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AFRIKA/826: Westsahara - Selbstbestimmungsrecht und Ressourcenausbeutung (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 74 Ausgabe 25 [1] - Sommer 2010

Selbstbestimmungsrecht und Ressourcenausbeutung [1]

Von Axel Goldau


Der Konflikt um die Westsahara ist ein Kolonialkonflikt. Diese Form des Kolonialismus grenze ich als modernen Kolonialismus, vom Neo-Kolonialismus ab, weil die alten Kolonialmächte (Frankreich und Spanien) hier in den Hintergrund getreten und eine neue Regionalmacht, (das Königreich Marokko) die selber zuvor kolonisiert worden war, an deren Stelle getreten ist (s. Abb. 1).

Abb. 1: Die marokkanischen Bombardements und die Fluchtwege der Saharauis 1975/76 (aus: GFSV: Der Konflikt um die Westsahara; HH 1990)

Abb. 1: Die marokkanischen Bombardements und die Fluchtwege der Saharauis 1975/76
(aus: GFSV: Der Konflikt um die Westsahara; HH 1990)

"Das Ergrünen" der internationalen Politik

Mit dem Beginn der 1980er Jahre kann eine "Ergrünung" der internationalen Politik konstatiert werden. Den Beginn dieser Entwicklung kennzeichnet der Bericht der BRUNDTLAND-KOMMISSION von 1983. Darin wurde der Begriff der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development; desarrollo sostenido) erstmalig auf die Bühne der internationalen Politik gehoben und definiert: "als eine Weise der Ressourcen-Nutzung, die menschliche Bedürfnisse befriedigt und gleichzeitig die Umwelt schützt, und zwar nicht nur die Bedürfnisse jetziger, sondern auch zukünftiger Generationen." Der englische Begriff Resources wird im Deutschen gemeinhin mit Hilfsquellen übersetzt. Bei natürlichen Ressourcen (natürlichen Hilfsquellen) unterscheide ich zwischen

mineralischen und energetischen Ressourcen: Mineralien wie etwa Phosphat und Uran mit einem fließenden Übergang zu fossilen Energieträgern wie Erdgas bzw. -öl, aber auch Solar- und Windenergie und
biologischen Ressourcen: Lebewesen und Lebensgemeinschaften oder Teile von ihnen wie etwa Nutz- (s. Abb. 2) oder Wildtiere (s. Abb. 3) sowie Wildpflanzen (s. Abb. 4) und deren Produkte (s. Abb. 5).
Foto: Kritische Ökologie / - ag, Februar 2009 Wad Far'a Foto: Kritische Ökologie / - ag, Februar 2009 Wad Far'a

Abb. 2, links: Das Einhöckrige Kamel oder Dromedar (Camelus dromedarius) ist das wichtigste Nutztier für die Menschen in den ariden Gebieten.
Foto: Kritische Ökologie / - ag, Februar 2009 Wad Far'a

Abb. 3, rechts: Wildtiere - wie Addaxes (Addax nasomaculatus) könnten eine wichtige biologische Ressource sein. In ihren saharasahelischen Lebensräumen gelten sie als unmittelbar von ihrer Ausrottung bedroht.[2] In der Westsahara wurden sie zur spanischen Kolonialzeit bereits völlig ausgerottet.
Foto: Kritische Ökologie / - ag, TP Berlin

Nachhaltige Entwicklung setzt die umfassende Partizipation aller Menschen, vor allem lokaler Gemeinschaften voraus (s. Abb. 6). Kolonialismus - ganz gleich welcher Spielart - ist das Gegenteil von nachhaltiger Entwicklung, weil er Menschen ausschließt und - wie im Falle des marokkanischen modernen Kolonialismus - zu Flüchtlingen macht (s. Abb. 7) und die natürlichen Ressourcen des Landes plündert.

