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AFRIKA/704: Namibia - Erinnerungen, Identitäten und Gegenwart (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2008

Erinnerungen, Identitäten und Gegenwart

Von Reinhard Kößler


Ende Oktober und Anfang November feierten die Bondelswarts und die Witboois im Süden Namibias ihre Gedenkfeste. Sie erinnerten damit an ihren Beitrag zu einem unabhängigen Namibia. Beide Feste wurden aber auch genutzt, die eigenen Interessen zu artikulieren.


Feiern kann man auf sehr unterschiedliche Weise und aus den verschiedensten Anlässen. Die Anlässe für Erinnerungsfeste und Gedenktage unterschiedlicher ethnischer Gruppen im Süden und auch im Zentrum Namibias bezeichnen Wendepunkte der Geschichte der jeweiligen Gruppe. Vergegenwärtigung von Geschichte, deren Darstellung und die Reproduktion der Gruppenidentität stehen im Mittelpunkt. Zumeist beziehen sich die Feste auf die Kriege und Völkermorde zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Das Bondelswarts-Fest, das am letzten Oktoberwochenende in Warmbad gefeiert wurde, oder der Heroes Day in Gibeon, auch bekannt als Witbooi-Fest, der am ersten Wochenende des November begangen wurde, haben damit durchaus aktuelle Bedeutung. Sie unterstreichen den Anspruch der ethnischen Gruppen ebenso wie der Bewohner der Region, entscheidende Beiträge zum antikolonialen Widerstand und zur Befreiung Namibias geleistet zu haben. Dafür fordern sie Anerkennung gegenüber einem quasi regierungsamtlichen Bild der Vergangenheit, das sich auf die nördlichen Regionen und den dort in militärischer Form ausgetragenen Befreiungskampf der 1970er und 1980er Jahre konzentriert.

Ebenso geht es um die stärkere Berücksichtigung des Südens durch die Regierungspolitik. Die Karas-Region ist durch besonders krasse Ungleichheit, ihre kommunalen Gebiete sind durch bitterste Armut gekennzeichnet - all das bei auch für namibische Verhältnisse besonders reichen Bodenschätzen. In der benachbarten Hardap-Region liegen die Dinge nicht viel anders. Erinnerung findet daher nicht im luftleeren Raum statt und ist alles andere als pure Folklore. Beide Feste sind Teil des Bestrebens, sich Gehör zu verschaffen und Interessen zu artikulieren.


Der Präsident als marginale Zentralfigur

Das jährlich begangene Bondelsfest erinnert an den 25. Oktober 1903, als der deutsche Leutnant Jobst den Kaptein der Bondels (Gami-≠nun), Jan Abram Christiaan, vor seinem Haus erschoss. Jobst wurde unmittelbar darauf von Bondels getötet, und der folgende Aufstand band die deutsche Schutztruppe im äußersten Süden der damaligen Kolonie, als im Januar 1904 in Okahandja der Herero-Deutsche Krieg begann.

In früheren Jahren war die szenische Darstellung des Todes des Kaptein ein zentrales Element des Erinnerungsfestes. Diesmal war alles etwas anders. Das Ereignis stand ganz im Zeichen des Besuchs von Präsident Hifikipunye Pohamba im Rahmen seiner Tour durch die Karas-Region. Dies begünstigte zum einen die Anwesenheit vieler Kapteins, Chiefs und Ratsleute aus der Region, brachte aber andererseits den Ablauf des Festes gründlich durcheinander.

Der Auftritt des Staatsoberhauptes gerät in erster Linie zur Demonstration seiner Macht. Volksnähe spielt dabei kaum eine Rolle. An der Kreuzung der beiden Hauptstraßen in Warmbad haben die Menschen bereits lange Zeit Aufstellung genommen, manche werden von zwei Polizeibeamten zur Ordnung gerufen. Das lange Warten hat vorerst ein Ende, als eine Sirene in der Ferne das Kommen der Wagenkolonne mit dem Präsidenten ankündigt. Verschiedene Autos, meist mit 4x4-Antrieb, fahren mit hoher Geschwindigkeit die Straße herunter, wirbeln Staubfahnen auf und biegen um die Ecke. Schließlich erscheint ein schwarzer Landrover, auf dessen Nummernschild allein "Namibia" prangt. Als dieses Auto ebenfalls um die Kurve jagt, öffnet sich ein Schiebefenster, aus dem heraus die Hand des Präsidenten winkt. Danach gehen die Leute teils zu Fuß, teils fahren sie mit dem Auto zum einige hundert Meter entfernten Festgelände, wo neben dem Friedhof, auf dem Kapteins der Bondels ebenso wie deutsche und südafrikanische Soldaten liegen, ein großes Zelt für die Zuhörer und in gehöriger Entfernung ein überdachtes Podium aufgebaut ist. Die bei solchen Anlässen unverzichtbaren Reiter zeigen kurz, was sie können. Erneut wartet man auf den Präsidenten, der erst noch Sehenswürdigkeiten und Entwicklungsprojekte am Ort gezeigt bekommt. Der Posaunenchor spielt zum Zeitvertreib unter anderem auch mal das Deutschlandlied.

