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AFRIKA/747: Afrika als Brennpunkt einer neuen Landnahme (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 6/2009

Eine Form von Kolonisierung?
Afrika als Brennpunkt einer neuen Landnahme

Von Wolfgang Schonecke


Im Kontext einer weltweiten Nahrungsmittelkrise verscherbeln Regierungen in Afrika fruchtbares Ackerland an ausländische Interessenten und Investoren. Das wird langfristig verheerende Folgen haben. Dabei ist Land in Afrika traditionell keine kommerzielle Ware.


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Fast zwei Monate lang war Madagaskar Schauplatz einer blutigen Auseinandersetzung zwischen dem regierenden Präsidenten Marc Ravolamanana und der Opposition. Am Ende übernahm der 36-jährige Andry Rajoelina mit Hilfe des Militärs die Macht. Auslöser der Revolution waren nicht nur die wachsende Armut der Bevölkerung und die exorbitante Selbstbereicherung des Präsidenten. Was das brodelnde Fass zum Überfließen brachte, war ein Pachtvertrag der Regierung über 1,3 Millionen Hektar fruchtbaren Landes mit dem südkoreanischen Konzern Daewoo für 99 Jahre. Die einzige Gegenleistung des multinationalen Unternehmens war ein vages Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Infrastruktur auszubauen.

Land in Afrika ist traditionell keine kommerzielle Ware. Es hat einen fast mystischen Wert als Ort der Ahnen und wird gemeinschaftlich verwaltet. Für die Madagassen war es unvorstellbar, dass eine Regierung das Land ihrer Väter einfach an ausländische Interessen verschachern würde.

Was in Madagaskar eine Revolution auslöste, passiert weltweit in nie da gewesenem Maß. Eine Studie der Umweltorganisation Grain belegte Mitte 2008 fast hundert geplante oder bereits vollzogene Kauf- oder Pachtverträge über Millionen von Hektaren besten Landes. Täglich werden es mehr. Dabei kommt es zu absurden Situationen wie im Sudan oder in Äthiopien, wo Millionen von Menschen von ausländischer Nahrungsmittelhilfe abhängig sind, aber gleichzeitig die Regierung bestes Agrarland an ausländische Firmen vergibt, um Nahrungsmittel für den Export zu produzieren.


Eine unbedachte Klima- und Energiepolitik

Woher rührt das plötzlich so große Interesse an der Ressource Land? Verursacht wurde der Ansturm auf Landbesitz durch die verschiedenen Krisen der letzten Jahre.

Als die Erdölpreise im letzten Jahr die schwindelnde Höhe von 150 Dollar pro Barrel erreichten, wurde der Druck, auf erneuerbare Energien umzuschalten, enorm groß. Als dann auch noch Russland zeitweilig den Gashahn für Europa zudrehte, wurde allen bewusst, wie gefährlich die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wirtschaftlich und politisch ist. Unter den schon erprobten Alternativen fand die Erzeugung von "Biosprit" hohes Interesse. Gleichzeitig wurden die Folgen des Klimawandeln immer sichtbarer und die Notwendigkeit, den Kohlendioxid-Ausstoß zu verringern, dringender. Bio-, oder korrekter, Agrartreibstoffe schienen beide Probleme gleichzeitig zu lösen: Weg vom Erdöl und eine Nullrechnung bei Energie aus Pflanzen, die das Kohlendioxyd, das beim Verbrennen entsteht, vorher aus der Luft eingesammelt haben (vgl. HK, Februar 2008, 89ff.).


Solange der Biodiesel vom Rapsanbau auf den brachliegenden Äckern Europas kam und den Landwirten noch ein Extraeinkommen brachte, schien alles zum Besten. Dann wurden jedoch große Probleme sichtbar. Um Biosprit zu fördern, legten sowohl die Europäische Union als auch die Bundesregierung erhöhte Beimischungsquoten fest, die nicht durch einheimische Produktion von Biomasse gedeckt werden konnten. Investoren und Regierungen im Süden begriffen schnell, dass sich da ein riesiger neuer Markt eröffnete.

