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AFRIKA/1321: Kenia - Massaker an Studenten in Garissa wirft Sicherheitsfragen auf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. April 2015

Kenia: Massaker an Studenten in Garissa wirft Sicherheitsfragen auf

von Lisa Vives


New York, 7. April (IPS) - In einer Rede nach der Ermordung von 36 Bergleuten in Kenia im Dezember letzten Jahres durch mutmaßliche Al-Shabaab-Kämpfer hatte Präsident Uhuru Kenyatta von einem "Krieg gegen Kenia und uns Kenianer" gesprochen, gegen den alle Kenianer zu Felde ziehen müssten.

Anfang April hat die Islamistenmiliz erneut zugeschlagen. Mehr als 147 Studenten und Wachleute - mehrheitlich Christen in einem christlich dominierten Land - fielen einem Massaker an der Universität von Garissa zum Opfer. Seither wächst die Kritik an der Sicherheitspolitik der kenianischen Regierung und an der Besatzung eines Teils des somalischen Grenzgebiets.

Kenia befindet sich seit vielen Jahren in einem Krieg mit den im Nachbarland Somalia stationierten Al-Shabaab-Dschihadisten, die seit geraumer Zeit mit einem Anschlag auf Garissa drohten. Dass zum Zeitpunkt des Angriffs auf den Universitäts-Campus nur einige wenige Wachmänner im Dienst waren und die angeforderten Eliteeinheiten von nur vier Bewaffneten auf Distanz gehalten werden konnten, hat bei vielen Kenianern Befremden ausgelöst.

Das Gemetzel begann in den frühen Morgenstunden des 2. April, kurz nachdem Gewehrschüsse die Nachtruhe auf dem Campus abrupt beendet hatten. Die radikal-islamischen Kämpfer forderten die Studenten der kleinen Universität mit 75 Mitarbeitern zur Zusammenarbeit auf. "Wenn ihr überleben wollt, kommt heraus. Wenn ihr sterben wollt, bleibt drinnen", drohten sie den verschlafenen Studenten. "Ich wusste, dass sie logen", berichtete später eine Überlebende, die 23-jährige Student Elosy Karimi. Ihr war es gelungen, sich 24 Stunden lang in einem Etagenbett zu verstecken.

Garissa ist eine Stadt nordwestlich von Nairobi und rund 200 Kilometer von der somalischen Grenze entfernt. Die Al-Shabaab hatte in jüngster Zeit mit Anschlägen auf die Hochschulen in Garissa und Universitäten in anderen Städten gedroht. Die britische Regierung gab für Garissa eine Reisewarnung heraus. Dennoch waren die Schutzvorkehrungen minimal.


Kenia ist regionale Militärmacht

Deshalb sprechen viele Kenianer von einem vermeidbaren Blutbad, zumal das ostafrikanische Land seinen Militärhaushalt in den letzten 20 Jahren drastisch aufgestockt hat. Nach Angaben des Internationalen Friedensforschungsinstituts in Stockholm gab die Regierung in Nairobi im Zeitraum 2010 bis 2014 umgerechnet 216 Millionen US-Dollar für moderne Rüstungsgüter aus. Im Zeitraum 2005 bis 2009 waren es gerade einmal zehn Millionen Dollar gewesen. Dennoch gelang es vier Al- Shabaab-Kämpfern, Polizei- und Militäreliteeinheiten vom Campus fernzuhalten, während die Terroristen ihre Geiseln systematisch ermordeten.

Der Sicherheitsexperte Patrick Gathara sieht Parallelen zu dem Überfall auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobis Stadtteil Westlands. Dort hatten ebenfalls vier bewaffnete Männer hunderte Sicherheitskräfte vier Tage lang auf Abstand gehalten und "sich offensichtlich Zeit zum Beten und Entspannen genommen, während reguläre Sicherheitskräfte [in anderen Teilen der Mall] plünderten", schrieb Gathara in einem Beitrag für 'Al Jazeera'.

Damals hätten ethnische Somali in Nairobi als Sündenböcke herhalten müssen. Sie seien zur Zielscheibe staatlicher Razzien geworden, sagte er und fügte hinzu, dass das von ethnischen Somali bewohnte Garissa seit einem halben Jahrhundert 'Sicherheitsoperationen' - einem anderen Wort für kollektive Bestrafung - ausgesetzt sei.

Das Versagen der Regierung, in der Region für Sicherheit zu sorgen, wird von der kenianischen Bevölkerung durchaus zur Kenntnis genommen. Kritisch ist die Lage vor allem seit dem kenianischen Einfall in Somalia Mitte Oktober 2011 im Zuge der militärischen Zusammenarbeit zwischen den somalischen, kenianischen und äthiopischen Streitkräften, nachdem Al-Shabaab-Einheiten ausländische Touristen und Entwicklungshelfer in Kenia verschleppt hatten.

Eigentlich hätte der Abzug der kenianischen Truppen aus Somalia bereits im letzten Jahr erfolgen sollen. Für dieses Versäumnis habe Kenia nun die Quittung bekommen, warnen kritische Stimmen.

"Uns sind die Folgen eines Besatzungskrieges bekannt", twitterte Senator James Orengo in '#GarissaAttack'. "Wir müssen unsere Truppen aus Somalia abziehen, um dem ein Ende zu setzen. Wir müssen unsere Strategien überdenken und sollten eine Grundsatzentscheidung bezüglich unseres Engagements in Somalia fällen, anstatt unsere Leute in Gefahr zu bringen."

Es stelle sich die Frage, ob das jüngste Desaster nur das letzte einer Serie vermeidbarer terroristischer Gräuel sei, die inzwischen mehr als 350 Menschenleben gefordert hätten, schrieb Gathara. Er erinnerte ferner an einen früheren Sicherheitseinsatz kurz nach dem Amtsantritt Kenyattas am 9. April 2013. Damals waren mehr als 600 Einwohner von Garissa, darunter neu gewählte lokale Führer, willkürlich von einer staatlichen Sicherheitseinheit festgenommen worden, die von der Regierung selbst als "verkommen" bezeichnet worden war.


Kritik an Regierungsentscheidungen

"Nach den jüngsten Gräueln in Garissa hat Präsident Kenyatta eine weitere, rechtlich zweifelhafte Direktive erlassen", meinte Gathara. So habe er 10.000 neue Offiziere entgegen eines Gerichtsentschlusses eingesetzt, der die Rekrutierung von Polizisten aufgrund zuvor bekannt gewordener Korruptionsvorwürfe eingefroren hatte.

"Was für einen Plan verfolgt Kenia eigentlich hinsichtlich Somalia?", meinte auch Abdullahi Boru Halakhe, Ostafrika-Experte bei 'Amnesty International', mit Blick auf die kenianischen Truppen in Somalia. "Wie sieht unser Exit-Plan aus? Sind es bis dahin zwei oder gar drei Jahre?" (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/04/college-massacre-throws-up-questions-about-kenyas-security

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2015

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