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AFRIKA/696: Angola - Eindrücke vom Wahltag in Namibe (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, September - November 2008

Angola
"Das ist unser Präsident, und das ist unsere Präsidentin!"
Eindrücke vom Wahltag in Namibe

Von Johann Müller


Es ist, als tauche man in eine andere Welt ein, wenn man sich von Lubango auf den Weg in die Küstenstadt Namibe, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, begibt. Eine eindrucksvolle Straße schlängelt sich von einem fast 2000 m hohen Plateau bis auf Meeresniveau. Die Straße hat in den langen Wirren des Bürgerkrieges keinen Schaden genommen, und auch in Namibe lassen sich keine Spuren kriegerischer Auseinandersetzungen finden. Man mag gerne glauben, dass die Stadt sich auch während heftigster Gefechte zwischen MPLA und Unita so friedlich darstellte, wie sie sich dem heutigen Besucher präsentiert.

Einen Tag vor den Parlamentswahlen herrscht besondere Ruhe in Namibe. Der Wind sorgt für Abkühlung in der Schwüle, einige Motorradtaxis fahren auf und ab, doch ansonsten finden kaum Aktivitäten auf der Straße statt. Die Geschäfte sind geschlossen - wegen der Feiertage vor den Wahlen wirkt die Stadt wie ausgestorben.

Beim Umherschlendern entdecke ich die Büros einiger kleinerer Parteien. Man nimmt sie fast nicht wahr, doch in einer Stadt, in der von jedem Laternenmast eine MPLA-Flagge baumelt, fällt es dann doch auf, wenn man eine andere Fahne sieht. Gerne hätte ich mir eine Zeitung gekauft, doch nicht einmal ein Jornal de Angola ist aufzutreiben. In Santa Clara hatte ich immerhin ein eine Woche altes Exemplar erstanden - Präsident dos Santos zierte dort das Titelblatt und verkündete die Geburt eines neuen Getreidespeichers in der Malanje-Provinz.

Ich begebe mich ins Büro der Partido de Renovação Social (PRS). Die PRS, kurz vor den ersten Wahlen 1992 gegründet, hatte damals vor allem in den beiden Lunda-Provinzen gepunktet - weit weg von der Küste, man muss einen schwierigen Wahlkampf in Namibe annehmen. Ich frage nach einem Wahlprogramm. Man ist erstaunt, hält mich für einen offiziellen Wahlbeobachter. Ein älterer Herr lädt mich ein, an seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Er sei zufrieden mit dem Wahlkampf, man sei in keinerlei Weise eingeschränkt gewesen. Ob nicht fehlendes Geld eine Einschränkung sei, frage ich. Der Mann schaut mich an, als wollte er sagen: "Eigentlich haben Sie ja schon recht." Nach einer Weile zieht er ein Ringbuch aus seiner Schreibtischschublade und überreicht es mir. Es ist zwar kein Wahlprogramm, sondern die Verfassung der Partei, aber ich nehme es dankbar.

Im Büro der FNLA bietet sich mir ein ähnliches Bild. Einige ältere Herren diskutieren angeregt und zeigen sich hocherfreut, als ich eintrete. Nachdem mir auch hier bestätigt wurde, dass man sich nicht über den Wahlkampf beschweren könne, erhalte ich einen Zettel mit zwölf Bereichen, in denen die FNLA Verbesserungen durchsetzen will, sollte sie gewählt werden. Gesundheit, Infrastruktur, Dezentralisierung finden sich darunter, sehr allgemein gehalten. Einer der FNLA-Vertreter bemerkt noch, dass es schwer sein wird, das Ergebnis von 5 Sitzen von der Wahl vor 16 Jahren zu bestätigen, dann bedanke ich mich und warte gespannt auf den Wahltag, während das angolanische Fernsehen noch einmal führende Regierungsvertreter zu Wort kommen lässt, die Angola bereits als leuchtendes Beispiel für ganz Afrika preisen.

Am 5. September ist ganz Namibe früh auf den Beinen. Alles scheint sich hektisch Richtung Wahllokale zu begeben. Im erstbesten Wahllokal entdecke ich fünfzehn Minuten nach Öffnung bereits eine lange Schlange. Die Leute stehen geduldig an. Viele tragen T-Shirts der MPLA - die Übermacht der MPLA-Wahlkampfmaschinerie wird auch hier deutlich. Immerhin habe ich nun die erste Unita-Fahne an einem Straßenmast entdeckt. Auf dem Weg durch die Stadt bietet sich an anderen Wahllokalen ein ähnliches Bild: Lange Warteschlangen mit geduldigen Menschen, die sich friedlich unterhalten und sich stolz gegenseitig ihre Wählerkarten unter die Nase halten.