Um Biomasse zu produzieren, braucht man aber Land. Da das meiste fruchtbare Land in der Welt bereits landwirtschaftlich genutzt wird, gibt es zwei Möglichkeiten: die wenigen verbleibenden Wälder für Plantagenwirtschaft zu roden, was vor allem in Indonesien und Brasilien geschah. Oder es müssen Flächen, die für Nahrungsmittelproduktion genutzt werden, für den Anbau von Energiepflanzen umfunktioniert werden. Die USA entschlossen sich kurzfristig, ihre Maisüberschüsse direkt zu Ethanol zu verarbeiten. Beides trug wesentlich dazu bei, dass sich im Jahr 2007 die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel wie Mais, Reis und Weizen verdoppelten. Das bedeutete mehr Hunger in der Welt. Die Zahl der an Hunger leidenden Menschen in der Welt erhöhte sich um 50 Millionen auf 850 Millionen. Und der One-Dollar-a-day Anteil der Menschheit aß statt einer Mahlzeit am Tag nur noch jeden zweiten Tag.


Eine dramatische Nahrungsmittelkrise

Angesichts der katastrophalen sozialen und ökologischen Folgen ihrer Energiepolitik setzte die deutsche Regierung die Beimischungsquoten aus nachwachsenden Rohstoffen wieder herunter. Die offizielle Begründung, dass alte Autos den Spritmix nicht verkraften, war wohl eher ein PR-Trick. Auch die EU revidierte ihre Zielvorgaben für erneuerbare Energie. Die neue Regelung von Dezember 2008 sieht vor, dass bis im Jahr 2020 20 Prozent des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen kommen müssen. Das schließt Windräder, thermische Energie und Biosprit ein. Außerdem sollen soziale und ökologische Kriterien für den Import von Biomasse erstellt werden.


Von der Verdoppelung der Weltmarktpreise für Lebensmittel war nicht nur das in Armut lebende Drittel der Menschheit betroffen. Länder, die einen hohen Anteil ihrer Lebensmittel importieren müssen, bekamen einen Schock. Die alte neo-liberale Mär, dass man auch die Agrarproduktion den Ländern mit einem Standortvorteil überlassen und sich auf den Weltmarkt verlassen sollte, hatte sich über Nacht als eine gefährliche Illusion erwiesen.

Die Regierungen der Golfstaaten, die fast die gesamte Versorgung der Bevölkerung durch Importe abdecken, China und Indien, die wachsende Bevölkerungen von über einer Milliarde ernähren müssen und Länder, die ihre eigene Landwirtschaft sträflich vernachlässigt hatten, errechneten, dass es sicherer und billiger wäre, einen Teil ihrer Nahrungsmittelproduktion ins Ausland zu verlegen. Eine frenetische Suche nach Land setzte ein.

Afrika war eines der Ziele. Die Golfstaaten sahen sich vor allem in anderen islamischen Staaten wie Sudan um, die Chinesen begannen in Sambia, Simbabwe, Madagaskar und Kongo Farmen aufzumachen. Ägypten verhandelt mit Uganda über 840.000 Hektar, um Weizen anzubauen. Den Vertrag der Südkoreaner mit Madagaskar über 1,3 Millionen Hektar hat sich zwar durch die politischen Unruhen zerschlagen, aber schon will Indien 500.000 Hektar bereits kultivierten Landes für Reisanbau auf 50 Jahre pachten. Muammar al Gaddafi, der für ein Megaprojekt Arbeiter aus Asien nach Libyen bringen will, braucht Reis und hat sich 100.000 Hektar bestes Land und Wasserrechte am Nigerfluss gesichert. Aber nicht Afrika allein ist betroffen. Der fruchtbare Lössboden der Ukraine zieht Investitionen aus aller Welt an.


Nicht nur die wegen der Ernährungssicherheit besorgten Regierungen suchen Land. Es wird allgemein angenommen, dass die Nahrungsmittelpreise, die 2008 etwas zurückgegangen sind, langfristig steigen werden. Die Weltbevölkerung wächst, der Klimawandel macht einige Regionen der Welt für die Landwirtschaft unbrauchbar, die grüne Revolution stößt durch erhöhten Kunstdünger und Pestizid-Einsatz an ihre Grenzen. Und Nahrungsmittel sind ein sicherer Markt, Menschen werden immer essen, und in günstigen Lagen locken Rendite bis zu 40 Prozent. Die Liste der Investmentfonds, die in letzter Zeit Land aufgekauft haben um im Agrarsektor zu investieren ist lang, und enthält die Namen aller üblichen Verdächtigen: Goldman Sachs, Morgan Stanley, BlackRock und viele andere.


Warum verschenken Regierungen noch die letzten Ressourcen?

