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BUNDESTAG/8586: Heute im Bundestag Nr. 729 - 27.06.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 729
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 27. Juni 2019, Redaktionsschluss: 09.55 Uhr

1. Versicherung gegen Niedrigwasser
2. Strategie gegen Clankriminalität
3. Digitalisierung der Städte
4. Akademisierung des Hebammenberufs
5. Exzellenzinitiative für berufliche Bildung


1. Versicherung gegen Niedrigwasser

Tourismus/Ausschuss

Berlin: (hib/wid) Die Bundesregierung erwartet auf deutschen Wasserstraßen in den nächsten fünf Jahrzehnten "relativ wenige Veränderungen" durch den Klimawandel. In dieser Zeit sind große Ausbaumaßnahmen daher zunächst entbehrlich, wie der zuständige Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium, Enak Ferlemann (CSU), am Mittwoch im Tourismusausschuss ausführte. Bei der Vorstellung eines Berichts zum Wassertourismus verwies Ferlemann auf eine von seinem Haus in Auftrag gegebene Studie, aus der allerdings auch hervorgehe, dass in späterer Zeit die Lage auf deutschen Flüssen und Kanälen zu "kippen" drohe. Dann seien "vermehrt Niedrigstwasserstände" zu befürchten, wie sie im vorigen Jahr vor allem auf Rhein und Elbe zu beobachten waren.

Die Elbe ist nach den Worten Ferlemanns durch die Umwandlung der früheren mitteldeutschen Braunkohletagebaue in eine Seenlandschaft in Mitleidenschaft gezogen. Das Wasser, mit dem die ausgekohlten Gruben geflutet wurden, fehle dem Fluss. Der Rhein habe darunter zu leiden, dass die Frühjahrs-Schneeschmelze in den Alpen nicht mehr denselben Umfang erreiche wie in früheren Zeiten. Die besondere Herausforderung in diesem Jahr bestehe darin, dass nach der Trockenheit 2018 die Reservoirs nicht gänzlich aufgefüllt seien.

Für das Transportgewerbe auf dem Fluss, nach Ferlemanns Worten die "verladende Wirtschaft", sei das ein erhebliches Problem. So sei in der Schweiz im vorigen Jahr der Benzinpreis gestiegen, weil das Land auf dem Wasserweg über den Rhein mit Erdöl versorgt werde, und dies zeitweise nicht mehr im erforderlichen Umfang möglich gewesen sei. Niedrigwasserstände seien auch eine Bedrohung für die Freizeit- und Fahrgastschifffahrt. Den Anbietern entgehen Einnahmen, wenn der Betrieb in der Saison wegen Wassermangels stillliegt. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen sie sich künftig gegen solche Risiken versichern können. Es gebe Gespräche darüber mit dem Bundesverband der Versicherungswirtschaft.

Als Sorgen seines Hauses nannte Ferlemann den Zustand der Infrastruktur sowie die Personalausstattung der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung. Frühere Bundesregierungen hätten die Zahl der Mitarbeiter von 19.000 auf 12.000 reduziert. Die schwarz-gelbe Koalition habe seinerzeit sogar einen Personalstand von nur noch 9.000 Beschäftigten angepeilt, was letztlich vermieden worden sei. Die derzeitige Koalition stocke das Personal Jahr für Jahr auf, stoße dabei aber auf Schwierigkeiten. So seien von 500 Planstellen für Wasserbauingenieure bisher nur 150 bis 200 besetzt, weil der Markt so viele gar nicht hergebe.

Viele Schleusen auf deutschen Wasserstraßen seien seit ihrer Errichtung im frühen 20. Jahrhundert nie saniert worden, sagte Ferlemann. Die Schleusen auf dem Nord-Ostsee-Kanal seien 120 Jahre alt: "Man muss den kaiserlichen Ingenieuren dankbar sein, weil sie in hervorragender Qualität gebaut haben." Nach Ferlemanns Worten "besonders gebeutelt" ist in dieser Hinsicht auch das Ruhrgebiet, wo ein wachsendes Wasserverkehrsaufkommen von veralteten Schleuse zu bewältigen sei. Deren Betrieb werde "mit Mühe aufrechterhalten".