Als im Sommer 1992 der erste Weltgipfel der Vereinten Nationen über Umwelt & Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development, UNCED) in Brasilien stattfand, hätte der Kolonialkonflikt um die Westsahara längst überwunden sein müssen: Denn im Frühjahr 1992 sollte das MINURSO - Mandat nach Bekanntgabe der Ergebnisse der Befragung der saharauischen Bevölkerung über ihre Zukunft längst beendet sein (s. Abb. 8). Bis heute hat niemand diese Menschen darüber befragt, wie sie ihre Zukunft gestalten möchten: Die Saharauis bleiben ausgeschlossen.

Foto: Kritische Ökologie / - ag, Februar 2009 Wad Ternit Foto: J. Smajdli, Februar 2009 Foto: Kritische Ökologie / - ag,  Februar 2009 Wad Ternit

Abb. 4, links: Wildpflanzen wie die Talha (Acacia raddiana) werden vielfach genutzt und genießen in der Nomadenkultur eine hohe Wertschätzung. Das saharauische Komitee zur Unterstützung der UN-Resolutionen und zum Schutz der natürlichen Ressourcen der Westsahara (CSPRON) bezichtigt die marokkanische Besatzungsmacht die Talha, den Symbolbaum der Sahara, rücksichtslos zu verköhlern.
Foto: Kritische Ökologie / - ag, Februar 2009 Wad Ternit

Abb. 5, Mitte: Tiere und deren Produkte stellen überlebensnotwendige biologische Ressourcen für die Menschen bereit, ohne die z.B. Wüsten Menschen als Lebens- und Kulturraum nicht zugänglich wären.
Foto: J. Smajdli, Februar 2009

Abb. 6, rechts: Nachhaltige Entwicklung setzt die umfassende Partizipation aller Menschen, vor allem lokaler Gemeinschaften voraus: Saharauische Nomadin beim Brotbacken in den befreiten Gebieten des Nördlichen Zemmurs der Westsahara.
Foto: Kritische Ökologie / - ag, Februar 2009 Wad Ternit

Für die Saharauis deutet sich bisher allenfalls ein "Ergrünen" des Kolonialismus an (s. Abb. 9): Weil Europa nicht gewillt ist, seinen überdimensionierten Energiekonsum auch nur minimal zu senken, müssen neue Energiequellen z.B. Wind- und Sonnenergie aus Nordafrika her. Das DESERTEC-KONSORTIUM [3] verhandelt mit den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien: Dass auch hierbei die Saharauis wieder einmal nicht gefragt werden, wenn auf ihrem Territorium Windkraft- und Solaranlagen installiert werden sollen, scheint vielen völlig selbstverständlich - mit mangelnder "kritischer Masse": für Wahlen in bürgerlichen Demokratien irrelevant, ist die Unlust fürs humanitäre Völkerrecht einzutreten, schon einmal prominent vertreten worden.[4]

2010 - Das Jahr der biologischen Vielfalt

Dieses Jahr 2010 haben die Vereinten Nationen zum internationalen Jahr der biologischen Vielfalt erklärt: "Es ist ein Freudenfest des Lebens auf Erden und des Wertes der biologischen Vielfalt für unser Aller Leben. Die ganze Welt ist 2010 eingeladen die Vielfalt des Lebens auf unserer Erde, die biologische Vielfalt, zu erhalten."[5] (s. Abb. 10).

Foto: Kritische Ökologie / - ag, Mai 1993 Rabuni Foto: Kritische Ökologie / - ag, März 2009 Flüchtlingslager Al-Aaiun

Abb. 7, links: Kolonialismus - ganz gleich welcher Spielart - ist das Gegenteil von nachhaltiger Entwicklung, weil er Menschen ausschließt und - wie im Falle des marokkanischen modernen Kolonialismus - sogar zu Flüchtlingen macht.
Foto: Kritische Ökologie / - ag, Mai 1993 Rabuni

Abb. 8, rechts: Als in Rio de Janeiro die UNCED zelebriert wurde, hätte der Kolonialkonflikt um die Westsahara längst friedlich gelöst sein sollen: durch Befragung der betroffenen Bevölkerung. Aber bis heute sind diese Menschen nie gefragt worden, wie sie ihre Zukunft gestalten möchten.
Foto: Kritische Ökologie / - ag, März 2009 Flüchtlingslager Al-Aaiun