Man kann sich fragen, warum die Regierungen der Länder des Südens ihr letztes Tafelsilber verscherbeln. Erdöl, Mineralien und andere Bodenschätze werden von multinationalen Konzernen ausgebeutet. Was sie im Lande lassen, sind nur geringe Anteile der Riesenprofite und zerstörte Landschaften. Etwa nur drei Prozent der Gewinne aus der Goldproduktion bleiben beispielsweise als so genannte Royalties in Ghana und werden nicht einmal im Staatshaushalt als Einnahmen aufgeführt.

Der Tschad bekommt 15 Prozent vom Erdöl und braucht es im Wesentlichen, um Waffen für den Bürgerkrieg zu kaufen. Die lokale Bevölkerung geht fast immer leer aus. Was ihnen bleibt ist ihr Land, und jetzt soll auch das noch an ausländische Investoren gehen. Wenn sie Glück haben, dürfen sie später auf dem eigenen Boden als Plantagenarbeiter für einen Hungerlohn arbeiten. Warum also verschenken Regierungen die letzte Ressource, das Land, oft ohne auch noch Pachtgebühren dafür zu verlangen?

Sicher ist oft Korruption im Spiel; aber es gibt auch andere Motive. Einmal ist da der verbreitete Mythos, dass Investitionen auf jeden Fall für die Entwicklung eines Landes gut sind. Und so schaffen Regierungen auch unter dem Druck der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds jede denkbare Erleichterung, um Investoren ins Land zu locken. Dazu wird beispielsweise die Landgesetzgebung und sogar die Verfassung geändert, wenn sie die Möglichkeit von Landkauf oder Pacht begrenzen. Ob diese Investitionen am Ende der Bevölkerung wirkliche Vorteile bringen und eine echte Entwicklung ankurbeln, wird meistens nicht hinterfragt.


Was auch ehrliche Politiker für zweifelhafte Investitionen stimmen lässt, ist die Verheißung von Arbeitsplätzen. Dass die Löhne niedrig und die Arbeitsbedingungen oft unmenschlich sind, ist dabei zweitrangig. Ein Politiker, der seinem Wahldistrikt einen Investor und damit Arbeitsplätze verschaffen kann, hat eine Chance wiedergewählt zu werden. Und für Viele gilt: Besser ein schlechter Arbeitsplatz als keiner.

Regierungen versprechen sich von Investitionen aber auch eine Verbesserung der Infrastruktur, die sie selber nicht finanzieren können. Um Biomasse oder Getreide im großen Stil zu exportieren, braucht man Straßen, Eisenbahnen und Häfen. Die Südkoreaner versprachen der Regierung von Kongo-Brazzaville, die 2000km lange, marode Eisenbahnlinie zu reparieren. Der Preis: 20 Kilometer Land auf beiden Seiten entlang der Linie. Da kann man schon einiges anbauen.

Was den Regierungen in Afrika, und nicht nur in Afrika, fehlt ist langfristiges Vorausplanen. Für momentane Vorteile setzt man die Zukunft des Landes aufs Spiel. So verändert das Abholzen großer Flächen Regenwalds und die landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtgebieten lokale Klimabedingungen. Die Vertreibung der ländlichen Bevölkerung führt zu Migrationsströmen in die Slums der Großstädte, wo das Potenzial für soziale und politische Konflikte ständig wächst. Und niemand denkt an die Bedürfnisse zukünftiger Generationen. Auch wenn heute noch Land brach liegt, wo wird bei dem immer noch rasanten Bevölkerungswachstum in Afrika die nächste und übernächste Generation eine Existenzgrundlage finden?


Alles ohne öffentliche Debatte

Die Hälfte des Ackerlands Ausländern für ein Jahrhundert zu überlassen, wie in Madagaskar geplant war, ist wohl eine der gravierendsten Entscheidungen, die eine Regierung treffen kann. Man sollte annehmen, dass darüber eine Parlamentsdebatte und eine öffentliche Diskussion in den Medien geführt werde. Aber gerade weil Land ein äußerst sensibles Thema ist, bleiben Verhandlungen und Verträge strikt geheim. Als durch eine Indiskretion des Botschafters bekannt wurde, dass Uganda 840.000 Hektar Land Ägypten überlassen will, gab es einen Aufschrei im ugandischen Parlament. Präsident Yoweri Museveni erklärte kurzerhand die Affäre zur Chefsache. Seitdem herrscht Schweigen und niemand weiß, ob und wann das Projekt realisiert wird.


