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AFRIKA/1331: Peking+20 in Südafrika (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 131, 1/15

Peking+20 in Südafrika
Gegensätze der Frauen- und Geschlechterpolitik im Regenbogenstaat

Von Rita Schäfer


In kaum einem anderen Land der Welt sind die Gegensätze zwischen einer vorbildlichen Frauen- und Geschlechterpolitik und der Lebensrealität der weiblichen Bevölkerung so ausgeprägt wie in Südafrika. Die alltägliche Mehrfachdiskriminierung armer schwarzer Frauen und sexualisierte Gewalt stehen im Kontrast zu den Forderungen der Peking-Konferenz und der südafrikanischen Verfassung.


Schon im Vorfeld der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking herrschte Aufbruchstimmung am Kap der Guten Hoffnung. Erstmals konnten schwarze Feministinnen legal außer Landes reisen und sich mit Frauen aus anderen afrikanischen Ländern und allen Kontinenten austauschen. Erst ein Jahr zuvor hatten sie das Wahlrecht erhalten. Nun waren sie endlich gleichgestellt mit Männern. 2015 ist von diesem Sieg nur noch wenig zu spüren - vielmehr kennzeichnet Ernüchterung die Frauenorganisationen, die sich jahrelang für die Verwirklichung der neuen Rechtsgrundlagen eingesetzt haben.


Umfassende Reformen

Nach der mühevoll erkämpften Abschaffung der Apartheid wollte die 1994 angetretene Regierung Nelson Mandelas das jahrhundertelange Unrecht überwinden und neue Strukturen schaffen. So wurde Geschlechtergleichheit 1996 in der neuen Verfassung verankert. Ein umfassendes Gender-Konzept, das Menschen von unterschiedlicher Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung einschloss, bildete die Richtschnur für Reformen des Ehe-, Erb- und Unterhaltsrechts. Auch das Recht auf Gesundheit und der Schutz vor Gewalt zählten zu den Grundlagen der neuen politischen Ordnung. Unter Bezug auf die Abschlusserklärung und die Aktionsplattform von Peking wurden Gender-Mainstreaming-Maßnahmen auf nationaler Ebene und in den Provinzen verabschiedet. Frauenquoten von 30 bzw. 40 Prozent bei der Vergabe von Ministerposten, Parlamentssitzen und Parteifunktionen sind international ebenfalls vorbildlich.

Südafrika nutzte diese Maßnahmen, um seine Reformbereitschaft innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft zu bekunden. Das dokumentieren die Regierungsberichte zum Follow-up der Weltfrauenkonferenz in Peking, etwa der Peking+20 Bericht, der bereits in der Afrikanischen Union diskutiert wurde. Für positive Rückmeldungen dieses Gremiums sorgten die weiblichen südafrikanischen Delegierten, die inzwischen in diplomatischen Diensten im Einsatz sind, allen voran die AU-Vorsitzende Dr. Nkosazana Dlamini-Zuma.


Erbe der Apartheid

Während der Apartheid (1948-1994) war das Land ein Schlusslicht, was Frauen- und Menschenrechte anbelangt. Weiße Frauen durften zwar wählen - auch um der rassistischen Minderheitenregierung einen legitimen Anstrich zu geben -, aber bis 1984 waren sie keine vollwertigen Rechtspersonen. Erst kurz vor dem Ende der internationalen Frauendekade (1975-1985) erklärte sich das männlich dominierte weiße Regime dazu bereit, weiße Frauen nicht länger ihren Ehemännern, Vätern oder Brüdern bei vertraglichen Belangen unterzuordnen. Die Mehrfachdiskriminierung schwarzer Frauen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe wurde aber aufrechterhalten. Die repressiven Apartheidgesetze und die schweren Menschenrechtsverbrechen durch staatliche Sicherheitskräfte und regimenahe Schlägertruppen gegen die schwarze Bevölkerungsmehrheit, insbesondere auch gegen schwarze politische Aktivistinnen, führten in den 1980er-Jahren dazu, dass die Vereinten Nationen Sanktionen gegen das Apartheidregime erließen. Damals hatten Regimegegnerinnen die Parole ausgegeben, zunächst die nationale Befreiung erreichen und erst dann die Frauenemanzipation durchsetzen zu wollen.