Nachdem die Wagenkolonne des Präsidenten endlich eingetroffen ist, geschieht Bemerkenswertes. Vertreter der Bondels berichten in ihren Reden detailliert über die Ereignisse von vor 105 Jahren und verweisen zugleich auf die folgende Geschichte des immer wieder aufflammenden Widerstands, den gerade ihre Gruppe gegen die aufeinanderfolgenden Kolonialherren geleistet hatte, so im Nama-Deutschen Krieg 1904-08 unter Führung der legendären Kommandanten Jakob Morenga, Abram Morris sowie des Kaptein Jakobus Christiaan und wiederum 1922, als die südafrikanische Luftwaffe als erste ihrer Heldentaten die Aufständischen bombardierte.

Minister Willem Konjore, ein Urenkel von Morenga, erinnert in seiner Rede auch daran, dass sein Urgroßvater sich vehement gegen den Friedensschluss gewandt hatte, mit dem die Bondels 1906 einen Teil ihres Territoriums bewahrt hatten. Mit anderen Vertretern der Orlam von Vaalgras posierte er mit der ursprünglichen schwarzen Bondels-Fahne, die nach dem Frieden von Ukamas durch eine schwarzweiße Fahne ersetzt worden war.

Präsident Pohamba überrascht dann mit dem Eingeständnis, von all diesen Zusammenhängen erst eben letzt erfahren zu haben. Er entschuldigt sich, dass ihm seine Redenschreiber ein völlig unzureichendes Manuskript geliefert hätten und betont, er habe nun erkannt, welch großen Beitrag die Bondelswarts und der Süden zum antikolonialen Widerstand und damit auch zur Befreiung des Landes geleistet haben. Selbst mit Minister Konjore, den er doch täglich sehe, habe er nie darüber gesprochen. Die zentrale Figur der gesamten Inszenierung sieht sich demnach außerstande, einen Beitrag dazu zu leisten.

Nachdem Pohamba die ursprüngliche Rede doch noch verlesen hat, enthüllt er einen Gedenkstein für Jakob Morenga, der vor dem Friedhof aufgestellt ist, auf dem einige wohlgepflegte Grabsteine verkünden, wer alles für "Deutschlands Ehre" oder "für Kaiser und Reich" gestorben ist. Danach setzt sich die Wagenkolonne wieder in Bewegung, der Präsident winkt noch kurz vor dem Einsteigen in seinen Landrover, und das Fest ist bis auf eine Kulturveranstaltung am Abend beendet.

Der Besuch des Präsidenten hatte offensichtlich alle anderen im gedruckten Programm aufgeführten Elemente, insbesondere den gemeinsamen Besuch der historischen Stätten in Warmbad, verdrängt. Zugleich aber hatte der Präsident mit geradezu entwaffnender Offenherzigkeit eingestanden, dass seine Vorstellungen über sein Land und dessen Geschichte den Süden bisher weitgehend ausgeblendet hatten.


Die Tradition des Widerstands im Süden

Mindestens so emphatisch wie in Warmbad fiel eine Woche später die Erinnerung an den Beitrag des Südens zum Befreiungskampf auf dem Heroes Day der Witbooi in Gibeon aus. Dort trat der reguläre Anlass, das Gedenken an den Tod des Nationalhelden Kaptein Hendrik Witbooi im Nama-Deutschen Krieg 1905, in den Hintergrund gegenüber dem 30-jährigen Dienstjubiläum seines gleichnamigen Urenkels sowie des Onderkaptein Christiaan Rooi, der seit Jahren die Geschäfte führt.

Die Programmänderungen wurden damit begründet, diesmal werde vor allem gefeiert und nicht getrauert. Es wurde daran erinnert, dass Hendrik Witbooi Jr. 1978 in Abwesenheit gewählt wurde, weil er gerade in südafrikanischer Haft war; das von ihm 1988 nach weiterer Haft im Lager Osire geschriebene Lied wurde mehrmals gesungen, und an Stelle der beliebten Reitervorführungen versammelte man sich an der acht Kilometer von Gibeon entfernten Bahnstation und hörte den Bericht des Kaptein und eines seiner Ratsleute über die scharfe Konfrontation mit südafrikanischen Kolonialbeamten, zu der es 1976 an dieser Stelle gekommen war.