Ahab, ein biblischer König Israels, war sicher nicht der Erste, der seinen Untertanen das Land wegnahm, um den Hofstaat zu versorgen. Als sein Nachbar Jesreel sich weigerte, ihm den väterlichen Weinberg als Gemüsegarten zu überlassen, ließ er ihn mit Hilfe seiner Frau durch Intrigen kurzerhand umbringen (vgl. 1 Kö 29). Ähnliche Verbrechen sind heute an der Tagesordnung, nur werden sie meist nicht mit Hilfe von Meuchelmördern sondern durch juristische Tricks verübt. Hedgefonds und private Investoren, Großgrundbesitzer, Militärs und Politiker bemächtigen sich des Landes ganz legal, in dem die Rechte traditioneller Völker durch moderne Landgesetzgebung ausgehebelt werden.

Da hat eine Großfamilie seit Generationen ein Stück Land bearbeitet, aber aus Unwissenheit und Mittellosigkeit ihr Land nicht im Katasteramt registrieren lassen. Die Registrierung eines Grundstückes kostet mehr, als Subsistenzbauern sich leisten können. Um Investitionen anzuziehen, hat inzwischen das Parlament die Landgesetze zu Gunsten von Investoren verändert. Findet sich ein potenter Interessent für eine Zuckerrohr- oder Jatrophaplantage, bekommt die Familie eine Frist, ihren Erbbesitz zu verlassen. Kompensation gibt es allenfalls für die Hütte. Das Land gehört ihnen ja nicht.

Mit einem Federstrich haben Juristen die Landbevölkerung über Nacht zu Landlosen und Besitzlosen gemacht. Und sollten sie tatsächlich einen Landtitel haben, kauft man ihnen den gerne ab. Menschen, die von der Hand in den Mund leben, lassen sich von ein paar hundert Dollar blenden und meinen, sie seien plötzlich reich geworden. Nach wenigen Monaten in der Stadt werden sie sich zu spät der Wahrheit bewusst, dass sie alles verloren haben.

Die massiven Landübernahmen und die damit verbundenen Vertreibungen in den Ländern des Südens rufen Erinnerungen an die Kolonisation wach. Joseph Diouf, Chef der UN-Organisation FAO, hat diese Landdeals als eine Art von "Neo-Kolonialismus" bezeichnet.

Zu Ahabs Zeiten gab es den Propheten Elias, der dem König mit einem Gottesgericht drohte. In einer säkularisierten Welt sind es Menschenrechts- und Umweltorganisationen und ein paar mutige Kirchenführer, die im Namen des Menschenrechts auf Leben und Nahrung gegen die Vertreibung der einheimischen Bauern protestieren - oft ohne großen Erfolg, denn das nicht deklarierte Recht auf Wirtschaftswachstum und Profit hat meist politische Priorität. Protest gegen den Landraub der Mächtigen kann auch lebensgefährlich sein, und viele Menschenrechtsaktivisten haben mit ihrem Leben bezahlt, weil sie die Landrechte der Bevölkerung verteidigt haben.

In Afrika setzen sich Kirchen für den Schutz und eine gerechte Nutzung der nationalen Ressourcen ein. Schon die Erste Bischofskonferenz für Afrika im Jahr 1994 erinnerte Regierungen an ihre "Verpflichtung, das gemeinsame Erbe zu verteidigen gegen alle Formen von Verschwendung und Betrug durch Bürger ohne Verantwortungssinn für das Allgemeinwohl und durch skrupellose Ausländer" (Ecclesia in Africa, 113).

Das Arbeitspapier, das "Instrumentum Laboris", für die zweite Afrikanische Synode widmet dem Landproblem einen eigenen Paragraphen (vgl. HK, Mai 2009, 223ff.; Februar 2009, 104ff.): "Multinationale Konzerne drängen systematisch auf den Kontinent auf der Suche nach Rohstoffen. Mit afrikanischen Politikern als Komplizen machen sie lokale Unternehmen kaputt, kaufen Tausende von Hektar Land auf und vertreiben die Bevölkerung von ihrem Land. Die negativen Folgen für die Umwelt (...) bedrohen den Frieden und das Wohlergehen der Völker Afrikas..." (Nr. 23). Es wäre wünschenswert, dass die Bischofssynode, die vom 4. bis 25. Oktober 2009 in Rom tagen wird, laut und deutlich gegen diese neue Form von Ausbeutung die Stimme erhebt.


