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AFRIKA/1003: Nigeria - Anschlag zum Amtsantritt des Präsidenten, Gewalt als Herausforderung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2011

Nigeria: Bombenanschlag zum Amtsantritt des Präsidenten - Gewalt als Herausforderung

Von Sam Olukoya


Lagos, 31. Mai (IPS) - In Nigeria hat ein Bombenattentat auf eine Militäreinrichtung im nördlichen Bauchi wenige Stunden nach der Vereidigung von Goodluck Jonathan zum neuen Staatspräsidenten am 29. Mai in Abuja ein Schlaglicht auf ein zentrales Problem seiner Regierung geworfen: die zunehmende Gewalt im bevölkerungsreichsten Land Afrikas.

Der Anschlag kostete zehn Menschen das Leben, ein Dutzend weiterer Personen wurde verletzt. Medienberichten kam es am gleichen Tag außerhalb Abujas - in Zuba - zur Zündung eines weiteren Sprengsatzes, der drei Menschen in den Tod riss.

Die Unsicherheit in dem westafrikanischen Land ist inzwischen chronisch. Zwischen 1999 und 2009, das fanden die Konfliktforscher der 'International Crisis Group' (ICG) mit Sitz in Brüssel heraus, kamen mehr als 14.000 Menschen im Zuge ethnischer und religiöser Auseinandersetzungen vor allem im Norden des Landes ums Leben.

Mehr als 800 Menschen fanden im April bei Zusammenstößen ebenfalls im Norden im Anschluss an die April-Wahlen den Tod. Die Stadt Kafanchan im Bundesstaat Kaduna, in der sowohl Jonathan als auch sein stärkster politischer Widersacher Muhmmadu Buhari breiten Rückhalt genießen, war einer der schlimmsten Schauplätze der Gewalt nach dem Urnengang im vergangenen April.


Menschen in Kafanchan haben Todesängste

"In Kafanchan und den Nachbarstädten schlafen die Menschen schlecht, denn sie sind sich der täglichen Gefahr bewusst, dass man ihnen die Kehle durchschneiden könnte", sagte Pastor Emmanuel Nuhu Kure, Leiter der christlichen Gruppe 'Throneroom Ministry'.

Den Wahlergebnissen zufolge hat Jonathan, der aus dem Nigerdelta im Südosten des Landes stammt, den ehemaligen, aus dem Norden kommenden Militärherrscher Buhari besiegt. Dessen Anhänger sprachen daraufhin von Wahlbetrug. Buharis Kongress für einen progressiven Wandel beantragte beim Berufungsgericht in Abuja die Annullierung der Wahlergebnisse in 24 der 36 nigerianischen Bundesstaaten.

"In Kafanchan geht wirtschaftlich nichts mehr, der Markt wurde dem Erdboden gleichgemacht, und viele Häuser, vor allem von Christen, angezündet", sagte Nuhu Kure. Die Gegenspieler in dem religiösen Konflikt, die Muslime, wiederum machen die Christen für das ganze Ausmaß der Zerstörung verantwortlich. "Muslime wurden angegriffen und massakriert", berichtet Alhaji Saleh Jema'a von der Gruppe 'Jama'a Indigenous Muslim Ummah'. Einig waren sich beide Seiten in dem Vorwurf, dass die Polizei nicht schnell genug eingegriffen hat, um die Gewalt zu beenden.

Nigeria ist in einen vorwiegend muslimischen Norden und einen vornehmlich von Christen dominierten Süden eingeteilt. Beide Seiten kämpfen verbissen um die nationale Macht und schießen häufig mit scharfer Munition.

Die Gewalt in Kafanchan im April kostete zwei Mitgliedern von Kures Gemeinde das Leben. Wie der Priester erklärt, ist er es satt, mitansehen zu müssen, wie Menschen ihre Angehörigen verlieren und leiden. "Können sich meine Leute darauf verlassen, dass sie von der Regierung geschützt werden oder müssen sie sich auf das Schlimmste gefasst machen und selbst zu den Waffen greifen?"

Staatspräsident Jonathan hat einen Expertenausschuss eingesetzt, der die Gewalt nach den Wahlen im April untersuchen und auch die Quelle der benutzten Waffen identifizieren soll. Nach Ansicht von Sylvester Odion-Akhaine, Leiter des Zentrums für Konstitutionalismus und Demilitarisierung mit Sitz in Lagos, werden die Waffen über die porösen Grenzen aus den Nachbarländern nach Nigeria geschmuggelt. Er ist davon überzeugt, dass sie auch von Politikern beschafft wurden, die den Ausgang der April-Wahlen als eine Frage von Leben oder Tod betrachtet hatten und fest entschlossen waren, ihre Gegner notfalls zu eliminieren.


Vorwurf der Untätigkeit

Aktivistengruppen wie die Nigerianische Koalition für den Internationalen Strafgerichtshof halten den Vorstoß des Präsidenten für Augenwischerei. "Rechtlich ist das Panel gar nicht befugt, Zeugen einzuberufen und zu befragen. Es vermittelt also den falschen Eindruck, dass etwas unternommen wird", kritisiert der Koalitionsvorsitzende Chino Obiagwu.

Der Ausschuss ist zudem nicht der erste seiner Art, der die religiöse und politische Gewalt im Lande untersuchen sollte. "Er ist die übliche Taktik der Regierung, der Welt den Eindruck zu vermitteln, dass etwas getan wird, obwohl das nicht der Fall ist", meint Obiagwu. "Tatsächlich werden die Dinge unter den Teppich gekehrt, vor allem wenn deutlich wird, dass die Gewalttäter von prominenten Persönlichkeiten angestiftet wurden.

"Einen Kreislauf der Gewalt gibt es immer dort, wo Konflikte nicht gelöst und die Täter nicht bestraft werden", warnt Obiagwu. "Diese Verbrechen müssen ernsthaft untersucht werden. Ansonsten geht die Gewalt weiter, weil die Menschen und insbesondere die politische Klasse wissen, dass sie immer ungestraft davonkommen." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.crisisgroup.org/en/regions/africa/west-africa/nigeria/B79-nigerias-elections-reversing-the-degeneration.aspx
http://ncicc.org.ng/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55841

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2011