Der Vorfall leitete einen großen Streik der Lehrer im Namaland und den Beitritt Hendrik Witboois und anderer Nama-Kapteins zur Swapo ein. Gibeon und die Mehrheit der Witbooi (/Khowese) wurden zu zentralen Exponenten des Befreiungskampfes im Süden.

Die von Reitern flankierte Wagenkolonne macht noch einmal Halt, damit Hendrik Witbooi das neue Begrüßungsschild am Ortseingang einweihen kann. Der Kaptein nutzt den Anlass für den dezenten Hinweis auf die nicht einfachen Beziehungen zur gewählten, verfassungsmäßigen Ortsverwaltung: "Gibeon ist unser, aber ihr tragt die Verantwortung für Entwicklung am Ort!"

Ein Großteil der im Programm angekündigten Prominenz aus Windhoek ist ausgeblieben. Dafür sind die Kapteins der unterschiedlichen Nama-Gruppen zahlreich erschienen und würdigen Hendrik Witboois Leistung als Lehrer und Pastor ebenso wie als traditioneller Führer und vor allem als Exponent des Widerstandes gegen die südafrikanische Herrschaft. Wer damals auf der anderen Seite gestanden hat, versteht es, dies durch witzige Anspielungen - etwa auf die Fahrweise des Jubilars, der damals in ganz Südnamibia unterwegs war und organisiert hat - zu überspielen.

Wie immer in Gibeon kommt über den Reden der Spaß nicht zu kurz, mit Sketchen, Aufführungen von Namastap und auch Tanz nach der feierlichen Eröffnung des Festes durch ein Ritual an dem Brunnen, dessen Entdeckung der Tradition nach Anlass war, dass sich die /Khowese hier niederließen. Das Fest findet am Sonntag seinen Abschluss mit einem Gottesdienst auf dem Friedhof, wo sich auch der Gedenkstein für den alten Kaptein Hendrik Witbooi befindet, vor dem am Ende Salut geschossen wird. In seiner Ansprache betont sein Urenkel erneut, dass die Gruppe ihre historischen Ziele noch keineswegs erreicht habe. Die Unabhängigkeit Namibias hat weder die Probleme der Armut gelöst, noch die Folgen der Landenteignung durch die deutsche Kolonialmacht überwunden.


Regionale Perspektiven

In Warmbad ebenso wie in Gibeon wurden die diesjährigen Feste durch eine neue regionale Dimension bereichert. Schon seit dem Ende der Apartheid hat im Nordkap, in Namaqualand und im Richtersfeld, aber auch in Kapstadt ein Prozess der Neu- und Selbstfindung eingesetzt, in dem Menschen ihre Identität als Nama entdecken und den Verlust "ihrer" Sprache und Kultur beklagen. Diese hoffen sie nun nördlich des Oranjeflusses zu finden.

Solche Bemühungen fallen recht unterschiedlich aus. In Warmbad waren zwei Leute aus dem Richtersfeld anzutreffen, die die Ereignisse auf Camcorder aufnahmen und darauf aus waren, Kontakte zu knüpfen. Dort hat vor wenigen Jahren ein Gericht die Rechte der Ureinwohner auf Land und Anteile an den Bodenschätzen bestätigt; man arbeitet nun auf die Anerkennung der traditional authority hin. Ein anderer Besucher in Warmbad gab sich als Kaptein der Bondelswarts südlich des Oranje zu erkennen.

In Gibeon nahmen dagegen Leute aus dem studentischen Milieu in Kapstadt an den Feierlichkeiten teil, die dort in Gruppen aktiv sind, die sich bemühen, die Nama-Kultur für sich wieder zu entdecken. Mit Dreadlocks und in deutlich städtischer Kleidung bildeten sie einen deutlichen und ein wenig unheimlichen Kontrast zu den übrigen Festteilnehmern, die freilich selbst längst nicht mehr alle am Ort wohnen, sondern großenteils aus Windhoek und anderen Städten anreisen. Die im Wochenabstand durchgeführten Feierlichkeiten unterstreichen so die nachhaltigen Bestrebungen von Nama-Gruppen, sich gegen alle Widerstände im unabhängigen Namibia Gehör zu verschaffen und einen Platz zu erkämpfen, der nicht zuletzt dem Bild entspricht, das auf den Festen von der Geschichte der Gruppen mit dem ausdrücklichen Ziel gezeichnet wird, dieses Wissen und Bewusstsein den folgenden Generationen weiterzugeben. Zugleich erweisen sich die Feste als in vielfältiger Weise einsetzbar - nicht zuletzt mit der Perspektive, die weit ins Kap reichenden Verbindungen, die für Nama-Gruppen in vorkolonialer Zeit charakteristisch und lebenswichtig waren, unter völlig veränderten Umständen und in einem neuen Kontext wiederzubeleben.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
37. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2008, S. 19 - 21
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2009