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2. Strategie gegen Clankriminalität

Inneres und Heimat/Antrag

Berlin: (hib/SUK) Die AfD-Fraktion sieht "eine zunehmende Gefährdungslage" durch kriminelle Clans und will daher konsequenter gegen derartige Strukturen vorgehen. In einem Antrag (19/11121), über den der Bundestag heute erstmals beraten wird, fordert die Fraktion daher, dass sowohl Polizeibehörden als auch die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder Informationen über Strukturen und Tätigkeiten krimineller Clanfamilien sammeln sollen und daraufhin eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Clankriminalität unter Federführung des Bundeskriminalamts erarbeitet wird.

In dem Antrag der Fraktion heißt es, kriminelle Clans würden "Deutschland geradezu als Beute" betrachten, das Problem sei aber von Politik und Behörden "jahrzehntelang weitgehend ignoriert" worden. Die Clans betrieben Schutzgelderpressung, Menschenhandel, Waffen- und Drogenhandel, Zwangsprostitution, sie würden Raubüberfälle, Betrug, Steuerhinterziehungen, Körperverletzungen und Morde begehen. Sie versuchten, "den Rechtsstaat im Kern zu untergraben". Die heutigen Clanstrukturen seien aus der "vergangenen, ungesteuerten Migrationsbewegung hervorgegangen" und hätten sich durch die jüngste "millionenfache Migration aus Orient und Afrika seit 2015 dramatisch vergrößern" können. Der Hauptgrund für die aktuelle Unfähigkeit zur Lösung des Problems liege in der "Unwissenheit der Bundesregierung" über den personellen Umfang, die regionale Verteilung und den Migrationshintergrund der kriminellen Clanfamilien.

Die Regierung soll deshalb Statistiken über Personenumfang und kriminelles Verhalten von Clanmitgliedern erstellen, im Rahmen eines ausführlichen eigenständigen Bundeslagebilds. Zudem sollen die Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeibehörden intensiviert und Informationen in den relevanten polizeilichen Datenbanken erfasst werden. Beim Bundeskriminalamt (BKA) soll eine Ermittlungsgruppe eingerichtet werden, zur "Feststellung der echten Identität von angeblich staatenlosen kriminellen Mitgliedern von Clanfamilien", zudem soll es ein anonymes Hinweissystem auf Straftaten geben. Notare sollen nach dem Willen der AfD künftig durch gesetzliche Regelungen dazu verpflichtet werden, Verdachtsfälle von Geldwäsche an die Strafverfolgungsbehörden zu melden; gleichzeitig soll geregelt werden, wie aus Vermögensabschöpfung stammende Mittel für die Finanzierung der Strafverfolgung und Opferentschädigung verwendet werden können.

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3. Digitalisierung der Städte

Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung/Ausschuss

Berlin: (hib/SUK) Können Smart Cities einen Beitrag leisten, wenn es um Nachhaltigkeit durch Digitalisierung geht? Dieser Frage hat sich am Mittwoch der Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung gewidmet. In der Sitzung unter Leitung von Andreas Lenz (CSU) sprachen die Abgeordneten mit drei Sachverständigen. Ihr Fazit: Die Digitalisierung der Städte wird nur gelingen, wenn die Bürger dabei mitgenommen werden.

Francesca Bria, Commissioner of Digital Technology and Innovation in Barcelona, stellte die Erfahrungen ihrer Heimatstadt vor. Barcelona sei auf dem Weg zur digitalen Stadt. Früher sei die Diskussion um die Digitalisierung vor allem ausgehend von der Technologie geführt worden, im Mittelpunkt aber müsse die Frage stehen wie die Bürger von einer sogenannten Smart City profitieren könnten. Bezahlbarer Wohnung, Gesundheitsversorgung, Transport, Energiewende und öffentlicher Raum seien wichtige Themen für die Bürger und man müsse überlegen, wie man mit Technologie zu Verbesserungen kommen könne. Bria stellte mehrere Projekte vor, die in Barcelona getestet wurden, dafür habe die Stadt eine digitale Plattform gegründet. So sei in dem Projekt "Teile die Sonne" die Möglichkeit angeboten worden, dass Bürger in Solarenergie investieren. Zudem habe man die Stadt in so genannte Superblocks aufgeteilt, in denen der Verkehr reduziert worden sei. So seien "grüne Räume" geschaffen worden. Beim Umgang mit den Daten, die für eine Smart City unabdingbar seien, gehe es um das Vertrauen der Bürger: Sie müssten entscheiden können, welche Daten sie weitergeben wollten und welche privat bleiben sollen. Daten würden als Teil der öffentlichen Infrastruktur und Metagut verstanden, die der Verwaltung und Politik zur Verfügung gestellt würden, damit sie Lösungen entwickeln könnten.