In der Praxis war das aber ein schwieriges Unterfangen. Denn die patriarchale Dividende wirkte nach: Schwarze Männer, die von weißen Männern im alten Regime gedemütigt worden waren, beanspruchten nun die Vormachtstellung. Konflikte im öffentlichen und privaten Raum eskalierten mancherorts gewaltsam. Etliche Männer fühlten sich von der neuen Regierung unter dem African National Congress (ANC) mit den rasanten sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen allein gelassen. Sie hatten Gewalt als Machtmittel verinnerlicht, und sie haben im Apartheidstaat oder im bewaffneten Untergrundkampf nie gelernt, gleichberechtigte Dialoge zu führen oder wie Unternehmer zu handeln. Das aber wurde nun von ihnen verlangt.


Empowerment als Bumerang?

Angesichts der Massenentlassungen in der Minenindustrie und der steigenden Arbeitslosigkeit infolge der internationalen Finanzkrise fühlen sich arme schwarze Männer heute oft benachteiligt, schließlich hat es die Regierung mit den Empowerment-Forderungen der Peking-Konferenz ernst gemeint: Junge schwarze Frauen wurden im öffentlichen Dienst bevorzugt eingestellt. Auch in privaten Unternehmen finden gut ausgebildete schwarze Frauen nun einen Job. Allerdings sind etliche Aufsteigerinnen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz konfrontiert. Heute sind diese Übergriffe strafbar, verbreitet waren sie aber bereits während der Apartheid - damals gegen Hausangestellte, Kindermädchen und Farmarbeiterinnen. Sexismus und Rassismus verstärkten einander oft wechselseitig. Die weißen Vorgesetzten wurden nie zur Rechenschaft gezogen. -

Allerdings behandelten auch viele weiße Frauen ihre schwarzen Geschlechtsgenossinnen herablassend und verstärkten damit rassistische Grenzen. Besonders betroffen waren arme schwarze Frauen ohne Schulbildung, die mangels Alternativen die Demütigungen von Hausherr_innen und Farmbesitzer_innen ertragen mussten. Diese wechselseitige Verstärkung von Gender-, Race- und Class-Gegensätzen prangerten die wenigen regimekritischen weißen Wissenschaftlerinnen bereits in den 1980er-Jahren an. Die historische Last illustriert, dass umfassende Veränderungen notwendig sind. Wirtschaftlich isolierte Empowerment-Programme für junge gut ausgebildete Frauen können kaum grundlegende Strukturreformen bewirken.


Bildung und Gewalt

Ein Dreh- und Angelpunkt für Geschlechtergerechtigkeit ist die verbesserte Schulbildung. Zwar haben alle Kinder - und damit auch die Mädchen - inzwischen ein Recht auf Grundbildung. Aber die staatlichen Schulen in Wohngebieten der Armen (Townships) und auf dem Land sind oft in einem katastrophalen Zustand und die Lehrer schlecht ausgebildet. Sie verweigern den Schülerinnen Zukunftsperspektiven, vor allem wenn sie Mädchen zu sexuellen Kontakten zwingen.

Dies verdeutlicht, wie verflochten die einzelnen Forderungen der Aktionsplattform von Peking bis heute im Alltag südafrikanischer Frauen und Mädchen sind. Deshalb ist auf nationaler Ebene nicht nur das Frauenministerium gefordert, sondern auch das Bildungs-, Justiz, und Gesundheitsministerium, denn nicht wenige Mädchen werden durch sexualisierte Gewalt schwanger und HIV-positiv. In armen ländlichen Provinzen sind über 30 Prozent der minderjährigen Gebärenden mit dem HI-Virus infiziert.

Eine besonders gefährdete Gruppe sind schwarze junge Lesben. Das erkennt auch der südafrikanische Bericht zu Peking+20 an. Homophobe Hassgewalt ist Ursache für Vergewaltigungen und Morde. Allerdings erfasst die südafrikanische Polizei diese Gewaltübergriffe nur unter dem Straftatbestand "Gewalt gegen Frauen". Deshalb listen lokale Lesbenorganisationen diese Gewaltfälle selbst auf und prangern sie öffentlich an. Gegenüber der Regierung verlangen sie eine bessere Strafverfolgung der Täter und mehr Präventionsprogramme.

Auch wenn Südafrika 20 Jahre nach Peking viele gender-politische und frauenrechtliche Erfolge vorweisen kann, die Gewaltüberwindung bleibt eine dringende Aufgabe von Staat und Regierung.


ZUR AUTORIN:
Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Autorin der Bücher "Im Schatten der Apartheid" (2008), "Frauen und Kriege in Afrika" (2008) und "Gender und ländliche Entwicklung in Afrika" (2012).

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 131, 1/2015, S. 22-23
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2015

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