Mit meinem Bekannten Ricardo stoppe ich an einem Wahllokal in der Nähe des Hafens, wo auch er sich in die Schlange einreiht. Während ich auf ihn warte, macht es fast den Eindruck, als sei es reine Routine, was ich gerade beobachte. Dass es dies nicht ist, wird kurze Zeit später deutlich. Wir fahren mit einem Freund Ricardos zum Hafen. Ständig hält er an und grüßt Freunde auf der Straße: "Ja votaste?" - Hast du schon gewählt? Die meisten antworten begeistert und strecken ihren Finger in die Höhe, den sie nach dem Wählen in Tinte tauchen mussten, damit sie kein zweites Mal wählen können.

Die blaue Fingerspitze wird zum Erkennungszeichen. Im Hafenviertel zeigen mir einige junge Männer stolz ihre gefärbte Fingerkuppe. Sie waren 1992 noch nicht alt genug zu wählen, dies war ihre erste demokratische Erfahrung. Sie stoßen mit einem einheimischen Bier an und bieten mir auch eins an. An die schönen Statistiken von forsa und infratest-dimap denkend, frage ich sie, was bei ihrer Wahlentscheidung ausschlaggebend gewesen sei. Während einige ohne Umschweife erklären, dass die MPLA schlichtweg die beste Partei sei, sind andere vorsichtiger und warten ab.

Ich denke daran, wie schwer es mir in der Grenzstadt Santa Clara gefallen war, selbst von der MPLA ein Wahlprogramm zu bekommen. Woher hatten diese Leute also ihre Informationen? In Santa Ciara hatte mir eine Wahlkämpferin der MPLA eine Broschüre in die Hand gedrückt, in der zu lesen war, was die MPLA alles für Frauen tue. Es waren auch zwei Fotos darin. "Das ist unser Präsident, und das ist unsere Präsidentin", erklärte sie mir, indem sie auf die beiden Bilder deutete. Ich erkannte dos Santos, entgegnete jedoch, dass Angola keine Präsidentin habe. "Dann ist es die Frau des Präsidenten", versuchte es meine Gesprächspartnerin erneut. Auch das musste ich verneinen. Solch junge Ehefrauen haben im - Südlichen Afrika nur die Staatschefs absoluter Monarchien.

Wir gehen weiter. Eine Gruppe älterer Herren, die vor einem der zahlreichen Salões de beleza (Schönheitssalons) Namibes sitzt, sieht das Ereignis Parlamentswahlen etwas nüchterner. Doch sie können bestätigen, dass die Atmosphäre 1992 eine andere war. "Der ganze Wahlkampf war schon von Gewalt begleitet, das war diesmal nicht der Fall." In der Ferne entdecke ich ein Zelt, ein weiteres Wahllokal, vor dem sich noch immer die Massen drängen. Den meisten Einwohnern Namibes scheint es wirklich nicht schnell genug zu gehen, ihre Stimme abzugeben.

In Namibe hatte man nie Grund, an der Regierung zu zweifeln. Die Unita drang nie bis hierhin vor. Wenn der Staat auch keine großen Infrastrukturmaßnahmen vornahm, so genoss man hier doch zumindest den Frieden. Es war keine Überraschung, dass die MPLA bei den Wahlen 1992 in der gesamten Provinz klare Erfolge verbuchen konnte. Niemand zweifelt am Wahltag daran, dass es diesmal anders sein wird. Auch die FNLA- und PRS-Vertreter schienen sich darin einig zu sein. Die MPLA konnte es sich sogar erlauben, sämtliche Parteiaufkleber von den vor ihrem Hauptquartier geparkten Autos zu entfernen. Schließlich durfte einen Tag vor den Wahlen und während des Wahlvorganges kein Wahlkampf mehr gemacht werden.

Am Nachmittag wird es ruhiger. Keine Schlangen mehr an den Wahllokalen, auch die Straßen sind wieder menschenleer. Ich begebe mich zu einer Wahlstation und frage, ob ich einmal einen Wahlzettel zu sehen bekommen könnte. Die zuständige Helferin entschuldigt sich. Die Zettel seien leider ausgegangen. In der Tat sitzen alle Helferinnen und Helfer bereits nicht mehr hinter ihren Tischen, sondern vor dem Zelt. Ricardo findet, ich sei zu neugierig. Die Dame ist amüsiert und fragt mich, woher ich komme. Es scheint jedenfalls niemanden zu stören, dass die Zettel ausgegangen sind. Nicht im friedlichen Namibe.


Der Autor Johann Müller promoviert zur Zeit über die Rolle Botswanas im namibischen Befreiungskampf und hat die Wahlen in Angola beobachtet.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
37. Jahrgang, Nr. 5, September - November 2008, S. 23 - 24
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2009