gesetzgebung vorbereitet, sagte der GKV-Vertreter, der die Zielrichtung der Empfehlung begrüßte, weil sie "im Interesse der Beitragszahler ist".

Keine Probleme mit der Regelung hat die Deutsche Rentenversicherung Bund. Es spräche einiges dafür, nicht nur den Zugang zu Alterssicherungssystemen zu ermöglichen, was in Deutschland ohnehin der Fall sei. Begrüßenswert wäre es aus Sicht des Vertreters der Rentenversicherung, dies obligatorisch zu machen, wie es der Koalitionsvertrag von Union und SPD auch vorsehe.

Nach Auffassung der Interessengemeinschaft der selbständigen Dienstleister in der Veranstaltungswirtschaft ist eine abgesenkte Mindestbeitragsgrenze für Selbstständige in der GKV zu begrüßen. Noch besser wäre es, wenn die Beiträge an das Einkommen der Selbständigen angebunden würden. Mit Blick auf eine Arbeitslosenversicherung plädierte der Verbandsvertreter im Falle der Selbstständigen für eine Freiwilligkeit.

Dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) fehlt es bei der Empfehlung an der ausreichenden Regelungstiefe, wie der DGB-Vertreter sagte. Eine rechtlich viel konkretere Handhabe sei wünschenswert. Aus Sicht des DGB hätte das in Form einer EU-Richtlinie erfolgen sollen. Nötig sei es auf jeden Fall, europaweite Mindeststandards zu beschließen.

Die Einzelsachverständige Monika Queisser forderte, Sozialversicherungsbeiträge so weit wie möglich über alle Beschäftigungsformen hinweg zu harmonisieren. Es habe sich gezeigt, dass freiwillige Systeme für atypisch Beschäftigte nicht gut funktionieren, sagte sie.

Der Einzelsachverständige Professor Uwe Fachinger sagte, prinzipiell wäre eine Fassung des Arbeitnehmer- und Erwerbstätigenbegriffs wünschenswert, mit der die klassische Kategorisierung des Erwerbsstatus überwunden werde, "ohne allerdings die etablierten Statistiken obsolet werden zu lassen".

Die Einzelsachverständige Veronika Mirschel sprach sich für das kollektive System der gesetzlichen Rentenversicherung als Erwerbstätigenversicherung aus. Ziel müsse es sein, allen Erwerbstätigen eine ungebrochene Versicherungsbiographie zu ermöglichen. Bei der Einführung einer Altersvorsorgepflicht müssten umfassende Übergangsregeln die finanzielle Überforderung bereits Vorsorgender verhindern, sagte sie.

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2. Experten: IT-Sicherheit fehlt Strategie

Inneres und Heimat/Anhörung

Berlin: (hib/SUK) Experten vermissen eine klare Strategie Deutschlands im Bereich der IT-Sicherheit. Das ist ein Fazit aus einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am Montagnachmittag, 8. April 2019. Grundlage der Anhörung waren drei Oppositionsanträge.

Die FDP-Fraktion sprach sich in ihrem Antrag (19/7698) für einen Maßnahmenkatalog zur Stärkung der IT-Sicherheit aus, während die Linksfraktion (19/7705) das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) aus der Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums lösen und in eine eigenständige Behörde umwandeln will. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/1328) fordert, die Regierung solle schnell ein IT-Sicherheitsgesetz vorlegen.

In der Anhörung äußerten mehrere Experten, dass es ihrer Ansicht nach an einer klaren Strategie in Sachen IT-Sicherheit derzeit fehle. So sagte Sven Herpig von der Stiftung Neue Verantwortung, Deutschland sei in Sachen IT-Sicherheit derzeit "strategieunfähig". Zudem gebe es bisher keine belastbaren Daten zur Wirksamkeit von Maßnahmen der Vergangenheit - gleichzeitig finde Gesetzgebung ohne die Einbeziehung der Zivilgesellschaft statt.

Rainer Baumgart von der secunet Security networks AG sagte aus Sicht der Wirtschaft, der Bereich der Sicherheitstechnik sei ein wachsener Markt. Deutschland verfüge über eine leistungsfähige Cybersicherheits-Industrie, die "nahezu Referenzmarkt" sei. Das Land verfüge über eine hervorragende Sicherheitstechnik, die Angriffe unter der Gewährleistung des Datenschutzes aufdecken können. Diese werde aber noch nicht flächendeckend eingesetzt; hier brauche es Unterstützung.

Klaus Landefeld vom Verband der Internetwirtschaft betonte, insbesondere der Bereich der vernetzten Geräte, der Ende 2019 auf etwa eine Milliarde Geräte ansteigen werde, sei eine Herausforderung. Es sei eine Grundfrage, ob die Sicherheit des Systems insgesamt erhöht werde oder wie sehr sie durch Zugriffsrechte des Staates oder der Geheimdienste gefährdet sei. Eine "konsequente Erhöhung" der IT-Sicherheit müsste seiner Ansicht nach "oberstes Ziel sein".

Klaus Rieger vom CCC Berlin sagte, die gesetzliche Ausrichtung müsse "rein defensiv" sein, da sich der Staat sonst in einem Konflikt befinde. Eigentlich müsse er sämtliche Sicherheitslücken schließen, dem stünden aber Wünsche der Geheimdienste entgegen. Rieger sprach sich für dynamische Zertifikate in der IT-Sicherheit aus; statische hätten "versagt".

Arne Schönbohm, den Präsident des BSI, führte aus, dass täglich 390.000 Schadprogramme entstehen würden und die "Angriffsintensität" deutlich zunehme. Das BSI sei die einzige Bundesbehörde mit dem gesetzlichen Auftrag der Cyberabwehr und stelle seine Erkenntnisse sämtlichen Ressorts zur Verfügung. Allein 2018 habe die Behörde 16 Millionen Warnmails an Netzbetreiber versendet; seine Erkenntnisse würden überdies in die Zulassung von Produkten im Sicherheitsbereich einfließen. Oberstes Ziel aller Beteiligten sei eine sichere Infrastruktur.

Alexandra Sowa aus Bonn sagte in ihrem Statement, die vorliegenden Anträge enthielten zwar viele gute Ideen für die IT-Sicherheit, die die "Achillesferse des Informationszeitalters" sei. Dennoch würden hier Dinge diskutiert, die längst besprochen worden seien. Der Bundestag müsse eine grundsätzliche Entscheidung treffen, ob er Techniken befördern wolle, die neue Lebens- und Arbeitsweisen möglich machten und letztlich Demokratie und Freiheit stärken würden oder Technik zur Überwachung.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 385 - 8. April 2019 - 18.10 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2019

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