Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1155: Angola - "Vom sozialistischen Traum nicht viel geblieben" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. November 2012

Angola: 'Vom sozialistischen Traum nicht viel geblieben' - Unabhängigkeitskämpfer 'Pepetela' im Interview

von Mario Osava



Luanda, 19. November (IPS) - Ganze 27 Jahre befand sich Angola im Bürgerkrieg. Doch der Wiederaufbau des kriegsversehrten Landes ist in den letzten zehn Jahren vergleichsweise ruhig vonstatten gegangen. Spätkomplikationen wie bewaffnete Banden, Vergeltungsschläge und ethnische Gewalt sind weitgehend ausgeblieben. Der Krieg habe das Land geeint und befriedet, meint dazu der angolanische Schriftsteller und ehemalige Unabhängigkeitskämpfer 'Pepetela' Artur Carlos Maurício Pestana dos Santos.

Das militante Mitglied der regierenden Volksbewegung für die Befreiung von Angola (MPLA), ehemaliger Unabhängigkeitskämpfer, Vizebildungsminister in den ersten sieben Jahre nach der Unabhängigkeit 1975 und Soziologieprofessor gehört inzwischen zu den namhaftesten Schriftstellern seines Landes. 1997 erhielt er den Camões-Literaturpreis, die wichtigste Auszeichnung für Werke in portugiesischer Sprache.

In seinen 19 Romanen und zwei Theaterstücken gibt Pestana dos Santos einen Einblick in die Geschichte Angolas und den Kampf gegen die damalige Kolonialmacht Portugal. Im IPS-Gespräch kritisiert er einen "wild wuchernden Kapitalismus", der die sozialistischen Ideale einer "Generation der Utopie" - so der Name seines 1992 veröffentlichten Werkes - begraben hat.

Pepetela zufolge konnten die sozialistischen Ziele aus jener Zeit zu 50 Prozent beziehungsweise zu 55 Prozent erreicht werden. Sie hätten Niederschlag in der Landesverfassung etwa in Form einer parlamentarischen Frauenquote von 40 Prozent in der Landesverfassung gefunden. Es folgen Auszüge nun aus dem Interview:

IPS: Wie erklären Sie sich den bewundernswert ruhig verlaufenen Konsolidierungsprozess in einem Land mit einem so langen Krieg? Welche Rolle spielten dabei Staatspräsident José Eduardo dos Santos und die MPLA?

Pepetela: Ein wichtiger Faktor dürfte sicherlich die verbreitete Kriegsmüdigkeit gewesen sein. Die Menschen waren den Krieg und die Gewalt ganz einfach leid. Allerdings kommt es bisweilen zu hitzigen Debatten, wenn etwa die MPLA für sich in Anspruch nimmt, den Krieg gewonnen zu haben, was die andere Seite ebenfalls tut. Doch das sind kleine unbedeutende Reibereien, die folgenlos bleiben.

Präsident José Eduardo war damals klug genug, um nach dem Krieg zu erklären, dass es weder Sieger noch Besiegte gab. Er hat sich stets um die Integration insbesondere der Streitkräfte bemüht. Diese Lorbeeren bleiben dem Präsidenten trotz aller Fehler, die er begangen hat, unbenommen. Gleichzeitig haben die Angolaner die besondere Fähigkeit der Solidarität und des Gemeinschaftssinns.

IPS: Mich hat Ihr Satz überrascht, wonach der Krieg zur nationalen Einheit beigetragen hat. Hatte der Konflikt tatsächlich die Kapazität, die Kongolesen zu einen und die ethnischen Teilungen aufzuheben?

Pepetela: Das war auf jeden Fall ein wichtiges Element, um die abstrakt anmutende Idee der Nation zu stärken. Beide Armeen (der MPLA und der portugiesischen Kolonialmacht) rekrutierten Menschen aus allen Teilen des Landes, vermischten sie und zwangen sie dazu, Beziehungen zu knüpfen und Netzwerke zu schaffen.