Quelle: DESERTEC Foundation, www.desertec.org Foto: Kritische Ökologie / - ag

Abb. 9, links: Der große Traum der Unendlichkeit für unseren Energiekonsum soll mit DESERTEC und ähnlichen Projekten fortgeschrieben werden. Dass hier das humanitäre Völkerrecht in grober Weise verletzt wird, scheint die Protagonisten - von GREENPEACE bis RWE - überhaupt nicht zu berühren.
Quelle: DESERTEC Foundation, www.desertec.org


Abb. 10, rechts: Der Geschäftsführer der Konvention über die biologische Vielfalt, Dr. Ahmed Djoghlaf, während der feierlichen Eröffnung des Jahres der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt am 11. Januar 2010 im Naturkundemuseum Berlin.
Foto: Kritische Ökologie / - ag


Die "ganze Welt" ist zu einem Freudenfest des Lebens eingeladen? Bei den Saharauis dürfte nach über 18 Jahren geduldigen Wartens auf ihr Selbstbestimmungsrecht, das ihnen zusteht, nicht so richtige Freude aufkommen: Von den vielen politischen Gefangenen, die eingekerkert sind, nur weil sie für ihr international verbrieftes Selbstbestimmungsrecht eintreten, befinden sich z.Zt. 36 in einem unbefristeten Hungerstreik.[6]

Bis heute konnten die Vereinten Nationen trotz eindeutiger internationaler Rechtslage ihren Dekolonisierungsauftrag für die Westsahara - vor allem gegen die Veto-Mächte Frankreich und die USA - nicht durchsetzen. Ebenso konnten sie die fortschreitende Zerstörung biologischer Vielfalt nicht aufhalten - trotz völkerrechtlich bindender Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biodiversity: CBD). An wohlklingenden Absichtserklärungen hat es dagegen nicht gefehlt:

Bereits 2002 hatte sich die Staatengemeinschaft während ihres Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung: World Summit on Sustainable Development (WSSD) zum Ziel gesetzt, "alle notwendigen Schritte zu unternehmen, die Verlustrate an biologischer Vielfalt bis 2010 deutlich zu senken".
Bereits ein Jahr zuvor während der Sitzung des Europäischen Rates in Göteborg stellte die EU Einstimmigkeit darüber fest, "... dass dem Rückgang der biologischen Vielfalt Einhalt geboten werden sollte, mit dem Ziel, dies bis 2010 zu erreichen, ...".[7]

Die Europäische Union profitiert von der Ressourcen-Plünderung der Westsahara

Weder hat die EU seit 2001 ernsthafte Schritte unternommen, das "2010 - Ziel" zumindest in ihrem Wirtschaftsraum auch nur annähernd zu erreichen, noch stellt sie sich dem völkerrechtswidrigen Anspruch Marokkos über die Westsahara entgegen: Die EU ist in dem letzten afrikanischen Kolonialkonflikt längst zum Teil des Problems geworden, weil sie von der Ressourcenplünderung der Westsahara profitiert. Die Meere der EU sind völlig überfischt - dank einer hoch modernen, hoch subventionierten Fischereiflotte. Anstatt zu einer nachhaltigen Fischereiwirtschaft überzugehen, versucht die EU immer neue Fischgründe zu erschließen. Der Schlüssel hierzu heißt: "Fischerei-Partnerschaftsabkommen":

Im März 2007 wurde das aktuelle "Fischerei-Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und dem Königreich Marokko" in Kraft gesetzt.
Seit mindestens April 2008 ist bekannt, dass unter diesem Abkommen auch die See der Westsahara abgefischt wird.
Das Abkommen läuft im März 2011 aus!