Im Vergleich zu Berlin liege Barcelona "um Längen" vorn, sagte Dieter Müller von der Technologiestiftung Berlin. Seiner Meinung nach seien Quartiere die "Moleküle" einer Smart City; sei seien der Bereich, in dem sich entscheide, wie die Bürger leben wollten. Es gebe in Berlin bereits smarte Gebäude, in denen Daten erhoben würden, allerdings werde die bestehende Infrastruktur der IT den Anforderungen derzeit nicht gerecht. Man brauche eine Vielzahl von Daten, um auf einer Managementebene Gebäude intelligent steuern zu können, etwa bei Heizung oder Klimatisierung. Es empfehle sich, dabei auf kleine lokale Akteure zu setzen - und man müsse die Mieterinnen und Mieter dabei mitnehmen. Zusätzlich brauche es auf lokaler Ebene deutlich mehr Energiespeicher, gleichzeitig fehlten derzeit auf universitärer Ebene Experten sowie Fachleute, die die Anlagen installieren und warten könnten. Die öffentliche Hand habe die Chance bei der Digitalisierung der Städte eine Vorreiterrolle spielen zu können.

Gernot Strube von McKinsey stellte eine Studie des Unternehmens vor, die im letzten Jahr veröffentlicht wurde. Die Basisinfrastruktur einer Smart City bestehe aus drei Ebenen: der Technologie - also etwa Sensoren - , den Anwendungen und der Akzeptanz der Bürger. Man habe die Anwendung von 60 Applikationen in acht Bereichen untersucht. So könnte etwa die Pendelzeit um bis zu 20 Prozent, der Wasserverbrauch um bis zu 30 Prozent oder der Anteil unrecycelten Abfalls reduziert werden. Städte, die diese Applikationen nutzen, täten dies vor allem im Bereich der Mobilität. Grundsätzlich seien chinesische Städte dabei Vorreiter, europäische lägen im Mittelfeld. Das habe vor allem zwei Gründe: Weil die Infrastruktur in Europa in der Regel gut sei, sei der Druck, über Technologien zu Verbesserungen zu kommen, geringer. Zum zweiten sei die Skepsis bei der Verwendung der Daten hierzulande eher hoch.

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4. Akademisierung des Hebammenberufs

Gesundheit/Anhörung

Berlin: (hib/SUK) Hebammen sollen künftig in einem dualen Studium ausgebildet werden. Das sieht ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen (19/10612) vor. Unter einer Vielzahl von Experten sorgt dieses Vorhaben für Zustimmung, das wurde am Mittwoch deutlich in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit.

So sagte die Einzelsachverständige Melita Grieshop von der Evangelischen Hochschule Berlin, eine bessere Qualität in der Ausbildung führe zu mehr Qualität in der Versorgung. Besonders begrüßenswert sei die geplante systematische Praxisanleitung sowie eine Vergütung der Auszubildenden. Zur Zukunft der Hebammenschulen sagte Grieshop, eine längere Übergangsfrist für den Systemwechsel begünstige diese - dies sei aber nicht zielführend und begünstige Parallelstrukturen. Die Sachverständige regte an, die Gesamtverantwortung für den Studiengang solle stärker bei den Hochschulen angesiedelt sein, sie sollten auch die praktischen Ausbildungsteile planen und koordinieren. Dieser Ansicht ist auch der Wissenschaftsrat. Friederike Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein betonte, dass die Hochschulen zuständig für die inhaltliche wie praktische Ausgestaltung des Studiums sein sollten. Zudem reiche es nicht aus, sich nur auf ein Bachelor-Studium zu konzentrieren, auch Master und Promotion müssten mitgedacht werden.

Als ausgesprochen positiv wurde die geplante Verzahnung von Theorie und Praxis auch vom Deutschen Hebammenverband bewertet. So sagte Yvonne Bovermann, es gebe in Deutschland mehr als 1.000 dieser Studiengänge, dies funktioniere "hervorragend". Die geplante Ausbildung könne zum "Erfolgsmodell" werden. Als Voraussetzung für eine Studiengangleitung müsse die entsprechende Lehrkraft "mindestens" einen Masterabschluss vorweisen können, mittelfristig sollten die Positionen nur an promovierte Hebammen vergeben werden.