Viele Menschen und ihre Familien lebten außerhalb ihrer Heimatregionen - oft mit anderen Ethnien. Dadurch wurde ihnen bewusst, dass Angola mehr ist als das Dorf, in das sie hineingeboren wurden. Fast alle können portugiesisch lesen und sprechen. Die Sprache ist somit ein weiteres wichtiges Bindeglied.

IPS: Doch was ist aus dem sozialistischen Traum der MPLA geworden?

Pepetela: Aus dem sozialistischen Traum wurde nichts. Nach dem MPLA-Programm gibt es ein unabhängiges Land, das manchmal einen sozialdemokratischen Diskurs hochhält, der jedoch praktisch jeden Tag aufs Neue verraten wird.

IPS: Wie definieren Sie das angolanische Wirtschaftssystem? Als Staatskapitalismus?

Pepetela: Nach der alten Terminologie ja. Allerdings ziehe ich es vor, von einem wild wuchernden Kapitalismus zu reden, der sich in der Phase der Regulierung befindet und somit irgendwann damit aufhören wird, wild zu wuchern.

IPS: Welche Utopien konnten zu 50 Prozent umgesetzt werden, welche sind noch überfällig?

Pepetela: Umgesetzt wurden diejenigen, die ich bereits genannt habe: Unabhängigkeit, Land und Frieden. Was noch fehlt ist eine gerechtere, menschlichere Gesellschaft.

IPS: Wie ist es um die Bildung bestellt?

Pepetela: Die Zahl der Schüler hat zugenommen und tut es noch. Doch die Bildungsqualität ist erschreckend schlecht - und zwar in allen Stufen. Sie ist nicht dazu angetan, für eine Politik der nachhaltigen Entwicklung zu sorgen.

IPS: Angeblich strömen junge Menschen auf der Suche nach einer guten Schul- und Universitätsbildung vom Land in die Städte. Sollte nicht zumindest Bildung die jungen Menschen in den Provinzen halten?

Pepetela: In den kleinen Städten im Landesinnern wurden viele Schulen und Institutionen gebaut. Doch das allein reicht nicht. Es müssen alle anderen Strukturen geschaffen werden, die dafür sorgen, dass junge Menschen nicht von einem Leben in der großen Stadt träumen.

IPS: Können die dominante Stellung der portugiesischen Sprache und die Rolle von Musik und Fernsehen für eine Überbrückung der ethnischen Gräben sorgen?

Pepetela: Tatsächlich ist Portugiesisch seit der Unabhängigkeit die dominierende Sprache, die jedoch die Gefahr in sich trägt, die afrikanischen Sprachen und somit die kulturellen und sozialen Wurzeln Afrikas verschwinden zu lassen.

Es ist leider nicht zu einer Harmonisierung der sprachlichen Entwicklung gekommen. Was die Musik angeht, folgt sie mehr dem Trend etwa der Afroamerikaner.

IPS: Wie steht es mit der Literatur? Was tut sich auf dem Gebiet der 'Angolanität?'

Pepetela: Mir scheint es nicht nach einer Erneuerung der Literatur auszusehen. Es wurde mehr versprochen als gehalten. Es gibt ein Problem: die schlechten Kenntnisse der portugiesischen Schriftsprache, die dazu führen, dass junge Talente Probleme haben, nach oben zu kommen.

IPS: Einige Ihrer Werke zeigen eine tiefe Enttäuschung über manche Entwicklungen - von der Korruption über den Verlust von Werten. Ist das Land, das sich derzeit herauskristallisiert, die Mühe wirklich wert?

Pepetela: Es finden sich immer und überall positive Aspekte. Da gibt es einen Staat, der trotz aller Fehler bemerkenswert unabhängig ist, den Wiederaufbau der Kommunikationskanäle, auch wenn dieser auf dem Ölreichtum des Landes beruht, die Wiederansiedlung der ins Ausland geflohenen Bevölkerung und den Frieden.

All diese Beispiele sind trotz aller Rückschläge Zeichen dafür, dass das Land in der Lage ist, voranzukommen. Wir müssen uns unbedingt und mit Nachdruck für die Bildung junger Menschen einsetzen. (Ende/IPS/kb/2012)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101911

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. November 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2012