Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1174: Tunesien - 'Gute Voraussetzungen für eine solide Demokratie' (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. März 2013

Tunesien: 'Gute Voraussetzungen für solide Demokratie' - Übergang rau aber vielversprechend

von Justin Hyatt


Bild: © Lassad Ben Achour/IPS

Demonstration für das Recht auf freie Meinungsäußerung in Tunis
Bild: © Lassad Ben Achour/IPS

Tunis, 1. März (IPS) - Nach dem Mord an dem linken Politiker Chokri Belaid Anfang Februar ist Tunesien noch nicht zur Ruhe gekommen. Das Verbrechen hat die größten Proteste seit dem Aufstand gegen den damaligen Staatspräsidenten Zine El Abidine Ben Ali ausgelöst. Die Kundgebungen zeigen aber auch, dass es für die meisten Tunesier mittlerweile selbstverständlich ist, ihren Unmut öffentlich zu äußern.

Politische Beobachter stimmen darin überein, dass die freie Meinungsäußerung die wichtigste Errungenschaft der Revolution ist, die zum Sturz des alten Regimes führte. Der Journalist Sofiane Ben Hamida erinnert sich noch gut daran, wie unter Ben Ali die Menschen in den Cafés Angst davor hatten, ihre politischen Ansichten laut kundzutun. "Das ist nun Geschichte", meint er.

Der politische Übergang geht jedoch nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten. Berichten zufolge wurden in der letzten Zeit mehreren Journalisten die Kameras gestohlen. Auch sollen Berichterstatter verprügelt worden sein und Todesdrohungen erhalten haben. Der bekannte Journalist und Schriftsteller Taoufik Ben Brik wird wegen seiner Zeitschrift 'Dhed Assolta' (Gegen die Macht) häufig schikaniert. So beschlagnahmte die Polizei kürzlich mehrere Ausgaben seines Magazins. Auch sah er sich mit dem Vorwurf konfrontiert, während der Ben Ali-Ära eine Frau überfallen zu haben.


Mehr Schutz für Journalisten gefordert

"Journalisten müssen besser geschützt werden", meint Fathi Zabaar, ein unabhängiger Berater. "Auch wenn wir große Fortschritte in Richtung einer freieren Gesellschaft beobachten können, sollten Medienvertreter und Öffentlichkeit vor Belästigungen aller Art geschützt werden."

Nach Ansicht von Hichem Snoussi von der internationalen Nichtregierungsorganisation (NGO) 'Article 19', die sich für die Meinungsfreiheit einsetzt, können die Medien in Tunesien frei arbeiten. Doch sind diese Freiheiten noch nicht vollständig im tunesischen Recht verankert. Derzeit werden zahlreiche Dekrete entworfen und debattiert, die einen Rechtsrahmen für die Medien und den Zugang zu Informationen schaffen sollen.

Article 19 hat zudem den Entwurf für eine neue Staatsverfassung gründlich analysiert. Die NGO drängt die verfassunggebende Versammlung, über ihren Entwurf hinauszugehen und die Beachtung internationaler Standards zu garantieren.


Internet-Nutzung gehört zum Alltag

Ein Großteil der nationalen Debatte wird im Internet geführt. Etwa jeder dritte Bürger hat mittlerweile ein Konto bei dem sozialen Netzwerk Facebook. Zabaar warnt in diesem Zusammenhang vor den Umtrieben einer Art 'Internet-Miliz', die vor allem auf Facebook Gerüchte und Hassreden verbreitet.

Dann gibt es Gruppen, die aus Datenschutzgründen an Treffen teilnehmen, auf denen Techniken des Codierens diskutiert werden. Auch das Hacker-Kollektiv 'Anonymous' ist in Tunesien aktiv. Dort gibt es zudem eine eigene Version von 'Telecomix', das sich als 'sozio-kybernetisches, telekommunistisches Internet- und Datencluster' versteht und den freien Informationsfluss verteidigt.

Der Unternehmer Nader Yamoun, der für die freie Nutzbarkeit von Daten eintritt, hat ein 'Anti-Korruptionsportal' eingerichtet. "In dieser Hinsicht kann sich Tunesien rühmen, echte Fortschritte gemacht zu haben", sagt er. "Die erste Open Data-Plattform wurde 2009 in den USA geschaffen. Frankreich folgte 2011 und Tunesien nur ein Jahr später."

Zahaar zufolge ist der Prozess des Übergangs zu einer freien Gesellschaft vielversprechend und Tunesien auf dem besten Weg, zu den funktionierenden Demokratien aufzuschließen. "Man kann sagen, was man will: Die Voraussetzungen für eine solide Demokratie sind gut." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.article19.org/
http://dataviz.fhimt.com/
http://telecomix.tn/
http://anticor.tn/index.php?id=5
http://www.ipsnews.net/2013/02/freedom-pushes-past-snags-in-tunisia/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 1. März 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2013