Die Saharauis sind bis heute nicht gefragt worden, ob sie bereit wären, "ihren" Fisch auf den Märkten der EU verschwinden zu lassen. Dies hat z.B. den juristischen Dienst des Europäischen Parlaments (European Parliament's Legal Service) bereits im Juli vorherigen Jahres veranlasst, dieses Abkommen für völkerrechtswidrig zu erklären. Allerdings blieb dieses Gutachten bis Ende Februar dieses Jahres unter Verschluss: Erst der öffentliche Druck, den die internationale Zivilgesellschaft entfaltete, brachte dieses Rechtsgutachten ans Licht der Öffentlichkeit: Seit November vorherigen Jahres hat Western Sahara Resource Watch (WSRW) etwa 14.000 Unterschriften von Einzelpersonen und 561 von Organisationen für die Online - Petition (s. Abb. 11) an die EU Kommission: www.fishelsewhere.eu gesammelt (Stand: 20. Mai). Ziel ist es, dieses Abkommen in seiner bestehenden Form zu Fall zu bringen!

Abb. 11: Bereiten Sie der EU-Fischerei in der Westsahara ein Ende!

Abb. 11: Bereiten Sie der EU-Fischerei in der Westsahara ein Ende!


Aber es geht auch anders!

Die Mittelmeer-Mönchsrobbe (Monachus monachus) gilt als unmittelbar von der Ausrottung bedroht.[8] Überall in ihren letzten Refugien sind ihre Zahlen rückläufig - außer am Cabo Blanco, im Süden der Westsahara (s. Abb. 12):

Wo nicht gefischt
und das Meer nicht vergiftet wird,
wo die Strände nicht verbaut werden
und wo Menschen biologische Vielfalt erhalten und nicht zerstören, dort können auch die von Ausrottung bedrohten Robben überleben.
Abb. 12: Nach 50 Jahren brachte erstmals wieder diese Mönchsrobben-Kuh ein Kalb am freien Strand zur Welt. Bisher haben sich die Tiere aus Furcht vor menschlicher Verfolgung stets in Felshöhlen zum Gebären zurückgezogen. - Foto: Kritische Ökologie / - ag, November 2009 Cabo Blanco

Abb. 12: Nach 50 Jahren brachte erstmals wieder diese Mönchsrobben-Kuh ein Kalb am freien Strand zur Welt. Bisher haben sich die Tiere aus Furcht vor menschlicher Verfolgung stets in Felshöhlen zum Gebären zurückgezogen.
Foto: Kritische Ökologie / - ag, November 2009 Cabo Blanco

Weitere Infos zur aktuellen Sommerausgabe 2010 der Kritischen Ökologie unter:
http://www.ifak-goettingen.de/ifak/index.php?option=com_content&task=view&id=33&Itemid=48


Anmerkungen:

[1] In diesem Artikel werden die Präsentationen zusammengefasst, die der Autor am 15. Februar während des internationalen Symposiums: Western Sahara's unresolved issues in Ljubljana sowie am 04. März während der Tagung: Westsahara - die letzte Kolonie Afrikas in Wien vorstellte.

[2] www.redlist.org

[3] http://www.desertec.org

[4] Der selbst ernannte "Linke", Staatsekretär Ludger Volmer unter Außerminister Joseph Fischer, erklärte im Juni 2003 gegenüber dem Hauptakteur der Länder-Kooperation mit den saharauischen Flüchtlingen, Senatsrat Gunther Hilliges, in einem persönlichen Gespräch, dass es beim Thema Westsahara an "der kritischen Masse" mangele. Für den Grünen Staatssekretär waren der fortgesetzte Bruch internationalen Rechts und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen nicht "wahlentscheidend" und somit irrelevant.

[5] http://www.cbd.int/2010/welcome/

[6] www.afapredesa.org: Meldung vom 14. April; gesichtet am 17. April 2010

[7] http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/00200-r1.d1.pdf

[8] www.redlist.org


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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 74 Ausgabe 25 [1] Sommer 2010 (in der Onlinefassung)
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
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Malteserstraße 99k, 12249 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2010