Industrielle landwirtschaftliche Monokultur gegen kleinbäuerliche Betriebe

Auf diese himmelschreienden Ungerechtigkeiten reagieren Politiker unterschiedlich. Für die immer noch im neoliberalen Paradigma Verwurzelten, ist Land nichts anderes als eine Ware wie jede andere. Sie profitabel zu nutzen, bedeutet Fortschritt; trägt es doch zum Wirtschaftswachstum des Landes bei, steigert es das Bruttosozialeinkommen. Im Übrigen sind viele von ihnen im Stillen überzeugt, dass Kleinbauern sowieso keine Chance auf dem Weltmarkt haben und eine aussterbende Spezies sind.

Aber es gibt auch andere Stimmen. Der von über 400 prominenten Wissenschaftlern verfasste Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 sieht die Zukunft der Ernährung der Weltbevölkerung und die Überwindung der Armut weit weniger in kommerziellen Monokulturen als in der Förderung kleinbäuerlicher Betriebe. Ähnlich sehen das auch kirchliche Hilfswerke wie Misereor. Während die staatliche Entwicklungshilfe ländliche Entwicklung in den letzten Jahren mehr oder weniger abgeschrieben hatte, haben sie mit großem Erfolg Kleinbauern geholfen, ihre traditionelle Anbau- und Züchtungsmethoden zu verbessern und durch organischen Anbau unabhängig von teurem Kunstdünger zu werden.


Wie im Finanzwesen, so ist auch in der Land- und Agrarpolitik eine Neuorientierung dringend erforderlich. Nicht nur ein Abbau der Agrarsubventionen und die Öffnung der Märkte für Produkte aus den Entwicklungsländern sind dabei wichtig. Die Nahrungsmittelversorgung der Länder darf nicht einzig den Gesetzen des Marktes unterworfen werden. Zugang zu Nahrung ist ein Menschenrecht, das vom Staat gesichert werden muss.

Immer öfter wird die Forderung nach "Ernährungssouveränität" erhoben - ein Konzept, das von der Landlosenbewegung "Via Campesina" in Brasilien gegen die Landübernahmen durch Großgrundbesitzer entwickelt worden ist. Ernährungssouveränität postuliert das Recht eines jeden Landes, selbst die Kapazitäten zu erhalten oder zu entwickeln, um die Ernährungssicherheit für die eigene Bevölkerung zu sichern. Das bedeutet auch Schutz gegen das Dumping bei Nahrungsmittelpreisen, das die Produzenten im eigenen Land gefährdet. Das bedeutet aber auch, gleichzeitig den Zugang zu den nötigen Ressourcen - Land, Wasser und Saatgut - zu gewährleisten. In einer solchen Politik hat der lokale kleinbäuerliche Betrieb, der für die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung produziert, Vorrang vor den Monokulturen einer Export-orientierten, industriellen Agrarproduktion. Das gilt vor allem für die kostbarste Ressource, Land.


Wenn man bedenkt, dass 70 Prozent aller armen Menschen in den Entwicklungsländern für ihr Überleben auf Landwirtschaft angewiesen sind, kann man ermessen, was es bedeutet, wenn immer mehr Arme vom Land vertrieben werden. Die Migrationswellen, die jetzt schon an unseren Küsten tot oder lebendig ankommen, werden sich dramatisch verstärken und das wachsende Gewalt- und Konfliktpotenzial auch unsere Sicherheit bedrohen. Der Schutz von Landrechten der Kleinbauern des Südens gegen die unersättliche Gier von Investoren ist so in unserem ureigensten Interesse.


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Wolfgang Schonecke (geb. 1938) war bis 2007 Leiter des Netzwerks Afrika Deutschland mit Sitz in Bonn und Berlin und führt seitdem das Berliner Büro (www.netzwerkafrika.de). Von 1965 bis 1982 arbeitete er in der Pastoral in Uganda. Von 1982 bis 1992 übernahm Schonecke Leitungsaufgaben für seinen Orden der Afrikamissionare - Weiße Väter; 1994 bis 2001 leitete er die Pastoralabteilung bei der ost-afrikanischen Bischofkonferenz (AMECEA).


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 6, Juni 2009, S. 308-312
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2009