Für den Deutschen Caritasverband bezeichnete Elisabeth Flix den geplanten hohen Anteil an Praxisanleitung als "besonders positiv", mit 25 Prozent sei dieser "geradezu vorbildlich". Bei den bisher geplanten insgesamt 4.600 Stunden für das Studium, von denen 3.000 berufspraktisch und 1.600 theoretisch sein sollen, solle hingegen nachgebessert werden - der akademische Anteil sei "nicht angemessen".

Skeptisch bezüglich einer Akademisierung des Hebammenberufs ist dagegen der GKV Spitzenverband. So sagte Stefan Weiß, aus Untersuchungen wisse man, dass etwa in Bayern rund ein Drittel der Hebammen die Zugangsvoraussetzungen für ein Studium nicht erfüllten. Es bestehe die Gefahr, dass akademisch qualifizierte Hebammen sich künftig auf die Geburtshilfe konzentrieren könnten und eine Lücke bei der Wochenbettbetreuung entstehe. Daher schlage sein Verband einen Ausbildungsberuf der Mütterpflegekraft vor. Eine Kostenersparnis für die gesetzlichen Krankenkasse stehe nicht zu erwarten - bei einer Finanzierung der Hebammenausbildung im Hochschulstudium würden die Versicherten für versicherungsfremde Leistungen bezahlen müssen.

Auch der Sachverständige Frank Louwen von der Uniklinik Frankfurt am Main sprach sich für "eine Akademisierung mit Augenmaß" aus - man dürfe den Schülerinnen nicht den Weg an die Schulen versperren. Aktuell gebe es 16 Studiengänge, die ganz unterschiedlich verteilt seien - in fünf Bundesländern etwa gebe es keine Möglichkeit für dieses Studium. Es spreche nichts dagegen, dass eine Hebamme mit 40.000 Praxisstunden in ein weiterführendes Studium ginge; diese Möglichkeit gebe der Gesetzentwurf aber nicht her.

Für die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft sagte Nicola Bauer dagegen, die Hebammenschulen seien künftig "überflüssig", zudem sei ihre Finanzierung über 2026 hinaus unklar. Es sei sinnvoll, wenn die Lehrerinnen dieser Schulen an die Hochschulen gingen. Ihr Verband halte zudem ein siebensemestriges Studium für sinnvoll.

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5. Exzellenzinitiative für berufliche Bildung

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung/Antrag

Berlin: (hib/ROL) Deutschland ist aus Sicht der FDP-Fraktion mit der beruflichen und der akademischen Bildung im internationalen Vergleich bisher sehr gut aufgestellt. In keinem anderen Land der Europäischen Union sei die Jugendarbeitslosigkeit so gering und gelinge der Übergang von schulischer zu beruflicher und akademischer Ausbildung so reibungslos wie in Deutschland. Immer mehr junge Menschen entschieden sich jedoch für die Hochschule. Während in den 1970er Jahren nur etwa 18 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufgenommen hätten, seien es inzwischen mehr als die Hälfte, schreiben die Abgeordneten in einem Antrag (19/11106).

Der rasante technologische Fortschritt und die Globalisierung veränderten die Arbeitswelt und ihre Anforderungen an berufliche Qualifikationen. Um allen Bevölkerungsgruppen gleichwertige Bildungschancen zu eröffnen und starke Fachkräfte für den Arbeitsmarkt von morgen auszubilden, müsse sich die berufliche Bildung diesen neuen Herausforderungen stellen. Der Handlungsbedarf sei enorm. Mehr als zwei Millionen beziehungsweise 14,2 Prozent der jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren in Deutschland hätten keinen Berufsabschluss. Die Anzahl der Ausbildungsbetriebe habe mit 19,8 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht. Für besonders leistungsstarke Auszubildende brauche man mehr attraktive, beschleunigte und hoch- qualifizierende Angebote. In den nächsten 15 Jahren würden rund 60.000 Berufsschullehrer (fast 50 Prozent) aus dem Dienst ausscheiden und ihre Nachfolge sei zur Hälfte noch vollkommen unklar.

Die FDP-Fraktion fordert vor diesem Hintergrund, dass mehr junge Menschen für die berufliche Bildung begeistert werden und die Aufstiegsmöglichkeiten gestärkt werden sollen. Ferner soll die Internationalisierung der beruflichen Bildung vorangetrieben werden und für den digitalen Arbeitsmarkt fit gemacht werden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 729 - 27. Juni 2019 - 09.55 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2019

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